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Die Chili-Kobra

Monster-WG
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10.09.2014
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Die Chili-Kobra

Ein Idiot im grünen Cabrio! Steht am Stoppschild, schaut mir in die Augen und fährt los.
Meine Reifen quietschen fürchterlich. Eine leere Flasche schießt unter dem Sitz hervor. Durchs offene Fenster dringt Gestank von verschmortem Gummi.
Das wäre doch ein tolles Finale dieser Neunstundenfahrt - ein schöner Crash vorm Hotel! Ich springe aus meinem Wagen und will ihm an die Gurgel, doch der fährt unbeeindruckt weiter. Ich brülle hinter ihm her und zeige den hochgereckten Mittelfinger. Aber so ein Arschloch blickt nicht in den Rückspiegel.
Die fünf Palmen vor dem Hotel betrachten mich spöttisch von oben herab. Nein, das bilde ich mir nicht ein, das ist so.
Ich gebe dem Wagenmeister die Autoschlüssel, recke und strecke mich. Dann betrete ich das Foyer.

Das Herumbrüllen hat mir nicht gut getan. Mein Tinnitus meldet sich zurück - ein Zug donnert durch meine Ohrentunnel. In der Ferne vernehme ich helle Schläge auf Metall. Ich brauch’ einen deftigen Schluck, egal was.

Untersteh’ Dich!
Eine hochgewachsene, wunderschöne junge Dame bringt kleine Päckchen zur Rezeption und stapelt sie. Das dichte blonde Haar trägt sie offen, ihr Blick streift mich und ich hoffe, dass sie mich wahrgenommen hat.
Doch wozu? Ich bin in einer ziemlich miesen Verfassung. Graue Schlieren drängen ins Bild. Ich beuge mich über den Empfangstresen und ringe nach Luft.

„Kann ich Ihnen helfen, Señor?“
Ich erstarre. Ich glaube diese Stimme zu kennen, ich höre sie oft in meinen wirren Gedanken.
Sie scheint vom Himmel zu kommen.
Ich schaue nach oben: Sandrine! Klar und deutlich wie in der Wirklichkeit. Eine Halluzination am hellen Tage?
Wäre nicht das erste Mal. In Trujillo stand ich einmal vor einer sehr alten Kirche. Die ragte hoch auf mit einem mächtigen, überhängenden Fries voller ramponierter Figuren. Sandstein. Plötzlich verbreiterten sich die Mauerrisse, der ganze überladene Oberteil wankte, löste sich hoch über mir und stürzte dann unfassbar langsam auf mich herab. Ich bin überspannt, verspüre ein Zucken im Gesicht, einen mächtigen Druck in den Augen. Sandrine!? Das muss wahr sein! Sie steht auf dem Treppenabsatz und schaut mich reserviert an.
Es sticht zwischen den Schultern, meine Kopfhaut brennt. Oder ist es das Hirn?
Ich schaue ungläubig zu ihr auf, mir entweicht alle Atemluft: „Das glaub’ ich nicht!“
Sie sieht mich viel zu ernst an, unschicklich ernst für eine Rezeptionistin. Muss die nicht immerzu lächeln?
Nein, Sandrine nicht. An einem bestimmten Tag hat sie gesagt, dafür gäbe es keinen Grund.
Ich kann ihrem Blick nicht standhalten, kann auch nichts denken, weiß nicht – weiß gar nichts. Mit rasendem Puls gebe ich der jungen Frau am Empfang meine Reservierungskarte. Ich tippe meine Daten ein und muss mich unerträglich konzentrieren. Sandrine!
Ihre Kollegin fragt besorgt: „Ist Ihnen nicht gut?“
Der Tunnel ist endlos, die Waggons donnern. Immerzu diese Metallschläge. Die junge Frau schaut mich an, ihr Mund bewegt sich. Ja, sie meint mich. „Ah“, fahre ich hoch, „entschuldigen Sie meine Unaufmerksamkeit!“
„Möchten Sie ein Glas Wasser? Oder einen Café?“
Ich zögere.
Sie sollte mir einen Brandy anbieten.
„Wasser, Café, wie Sie wollen“, sage ich, verlegen wie ein Bub.
Sandrine ist die Treppe heruntergekommen.
„Danke, Victoria, ich mach das schon.“ Einen Café bekomme ich, mit braunem Zucker, wie immer, wie damals - und ein Wasser, kein Feuerwasser.
Ich konzentriere mich auf das winzige Tässchen, als ob ich mit diesem Trick alles andere ausblenden könnte. Überall sonst auf der Welt wäre ich jetzt lieber als hier.
Ich habe mein Gesicht nicht unter Kontrolle. Die Spannung um den Mund und über den Augen macht mir zu schaffen. Sandrine sollte mich nicht in dieser zerknitterten Phase anschauen; etwas abseits finde ich einen bequemen Sessel.
Ich fühle mich unsäglich. Das muss jetzt siebzehn Jahre her sein. Und nun? Schnelle Abreise, wie immer?
Manchmal glaube ich an Fügung, manchmal lache ich darüber. Aber mein letztes Lachen liegt lang zurück.

Ich habe mich damals schlimm benommen, bekam Panik.
Widerlich, diese Zyniker: ’Herzlichen Glückwunsch zur Vaterschaft!’ und ‚Hallo Papi!’ Aber denen habe ich die Augen blau geschminkt, bevor ich abgehauen bin, auf Große Fahrt.
Da fing die Sauferei an. War ja nur Elite an Bord, komische Vögel, die an Land nicht klarkamen. Die sich gegenseitig beteuerten, wie super sie seien. Wer am meisten saufen konnte, wurde Bootsmann.
Da hätte ich eigentlich Käpt’n sein müssen, aber wir hatten schon einen.
Mir schießen krude Gedanken durch den Kopf; Hauen und Stechen in einem. Ich nenne mich ein charakterloses Schwein, sehne mich nach Rum und Cola. Fange gleich an zu weinen, ich armer Verführter, ich Opfer, das man um seine Jugend bringen wollte! Wenn ich weiter so fantasiere, glaube ich an meine eigenen Geschichten. Aber ich dachte wirklich, die Mädchen passen auf.

