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- 04.06.2012
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Die Chance ihres Lebens
Sie lag am Boden. Sie litt Schmerzen. Schlimme Schmerzen. Zu schlimm, um sie auf andere Weise zu bezeichnen, als auf diese kindliche naive Art. Merle wollte sich nicht rühren. Wollte es nicht einmal versuchen. Die Angst vor weiteren Schmerzen, ließ diesen Gedanken gar nicht zu. Drei Kugeln steckten in ihrer Brust und raubten ihr Leben. Sie musste sich das bisschen Luft mit Mühe schnappen und selbst das tat weh. Es zwickte schmerzlich, wenn die Lunge sich bewegen musste.
Lieber Gott, sie war doch noch ein Kind. Sie war doch noch zu jung zum sterben. Man starb mit Siebzig! Achtzig! Aber doch nicht mit zwölf!
Merle lag auf dem Rücken und hatte den Kopf zu Seite hin gewandt. Ihr Bruder lag ein Stück von ihr entfernt in einer Lache aus Blut. Sein Hinterkopf war weg. Einfach nicht mehr da. Francesca wimmerte leise. Sie konnte sie nicht sehen. Aber sie hörte die Schritte des Schützen. Er nährte sich der Frau ihres Vaters. Der Frau die ihr widerwillig und streng eine Mutter ersetzt hatte. Nicht gut, aber trotzdem.
Die Schritte klangen dumpf auf dem dicken, teuren Teppich. Seine Waffe zischte erneut. Die Hülse sprang klirrend heraus. Merle sah sie über den Teppich rollen. Das Wimmern war abrupt vorbei. Nun war nur noch sie übrig.
Der Mörder trat von Francesca weg. Seine Schritte kamen Merle näher.
Wo war ihr Vater? Warum war er nicht hier um sie zu schützen? Welche verdammte Scheiße hat ihrer Familie diesen Alptraum eingebracht? Womit hatten sie das verdient?
Sie hustete und schmeckte ihr Blut. Blut, das sie hustete.
Der Mann trat über sie. Sie sah nur die blank polierten Herrenschuhe.
„Mein Gott wärst du eine wunderschöne Frau geworden!“, entfuhr es ihm. Er war älter. Sie hörte es an seiner rauen Herrenstimme. Die Stimme hatte ein reifes Kratzen. Der Ton war seltsam, als hätte ihn der Blitz getroffen. War ihr Anblick den wirklich so schlimm für ihn, dem Mann der gerade geschossen hatte. Was hatte er den erwartet?
Ein zweiter rannte dazu. Sie waren zu zweit?
Der junge lachte bloß. Der war eindeutig jünger. Um vieles jünger. Er war aufgeregt und raschelte mit seiner Kleidung. Sie hörte etwas Klimpern und kniff die Augen fest zusammen.
Sein Gürtel! Er machte den Gürtel auf!
Ihr Körper zitterte nun nicht nur von dem Adrenalin. Sie begann unhörbar zu wimmern.
Würde ihr selbst dieses Grauen nicht erspart? Hatte sie noch nicht genug zu leiden?
Tränen kullerten über die Wangen. Der Mörder schien nicht angetan und stieß den Jungen weg.
„Bist du pervers! Sie ist noch ein halbes Kind und schon so gut wie tot!“, fuhr er den anderen streng an. Der lachte nur grausam amüsiert und erwiderte:“ Ach komm schon Alter! Außerdem tue ich ihr einen Gefallen. Sie stirbt mit einem Lächeln auf den Lippen!“
Merle weinte geräuschlos weiter. Dachte an ihren dummen Vater. Sie wusste nicht warum, aber sie dachte an ihn. Daran mit wem er wohl das falsche Spiel getrieben hatte und nun seine Familie mit ihrem Blut bezahlen ließ.
„Lass deine Pfoten von ihr!“, herrschte der Ältere seinen Partner an und stieß ihn wieder von ihr fort.
„Wieso? Du lässt doch auch keine Gelegenheit aus, um es mit einer zu treiben!“, bemerkte der Verdrängte.
„Du verkennst etwas!“, wand der Ältere ein, blieb stehen und sah auf sie herab. Sah zu wie sie krepierte. Der Junge blieb auf Abstand.“ Ach ja und was?“
„Ich schlafe ausschließlich mit Frauen! Und ich vergewaltige sich nicht!“, erklärte der Mann über ihr. Er klang gereizt "Außerdem ist sie Teil deines Auftrags!"
