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Die drei Könige
Es geschah vor langer Zeit in einem fernen Königreich, dessen Name in Vergessenheit geraten ist. Unvergleichlich groß muss dieses Reich gewesen sein, da die Geschichte seines Niederganges heute noch erzählt wird.
So heißt es von diesem Land, dass manche seiner Bewohner an Palmstränden lebten und täglich in kristallblauem Wasser angelten. Unter ihren Booten sahen sie oft vorbeihuschende Schatten. Es waren die Meerjungfrauen, die ihnen Fische in die Netze scheuchten.
Andere wiederum trieben ihr Vieh regelmäßig auf ruhige Almen, die nur von einem sanft erschüttert wurden – dem Gelächter der Riesen, wenn ihnen ein Stalljunge schlüpfrige Witze erzählte.
Genügsam arbeiteten auch die Bergwerksleute im verschneiten Norden. Falls die gutmütigen Gnome Lust dazu hatten, zeigten sie den Menschen einen der unzähligen unterirdischen Schätze. An Geldvorräten mangelte es in dem Land aber längst nicht mehr und keiner verspürte das Verlangen reicher zu werden. Deshalb dröhnte aus den Gängen der Minen nicht das Schlagen von Spitzhacken auf Stein, sondern der Gesang der groß- und kleinwüchsigen Kumpel bei ihren Trinkgelagen.
All diese Menschen und zauberhaften Wesen wussten, wem sie die Zufriedenheit mit ihrem Leben zu verdanken hatten. Deshalb waren sie auch mehr als bestürzt, als sie erfuhren, dass ihr geliebter König Weisrich im Sterben lag.
Die fröhlichen Loblieder zu Weisrichs hundertstem Thronjubiläum schlugen auf einmal in Wehmut um. Weisrich regierte seit seinem elften Lebensjahr. An seinen Vater Eifrich erinnerte sich kaum noch jemand, doch ohne seinen Einfluss wäre Weisrich wohl nie der grandiose König geworden, der das Leben so vieler zum Besseren gewendet hatte.
Zu Eifrichs Lebzeiten hatten nur Menschen das damals noch winzige Königreich bewohnt. Eifrich versuchte es zu vergrößern, doch er gab es auf, als die Menschen sich dagegen wehrten. Ihre Furcht vor den fremden, magiebegabten Wesen in den umliegenden Ländereien schien unüberwindbar.
Von neuem Fleiß getrieben wollte Eifrich gewinnbringende Geschäfte machen, um die Schatzkammern aufzufüllen. Nachdem er bei seinem ersten Handel Geld verloren hatte, resignierte er auch hier.
Niedergeschlagen zog Eifrich sich zurück, um dem Volk durch seine Kunst den Alltag zu verschönern. Er malte Bilder, die von Talent zeugten, aber noch keinem wirklich gefielen. Enttäuscht begann er Lieder zu komponieren. Manche der Strophen waren erhebend, die meisten hätte er verbessern müssen. Deshalb schrieb der verbitterte König im hohen Alter Geschichten. Für einige Passagen erhielt er Lob, insgesamt erforderten seine Arbeiten weit mehr schriftstellerische Ausdauer.
Danach lag Eifrich nur noch still weinend in seinem Bett, weil er meinte, nichts Bleibendes hinterlassen zu haben. Angesichts seines baldigen Todes hatte er einen folgenreichen Einfall – die Saat, aus der sein Königreich aufblühen sollte. Er wischte die Tränen aus seinem Gesicht und ließ nach seinem Schreiber rufen, um seinem letzten Willen vier entscheidende Punkte hinzuzufügen.
Für seinen Sohn Weisrich ernannte er drei Lehrer, die ihm bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr zur Seite stehen sollten.
Aus dem Wolkenreich über der Welt erschien eine Sylphe. Der Luftgeist war durch alle Länder geweht und kannte die Menschen wie auch die Zauberwesen. Sie erklärte Weisrich, wer den Menschen gut gesonnen sei und auf welche Weise er am besten mit diesen Geschöpfen Beziehungen knüpfen könne.
Aus dem damaligen Staat Bergen kam ein Gnom. Der bärtige Erdgeist war ein erfahrener Händler. Zusätzlich verfügte er über grundlegendes Wissen vom Wert aller edlen Metalle, die ein Mensch finden und abbauen konnte.