Sandrine kommt auf mich zu: „Hätte nicht gedacht, dir noch einmal zu begegnen.“
Ich stehe auf und schaue auf ihre Halskette. Weiß nicht, was ich sagen soll.
„Du sprühst nicht gerade vor Lebensfreude“, sagt sie.
„Wie auch. Hab nur Scheiße gebaut.“ Ich schaue ihr flüchtig in die Augen. Wotan – was für Augen! Die haben mich schon immer verrückt gemacht. Ich stehe unsicher.
„Lass uns hinsetzen“, sage ich.
„Tja, ich weiß nicht, ob wir uns was zu sagen haben“, zögert Sandrine, setzt sich aber doch. Die hübsche Blonde kommt herüber und beugt sich etwas nach vorn: „Die Japaner kommen etwas früher.“
Sandrine bleibt gelassen: „Kein Problem, ist alles fertig.“
Das kenne ich. Sie hat immer alles im Griff. Nur damals nicht. Oder gab sie nach, weil ich stärker war?
„Ach Isa, das ist übrigens Paul.“ Und zu mir gewandt: „Isa möchte dich kennenlernen.“
Ich verstehe nicht, versuche aber, sportlich-federnd aufzustehen, um Hallo zu sagen. Diese attraktive junge Frau will mich kennenlernen? Mein Gesicht zuckt, das spüre ich genau. Es sollte ein Lächeln werden.
Ich sage „Hey!“ und gebe ihr die Hand, doch die will sie nicht.
Meinen Gruß erwidert sie ebenso wenig, sondern haut mir kräftig eine runter. „Vielen Dank für die schönen Jahre, ich hatte unendlich viel Spaß!“
Sandrines Augen werden riesengroß. Sie hält schockiert die Hand vor den Mund. Dann springt sie auf und schiebt die blonde Isa wortlos von mir weg.
Ich verspüre ein mächtiges Dröhnen im Kopf. Ist das jetzt live? Der Entzug?
Meine Wange brennt, der ganze Kopf steht in Flammen. Das war nicht die Ohrfeige allein.
Ich bin völlig perplex.
Dennoch schalte ich schnell.
„Tolles Mädchen!“, sage ich, laut genug, damit es Sandrine noch hören kann. Die macht ein gequältes Gesicht, hebt die Arme halbhoch und zeigt mir hilflos die offenen Handflächen.
Ich weiß, dass wir uns nichts mehr zu sagen haben. Ich muss nach draußen. Ich kann das nicht so schnell verarbeiten, den plötzlichen Stolz, meine miese Position.

Als ich unter den hämischen fünf Palmen stehe, kommen die ersten Tropfen.
Es kommen noch mehr, viel mehr. Sie werden dicker und schneller. Der Wind wird stärker. Bleibt nur die Hotelbar.
Die ist vom Foyer durch eine gläserne Wand getrennt. Für den Bargast vorteilhaft – so sieht er, wer kommt und geht, und muss nicht wie anderswo in die Flaschenbatterie glotzen.
Eine Hotelbar, die mir wirklich gefallen hätte, habe ich noch nie gesehen. Doch erfüllen sie alle ihren Zweck, dafür müssen sie nicht schön sein.
Die Atmosphäre ist überall gleich: ‚Hallo’, sagen sie, ‚hallo, Fremder!’, und zeigen bereitwillig ihre Elixiere und Präparate aus der ganzen Welt, mit denen sie die Leiden des gehetzten Reisenden lindern wollen - solche Sachen wie Frust, Einsamkeit und Lebensangst.
Der Keeper schaut an mir vorbei: „Hallo, Fremder! Was wünschen Sie.“

Nein, ich spinne. Er sagt „Guten Abend, Señor. Was wünschen Sie?“ und schaut mich dabei an.
„Oh, ach ehm“, stammle ich, „ich glaube, ich studiere erst mal die Getränkekarte.“
So bekomme ich eine Galgenfrist. In meinem Kopf wirbelt es. Seltene Malts, neun Sorten Gin, Wodka ... aber auch anderes. Ich entscheide mich für Mate, mit Silberröhrchen.

Mate finde ich blöd. Aber er enthält keinen Alkohol - dieses Scheißzeug. Unbegreiflich, dass man diesen Mist in sich hineinkippt.
Allerdings habe ich das Gefühl, dass ich das nur so vor mir hersage, denn mein Inneres ist ein Truppenübungsplatz. Panzer pflügen durch die Organe, lösen Krämpfe aus und Koliken. In den Herzkammern rattern Maschinengewehre, Pioniere zünden eben gelegte Minen und ein Soldat ohne Beine erschießt seinen Hauptmann – und dann sich. Ich müsste dem Keeper nur einen Wink geben, und die Verrückten in mir würden die weiße Fahne hissen und mir Ruhe schenken und inneren Frieden.

Ich habe nie etwas verstanden; war auch nie sicher, wie es um mich steht. Orientierte mich an tausend Trends, dachte, dass die mir Kompass sein könnten, aber das ist nichts für mich.
Ich muss mein eigenes Ding drehen, meiner eigenen Überzeugung folgen. Und ich verachte Leute, die ständig mit Rückenwind segeln, all die Anpasser, Wendehälse, jene mit dem stets richtigen Parteiabzeichen – oder mit einem etwas zu groß geratenen Kreuz auf der Brust. Ekelhaftes Gekräuch. Viel zu clever, um zu scheitern. Trinken in der Öffentlichkeit zwei, höchstens drei Gläser – und den Rest zu Hause.
Aber ich brauche diese Typen, um mich an ihnen zu reiben. Ganz gleich, wie viel Kraft das kostet.

Paolo hat mich stark gemacht, aber ein Verdienst war das nicht. Das war nur die Folge seines Abtauchens. Ließ meine Mutter sitzen mit dem Blag, das ich war. Dem hätte ich gern so eine reingehauen, wie das Isa mit mir gemacht hat. Nur hätte ich die Faust genommen.
Wie schäbig mich die sogenannten Klassenkameraden behandelten – den Bastard, den Halbitaliener ohne Vater! Ja, Scheißvater. Ich hab zurückgespuckt, zurückgeschlagen, zurückgetreten. Bis sich mir keiner mehr in den Weg stellte, bis sie zurückhumpelten zu ihrem Papa, der sie auf den Schoß genommen hätte, wenn sie nicht schon so groß gewesen wären. Hass, ja Hass stieg in mir auf. Musste ich deshalb Tankzüge und Tankschiffe aussaufen? Irgendwann begann ich, mich selbst zu hassen.
Und als der Hass größer wurde, ich unberechenbar wurde, für andere, auch für mich, da musste ich den smarten Kerl raushängen lassen – fing an, Tatsachen zu verdrehen, Rechtfertigungen zu erfinden, mich mit Illusionen und paranoiden Märchen über Wasser zu halten.
Ich fiel auf die Fresse, kam wieder auf die Beine, wie eine Kakerlake, wollte nur weiterleben. Wenn die Lambada-Girls winkten, lief ich barfuß über kochenden Asphalt; stürzte mich blutig bei Blitzeis, weil ich nicht zu Hause bleiben konnte. Soff Rasierwasser und Chablis.

Nichts hab ich kapiert. Hatte auch keinen, der mir was gesagt hätte. Aber so einen Vater wie Karl-Heinz brauchte ich nicht, auch wenn der seinen Sohn mit in den Puff nahm. Ich wusste auch so, wo er reingehört. Zwei Mütter meiner lieben Mitschüler hatten es mir gezeigt.