„Du tötest ja auch keine Kinder..“, stichelte der andere, wurde aber beim sprechen Unterbrochen.
„Halt jetzt den Mund!“,fuhr der Ältere ihn böse an. Nun klang er wütend. So richtig wütend.
„Und warum soll ich auf dich hören?“, machte sein Partner weiter. Er wollte es wohl unbedingt auf die Spitze treiben, als sei es was normales für die beiden, in einer solchen Situation zu streiten.
„Weil du es noch immer nicht hinkriegst drei Leuten aus der Nähe direkt in den Kopf zu schießen!“
Selbst sie, ein Kind musste eingestehen, dass in seinen kalten Worten eine groteske Logik steckte.
„Spielst wieder Lehrer, hä!“, kläffte der Junge beleidigt, blieb aber von ihr fort. Zu ihrem Glück hatte er wohl genug Angst vor dem anderen um es nur beim Kläffen bleiben zu lassen.
Noch einer betrat den Raum. Seine Schritte endeten noch an der Schwelle. Er bellte mit schmieriger Stimme:“ Geht sicher das niemand überlebt!“
Wer war das? War er es? War es seine Idee, diese Familie auszulöschen?
Der Mörder rührte sich zögernd. Er seufzte, traurig, als mache es ihm etwas aus, als hätte er wenig ansporn sie umzubringen. Sie hörte ihn langsam das Magazin wechseln.
Merle weinte weiter. Sie wollte noch nicht sterben. Sie war doch gerade mal zwölf! Sie war verliebt. Das erste mal in ihrem Leben, war sie verliebt! Und er! Er wollte sie einfach töten! Ihrem Leben ein Ende bereiten! Einem Leben das sie erst vor kurzem zu lieben begonnen hatte.
Merle zog den Kopf hoch und öffnete die Augen. Sie wollte ihren Mörder sehen. Sie würde aus der Hölle entkommen. Und sie würde sich rächen an ihm.
Irgendwie!
Irgendwas würde sie bestimmt.
Sie konnte doch nicht so einfach hier sterben! Mit diesen Menschen, die sie ihr Leben lang bloß geduldet hatten. Ohne Ihm ihre Liebe zu gestehen! Nein! So durfte es nicht enden! Nicht jetzt!
Gott war beschämt und wandte das Gesicht von ihrem Leiden ab!
Merle starrte in die schwarze Mündung des Schalldämpfers.
Sie sah trotzdem weiter rauf.
Es würde ihm Alpträume bereiten! Das Kind, welches er kaltblütig erschossen hatte. Das Mädchen, das eine wunderschöne Frau geworden wäre, wenn er nicht gekommen wäre. Sie würde ihn heimsuchen. Den Mann mit der Stimme. Mit seinen polierten Herrenschuhen. Dem gut sitzenden schwarzen Anzug und dem gestärkten weißen Hemd.
Er spannte den Hahn und legte den Finger um den Abzug.
Gott zeigte doch Erbarmen!
Sie sah ihn!
Sie sah sein Gesicht, im Moment ihres Todes. Nur einen Bruchteil der Sekunde, und doch würde sie es nicht vergessen. Niemals!
Der Schuss war dumpf und kaum zu hören.
Er hatte nicht einmal gezuckt dabei. Nicht mal mit der Wimper! Aber die Augen glänzten so seltsam.
Ihr Körper erschlaffte. Ihre Glieder sackten tot herab und ihre Augen fielen zu.
Sie hatte gar nicht wehgetan.
Seine letzte Kugel. Der Todesstoß.
„Jetzt räumt auf!“, bellte aufs Neue die schleimige Stimme. Der Mann von der Schwelle ging.
Das war sie also: Die Hölle!
Man blieb an Ort und Stelle. Reglos und verloren. Gezwungen alles mit anzuhören, was noch geschah. Schmerzen leidend. Wissend das man nichts ausrichten konnte. Nicht mehr!
„Ich mach mich dann mal! Putzen ist nicht so mein Ding!“ ,rief der Junge und sie hörte ihn davonrennen. Sie fühlte die Vibrationen seiner schnellen Schritte über den Boden.
„Stümper!“,knurrte der Mörder. Seine Sachen raschelten und er steckte die Waffe weg.
