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Die Chroniken von Unternerde - Weißkalt
Mitt-Teufschachtdorf, 152. Tag des 4. Thronjahres von König Gannafússel
»Mir ist kalt«, beschwerte sich Nupaku. Die steinernen Wände des Ganges warfen seine Stimme hohl zurück.
Seine Frau Eleera dachte nicht daran, stehen zu bleiben. »Denk an die neue Skulptur von Prinzessin Varia. Dann wird dir sicher warm.«
»Dass nennst du Skulptur?« Nupaku schloss zu Eleera auf und malte vage Umrisse in die Luft. »Das ist ... das ist ...«
»Moderne Elbenkunst«, versetzte Eleera.
»Man erkennt nicht einmal, wo die Brüste aufhören und wo der Po anfängt!« Der schlacksige Elbe schnaubte, während er neben seiner Frau durch die Höhle stürmte. »Wieso darf so ein Schund mitten auf dem Krönungsplatz stehen?«
»Ist dir immer noch kalt?«
Nupaku blieb trotzig stehen, aber Eleera schritt weiter den steilen Gang hinauf. Er suchte nach einer angemessenen Entgegnung, fand aber keine. Er verfluchte im Stillen den Moment, in dem er sich hatte überreden lassen. »Wird dir bestimmt gefallen«, hatte Eleera gesagt. Ein Besuch an der Oberfläche! Fast ein Sakrileg ... es war gegen die Natur der Elben, die tief unter der Erde in gigantischen Höhlen lebten und keinen anderen natürlichen Lichtstrahl kannten als jenen, der durch einen uralten Lichtschacht die zentrale Sonnenuhr beleuchtete. Aber während die Elbenmänner sich der postmodernen Gesangs- und Lyrikschule von Diedadus Ibrumbriel hingaben, hielten ihre Frauen es für zeitgemäß, der Oberfläche Besuche abzustatten – vorgeblich, um die blasse Hautfarbe loszuwerden. In Wirklichkeit war es eine Art kollektiven Wahnsinns, der die weiblichen Elben befallen hatte. Oder dunkle Sonnenmagie. Oder die Drachen führten etwas im Schilde. Man konnte nie wissen.
»Was für Drachen?«, fragte Eleera.
Nupaku verzog das Gesicht. Er hatte mal wieder laut gedacht.
»Wir sind gleich oben«, sagte Eleera und zeigte nach vorn. Nupaku kniff die Augen zusammen. Ein fahler Lichtschein kündete von grausamem Tageslicht.
Kompromisslos löschte Eleera die magische Funzel und ging weiter den Gang entlang auf das Licht zu. Ihrem Mann blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Ein Fluchtinstinkt griff nach seinem zarten Wesen. Licht! Womöglich ein unbewölkter Himmel! Sonne! Er würde verbrennen!
Nupaku verbrannte nicht. »Ich erfriere«, schimpfte er mit klappernden Zähnen. »Und was ist das für ka ka kaltes, weißes Ze Ze Zeug, das hier überall rumliegt?«
»Hier lang«, sagte Eleera und strahlte. Schneebedeckte Stufen führten unter freiem Himmel weiter nach oben. Sie erreichten einen Balkon, der vor langer Zeit in die Felsen gehauen worden war. In länglichen Stühlen lagen sieben nackte Elbinnen und boten ihre Haut den Strahlen der Sonne dar, die durch dünne Wolken wenig Wärme verbreitete.
»Dunke ke ke kelelben«, klapperte Nupaku und versuchte, die unnatürlich bräunliche, ja fast gebacken wirkende Haut der Frauen zu ignorieren. Er hob ein Bein etwas hoch. Seine Fußwickel waren kalt und nass. Er fühlte, dass der Tod kam, um ihn zu holen.
»Hier sind noch zwei Stühle«, sagte Eleera fröhlich und fing an, ihr Kleid auszuziehen.
»Nie ... niemals«, hauchte Nupaku. Er grabschte nach Eleeras magischer Funzel und stürmte kopflos die Stufen hinab. Nur wieder hinein, hinein in die warme, heimelige Dunkelheit der gemütlichen, trockenen Wohnhöhlen.
Nupaku spürte seine Füße nicht mehr. Die Stufen waren ungleichmäßig. Und vereist.
Er rutschte natürlich aus. Fiel.
»Aaaaaah!«, kreischte Nupaku und rutschte weiter den Abhang hinunter. Seine wedelnden Arme suchten Halt, fanden aber keinen. Weißkaltes Zeug war überall in seiner Kleidung. An seinem Hals. Seinem Rücken. Seinem Hintern. Irgendwann krachte er in ein Gestrüpp und blieb bewegungsunfähig liegen.
Der Elbe versuchte, ein Todesgedicht aufzusagen, um sein Leiden zu erleichtern, aber ihm fiel gerade keines ein.
»Juhuuu!«, hörte er eine Stimme, die wie Eleera klang. Mühevoll öfffnete Nupaku ein Auge und bestaunte, wie seine Frau bäuchlings den Hang hinab gerutscht kam und dabei jauchzte. Offenbar hatte sie angesicht des bevorstehenden Eistodes ihren Verstand verloren.