Die Bedienung füllt mein Erdnussschälchen auf und fragt, ob ich mehr heißes Wasser wünsche. Ich lehne dankend ab und weiß nicht, wie lang ich das noch durchhalte.
Der Barkeeper hat mich sowieso durchschaut.
Dieser Ort ist furchtbar. Mir zittern die Hände, unter den Achseln bin ich nass, hier kalt, dort heiß. Ich muss etwas Richtiges trinken.
Ich gehe noch mal zur Rezeption. Ich will den zweiten Tag canceln, scheiß auf die Messe. Hier kann ich nicht bleiben.
Ein Mann in korrektem Anzug kommt hinzu und fragt nach dem Direktor.
„Der Direktor ist zur Zeit nicht im Hause, aber die Besitzerin ist im Büro“, sagt die Rezeptionistin sehr höflich. „Darf ich fragen, worum es geht?“
„Nun, das würde ich Ihrem Chef gern persönlich sagen. Aber im weitesten Sinne geht es um den Anschluss Ihres Hauses an unser Unternehmen – die Phönix-Hotels Inc. Bitte, hier ist meine Karte.“
„Wenn Sie einen Moment warten würden - ich werde sehen, was ich tun kann.“
„Ja, danke. Sehr freundlich. Ich weiß, es ist schon über die Zeit, aber mein Flug hatte Verspätung.“
Der Typ sieht gut aus. Mann von Welt. Gegen so einen zu bestehen, ist nicht einfach. Sein Englisch ist tadellos, doch ich glaube, er ist Franzose.
Ich weiß nicht, warum sich Männer immer miteinander messen müssen, doch weiß ich, dass das bei Frauen auch so ist.

Die freundliche Rezeptionistin kommt rasch zurück. Sandrine begleitet sie und wendet sich dem Mann zu.
„Ja? Ich hörte, Sie wollten mich sprechen?“

Ich nehme mir zwei, drei Flyer von irgendwas und trete an die Fensterfront.
Ich lehne meinen heißen Kopf gegen die beschlagenen Scheiben. Jetzt ist es nicht mehr weit bis zur Resignation. Die Vorstufen Humor, Ironie und Zynismus habe ich schon durch.
Verschwommen sehe ich, wie der Sturm die fünf unsympathischen Matronen durchschüttelt. Ihre Fächerpracht fliegt ihnen um die Ohren. Denen wünsche ich einen Tornado mit Blitzschlag.
Und mir einen schnellen Tod.
Ich bemühe mich um Gelassenheit und schlendere zurück zum Bartresen. Da ich die Getränkekarte schon kenne, nehme ich den ‚Implosion’. Nach dem war mir schon vorher zumute. Dem Blick des Barkeepers weiche ich aus.
Er arbeitet versiert und im Zaubertempo steht ein dicker Tumbler vor mir. Über dessen Rand krümmt sich eine gegrillte Chili wie eine Kobra im Angriff - bedrohlich und todbringend. Ich stutze einen Moment.
Im Foyer erscheint eine asiatische Reisegesellschaft, etwas unsicher ist ihr Auftreten, etwas zögerlich. Doch auf einen Schlag ist alles gut, Isa verteilt die hübschen Päckchen, gestikuliert, macht Scherze und alle Gesichter strahlen.
Ich greife entschlossen zu. Zerbrösle die Chilikobra in die Mischung aus Wodka, Noilly Prat und Bourbon und schiebe das Glas weg. Einen Zehner lege ich daneben.

 

Hallo josefelipe,

ich brauche diese Typen, um mich an ihnen zu reiben
Ein Leben voller Reibung und jetzt hat er sich aufgerieben und zerbröselt langsam. Und doch verzichtet er auf den tödlichen Coctail. Der Mann weiß einfach nicht was er soll äh will.

Ich muss noch drüber nachdenken. Momentan macht mir mein Tinnitus zu schaffen.

Liebe Grüße

Jobär

 

Hallo José,

ein komplexes Stück hast Du da kreiert. Stilistisch wieder mal bestechend, aber nicht ganz einfach zu folgen.

Meine Reifen quietschen fürchterlich. Eine leere Flasche schießt unter meinem Sitz hervor.
Nur eine alkoholfreie leere Flasche, hoffe ich? Wenn ich den Text richtig lese, ist er ja derzeit trocken.

Ich beuge mich über den Empfangstresen und ringe nach Luft.
„Kann ich Ihnen helfen, Señor?“
Ich erstarre. Ich glaube diese Stimme zu kennen, ich höre sie oft in meinen wirren Gedanken.
Sie scheint vom Himmel zu kommen.
Ich schaue nach oben: Sandrine!
Hier hatte ich folgendes Bild vor Augen: Paul hängt überm Tresen und blickt auf, hinter dem Tresen sieht er Sandrine, sie ist die Empfangsdame, die gefragt hat, ob sie helfen kann. Erst einen halben Absatz später dämmert mir, dass Sandrine und die Empfangsdame zwei verschiedene Personen sind und dass Sandrine auf einem Treppenabsatz steht statt hinter dem Tresen.

Ich schaue nach oben: Sandrine! Klar und deutlich wie in der Wirklichkeit. Eine Halluzination am hellen Tage. Ist nicht das erste Mal. In Trujillo stand ich einmal vor einer sehr alten Kirche. Die ragte hoch auf mit einem mächtigen, überhängenden Fries voller ramponierter Figuren. Sandstein. Plötzlich verbreiterten sich die Mauerrisse, der ganze überladene Oberteil wankte, löste sich hoch über mir und stürzte dann unfassbar langsam auf mich herab.
Und ich warte darauf, dass Sandrine in dieser Erinnerung eine Rolle spielt, weil ich das fett Markierte so gedeutet habe, dass er schon öfter Halluzinationen von Sandrine hatte.

Im Folgenden ist dann noch von einer Rezeptionistin die Rede, und das ist dann wohl Sandrine (dass ihr das Hotel gehört, merken wir ja erst später), obwohl ich denke, Rezeptionistin und Empfangsdame sei ein und dasselbe, aber Du meinst damit wohl zwei verschiedene Damen. Weiter unten ist die Rezeptionistin dann doch wieder jemand anderes als Sandrine.

Aber danach geht's. Ich bin drin in der Geschichte, Paul erzählt nicht immer ganz linear, seine alkoholgeschädigten Gedanken gehen bisweilen verschlungene Pfade. Aber ich habe keine weiteren (ernsthaften) Verständnisschwierigkeiten, folge der in Bruchstücken erzählten Geschichte eines in Bruchstücken liegenden Lebens. Schwangere Frau verlassen, zur See gefahren, erst Alkoholiker und dann irgendwann trocken geworden - so reime ich es mir jedenfalls zusammen. Dabei selbst eine schwierige Kindheit gehabt und jede Menge Blessuren davongetragen.

Ein paar Punkte, die mir auf der Reise mit Paul aufgefallen sind:

„Möchten Sie ein Glas Wasser? Oder einen Café?“
Bei mir (und auch im Duden) bezeichnet "Café" eigentlich nur das Lokal und nicht das Getränk. Kann ich aber als stilistische Wahl akzeptieren.

„Danke, Victoria, ich mach das schon“.
„Die Japaner kommen etwas früher“.
„Ach Isa, das ist übrigens Paul“. Und zu mir gewandt: „Isa möchte dich kennenlernen“.
Da ist Dir einige Male der Punkt aus den Anführungsstrichen entflohen.