Aber warum wollte sie weiter atmen?
Merle schnappte tief Luft und brach erneut in Husten aus.
Was ging hier vor?
Sie hörte sein kummervolles Stöhnen. Er fuhr sich durchs Haar und hockte sich zu ihr hin. Seine Finger tasteten nach ihren Wunden. Sie stöhnte von dem Schmerz.
„Halt durch Mädchen!“, sprach er ihr besorgt zu und drückte weiter drauf.
Warum tat er das? Hatte sie noch nicht genug gelitten? Warum zehrte er weiter an ihrem Leid?
Sie stöhnte wieder. Tränen liefen ihre Wangen herab. Er machte weiter und schlag ein Tuch zu eng um ihre Brust.
Merle litt. Tränen liefen über ihr Gesicht, als er sie in die Höhe zog. Er hob sie hoch und trug sie raus. In den stillen Flur auf dem es immer kühler war als überall sonst. Die Kälte linderte kurz die Schmerzen. Seine eiligen Schritte hallten im langen Raum. Das Tuch verhinderte das sie tief atmen konnte, doch es erstickte auch fast das schmerzhafte Zwicken. Dauernd redete er ihr ein sie solle durchhalten.
Bald waren sie draußen.
Vor der Tür umspielte sie ein lauer Wind und ließ sie erleichtert stöhnen. Im nächsten Moment hörte sie ihn eine Autotür öffnen und wurde auf etwas gelegt. Es war zwar weich, doch trotzdem unbequem. Der Rücksitz.
Sie hörte wie er vorne einstieg und den Wagen startete. Das Auto setzte sich in Bewegung. Die Fahrt wurde holprig. Sie waren wohl auf der abgenutzten Straße zum Haus angekommen.
„Hallo Doc! Ich hätte jemanden für dich. Bereite schon mal alles vor!“, hörte sie den Mörder sagen. Hatte er telefoniert? Wahrscheinlich!
Sie hatte keine Ahnung wohin es ging, oder wie lange die Fahrt dauerte. Sie hatte Schmerzen und war sowieso viel zu verwirrt um sich darüber Sorgen zu machen. Aber schließlich hielt der Wagen. Er ließ den Motor laufen und stieg aus. Sie hörte wie er zur hinteren Tür ging. Diese knirschte von der Wucht als er sie aufriss. Seine Hände griffen grob nach ihr. Es tat weh und ließ sie leise stöhnen. Er hob sie wieder auf die Arme und trug sie irgendwohin. Das Geräusch der Brise verschwand und wurde von einem leisem elektronischem Zischen verschluckt.
Ein Haus.
Unter höchster Anstrengung versuchte sie die Augen zu öffnen. Zu sehen wo sie war. Wohin sie der Mann trug.
Weißes Licht blendete sie und sie kniff die Augen wieder zusammen.
„Wir sind fast da!“, flüsterte er ihr zu. Eine Tür knarrte. Er machte eine Biegung.
„Leg sie hin!“, erklang eine fremde Frauenstimme. Sie klang nett.
War sie Ärztin? war sie Doc?
Merle wurde auf kaltes Metall gelegt. Wieder versuchte sie die Augen zu öffnen und musste sie gleich wieder schließen. Sie hatte zwei Schatten über sich gebeugt stehen sehen, zwischen all dem grellen Weiß das sie geblendet hatte. Es war sogar greller als zuvor. Sie fühlte kalten Stahl an ihrer Haut, als knirschend das Band um ihre Brust zerschnitten wurde. Es ließ sie leichter atmen. Leider steigerte es auch wieder den Schmerz beim holen von Luft. Wieder tastete man ihre Wunden. Diesmal vorsichtig, das es nicht so schmerzte. Wahrscheinlich tat es die Frau. Die Finger schienen schlanker. Vielleicht war es aber auch nur die Müdigkeit. Sie wollte eigentlich verdammt gerne schlafen.
„Wer hat sie denn angeschossen?“, fragte die Frau. Merle hörte das Kratzen von Metall, als hätte jemand was von einem Blech genommen. Dann quietschte etwas leise.