Schwer atmend blieb Eleera direkt vor ihrem Mann liegen. Ihre grünen Augen leuchteten. »Das macht Spaß, was?«
Sie sprang auf und half ihm, ebenfalls aufzustehen. Sein ganzer Körper war nass und kalt. Seine Zähne klapperten, als er zu sprechen versuchte.
»Nochmal?«, fragte Eleera.
Dann kamen die Menschen.
»Mee ... kakaka ...«, brachte Nupaku hervor und zeigte quer über die weiße Fläche am Fuße des Hügels. Vier, nein, fünf Menschen, bekleidet mit Fellen, aussgestattet mit Keulen in den Händen, kamen auf sie zu.
»Ach die«, sagte Eleera, »es sind Männchen, die tun nichts.«
»Wa wa was?« Nupaku hielt sich an einem knorrigen Baumstamm fest.
Die Menschen waren fast heran. Ein wildes, schmutziges Grinsen stand in ihren Gesichtern. Sie waren ein ganzes Stück kleiner als die Elben und aus ihren Blicken sprach gefährlicher Stumpfsinn. Nupaku zitterte. Er war unfähig, sich zu bewegen. Zwei der Menschen kamen auf sie zu, während die anderen leise grunzend im Hintergrund blieben. Alle hielten ihre Keulen gesenkt, aber dadurch fühlte Nupaku sich nicht gerade sicherer.
Jetzt war das eine Männchen ganz nah. Es reichte den beiden Elben bis zum Bauchnabel. Es roch.
»Grunz«, machte der Mensch und fing an, sich an Eleeras Bein zu reiben.
»Was ma ma macht der da?«, klapperte Nupaku.
»Ach«, sagte Eleera und sah auf ihr Männchen hinab, »lass sie einfach, sie sind meistens ziemlich schnell fertig.«
»Fertig?«, fragte Nupaku fassungslos. Er kannte Menschen nur als den Elbenliedern, und in denen kamen sie meistens nicht besonders gut weg, ohne dabei ins Detail zu gehen. Plötzlich spürte Nupaku etwas warmes an seinem Bein. Gehetzt sah er nach unten.
»Gruuunz«, machte das Männchen und sah mit glasigen Augen zu ihm hoch. Nach kurzer Zeit lief ihm etwas Speichel aus dem Mund, dann ließ es mit einem weiteren Grunzen von dem Elben ab.
Als sich nun die anderen, bislang zurückhaltenden Menschen nähern wollten, löste sich Nupakus Erstarrung. »Nein«, stöhnte er. »Nein!« Er begann, zu laufen.
»Nupi!«, rief Eleera ihm hinterher, aber er blieb nicht stehen. »Halt!« Sie versuchte, das seelig grunzende Menschenmännchen von ihrem Bein zu schütteln. Erfolglos. Kurz entschlossen bückte sie sich (was dem Menschen ein besonders tiefes Grunzen entlockte), formte aus Schnee einen harten Ball und schleuderte ihn Richtung Nupaku. In ihrer Jugend, vor ein paar hundert Jahren, war Lochball Trendsportart Nummer Eins unter den Elben gewesen, und Eleera hatte das Spiel immer besonders viel Spaß gemacht.
Sie traf Nupaku im Nacken. »He!«, beschwerte der sich und blieb stehen. »Na warte«, murmelte er und formte seinerseits einen Schneeball. Er war allerdings kein sehr guter Werfer und traf nur das grunzende Männchen am Bein seiner Frau. Die zielte erneut auf ihn, aber diesmal wich Nupaku mühelos aus. »Hehe«, machte er.
Plözlich bekam er aus unerwarteter Richtung Schnee ins Gesicht. Er wischte sich das kalte Nass aus den Augen und sah, dass die Menschen wie üblich alles nachmachten, was sie sahen: Sie hatten angefangen, die Elben und sich untereinander zu bewerfen. Dabei grunzten sie exstatisch. Nupaku schüttelte den Kopf.
Mit einem Mal lag er der Länge nach im Schnee und seine Frau auf ihm. »Wolltest du mich etwa bewerfen?«, fragte sie grinsend.
»Allerdings«, brachte Nupaku hervor und schaufelte Eleera eine Ladung Weißkalt ins Gesicht.
Das Verhängnis nahm seinen Lauf.
Nupaku und Eleera wälzten sich quiekend im Schnee, und die Menschen machten es nach. Allerdings grunzten sie dabei, statt zu quieken.
Schließlich lagen die beiden Elben schwer atmend und völlig durchnässt aufeinander.
»Ist dir ... noch kalt?«, fragte Eleera.
»Im Moment nicht«, gab Nupaku zu.
Eleera drückte sich an ihn. »Es ... scheint dir sogar zu gefallen.«
»Hmja«, machte Nupaku. Eleeras Lächeln, ihre Augen, ihr Körper und Geist berührten ihn, und in diesem Moment wollte er auf keinen Fall woanders sein als genau hier.
»Ich will dich«, sagte er.
Dann traf ihn ein Schneeball, und kurz darauf schob sich eine grinsende Fratze mit heraus hängender Zunge in sein Blickfeld.
»Gruuuunzzz?«, machte der Mensch.