Widerlich, diese Zyniker: ’Herzlichen Glückwunsch zur Vaterschaft!’ und ‚Hallo Papi!’.
Der letzte Punkt dürfte entbehrlich sein.

Da fing die Sauferei an. War ja nur Elite an Bord, komische Vögel, die an Land nicht klar kamen. Die sich gegenseitig beteuerten, wie super sie seien. Wer am meisten saufen konnte, wurde Bootsmann.
Da hätte ich eigentlich Käpt’n sein müssen, aber wir hatten schon einen.
Klasse! "Klarkamen" in einem Wort?

„Lass uns hinsetzen“, sage ich.

Sie hat immer alles im Griff. Nur damals nicht. Oder gab sie nach, weil ich stärker war?
Doch noch etwas, was ich nicht recht verstehe. Ich dachte eigentlich, was sie damals nicht im Griff hatte, sei die Verhütung gewesen. Aber der letzte Satz deutet auf etwas anderes hin. Worauf?

Meinen Gruß erwidert sie ebenso wenig, sondern haut mir kräftig eine rein. „Vielen Dank für die schönen Jahre, ich hatte unendlich viel Spaß!“
Sandrines Augen werden riesengroß.
Meine auch. Eine tolle Wendung!

so sieht er, wer kommt und gehtKomma und muss nicht wie anderswo in die Flaschenbatterie glotzen.

Allerdings habe ich das Gefühl, dass ich das nur so vor mir hersage, denn mein Inneres ist ein Truppenübungsplatz. Panzer pflügen durch die Organe, lösen Krämpfe aus und Koliken. In den Herzkammern rattern Maschinengewehre, Pioniere zünden eben gelegte Minen und ein Soldat ohne Beine erschießt seinen Hauptmann – und dann sich. Ich müsste dem Keeper nur einen Wink geben, und die Verrückten in mir würden die weiße Fahne hissen und mir Ruhe schenken und inneren Frieden.
Ebenfalls klasse!

Ich muss mein eigenes Ding drehen, meiner eigenen Überzeugung folgen. Und ich verachte Leute, die ständig mit Rückenwind segeln, all die Anpasser, Wendehälse, jene mit dem stets richtigen Parteiabzeichen – oder mit einem etwas zu groß geratenen Kreuz auf der Brust. Ekelhaftes Gekräuch. Viel zu clever, um zu scheitern. Trinken in der Öffentlichkeit höchstens zwei, drei Gläser – und den Rest zu Hause.
Aber ich brauche diese Typen, um mich an ihnen zu reiben. Ganz gleich, wie viel Kraft das kostet.
Und hier redet er sich sein Leben schön? Vielleicht hätte er doch öfter mal auf jemanden hören sollen?

Paolo hat mich stark gemacht, aber ein Verdienst war das nicht. Das war nur die Folge seines Abtauchens. Ließ meine Mutter sitzen mit dem Plag, das ich war.
Wie der Vater, so der Sohn. Es wäre eine langweilige Platitüde, wenn es nicht so oft wahr wäre.
Bei mir und Konrad: "Blag", nicht "Plag".

Dem hätte ich gern so eine reingehauen, wie das Isa mit mir gemacht hat. Nur hätte ich die Faust genommen.
Ich hatte oben den Eindruck, als hätte Isa ebenfalls die Faust benutzt.

Musste ich deshalb Tankzüge und Tankschiffe aussaufen, bis zu dem Tag, an dem ich mich das erste Mal selbst hasste?
Klingt, als hätte er am ersten Tag des Selbsthasses mit dem Saufen aufgehört, aber die folgende Passage widerspricht dem.

Aber so einen Vater wie Karl-Heinz brauchte ich nicht, auch wenn der seinen Sohn mit in den Puff nahm.
Sein Stiefvater? Oder der Vater eines Mitschülers?

Der Barkeeper hat mich sowieso durchschaut.
Ja, die kennen ihre Pappenheimer.

Und am Ende ist es wohl der Anblick seiner Tochter, der ihn die Implosion abblasen lässt?

Lieber José, das ist wieder mal eine famose Geschichte. Stilistisch top, der Protagonist schillernd und überzeugend gezeichnet. Nur der Einstieg fiel mir etwas schwer.

Sehr gern gelesen!

Grüße vom Holg ...


PS: Kann es sein, dass der Text heute Mittag noch einen anderen Titel hatte ("Check-in")? Musste mich zwischendurch neu einloggen und anschließend wundern.

 

Eine traurige, um nicht zu sagen tragische Geschichte. Ein Mensch flieht vor sich selber und kapiert nicht, dass er sich und sein Versagen immer mitnimmt und nicht so einfach los wird. Ob er jetzt anderen die Schuld gibt - es kommt für mich gar nicht darauf an, ob die Frau irgendetwas getan hat und was genau - oder sich im Alkohol zu ersäufen sucht oder ... Egal wo er ankommt, er ist schon da und seine Vergangenheit auch. Und manchmal manifestiert sich diese Vergangenheit auch in anderen Personen. Am Ende kann ich nur feststellen: Es wird alles so weitergehen, der ewige Holländer wird weitersegeln, denn er wartet immer auf die Erlösung durch andere, dabei muss er erst einmal sich selber erlösen.

Eine sprachgewaltige und bildreiche Geschichte. Kann man gut lesen - leider bin ich nicht so ein Fan von "schöner" Literatur, deshalb brauchte ich einige Zeit, die eigentlichen Aussagen des Textes herauszusezieren. Aber es bleibt eine gute Geschichte.

 

Hola Jobär,

vielen Dank für Deine zwei Kommentare.
Der erste hat mich verunsichert:

Zitat Jobär:
Ich muss noch drüber nachdenken. Momentan macht mir mein Tinnitus zu schaffen.
Zitat José:
Mein Tinnitus meldet sich zurück - ein Zug donnert mit geöffneten Fenstern durch meine Ohrentunnel. In der Ferne vernehme ich helle Schläge auf Metall.

Kann es sein, dass ich mit meinem Text diese schrecklichen Geräusche in Deinen Gehörgängen ausgelöst habe, wie mit Fernzündung? Das wäre allerdings nicht spaßig.

Dein zweiter Komm gibt mir die Sicherheit, wenigstens teilweise, zurück:

Eine sprachgewaltige und bildreiche Geschichte. Kann man gut lesen ...
Danke sehr!
Nur hier stocke ich:
... leider bin ich nicht so ein Fan von "schöner" Literatur, ...
Soll das bedeuten, dass ich „schön“ schreibe? Mal abgesehen davon, dass ich es selbst nicht weiß, wüsste ich auch nicht, wie ich mir „schöne Literatur“ vorzustellen habe.
Versteh mich nicht falsch, doch könnte ich Deinen Stil eher so benennen, weil das Gros der Leser damit bestens klarkommt. Das ist bei mir nicht unbedingt der Fall.
Aber belassen wir’s dabei: Die Mischung macht’s.

