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Die Dealerin.
Die Eiswürfel klirrten im Glas, als ich einen ordentlichen Schluck Whiskey nachgoss. Ich mochte das Brennen, wie es sich langsam vom Hals bis in den Magen ausbreitete und dabei eine wohlige Wärme hinterliess. Aus dem Augenwinkel konnte ich ihn beobachten, wie er seinen muskulösen Körper selbstverliebt im Spiegel betrachtete. Während ich aufstand, zupfte ich mein kurzes Kleid zurecht. Die High Heels machten mich noch grösser, als ich ohnehin war. Nun stand ich neben ihm, legte meine Hand auf seine nackte Schulter. Er sah verloren aus neben mir, und das war er auch. In jeder Hinsicht. Acht Jahre waren wir jetzt zusammen, und nie hatte mich das Gefühl verlassen, dass ich etwas Besseres verdient hätte. Aber ich wusste auch, dass ich nie genug kriegen konnte. Von nichts und niemandem. Ich war unglücklich, aber die Schuld dafür wollte und konnte ich ihm nicht zuschieben.
Ich wandte mich von ihm ab, wohl wissend, dass er gleich hinter mir stehen und sich wünschen würde, mich zu berühren. Als ich seinen Atem in meinem Nacken spürte, liess ich mich ein Stück zurückfallen, um mich von seinen starken Armen halten zu lassen. Er drückte mich sofort an sich, als würde ich ansonsten weglaufen. Als hätte er eine Vorahnung. Seine Lippen kitzelten auf meinem Hals.
„Ich brauche Nachschub“, sagte ich, mit dem Kopf auf die leere Flasche Jack Daniel’s deutend. Ohne seine Antwort abzuwarten, liess ich die Tür hinter mir zufallen. Um die Ecke blieb ich stehen und tippte hastig eine Nummer in mein Handy. Die einzige Nummer, die ich auswendig kannte.
„Hey Lia. Zwei Minuten, dann bin ich da.“ Schnell ging ich weiter. Es war heiss, ein strahlender Sommertag. Die Luft flimmerte über dem Asphalt der Strasse. Das regelmässige Tock-Tock meiner Absätze hallte von den Betonwänden der Häuser wider. Es war nicht mehr weit bis zu ihr, nur noch ein paar Schritte. Ich klingelte. Es dauerte eine Weile, bis sie öffnete. Ohne ein Wort zu sagen, drängte ich mich an ihr vorbei in das Innere der kleinen Wohnung. Auf dem Wohnzimmertisch lagen dutzende kleine Plastikbeutelchen inmitten leerer Zigarettenschachteln und einem erst halb aufgerauchten Joint, daneben ein kleiner Berg mit weissem Pulver, bereit, um abgefüllt und vertickt zu werden. Es roch nach einer Mischung aus abgestandenem Bier und Krankenhaus.
„Entschuldige das Chaos, Jen“, sagte Lia und kratzte sich am tätowierten Oberarm, als wäre es ihr unangenehm, was jedoch für eine Dealerin ziemlich eigenartig gewesen wäre. Es sah immer so aus, und erstaunlicherweise störte es mich nicht. Ich liess mich auf dem abgewetzten Ledersofa nieder und griff gleich nach dem angerauchten Joint, den ich mir in den Mund steckte. Mein Lippenstift hinterliess darauf eine verräterisch rote Spur. Lia setzte sich neben mich, kramte ein Feuerzeug aus der Hosentasche ihrer Jeans und gab mir Feuer. Es waren höchstens noch drei, vier Züge, die der Joint hergab. Ich füllte meine Lungen mit dem süssen Rauch, bevor ich ihn langsam in den abgedunkelten Raum blies. Dann drückte ich den Stummel im überquellenden Aschenbecher aus. Lia lächelte und berührte meine Hand. Unsere Blicke trafen sich. So hatte es auch damals begonnen, vor einigen Monaten. In dieser heruntergekommenen Bar. An solchen Orten hielt ich mich normalerweise nicht auf, aber ich hatte mich wieder einmal mit Eric gestritten und war dann weggelaufen, wie immer. Vor ihm. Vor uns. Und dann sass da Lia, in der hintersten Ecke, und nippte an ihrem Drink. Da kein anderer Tisch mehr frei war, setzte ich mich zu ihr. Vielleicht war es aber auch ihre Ausstrahlung absoluter Gleichgültigkeit, die mich unbewusst anzog. Ich wollte einfach nur reden. Mich betrinken. Und sie hörte zu.