Aus dem mächtigsten Vulkan der Welt kletterte ein Salamander. Der Feuergeist lehrte Weisrich allein durch seinen atemberaubenden Anblick, was Schönheit bedeutet und wie er diese Schönheit in der Kunst verwirklichen konnte.
Diese drei Berater folgten der Aufforderung des Königs allzu gerne, da sie von den Menschen immer schon fasziniert waren. Nur waren die Menschen bis dahin zu ignorant gewesen, an die Zauberwesen zu glauben. Weil sie deren Existenz aus Angst und Misstrauen nicht wahrhaben wollten, verließen sie nicht einmal die engen Grenzen ihres Landes.
Das änderte sich spätestens dann, als sich der König des großen Meeres mit Eifrichs viertem Wunsch einverstanden erklärte. Der Wassergeist schloss ein Bündnis, indem er eine seiner Töchter mit Weisrich vermählte. Auf einmal lebten Sterbliche und Zauberwesen in einem Königreich.
Am Tag der Hochzeit verwandelte sich die Meerjungfrau sogar in einen Menschen. Die neue Königin hatte nach menschlichen Maßstäben mehrere Leben gelebt, da sie bereits Jahrhunderte alt war. Ohne jemals die Hoffnung zu verlieren, hatte sie so lange darauf gewartet, durch die Liebe zu einem Menschen selbst zu einem solchen zu werden.
Somit wurde auch sie eine Lehrerin von Weisrich, denn sie brachte ihm die wichtigste Tugend bei – die Geduld.
Sogar auf seinem Sterbebett blieb Weisrich bedächtig, während sein einziger Sohn Hastrich hektisch im Zimmer auf- und ablief. Dabei fuhr er sich mit seinen zitternden Händen durch sein blondes Haar, das für Hastrichs Alter schon recht dünn war.
Weisrich dachte derweil unbeirrt an seine Mitbürger und wie schwer sein Tod für sie sein musste. Ja, er nannte sie Mitbürger und nicht Untertanen. Den Titel König behielt er nur zur Erinnerung an seinen Vater. Weisrich verband mit seinem Erbe die Pflicht, keine Anstrengungen zu scheuen, es den Bewohnern seines Landes gut gehen zu lassen. Er kannte keine Hochnäsigkeit und keine Faulheit. Er verweigerte jeden unnötigen Luxus, der seinen Mitbürgern Geld kosten würde. Weisrichs Thron stand immer noch im alten Schloss seines Vaters. Nichts erschien Weisrich widerwärtiger als tagein, tagaus müßig in einem prunkvollen Palast zu hocken und sich manchmal zu zeigen, damit das Volk ihm zujubeln konnte.
Weisrich hatte sich immer Zeit für alle seine Bürger genommen. Er hatte ja auch genug davon zur Verfügung gehabt. An seinem Todestag war er immerhin der älteste Mensch des Landes.
Nur die magischen Geschöpfe erinnerten sich an die Jahre vor seiner Regierung. Daher trauerten sie nicht allein um die Vergangenheit, sie fürchteten sich auch vor der Zukunft.
Weisrich verstand diese Bedenken. Er wollte seinen Sohn auf die schwierige Zeit vorbereiten. Er konnte zwar kaum noch sprechen, versuchte Hastrich aber seine letzten Worte mitzuteilen.
Doch dieser unterbrach ihn dauernd.
„Vater, was willst du mir sagen?“
„Mein Sohn, ...“
„Schnell, sag nur das Wichtigste!“
„... als ich mit elf Jahren gekrönt wurde ...“
„Du kannst doch jeden Moment tot sein.“
„Sei bitte kurz still.“
„Aber, Vater!“
„Du musst dich endlich beherrschen. Du bist 15 Jahre älter, als ich es beim Tod meines Vaters war. Du hast aber noch lange nicht meine Besonnenheit, ohne die ich keine meiner Leistungen zustande gebracht hätte.
Mein halbes Leben habe ich die Gebräuche und Sprache der Riesen studiert, um sie in unser Reich einzuladen. Heute kann jedes Kind die Riesensprache, die damals für den menschlichen Mund als unaussprechlich galt. Viele Rückschläge musste ich ertragen. Wahrscheinlich habe ich mehr daraus gelernt, als aus meinen Erfolgen. Und warum? Weil ich jeder Niederlage getrotzt und weitergemacht habe.