Und zu guter Letzt ist ja alles in Butter:

Aber es bleibt eine gute Geschichte.

Lieber Jobär, ich danke Dir für Dein Interesse und die aufgewendete Zeit,
alles Gute!
José

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Holg,

ich stehe allertiefst in Deiner Schuld, denn mit so einem spitzenmäßigen Komm kann ich mich nicht revanchieren. Menschenskind, da hast Du Dich wieder ordentlich reingekniet!
Ich versuche, Deine Mühe zu vergelten, indem ich Deinen Post fast Zeile für Zeile abarbeite.

Zitat José:
Meine Reifen quietschen fürchterlich. Eine leere Flasche schießt unter meinem Sitz hervor.
Zitat Holg:
Nur eine alkoholfreie leere Flasche, hoffe ich? Wenn ich den Text richtig lese, ist er ja derzeit trocken.
Nur wissen wir leider nicht, in welchen Zeitabständen er seinen Wagen sauber macht / machen lässt.

Ich schaue nach oben: Sandrine! Klar und deutlich wie in der Wirklichkeit. Eine Halluzination am hellen Tage. Ist nicht das erste Mal. In Trujillo stand ich einmal vor einer sehr alten Kirche ...
Hab’s jetzt so gemacht:
Ich schaue nach oben: Sandrine! Klar und deutlich wie in der Wirklichkeit. Eine Halluzination am hellen Tage?
Wäre nicht das erste Mal. In Trujillo stand ich einmal vor einer sehr alten Kirche ...

Im Folgenden ist dann noch von einer Rezeptionistin die Rede, und das ist dann wohl Sandrine (dass ihr das Hotel gehört, merken wir ja erst später), obwohl ich denke, Rezeptionistin und Empfangsdame sei ein und dasselbe, aber Du meinst damit wohl zwei verschiedene Damen. Weiter unten ist die Rezeptionistin dann doch wieder jemand anderes als Sandrine.
Haben wir grosse Kuddelmuddel, bittascheen. Momentan stehe ich auf dem Schlauch. Ich muss mal sehen, wie ich aus diesem Dilemma herausfinde.

„Möchten Sie ein Glas Wasser? Oder einen Café?“
Bei mir (und auch im Duden) bezeichnet "Café" eigentlich nur das Lokal und nicht das Getränk. Kann ich aber als stilistische Wahl akzeptieren.

So viele Möglichkeiten hatte ich nicht. Wenn ein Señor Kaffee trinkt, muss das in Berlin stattfinden (dann könnte ich auch ‚Kaffe’ schreiben:shy:.

Da ist Dir einige Male der Punkt aus den Anführungsstrichen entflohen.Widerlich, diese Zyniker: ’Herzlichen Glückwunsch zur Vaterschaft!’ und ‚Hallo Papi!’. Der letzte Punkt dürfte entbehrlich sein.
Habe alle Punkte eingefangen und wieder ins Gepferch der Gänsefüßchen gesperrt. Danke für den Tipp. Es passiert oft, dass ich auch beim hundersten Mal Durchlesen nichts sehe.

"Klarkamen" in einem Wort?
Claro! Ist verbessert.

‚Sie hat immer alles im Griff. Nur damals nicht. Oder gab sie nach, weil ich stärker war?’
Doch noch etwas, was ich nicht recht verstehe. Ich dachte eigentlich, was sie damals nicht im Griff hatte, sei die Verhütung gewesen. Aber der letzte Satz deutet auf etwas anderes hin. Worauf?
Ich hatte die Idee, dass Paul manchmal durcheinander kommt. Logisch – die Mädchen sollen die Pille nehmen! Für einen Jungen kann’s nicht bequemer sein; dieses Gestrapsel mit den Parisern ist ja eine Zumutung – und Sandrine hatte wohl zu jener Zeit noch nicht die kundige Hand, ihm beim Küssen dieses lästige Ding überzuziehen.
Wenn ein Mädchen aber nicht verhütet, weil es keinen Sex will, sondern sich mit anderen Praktiken begnügt, der Junge jedoch seinen Willen durchdrückt und er ihren Widerstand bricht – tja, da kann es passieren. Dachte ich so.

Meinen Gruß erwidert sie ebenso wenig, sondern haut mir kräftig eine rein.
Dem hätte ich gern so eine reingehauen, wie das Isa mit mir gemacht hat. Nur hätte ich die Faust genommen.
Ich hatte oben den Eindruck, als hätte Isa ebenfalls die Faust benutzt.
Ich hab’s geändert:
... , sondern haut mir kräftig eine runter.

Bei mir und Konrad: "Blag", nicht "Plag".
Bei mir neuerdings auch:). Bedankt.

Musste ich deshalb Tankzüge und Tankschiffe aussaufen, bis zu dem Tag, an dem ich mich das erste Mal selbst hasste?
Klingt, als hätte er am ersten Tag des Selbsthasses mit dem Saufen aufgehört, aber die folgende Passage widerspricht dem.
Hast völlig recht. Ich habe es ver(wie ich hoffe)bessert:
Musste ich deshalb Tankzüge und Tankschiffe aussaufen? Irgendwann begann ich, mich selbst zu hassen.

Aber so einen Vater wie Karl-Heinz brauchte ich nicht, auch wenn der seinen Sohn mit in den Puff nahm.
Sein Stiefvater? Oder der Vater eines Mitschülers?
Letzteres, denn wäre es der Stiefvater, würde Paul nicht reflektieren ‚wenn der seinen Sohn’ ...
Oder doch?

Der Barkeeper hat mich sowieso durchschaut.
Ja, die kennen ihre Pappenheimer.
Das glaub mal! Ich habe fifty-fifty meine Jahre vor und hinter der Theke verbracht. Ganz interessant, oft strapaziös – das aber meist durch eigne Schuld!
Und am Ende ist es wohl der Anblick seiner Tochter, der ihn die Implosion abblasen lässt?
Aber ja!

Ich mag liebenswürdige Kommentatoren:

Lieber José, das ist wieder mal eine famose Geschichte.
Sehr gern gelesen!

Ich danke allerbestens. Da hast Du mir wieder einen Kommentar zukommen lassen, der alles aufzeigt, was verbessert werden muss. Hab’s auch noch am gleichen Abend erledigt.

Holg, altijd genug Wasser unterm Kiel
wünscht Dir
José

 

Hola The Incredible Holg,

das hatte ich vergessen:

Kann es sein, dass der Text heute Mittag noch einen anderen Titel hatte ("Check-in")? Musste mich zwischendurch neu einloggen und anschließend wundern.
Ja, das stimmt. Ich fand 'Check-in' doch ziemlich nichtssagend. Leider kam die bessere Idee erst nach Einstellen der Geschichte.

Ich wünsch Dir noch einen schönen Tag!
José

 

Hallo josefelipe,

hier im Forum gibt es einige Autoren, denen es immer wieder gelingt, mit ihren Texten wunderschöne Stimmungen zu erzeugen – du bist einer davon.