Stille entstand. Richtige Stille. Sie atmeten nicht einmal. Merle glaubte schon, sie hätte es sich nur eingebildet, als sie das Rascheln der Kleidung hörte. Etwas kaltes und spitzes kam an eine ihrer Wunden. Merle wimmerte und regte sich, als neuer Schmerz sie durchzuckte. „Halt sie fest!“, rief die Frau. Er tat was die Ärztin sagte und packte ihre Schultern. Für ihn war es wohl ein leichtes sie still zu halten. Aber auch kein Wunder, oder?
Währenddessen bohrte die Frau weiter. Stocherte auch in den anderen Wunden.
„Ist sie dazwischen gelaufen?“, wollte die Frau wissen und legte etwas geräuschvoll ab.
„Gib mir die Pinzette mit der Watte!“, forderte sie den Mann auf. Sie hörte wie er etwas hob und der Frau reichte. Fühlte fast den Schatten der Hände als das Werkzeug den Halter wechselte. Es quietschte.
Merle entspannte sich. Watte war okay. Watte war weich und würde nicht wehtun.
„ Es war Teil des Auftrags!“, antwortete der Mann. Die Frau hielt inne.
„Aber!“, die Frau war völlig verwirrt „ Ich dachte du...“
Die Stille zog sich etwas hin. Bis er sich räusperte. Metall klirrte und quietschte. Die Frau hantierte.
„Aber wie klärst du das mit dem Klienten?“
„War nicht mein Auftrag!“, gab der Mann knapp zurück.
Sie verharrte erneut und atmete widerstrebend durch. „Willst du sie nicht betäuben?“, erklang wieder seine Stimme. Er legte wieder seine Hände auf Merles Schultern und drückte sie ans kalte Metall.
„Keine Zeit!“, gab sie laut Luft holend. Die schlanken Finger tasteten sie wieder. Diesmal war sie allerdings nicht zögerlich. Erneut griff etwas spitzes in die Wunde. Bohrte sich tief ins Fleisch. Merle schrie lauf auf. Was redete die da von keine Zeit? Warum hatte man keine Zeit sie von ihrem Schwerz zu befreien? War die blöde?
Mit einem Ruck zog etwas aus ihrer Wunde. Etwas viel plump aufs Blech.
Merle ließ entkräftet ihre Glieder sinken. Ein frischer Schub Adrenalin ließ die Gliedmaßen unkontrolliert zittern. Sie wimmerte.
Die Frau drückte etwas in die Wunde und rieb. Es war grausam. Wühlte sie mit Stahlwolle darin herum?
„Die Nadel!“, erklang erneut die Frauenstimme. Sie klang nicht nett. Merle hatte sich getäuscht. Die Frau war wie eine Maschine.
Merle hätte wohl geflucht. Sie von sich gestoßen. Wenn sie in der Lage wäre sich zu rühren. So ruckelte sie nur kurz und jammerte. Er streichelte kurz ihr Haar um sie zu beruhigen und reichte der Frau was sie verlangte.
Das Nähen tat nicht weh. Es fühlte sich bloß grotesk an, wenn die Nadel ins Fleisch drang und die Schnur hinterher zog. Aber weh tat es nicht. Weh tat was danach kam. Es rieb etwas an der verletzen Stelle und ließ Merle flehend zerren. Sie weinte. Dann kam ein erneuter Stich. Und wieder dieses schlimme Reiben. Sein Griff erlaubte Merle nicht sich arg zu rühren. Die Bewegungslosigkeit machte es seltsamerweise erträglicher, auch wenn es den Schmerz kaum linderte.
„Ich brauche noch einen!“, rief die Frau mechanisch, während sie einen neuen Stich machte. Wieder ließ seine Hand sie kurz los. Wieder klirrte und quietschte es. Und wieder rieb sie in der Wunde rum.
„War es wieder er?“, fragte die Frau nach geraumen stochern in Merles Wunde. Der Mann blieb stumm. Merle fühlte seinen Atem auf der Schulter. Doch irgendwas schien er getan zu haben den sie entgegnete:“ Zum Glück ist er ein so schlechter Schütze! Keine wichtigen Organe sind arg zugerichtet.“
Ein Schimmer Hoffnung keimte in Merle auf, auch wenn sie am liebsten nur ihre Ruhe wollte. Sagte die Frau sie würde überleben?
Er tastete nach ihren Lippen und drückte ihr etwas in den Mund. Ein Stück Stoff.