Ich wünschte, dass ich dich nicht erinnern müsste, wie klein und farblos das Menschenreich gewesen ist. Dann könntest du verstehen, wie wertvoll Beständigkeit sein kann. Aber du warst nie ein guter Schüler. Das hat schon damit angefangen, dass du noch nie stillsitzen konntest.
Präge dir nun wenigstens meine letzten Ratschläge ein:
Zeige Fingerspitzengefühl gegenüber unseren Nachbarn. Manche sind kriegerisch und streitselig. Seit unser Reich aufgeblüht ist, herrscht Frieden. Sie warten nur auf einen Grund, uns anzugreifen.“
„Gut, Vater! Ist klar, alles gemerkt!“
„Respektiere deine Mitbürger. Zwischen dir und ihnen besteht ein einziger Unterschied: Deine königliche Herkunft, die dich aber keinesfalls besser macht als sie. Es ist nur deine Aufgabe, dich um deine Mitbürger zu sorgen.“
„Gut! In Ordnung. Kann ich jetzt dann ...“
„Sei ein gewissenhafter Händler. Ich habe unsere Ländereien nicht erobert. Ich habe sie mir auch nicht erstohlen. Ich sehe keine Notwendigkeit die Wälder, die Minen oder unsere Fischgründe zu verkaufen. Wie du weißt, liegen uns genügend Angebote vor. Wir können zufrieden sein mit dem, was wir haben.“
„ ... gehen. Du weißt schon, die Zeremonie und dann die Feierlichkeiten. Du willst mein Volk doch nicht warten lassen.“
„Ich müsste dir noch so viele Ratschläge geben, mein Sohn. Nur noch eines: Ich vertraue dir und weiß, dass du ein sehr guter König werden wirst.“
Weisrich schloss für immer die Augen. Der letzte Gedanke seines langen Lebens war bei der einzigen Aufgabe eines Königs, an der er vollkommen gescheitert war – der Erziehung seines Nachfolgers.
Weisrichs letzte Amtshandlung bestand darin, im ganzen Land verkünden zu lassen, dass er seinem Sohn voll und ganz vertraue. Das dadurch beruhigte Volk erkannte den neuen König an. Dieser eröffnete ein kostspieliges Fest, um seine Krönung zu feiern.
Einige Wochen später erwachte er in seinem königlichen Gemach. Wie Gewitterwolken lagen dunkelblaue Ringe um seine geröteten Augen. Aus seinem runzligen Gesicht war jede Farbe gewichen. Sein Körper schmerzte als wäre er im Großen Meer bis zu den Chimären-Inseln und dann wieder zurückgeschwommen. Trotzdem griff er nach seinem vergoldeten Spazierstock und erhob sich ächzend von seinem Bett.
Einmal erwacht konnte Hastrich nicht mehr einschlafen. Er hasste Tagedieberei. Er musste sich immer beschäftigen. Meist handelte es sich dabei aber um wenig Erträgliches, da dies zuviel von seiner kostbaren Zeit in Anspruch genommen hätte. Von den Büchern seines Vaters hatte er kein einziges gelesen. Seine Opern waren ihm auch unbekannt. Sogar einige von Weisrichs Skulpturen standen im Schloss, doch lief Hastrich immer achtlos daran vorbei.
Auch jetzt eilte er durch die Gänge zu seinen Stallungen. Er beabsichtigte eine uralte Tradition wieder am Hofe einführen. Die Wälder an der Grenze waren immer schon im Besitz seiner Vorfahren gewesen. Längst wurden sie nicht mehr zur Jagd, ihrem ursprünglichen Zweck, genutzt. Das wollte Hastrich ändern.
Schon bei seinem ersten Ausritt entdeckte er eine Wolfsmeute und hetzte ihr sogleich hinterher. Vor lauter Jagdbegeisterung übertrat er samt Dienerschaft die Grenze in das Land Walden. Heute noch befindet sich dort ein dicht bewachsener Forst, in dem die üppigen Baumkronen keinen Lichtstrahl zum Boden dringen lassen.
Die Wölfe entwischten Hastrich in der Finsternis. Er hielt an und stieg von seinem Pferd. In der Dunkelheit hörte er das Knacken eines Zweiges. Rasch griff er nach Pfeil und Bogen. Er zielte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war und schoss seinen Pfeil ab. Er vernahm ein Bersten. Der Pfeil hatte die Rinde eines Baumstammes gespalten. Hastrich ärgerte sich unheimlich, doch dann erschrak er. Plötzlich begann dieser Baum wie ein wundes Tier zu kreischen.