Mit deinen sensibel gezeichneten Figuren und deiner ruhigen Erzählweise schaffst du es, mein Herz zu wärmen. So ganz gegen mein Naturell, will ich dann wissen: Wie funktioniert, wie macht er das? Es sind doch nur aneinander gereihte Worte. Doch mir ist klar, dass es mehr ist als nur das. So nach und nach hebst du den Schleier und gewährst uns Einblick in das, zugegebenermaßen zerrissene, Innenleben deines Helden. Dazu baust du noch Szenen ein, wie die mit den Palmen, die im Text immer wieder vorkommen – so vertraut, wie liebe Bekannte.

Und dann diese bildhafte Schilderung, wie es in seinem Inneren aussieht:

Mein Tinnitus meldet sich zurück - ein Zug donnert mit geöffneten Fenstern durch meine Ohrentunnel.
Der Tunnel ist endlos, die Waggons donnern. Immerzu diese Metallschläge.
… denn mein Inneres ist ein Truppenübungsplatz. Panzer pflügen durch die Organe, lösen Krämpfe aus und Koliken. In den Herzkammern rattern Maschinengewehre, Pioniere zünden eben gelegte Minen und ein Soldat ohne Beine erschießt seinen Hauptmann – und dann sich. Ich müsste dem Keeper nur einen Wink geben, und die Verrückten in mir würden die weiße Fahne hissen und mir Ruhe schenken und inneren Frieden.

einfach fabelhaft.

Doch hier, was ist das?

Oder einen Café?“

schreibt man das so? Nicht Kaffee?

Ließ meine Mutter sitzen mit dem Blag, das ich war.
Plag?

Und dann das Ende:

Ich greife entschlossen zu. Zerbrösle die Chilikobra in die Mischung aus Wodka, Noilly Prat und Bourbon und schiebe das Glas weg. Einen Zehner lege ich daneben.

Wenn er jetzt aufsteht und geht, dann ist es ein Ende nach meinem Geschmack. Er steht doch auf und geht, oder? Und er lebt auch glücklich und zufrieden mit Sandrine und Isa bis ans Ende seiner Tage, nicht wahr?

Ich hatte sehr viel Freude beim Lesen. Danke josefelipe.

Gruß Tintenfass

P.S. so, nun lese ich die anderen Kommentare. Wollte diesmal erst meine Eindrücke aufschreiben, bevor ich die der anderen lese. Mir ist nämlich aufgefallen, dass mich deren Ansichten zu einem Text (manchmal) doch irgendwie beeinflussen. Ich habe dann lieber nicht mehr kommentiert, weil ich nicht mehr unvoreingenommen war.

 
Zuletzt bearbeitet:

Die fünf Palmen vor dem Hotel betrachten mich spöttisch von oben herab. Nein, das bilde ich mir nicht ein, das ist so.
Cool, meine Birkenfeige macht das gelegentlich genauso ;). Lieber josefelipe, selten war ich so in die Innensicht eines Prots eingebunden wie hier! Und das, obwohl mir seine Sichtweise auf andere Menschen, auf das Leben überhaupt, eigentlich total fremd ist. Die eigenen Emotionen, Schwächen, Handlungen, Schicksalswendungen und die Verantwortung dafür nach außen, auf Andere zu projizieren, das passiert vielleicht jedem mal. Aber so ausgeprägt wie hier ... das ist wirklich sehr weit weg von meinem Denken und Fühlen - und trotzdem war ich sofort 'drin in ihm', auch schon bei seinem unsinnigen Ausrasten dem Cabriofahrer gegenüber.
Daher, du bekommst mit deiner Story so ein 'Hineinziehen' total gut hin, denn dies ist wirklich eine Kunst: Den Leser dazu zu kriegen, die Welt mit den Augen des Protagonisten zu sehen, obwohl dieser Blickwinkel weit weg vom Gewohnten ist. Ausgesprochen gern gelesen!

Grüße,

Eva

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey José

Meine Reifen quietschen fürchterlich. Eine leere Flasche schießt unter meinem Sitz hervor.
Ich bin mein Auto. Sehr schön!

Ich brülle wie ein Verrückter hinter ihm her und zeige zwei hochgereckte Finger.

Schade, ich finde dieser kommentierende Einschub schwächt das Verrückte der Handlung ab.

Es sticht zwischen den Schultern, meine Kopfhaut brennt. Oder ist es das Hirn?
Es ist interessant, wie wir immer wieder versuchen, ganz nah an unsere Figuren zu kommen. Besser ans Hirn als nur an den Kopf. (Wir = Du, ich und, fällt mir ein, dot in seiner Wettbewerbsgeschichte)

Da fing die Sauferei an. War ja nur Elite an Bord, komische Vögel, die an Land nicht klarkamen. Die sich gegenseitig beteuerten, wie super sie seien. Wer am meisten saufen konnte, wurde Bootsmann.
Da juckt es mich, „show, don’t tell“ zu rufen, das sei zu erklärend (Ich ringe grad eh mit Rückblenden). Aber …
Da hätte ich eigentlich Käpt’n sein müssen, aber wir hatten schon einen.
Damit hast du mich schon wieder an Bord der Geschichte.

ich armer Verführter, ich Opfer, das man um seine Jugend bringen wollte!
Das ist mir ein bisschen zu ironisch für diesen Charakter (so wie ich ihn bisher kennengelernt habe).

Oder gab sie nach, weil ich stärker war?

Hier bin ich verwirrt. Hat sie ihm ein Kind angehängt (ich Verführter), oder hat er sie überwältigt? Geht beides gleichzeitig?

Viel zu clever, um zu scheitern.

Sehr schön. Da wird er mir schon fast sympathisch.


Also José, ich fand das einen sehr authentischen Blick in den Kopf deines Protagonisten. Vor allem diese Gratwanderung zwischen Realität und Wahn, die ist dir gut gelungen. Du hast viele Rückblenden drin und die lesen sich ganz gut. Dennoch hätte ich mir bei einigen dieser Passagen mehr konkrete Bilder gewünscht. Exemplarisch vielleicht folgende Stelle:

Wie schäbig mich die sogenannten Klassenkameraden behandelten – den Bastard, den Halbitaliener ohne Vater! Ja, Scheißvater. Ich hab zurückgespuckt, zurückgeschlagen, zurückgetreten. Bis sich mir keiner mehr in den Weg stellte, bis sie zurückhumpelten zu ihrem Papa, der sie auf den Schoß genommen hätte, wenn sie nicht schon so groß gewesen wären. Hass, ja Hass stieg in mir auf. Musste ich deshalb Tankzüge und Tankschiffe aussaufen? Irgendwann begann ich, mich selbst zu hassen.

Das ist gut geschrieben, aber eben auch recht viel tell.

Dennoch: Ich habe ich deinen Text gern gelesen

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo josefelipe,

ich habe gerade von der Chilli-Kobra und Paul gelesen und will nun auch meinen Senf dazu geben. Sprachlich und stilistisch ist das absolut top und ich gebe Holg recht, du hast absolut starke Bilder heraufbeschworen.

