Die Chance der Möwe Malwin
Die Chance der Möwe Malwin
Es gab einmal eine Möwe, die lebte an der felsigen Küste eines großen Meeres im Pulk vieler anderer Möwen. Die Möwe hieß Malwin. Malwin war unter seinen Gefährten sehr beliebt. Malwin war stets für die anderen da und schenkte ihnen größte Beachtung, welche bei diesen flatterhaften Geschöpfen keineswegs selbstverständlich ist.
Bei allen Dingen, die Malwin so beliebt machten, hatte er doch ein großes Handicap: Er fand Zeit seines Lebens keinen weiblichen Partner um sich der Natur gemäß fortzupflanzen.
Warum nicht? Nun, Malwin konnte nicht fliegen. Und so fand er nie eine Möwin, die mit ihm alt werden wollte, da alle Möwen-Damen nur fliegenden Männchen zugeneigt waren.
Malwin konnte sich noch so sehr bemühen mit Balz Ritualen auf sich aufmerksam zu machen. Leider Vergebens, denn Möwen, die nicht fliegen können, haben keine Chance, denn sie können keine Nahrung für den Nachwuchs beschaffen und die Familie vor Feinden beschützen.
Malwin war sehr einsam. Obwohl er bei anderen sehr beliebt war, war er doch meist alleine mit sich und seinen Gedanken.
"Ach warum ist das Leben nur so qualvoll? Ich wäre der fürsorglichste Partner, den eine Möwin sich vorstellen könnte. Ich wäre immer für sie und den Nachwuchs da. Was haben nur die anderen Möwen an sich? Sie können zwar fliegen, aber macht sie das zu besseren Geschöpfen? Die meisten sind im Gegenteil sehr flatterhaft und benutzen ihre Freiheit in der Luft um anderen Weibchen nachzufliegen." Malwin hatte öfter diese deprimierenden Gedanken. Er empfand die Welt als grausam und ungerecht. Täglich bat er um eine Chance seine Fürsorglichkeit unter Beweis stellen zu können. Doch ihm wurde klar, daß er fliegen lernen mußte oder keine Chance hätte.
Malwin trainierte hart. Fliegen zu lernen als erwachsene Möwe ist sehr schwer, wenn nicht nahezu unmöglich. Möwen, die als Küken nicht langsam mit ihrer Mutter das fliegen lernen, werden es später nie wagen sich in der Luft fallen zu lassen und seinen Flügelkräften zu vertrauen. Genauso war es bei Malwin. Sein eigenes Selbstvertrauen war derart geschwächt, daß er es nicht schaffte locker und frei durch die Lüfte zu schweben. Malwin sprang von leichten Erhebungen, doch während des Falles krampften seine Flügel reflexartig, daß er es nicht schaffte ein stabiles Gleichgewicht zu finden. Malwin stürzte ab, brach sich des öfteren die Flügel. Trotzdem probierte er es immer und immer wieder, denn nach all den Jahren hatte er gelernt, daß ihm die Grübeleien nicht weiter bringen würden. Er mußte üben und üben, auch wenn es noch so schwierig war.
Eines Tages als Malwin mit seinen Kräften schon beinahe am Ende war und das fliegen lernen aufgeben wollte, traf er während seiner Flugversuche die bezauberndste Möwe, die er je gesehen hatte. Er mußte sie einfach kennenlernen, doch leider flog sie schnell davon. Ohne zu überlegen sprang Malwin von einem Fels über dem Ozean um der sich entfernenden Möwe hinterher zu eilen. In diesem Moment geschah das Unglaubliche: Malwin bemerkte nicht, wie er den Boden unter den Füßen verlor. Instinktiv schlug er rhythmisch mit den Flügeln um sich von der Luft tragen zu lassen. Und siehe da, Malwin stürzte nicht in die Tiefe, er flog. Er hatte es geschafft. Er flatterte durch den Himmel, als habe er nie etwas anderes getan als zu fliegen. Ohne über sein großes Glück nachzudenken flog Malwin der bezaubernden Möwin hinterher. Als er ihr in der Luft begegnete, stellte er ihr nur eine einzige Frage:
"Gibst du mir eine Chance?"