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Die Busfahrt
Ich lehnte mich mit der Stirn an die verregnete Scheibe des Busses. Ich suchte mir zwei Regentropfen aus und schaute ihnen zu wie sie bei der nächsten Linkskurve nach unten rannen. Eine einzelne Träne fand den Weg aus meinen Augenwinkeln und schlich sich meine Wange herunter. In meinen Ohren dröhnte „Hollywood Hills“ aus den Ohrstöpseln und machte alles perfekt. Ich fühlte mich wie in einem Musikvideo von Sunrise Avenue höchstpersönlich.
Aber meine Trauer war nicht gespielt, sondern verdammt echt. Leider. Ich wischte trotzig eine weitere Träne mit meinem Ärmel weg und starrte auf meine Schuhe, die ich auf den gegenüberliegenden Sitzen abgelegt hatte. Zwei verschiedenfarbige Converse Schuhe. Einer schwarz und der andere knallpink. Ich hatte mit meiner besten Freundin je einen getauscht. Also eine Art Feundschaftskettchen oder so. Ich dachte an Lara mit ihren Sommersprossen, ihr herzliches Lachen und ihre rotgefärbten Haare.
Ich lächelte und weinte gleichzeitig. Ich wusste nicht einmal das das ging. Jetzt war es mir egal hier herumzusitzen und zu weinen. Ich hatte immerhin einen guten Grund dafür. Wieso konnte das Leben nicht einmal fair sein? Nur ein einziges Mal würde ich es mir wünschen. Ich senkte den Blick und konzentrierte mich auf meine rosa Fingernägel. So saß ich da, heulte einfach stumm rum und hing meinen Gedanken nach. Hoffentlich würde dieser blöde Bus anhalten. Aber das tat er nicht. Stattdessen setzte sich nach der nächsten Station neben jemand mir gegenüber auf den Doppelsitz, der nicht von meinen Füßen blockiert wurde. Warum setzte sich Jemand genau dahin? Ich wollte einfach in Ruhe gelassen werden, der ganze Bus war frei, Jemand hätte sich locker einen anderen Platz suchen können. Ich strich mir eine braune Locke hinters Gesicht und schaute Jemand an. Jemand war ein Junge mit schwarzen Haaren und stechend blauen Augen. Er musterte mich von oben bis unten. Ich sah wie sich seine Lippen bewegte, weshalb ich der Höflichkeithalber die Kopfhörer rausnahm.
„Wieso weinst du?“, fragte er. Seine Stimme war sanft und rau. Sie klang wie die Synchronsprecherstimme aus einem Film mit Tom Cruise.
„Ich weine doch gar nicht. Ich bin keine Helususe!“ , entgegnete ich trotzig.
Was interessierte er sich denn für mich? Ich sah aus wie ein Kind direkt von der Straße, eigentlich wie der letzte Vollassi, obwohl ich Geld wie Heu daheim liegen hatte. Mit zerrissener Hose, viel zu großem Pulli, verschiedenfarbigen Schuhen und schwarz geschminkten Augen ging ich glatt als ein Grufti durch und normalerweise sprach mich auch nicht gleich jeder an.
Nach einer Weile meinte Jemand: „Weißt du, weinen ist nicht schlimm. Du bist sicher keine Heulsuse.“
Ja, das war nett gewesen. Es tat gut sowas zu hören.
„Mag sein, aber weißt du wie scheiße ich mich fühle? Weißt du wer ich bin oder warum ich hier heulend in einem Bus sitze? Nein!“, motzte ich ihn an.
Ich weiß, das war fies, aber ich konnte jetzt einfach nichts freundliches sagen. Aber anstatt dass der Junge sich wegsetzte blieb er sitzen und starrte mich weiterhin nachdenklich an.
„Hmm“, machte er. Dann schwieg er ein wenig ehe er sagte: „Klar, ich hab keine Ahnung warum du weinst, aber vielleicht erzählst du mir es ja?“
Ich wollte ihm überhaupt nichts erzählen.
Aber irgendetwas an seiner Art hatte mich schon längst überredet es zu tun. Kaum hatte er geendet brach ich in Tränen aus und weinte richtig. Die Tränen flossen in Strömen und ich schmeckte das Salz auf meinen Lippen. Ich erzählte ihm alles, schüttete mein Herz bei ihm aus.
„Wieso?“, fragte ich mich innerlich. Ich kannte den Typen doch null komma null. Aber trotzdem.
Ich saß da, in einem Bus auf dem Weg von New York in Richtung Flughafen. Ich erzählte ihm einfach alles, von meinem Dad, der Geld hatte wie kein anderer, der von mir wollte, dass ich ebenfalls Karriere machte. Von meiner Mum, die mit einem Pablo nach Mexico durchgebrannt war und ich jetzt auf eine Privatschule nach Paris gehen musste, weil weder Mum noch Dad mich bei sich haben wollten.
Jemand wechselte den Platz von mir gegenüber zu neben mir. Er legte den Arm und mich und fragte leise: „Und weshalb sollst du jetzt weg?“
Als er diese Frage stellte zerbrach ich innerlich noch ein Stück mehr. Aber ich packte auch jetzt aus. Ich erklärte ihm, dass es ein Unfall war, als Sammy ertrunken war, als wir feiern waren und mein Dad dachte ich wäre eine Schande für ihn, weil ich dauernd mit „solchen Leuten“ unterwegs war und nur Party machte. Jemand hielt mich im Arm, bis meine Tränen versiegt waren.
„Ich bin mir sicher, dass du nichts damit zu tun hattest. Und auch nicht, dass du eine Enttäuschung bist. Und lass dich auch nicht als Enttäuschung abstempeln, denn das bist du nicht. Keiner ist eine Enttäuschung oder eine Schande. Und auch wenn du aussiehst wie ein Punker,bist du doch nicht assozial.“
Diese Worte, diese Stimme, alles an ihm machte mir Mut.
Dann meinte er: „Ich muss hier raus. Viel Spaß in Paris, die Stadt ist wundervoll!“ Bevor ich etwas sagen konnte war er verschwunden. Als ich mich aufrecht hinsetzte, bemerkte ich, dass auf seinem Platz ein Zettelchen lag.
„Ruf mich an, Jacob“ Jacob murmelte ich und ließ das Wort, seinen Namen auf der Zunge zergehen. Unter dem Satz stand eine Telefonnummer. Mit neuem Mut und neuer Hoffnung stieg ich am New Yorker Flughafen aus. Den Zettel stopfte ich in meine Jackentasche. Und ich würde in anrufen, da war ich mir sicher.