Jeder hätte sich da wohl erschrocken. Zumindest jeder, der wie Hastrich nicht wusste, wo er sich befand. Walden war nämlich die Nation der sprechenden und fühlenden Bäume. Sie ähnelten den Menschen mehr als alle anderen Pflanzen. Nur waren sie tief verwurzelt und bewegten sich höchstens bei Stürmen. Ihre Beschützer, die Schrate, lockte das Geschrei des einen Baumes aus ihren Höhlen.
Im Dunkeln glühten nun hunderte Augenpaare, welche der flüchtenden Jagdgesellschaft hinterher blickten. Nur kurz blieben die Schrate auf ihrem Beobachterposten, dann folgten sie den Menschen über die Grenze – in der Gestalt von Katzen, die vor dämonischer Freude kicherten.
Über mehrere Jahrhunderte hinweg hatten die Schrate aus Langeweile Moos von den Höhlenwänden gekratzt und sich gegenseitig damit beworfen. Ohne einen triftigen Grund durften sie keine ihrer Späße in einem anderen Königreich treiben.
Doch Hastrich hatte die Natur von Walden verletzt und das war Grund genug.
In der darauffolgenden Nacht schliefen alle Bergbauern in Hastrichs Königreich. Daher bemerkten sie nicht die vielen Katzen, die in ihre Ställe schlüpften. Dort verwandelten sie sich in feixende Kobolde. Ihre glühenden Augen waren das Einzige, was sich sichtbar in der Schwärze umherbewegte. Sie zogen die Kühe an ihren Eutern und Ohren, ritten auf ihnen und trieben allerlei Schabernack, sodass die Tiere nicht zur Ruhe kamen.
Am nächsten Morgen gaben die müden Kühe nur saure Milch. Für die Bauern bestand keine Veranlassung, den Wohlgeschmack ihrer Milch zu bezweifeln. Seltsame Geräusche hatten sie in der vorangegangenen Nacht zwar kurz geweckt, doch waren sie wieder verblasst wie ein böser Traum.
Wie üblich schickte jeder Bauer einen seiner Stalljungen mit einer Kanne Milch zu den Riesen. Auf diese Art zeigten sie ihre Dankbarkeit, da sich die Riesen so zuvorkommend gegenüber ihnen verhielten.
Doch diesmal lachten die Riesen nicht. Die Milch schmeckte so ekelerregend, dass jeder Riese das Gesicht zu einer grässlichen Fratze verzog und einmal kräftig mit dem Fuß aufstampfte. Unvermittelt brauste ihr Zorn auf, doch genauso schnell verflog er auch. Die Riesen waren bald wieder zum Scherzen aufgelegt.
In Hastrichs neu errichtetem Glaspalast klirrten bei jedem Aufstampfen aber die diamantenen Wände und Kronleuchter. Der König vermutete einen Aufstand der Riesen. Er schickte Späher aus, um die Lage auszukundschaften.
Kaum hatten die Späher den Hof verlassen, schon wollte Hastrich nicht mehr auf ihre Nachricht warten. Er beschloss, dass die Situation zu ernst sei. Also traf Hastrich eine Entscheidung. Er erklärte den Riesen den Krieg. Alle jungen und kräftigen Bürger wurden dazu aufgefordert, sich Rüstungen aus den Kasernenkellern zu holen und diese abzustauben. Außerdem sollten sie die verrosteten Schwerter für den Kampf herrichten. Nach einigen Stunden fieberhafter Arbeit wurde Hastrich klar, dass jegliches Polieren und Schleifen nichts half. Neue Waffen mussten so rasch als möglich geschmiedet werden. Ungerührt von dem ganzen Treiben hielten die Riesen andernorts ihren Mittagsschlaf.
Für das Aufrüsten brauchte Hastrich Geld. Sein Krönungsfest und sein neuer Palast hatten aber gerade jene nun notwendigen Mittel verschlungen. Sein erster Gedanke war, die Gnome und Minenarbeiter zum verstärkten Abbau von Gold und Diamanten zu zwingen. Diese reagierten jedoch rachsüchtig, als sie bei einem Umtrunk gestört wurden. Die Menschen traten in Streik. Die Gnome zogen sich in ihr unterirdisches Reich zurück, um den König mit einem Fluch zu belegen.