Allerdings bin ich insgesamt eher unzufrieden mit meinem Leseerlebnis.
Zum ersten hatte ich immer wieder Schwierigkeiten, mich zurecht zu finden. Das ging mit dem Cabriofahrer los (wo er denn nun steht) und endet mit Victoria, Sandrine, Isa und eventuellen weiteren anwesenden Damen, die schwer zuzuordnen waren. Aber auch das ist schon erwähnt worden.
Mein größtes Problem war Paul. Ich konnte ihn nicht ausstehen. Ich hätte fast aufgehört zu lesen seinetwegen. Er scheint keine einzige positive Eigenschaft zu haben. Und irgendwie finde ich ihn auch unoriginell als Charakter. Zumindest habe ich den Eindruck, ihm so oder ähnlich schon mehrmals begegnet zu sein. Sein Weg erscheint mir zu typisch. Du hast immer neue Informationen eingestreut, von denen mich keine überraschen konnte.
Und in diesem Zusammenhang erscheint mir auch das Ende, dass er, mit Blick auf seine Tochter, den Cocktail nicht trinkt, so angenehm und schlüssig und fast schön es auch ist, eher so, als ob ich es schon häufig gelesen oder gesehen hätte.

Ein paar objektive Anregungen:

zwei hochgereckte Finger
Da hab ich im ersten Moment an Peace gedacht. Erst später dämmerte mir, was du meinst.

ein Zug donnert mit geöffneten Fenstern durch meine Ohrentunnel
Wenn der Zug durch deine Ohren donnert, du demzufolge außerhalb des Zuges spielt, spielt es bezogen auf die Lautstärke keine Rolle, ob die Fenster offen oder geschlossen sind. Ist ein absoluter Klugscheißer-Hinweis, ich weiß. Sorry.

Dichtes, blondes Haar trägt sie offen,
Ich würde entweder 'ihr dichtes blondes Haar trägt sie offen' oder 'dichtes, blondes Haar, trägt sie offen' vorschlagen.

Der Großteil meiner Hinweise sind eh subjektiv. Also nix für ungut.

Liebe Grüße
Zantje

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Tintenfass,

Deinen ersten Satz zu zitieren, verbietet mir meine angeborene Bescheidenheit.
So gelobt wurde ich noch nie! Ich habe schon einen Meister der Schönschrift beauftragt, diese wunderbaren Worte an meine Schlafzimmerdecke (dort, wo bei anderen Leuten der Spiegel hängt) zu malen, in Gold und Lindgrün. Dann kann ich sie mir statt eines kariesfördernden Betthupferls vor jedem Einschlafen reinziehen. Auf jeden Fall: Herzlichen Dank!

Aber dann tauchen schon die ersten Probleme auf:

Doch hier, was ist das?
Oder einen Café?“
schreibt man das so? Nicht Kaffee?

Der liebe Holg hat das auch beanstandet: Bei mir (und auch im Duden) bezeichnet "Café" eigentlich nur das Lokal und nicht das Getränk. Kann ich aber als stilistische Wahl akzeptieren.
Meine Antwort war:
So viele Möglichkeiten hatte ich nicht. Wenn ein Señor Kaffee trinkt, muss das in Berlin stattfinden (dann könnte ich auch ‚Kaffe’ schreiben):shy:.
Ich hab’s bewusst so geschrieben, denn ‚Kaffee’ unter Palmen gibt’s nur auf Mallorca.

Wenn er jetzt aufsteht und geht, dann ist es ein Ende nach meinem Geschmack. Er steht doch auf und geht, oder?
Ich möchte gerne, dass das Ende nach Deinem Geschmack ist. Ja, er geht. Der Zehner soll’s verdeutlichen.

Und er lebt auch glücklich und zufrieden mit Sandrine und Isa bis ans Ende seiner Tage, nicht wahr?
Wenn es Dich glücklich und zufrieden macht: Ja!
Wenn ich ehrlich sein soll: Nein – bei diesen Voraussetzungen!

Zitat Tintenfass:

P.S. so, nun lese ich die anderen Kommentare. Wollte diesmal erst meine Eindrücke aufschreiben, bevor ich die der anderen lese. Mir ist nämlich aufgefallen, dass mich deren Ansichten zu einem Text (manchmal) doch irgendwie beeinflussen. Ich habe dann lieber nicht mehr kommentiert, weil ich nicht mehr unvoreingenommen war.
Das finde ich logisch und gescheit.
Ich mach’s dummerweise umgekehrt, lese erst die Komms und dann die Geschichte. Der einzige Vorteil dieser Methode: Oft kann ich mir dann das Lesen des neuen ‚Werks’ ersparen.

Liebe Frau Tintenfass! Ich danke allerbestens für Deinen wohlwollenden Kommentar und werde mich zu gegebener Zeit revanchieren.
Alles Gute und schöne Grüße!

José

 

Hola@Eva Luise Groh,

Du bist mir eine treue Kommentatorin – dafür schon einmal meinen besten Dank!

En détail:

Die fünf Palmen vor dem Hotel betrachten mich spöttisch von oben herab. Nein, das bilde ich mir nicht ein, das ist so.
Zitat Eva:
Cool, meine Birkenfeige macht das gelegentlich genauso
Und das ist so? Ich meine, das bildest Du Dir nicht ein? Übrigens: Ich habe ein Kastanienahorn.

Aber so ausgeprägt wie hier ... das ist wirklich sehr weit weg von meinem Denken und Fühlen - und trotzdem war ich sofort 'drin in ihm', ...
Eva Luise (ein Name, den ich mehrmals am Tage genussvoll ausspreche, weil er so schön ist), ich bin nicht Freud, aber könnte es sein, dass Du gewisse Neigungen verdrängst?
Aber nein, das glaube ich nicht.
Und jetzt ohne Scherz: Wenn das mit meinem Text geklappt hat, dann bin ich hochzufrieden.

... auch schon bei seinem unsinnigen Ausrasten dem Cabriofahrer gegenüber.
Unsinnig? So einem Idioten gegenüber? Aber ich bitte Dich!
Andrerseits, wenn ich bedenke, wie viele Menschen noch ihr Leben genießen, weil ihr automobiler ‚Gegner’ eine Frau war – ja, bedenken macht nachdenklich.
Trotzdem hat die Sache zwei Seiten. Auch wenn mein letzter Überholversuch nicht beispielhaft war für gutes Autofahren, so lag es doch an dieser blöden Kuh, die da vor mir herumgetrödelt ist. Aber das darf man ja nicht sagen.

Resümee:

Ausgesprochen gern gelesen!
Yippie! Das macht mich richtig froh.

Liebe Eva Luise, ich danke sehr für Deine freundlichen Zeilen und werde auch in Zukunft bemüht sein, gute Qualität abzuliefern. Bisschen förmlich vielleicht?
Jedenfalls die ersten Maikätzchen für Dich!

José

 

Hola@Peeperkorn,

danke sehr für Deinen Post.
Selbstverständlich höre ich auf Dich:

Zitat von josefelipe
Ich brülle wie ein Verrückter hinter ihm her und zeige zwei hochgereckte Finger.