„Du hast es gleich!“, flüsterte er ihr zu. Sie wollte es ihm gerne glauben. Auch wenn er ihr Mörder war. Auch seine Stimme war recht angenehm. Das Kratzen gefiel ihr. Es war schön. Es passte zu ihm.
„Ja sind noch zwei!“, fügte die Frau hinzu. Sie wollte wohl ironisch klingen. Oder sarkastisch. Den Unterschied zwischen den Begriffen hatte Merle nie gelernt. War beides Scheiße! Jetzt vor allem.
Die Frau schnaufte schnell durch und die Prozedur begann von vorn, an ihrer zweiten Wunde. Hielt sogar länger an. Merle war fester Überzeugung das sie doppelt so lange dauerte. Dabei arbeitete die Dame ziemlich schnell und rücksichtslos. Stiche und Reiben waren stärker und brutaler als beim ersten Mal.
Nun wusste Merle auch was sie so grässlich leiden ließ. Die Watte. Das weiche Schießding! Das was ihr die Frau dauernd in die Wunden presste und sie schreien ließ vor Schmerz, war die gottverdammte weiche Watte. Das Zeug von dem sie glaubte sich entspannen zu dürfen. Und wieso rieb die so oft in den Wunden rum? Musste das sein? Konnte die nicht einfach nähen und dann erst reiben, oder so!
Der Mann hielt sie bald stärker fest und drängte:“ Beile dich, sie wird schwächer!“
Merle fiepte panisch. Wohin noch schneller? Es tat weh. Wusste er das denn nicht?
Doch Merles Interessen waren hier egal. Die Folterin tat wie ihr befohlen und hantierte schneller. Welch ein Glück das sie auf den Stoff in ihren Mund beißen konnte. So hatte sie wenigstens etwas um das Leiden zu ertragen. Und ihren Hass auf die Frau konnte sie auch den Lappen spüren lassen.
Was würde sie sie gerne anschreien?
Die dritte Wunde ließ Merle nur noch zucken. Sie hatte nicht die Kraft zu Zerren. Ihr war heiß und komisch. Kam es ihr nur so vor, oder klangen die Geräusche alle verzehrt. Als wäre sie nicht wirklich da, sondern hörte das ganze durch ein Radio. Und wo kam dieses Rauschen her? Und das Kribbeln?
Sie begann nach Luft zu schnappen.
„Ella!“, rief der Mann besorgt. Die Frau wurde noch schneller.
„Schnell gib mir die Manschette! Und gleich den Tropf!“, kommandierte sie. Die Wunden waren vergessen. Schubladen flogen auf und Regale klatschten.
Ihr Arm wurde ergriffen. Eine Nadel stach ihr in die Beuge. Es kribbelte seltsam unter der Haut. Am anderen Arm wurde etwas umgeschnallt und gedrückt. Es piepste und der Druck ließ wieder nach.
„Schafft sie es?“
Die Frau gab keine Antwort. Baute den Druck um ihren Arm noch einmal auf und ließ ihn piepsend ab. Sie klatschte ihr auf die Wangen und redete auf sie ein: „Hey nicht schlafen jetzt, hörst du!“ Die Ärztin klang besorgt, also sollte sie besser auf die Frau hören.
Merle wollte nicken, doch es ging nicht. Sie hatte keine Kraft. Ob die Frau wusste, das sie sie verstanden hatte und tat was sie von ihr wollte.
Er nahm ihr den Knebel aus dem Mund und hielt die Hand an ihre Lippen.
“Scheint zu atmen!“, meinte er bald. Seine Hand strich ihr durchs Haar.
Der Druck um ihren Arm kam erneut. Es piepste wieder.
„Der Puls wird wieder besser! Sie ist über den Berg. Fürs erste!“, sagte die Frau, selbst aufatmend.
„Gut!“, meinte der Mann. Es raschelte. „Das ist für dich! Der Rest gehört ihr!“, sagte der Mörder. Merle hörte das Rascheln einer Tüte aus Papier. Einer wohl größeren Tüte.
„Wie heißt sie?“, erkundigte sich die Frau.
„Das weiß ich nicht. Das will ich auch nicht wissen!“, antwortete der Mann. Sie hörte wieder das Auftreten der Herrenschuhe. Die Schritte entfernten sich. Er ging. Ließ sie hier zurück.
Merle war es egal, das er ging. Es war ihr auch egal wohin er ging. Oder wer er war.
Sie würde leben!
Das reichte aus.