Die Dächer der Gosse
Eines warmen Winterabends, schlich ein Dieb ins Haus hinein. Durchs Zimmerfenster des ersten Stocks, Luises Zimmer, der Tochter des Hausherren.
Niemand merkte etwas, außer Luise selbst, die wach geblieben war. Der Schatten schlich durchs Zimmer, aufs Bett hinzu. Luise zitterte, der Schatten kam näher und beugte sich über das Bett.
Luise schlug die Bettdecke fort und schrie: Kailo! Da bist du ja, und fiel ihm um die Arme. Dabei zog sie ihn mit ihrem ganzen Gewicht zu sich, in ihr Bett.
Kailo hielt ihre Hände fest, drückte sie auf die Matratze und sah ihr tief in die Augen, ehe er sie küsste. Sie umschlungen sich und wälzten sich im Bett, ein gwint zu stürmisch jedoch, sodass sie mit einem lauten Dumpf auf den Holzboden plumpsten.
Beide erstarrten, und gaben kein Ton von sich. Beide lauschten dem Haus. Sie verharrten einige Zeit in dieser Position, ehe sich der Besucher auf der Treppe verriet. Kailo sprang auf, gab Luise einen letzten Kuss, und verschwand so schnell und leise, wie er gekommen war in einem Fluss von Eleganz durchs immernoch offene Zimmerfenster.
Luise sah ihm und seinen Träumen hinterher, ehe ihre Zimmertür aufbrach. Ihr Vater stand da mit einer Kerze welche den Blick seines vor Wut purpurn angelaufenem Gesichts gekonnt in Szene setze und starrte Luise brodelnd an.
Die Spannung in der Luft wurde zu groß, da Luise sich weiterhin nicht rührte, so brach ihr Vater aus, er schrie sie an, beleidigte sie, schritt ans Fenster und brüllte in die Nacht. Sodass Kailo, welcher längst über die Dächer der Gassen, in sichere Entfernung davon gehuscht war, es hören konnte.
Luise schluchzte. Der Vater schloss das Zimmerfenster, schritt aus der Tür, welche er hinter sich schloss und hinterließ nichts als die Spannung in der Luft. Luise schluchzte lauter, sodass er sie noch unten hörte. Sie ging langsam, lauter schluchzend ans Fenster öffnete es und heulte in die Nacht. Sodass Kailo es hören konnte.
Kailo hielt inne und drehte sich um. Das Haus aus dem er just geflohen war, lag auf einer Anhöhe über den Dächern der Gosse. Er konnte Luises Fenster in der Ferne erkennen, doch sie hatte keine Chance ihn, in den dunklen Gassen zu sehen.
Das Schluchzen jedoch hörte er und so haben Kailo und Luise sich eines Abends, als Vater ausgegangen war überlegt, sich diesen Fakt zum Nutzen zu machen.
Einmal laut schluchzen hieß, "sei vorsichtig". Zweimal kurz heulend einatmen hieß, in 2 Tagen kannst du mich wieder sehen". Gefolgt von einem leidenschaftlichen Schluchzer durch die Nacht ehe sie das Fenster schloss.
"Ich liebe Dich."
Kailo erinnerten diese nächtlichen Flüchte durch die Gossen an seine Kindheit. Eine Kindheit geprägt von Trauer und Gewalt.
Wenn Vater wieder einmal betrunken heimkehrte, wussten Kailo und seine Mutter schon was ihnen blühte.
Vater Schlug die Tür auf, sich dabei an sie lehnend, sodass er hereinstolperte, sich gerade noch fing und sich aufrichtete, als hätte niemand etwas bemerkt.
Wehe Er oder Mutter hätten sich verraten. Wehe in einem ihrer Blicke stünde ein Vorwurf. Dann setze es was, und er stand drauf wenn es was setzte. Das wussten wir beide, Mutter und Ich.
Wir haben das Pokerface dabei perfektioniert. Das Pokerface zu halten und dabei die Ehefrau und den Sohn zu spielen war eine pure Kunst. Man musste sehr viele Gefühle unterdrücken.
Natürlich machte Vater es einem nicht leicht. Er benahm sich daneben, wurde ausfallend und wenn wir selbst dann nicht einknickten, kamen die Schläge. Dabei knickst du ein.
Und das war seine Belohnung uns noch mehr zu verdreschen.
Als Kailo größer wurde hielt er es nicht mehr aus, und floh über die Nachbarsdächer, wenn Vati heimkehrte. Vater bemerkte dies und hechtete Kailo hinterher.
Vater mag zwar ein Trunkenbold gewesen sein, doch wenn er zur Flasche gegriffen hatte, neigte er zu athletischen Höchstleistungen. Er rannte und kletterte wie ein Wahnsinniger.
Er scheißte auf die Nachbarn, welche dieses Spektakel mitbekamen. Jeder wusste das. Auch Kailo wusste das, und in jeder Nacht der Flucht fragte er sich, warum keiner der vielen Menschen etwas unternahm.
Kailo wurde flink und wendig und entkam Vater immer öfter.
Über die Dächer der Gosse.
Kailo sah zum Fenster in der Ferne und antwortete der blonden Schönheit. Mit einem kurzen jaulen, teilte er ihr seine Zustimmung mit. Gefolgt von einem langen Jaulen.
"Ich liebe dich".