Schade, ich finde dieser kommentierende Einschub schwächt das Verrückte der Handlung ab.
Hab ich geändert. Jetzt heißt es:
Ich brülle hinter ihm her und zeige den hochgereckte Mittelfinger.

Zitat von josefelipe
ich armer Verführter, ich Opfer, das man um seine Jugend bringen wollte!
Das ist mir ein bisschen zu ironisch für diesen Charakter (so wie ich ihn bisher kennengelernt habe).
Hab ich abgeschwächt:
Fange gleich an zu weinen, ich armer Verführter, ich Opfer, das man um seine Jugend bringen wollte! Wenn ich weiter so fantasiere, glaube ich an meine eigenen Geschichten. Aber ich dachte wirklich, die Mädchen passen auf.

Zitat von josefelipe
Oder gab sie nach, weil ich stärker war?

Hier bin ich verwirrt. Hat sie ihm ein Kind angehängt (ich Verführter), oder hat er sie überwältigt? Geht beides gleichzeitig?
In der Praxis ziemlich schwierig, doch im Kopf schon. Ein Bursche, der Druck hat, sieht in einem einzigen geöffneten Knopf, in einem unüberlegten Wort schon die blanke Einladung.
Sandrine könnte zu den Frauen gehören, die wissen, wie weit sie zu gehen haben – aber Paul ist auf sein Ziel fixiert. Da hat er sich wohl mehr genommen, als eigentlich angeboten wurde.

Dennoch hätte ich mir bei einigen dieser Passagen mehr konkrete Bilder gewünscht.
... , aber eben auch recht viel tell.

Ach ja, gar nicht so einfach! Ich hab schon viel Farce und Füllsel rausgestrichen und verknappt, eventuell wäre es mit einer zweiten Person, mit viel Dialog, eher möglich, weniger zu tellen.
Doch ein schöner Trost bleibt mir:

Das ist gut geschrieben, ...
Ich habe ich deinen Text gern gelesen
Dann ist die literarische Welt (für dieses Mal) nochmals gerettet!

Peeperkorn, zu Deinen ‚Spuren’ hatte ich schon einen längeren Komm geschrieben, also der Länge der Geschichte angemessen – und vielleicht ein bisschen getrödelt. Im Thread ging es ja ziemlich lebhaft zu, und nun schau ich bei ruhigerem Wetter vielleicht noch einmal rein. Wenn aber schon (fast) alles gesagt ist, lass ich Dich in Ruh’.

Bleib frisch, gesund und schaffensfreudig!
José

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola José

Wohlig berauscht nach Hause gekommen, kriege ich grad noch in die Tastatur: schenk dem "hochgereckte" noch ein n!

Ansonsten gefallen mir deine Anpassungen. Und zum "gar nicht so einfach." Oft kämpfen wir halt auch ganz alleine, trotz all der Unterstützung hier. Da wünsche ich dir - wie würdest du es es sagen? - viel Dampf unter dem Kessel.

Und wegen dem Komm zu den Spuren: Ganz wie du möchtest. Darf auch ein kurzes Statement sein, zudem finde ich Doppelungen ganz nützlich, hilft beim Gewichten.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Zantje,

vielen Dank für Deinen Kommentar.
Ich habe ja überwiegend keine Probleme, meine Mitmenschen zu verstehen, doch hier in unserem Fall bin ich mir nicht sicher, ob ich Dich so verstehe, wie Du es gedacht hast.

Erst mal die Anregungen:

ein Zug donnert mit geöffneten Fenstern durch meine Ohrentunnel

Wenn der Zug durch deine Ohren donnert, du demzufolge außerhalb des Zuges spielt, spielt es bezogen auf die Lautstärke keine Rolle, ob die Fenster offen oder geschlossen sind.

Ich verstehe das Fette nicht.
Abgesehen davon, habe ich mich ev. missverständlich ausgedrückt.
Aus meiner Jugend habe ich in Erinnerung, dass es immer ein fortwährendes ‚Wumm’ gab, sobald der Zug durch einen Tunnel fuhr – wenn die Fenster geöffnet waren. Bei den damaligen Geschwindigkeiten war das im Sommer häufig so, auch wenn einem in langgestreckten Kurven oft Ruß in die Augen flog.
Aber das war im letzten Jahrhundert. Gerade flüstert mir jemand zu, dass man in modernen Zügen die Fenster nicht öffnen kann – also streiche ich diese Stelle und danke Dir für den Tipp. (Ich bin seit Jahrzehnten nicht mit dem Zug gefahren).

Dichtes, blondes Haar trägt sie offen,
Ich würde entweder 'ihr dichtes blondes Haar trägt sie offen' oder 'dichtes, blondes Haar, trägt sie offen' vorschlagen.
Okay. Mir gefällt die erste Version. Hab’s geändert.
Und wieder rückgängig gemacht, weil ich dann zweimal ‚ihr’ hintereinander hatte.
Jetzt: Das dichte ...

zwei hochgereckte Finger
Da hab ich im ersten Moment an Peace gedacht. Erst später dämmerte mir, was du meinst.

Auch das habe ich geändert. Ich hatte so Einbahnstraße an Stinkefinger gedacht, dass mir Plur gar nicht in den Sinn kam. Jedenfalls heißt es jetzt:

Ich brülle hinter ihm her und zeige den hochgereckten Mittelfinger.

Allerdings bin ich insgesamt eher unzufrieden mit meinem Leseerlebnis.
Das ist sehr schön schade.
Mein größtes Problem war Paul. Ich konnte ihn nicht ausstehen.
Das ist fatal. Die Welt ist voll von Arschlöchern. Ich bin auch eins. Aber meine nächste Geschichte handelt von einem Witwer, der zum Philosophen wird.
Ich wette – das wird Dir gefallen!

Zantje, mach et jut und bis demnächst.
José

 

Hola Peeperkorn,

muss ich mir jetzt große Sorgen machen oder nur kleine? Das ist doch schlimm mit Dir:

Wohlig berauscht nach Hause gekommen, ...
Das scheint Dir auch noch zu gefallen! Fast gewinne ich den Eindruck, Du wärest stolz auf diese Heldentat! Berauscht nach Hause zu kommen – ei, ei, ei!
Mich wundert, dass Du das fehlende ‚n’ noch entdeckt hast.
Hab’s repariert, danke.

Hier aber ist der offenkundige Beweis für erhöhten Konsum leider völlig legaler Drogen:

Da wünsche ich dir - wie würdest du es es sagen? - viel Dampf unter dem Kessel.
Erstens ein ‚es’-Doppler und zwotens – was noch viel schwerer wiegt – ein sinnentleertes Zitat! Bei mir ist das Feuer unter dem Kessel, und der Dampf im Kessel.
Bitte merke Er sich das!
Und jetzt werde ich mir Deine Geschichte vorknöpfen, mit unnachgiebiger Strenge.

Er wird von mir hören.
José

 

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