Hastrichs königliches Haupt schmerzte, als er beschloss, die Fischgründe an die Bewohner der Chimären-Inseln zu verkaufen. Hastrich presste die rechte Hand gegen seine glühende Stirn, während ihm der schuppenhäutige Unterhändler den Vertrag reichte.
Hastrich nahm eine Feder und unterschrieb. Dabei legte ihm der Fischmensch seine gefiederte Flosse auf die Schulter und flüsterte beschwichtigend: „Keine Sorge, unserem König wächst auch ein Horn am Kopf. Obwohl ... er hat sicher niemanden verärgert. Er hat das schon seit seiner Geburt.“
Nach dem Verkauf hatte Hastrich es in wenigen Tagen geschafft, eine ganze Armee auszurüsten. Jeder hätte ihn dafür gelobt, dies in solcher Eile fertig zu bringen. Wäre nur nicht bekannt geworden, dass eigentlich keine Gefahr von den Riesen drohte. Die Späher waren auf dem Rückweg und wussten von dem Missverständnis.
Inzwischen traten aber die Boten mit der Kriegserklärung vor die Riesen. Als diese von den Bemühungen des Königs und dem Auslöser dieser Affäre erfuhren, mussten sie lachen; und zwar derart laut, dass Hastrich glaubte, das Ende sei nah.
Zurückgezogen arbeitete dieser gerade an seiner Strategie. Hastrich konzentrierte sich so sehr darauf, dass ihm gar nicht auffiel, wie die letzten Haare auf seinem Hinterkopf immer länger wurden und sogar seinen Rücken wie eine Mähne hinab wuchsen. Als er sich über seine Tisch-Landkarte beugte, stieß er mit seiner immer länger werdenden Nase dagegen.
Was stellte sein Körper bloß für Sachen an? Hastrichs Stirn juckte immer stärker, aber als er sich kratzen wollte, sah er, dass seine Hand wie ein Huf aussah. Diesen Firlefanz konnte er sich wirklich nicht leisten, er stand doch kurz davor, seinen Truppen den Befehl zum Abmarsch zu geben.
Genau in diesem Moment erzitterten die Wände von dem Riesen-Gelächter so stark wie nie zuvor. Eingeschüchtert wieherte Hastrich, ließ sich vornüber auf alle Viere fallen und galoppierte mit klappernden Hufen über die gläsernen Gänge aus seinem Palast. Er hetzte davon zwischen den Reihen seiner Soldaten, die verdutzt dem gekrönten Einhorn nachblickten.
Nachdem die Späher heimgekehrt waren und die Menschen deren Friedens-Botschaft erfahren hatten, warfen sie ihre Rüstungen und Waffen von sich. Als rostendes Denkmal ließen sie den Haufen Metall liegen. König Hastrich vergaßen sie bald. Er hatte nie die Zeit gefunden, zu heiraten und Nachfahren zu zeugen. Die Menschen erinnerten sich in gewisser Weise aber trotzdem an ihn. Einhörner waren wahrlich keine Seltenheit, nur hatten sie noch nie eines gesehen mit grauer Mähne und Falten unter den Augen.
Die Zeit hinterließ ihre Spuren an dem Königreich, das nun am Zerfallen war. Andere Länder wurden auf dem Gebiet gegründet. Menschen und Zauberwesen lebten weiterhin harmonisch miteinander, aber ohne Königsherrschaft. Die verblassende Erinnerung an Weisrichs gute Taten, der sich nur aus Sentimentalität König genannt hatte, und die schlechten Erfahrungen, welche die Geschöpfe mit Hastrich machen mussten, waren ihnen Lehre genug.
Hastrich lebte zwar immer noch in seinem ehemaligen Königreich, an ihm zogen jedoch die Veränderungen unbemerkt vorbei. Es war der Fluch der trunksüchtigen Gnome, der ihn ziellos, aber dafür umso unermüdlicher über Strände, Felder, Berge und Täler laufen ließ. Weder die Pracht der Landschaft, noch das Glück ihrer Bewohner sollte ihm auffallen.
Hastrich konnte keine Schönheit bewundern und auch kein anderer vermochte über die Einmaligkeit dieses Einhorns zu staunen. Sogar die Sylphen hoch im Himmel sahen ihn nicht.
Ohne sich eines Besseren zu besinnen, läuft er heute noch dahin. Selbst nachdem die Macht des Fluches seit langem geschwunden ist und er in Menschengestalt Ruhe finden könnte.