Lia brachte mir eine Dose Cola aus der Küche. Wir wussten beide, dass ich für einen späten Nachmittag bereits genug getrunken hatte, weshalb ich nicht dagegen protestierte. Ich dachte an Eric. Er trank nie, rauchte nicht. Er war sportlich, verbrachte jeden Abend im Fitnessstudio.
„Woran denkst du?“ Sie lächelte mich an. Ein ruhiges, unaufgeregtes Lächeln. Ich steckte mir eine Zigarette in den Mund.
„An Eric.“ Ich war erleichtert, als Lia nicht weiter nachfragte. Mein Gefühl sagte mir, dass sie bereits viel zu viel über mich wusste, während sie im Gegenzug kaum etwas von sich preisgab. Vielleicht hatte ich aber auch gar nie danach gefragt. Nicht weil es mich nicht interessierte, sondern weil es mir so gefiel, wie es war. Ihre schlanke Hand umklammerte ein Glas Gin Tonic. Ich erinnerte mich, dass sie diesen Drink auch am Abend unserer ersten Begegnung für mich bestellte, während sie gleichzeitig und mehr oder weniger unauffällig ihre Plastikbeutelchen gegen Scheine tauschte. Ich sah es, und es kümmerte mich nicht. Eric wäre schockiert gewesen, hätte er gewusst, mit wem ich mich herumtrieb. Er war ein typischer Polizist, immer besorgt um sein kleines Mädchen. In jener Nacht griff ich nach Lias Hand und zog sie hinaus an die schwüle Nachtluft, hinein in eine schlecht beleuchtete Seitenstrasse. Ich wusste genau, was ich in jener Nacht wollte. Und sie wusste es auch.
In der kleinen Wohnung war es trotz der zugezogenen Vorhänge viel zu warm. Wir sassen eine Weile nur da und rauchten, jede für sich und ohne das Schweigen als unangenehm wahrzunehmen. Ich genoss ihre Anwesenheit gerade deshalb. Eric redete immer. Von unhaltbaren Zuständen in der Fleischindustrie, Klimawandel und Lungenkrebs. Und seinem Trizeps. Lia sagte kein Wort. Sie ordnete nicht ein in gut und böse, falsch oder richtig.
„Ich tu, was ich tun muss“, sagte sie gleichgültig jedes Mal, wenn ich vor Erstaunen über die Menge Kokain auf ihrem Wohnzimmertisch den Mund nicht mehr schliessen konnte. Und sie hatte Recht, irgendwie. Taten wir das nicht alle?
Interessiert verfolgte ich ihre präzisen Handgriffe, mit denen sie gelassen das weisse Pulver portionierte. In ihrem Mundwinkel hing eine Zigarette, wie immer. Mir gefiel die Art, wie sie gierig daran zog. So gierig sog sie auch das Leben in sich auf. Sah mich an. In letzter Zeit waren meine Besuche bei ihr immer häufiger geworden, das war mir bewusst. Ein schlechtes Gewissen hatte ich deswegen nicht. Ich redete mir gerne ein, dass jeder Mensch ein Geheimnis brauchte, dessen Aufrechterhaltung seine gesamte Energie verzehrte, weil genau das ihn am Leben hielt.
„Du bist wunderschön“, flüsterte sie und strich mir eine Haarsträhne aus dem verschwitzten Gesicht. Meine nackte Haut klebte am Leder des Sofas. Ihre Lippen fühlten sich so angenehm anders an als diejenigen von Eric. Ob es Liebe war, wusste ich nicht. Und genau dieses Unwissen fühlte sich gut an, denn so war es perfekt. Meine eigene kleine Seifenblase.
„Seit wann kiffst du überhaupt?“, fragte sie. Das Lächeln in ihrem Gesicht erstickte ich mit einem Kuss.