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Die Briefe des Elphias Warenne
Dies sind die Briefe des Elphias Warenne, die ich in einer gut verschlossenen Kiste im Nachlass meines Vaters entdeckt habe. Der Name war mir gänzlich unbekannt, weshalb ich mich an meine Mutter wandte, doch sie wollte nichts preisgeben und bat mich, meinen Fund ungelesen zu verbrennen. Diesen Wunsch konnte ich ihr nicht erfüllen – meine Neugier war zu groß. Nun kann ich nicht sagen, was damals wirklich vorgefallen ist, doch ich habe die Adresse auf den Briefen unkenntlich gemacht und vielleicht werde ich sie doch verbrennen. Denn eines fand ich heraus, als ich weiter nachforschte: Das Haus der Familie Warenne steht noch immer.
Lieber Freund,
es ist so weit! Ich habe mich Mary endlich geschlagen gegeben. Wir werden noch vor der Hochzeit zusammenziehen! Das ist ungewöhnlich, ich weiß. Doch wir sind uns einig, dass es einige Dinge vereinfachen wird, so werden wir nicht gleich nach der Hochzeitsreise mit diesen Sachen überrumpelt. Du weißt, ich habe mich einige Wochen quergestellt, was aber mehr der Gewohnheit als einer rationalen Einstellung zulasten kommt. Wie du weißt, habe ich das Haus meiner Familie nie für eine längere Frist als einen Urlaub verlassen und auch nie derartiges angestrebt. Denn abgesehen davon, dass es ein äußerst altes und trotzdem wunderschönes Haus ist, ist es doch auch der Ort, in dem sich mein bisheriges Leben abspielte. Nicht nur, freilich, doch es war immer der Fixpunkt, der sichere Hafen, der mich stets geborgen hütete, auch wenn ich von einem unserer langen Abende zurückkehrte. Doch nach nun etwas mehr als zwanzig Jahren ist damit Schluss und ich werde ausziehen.
Es ist ein seltsames Gefühl – als würde eine Ära vorbeigehen. Natürlich ist es Unsinn, solch epische Begriffe zu verwenden, da ich noch nicht einmal im mittleren Alter bin. Doch für mich persönlich: ja, da darf ich sagen, wird es ein neues Zeitalter werden. Anstatt unter der Knute meiner Eltern unter der von Mary, wirst du wohl witzeln und ich kann mir dein Lächeln schon ausmalen, während du diese Zeilen liest.
Frohlockende Grüße,
Elphias
Liebster Freund,
ich würde dir gerne schreiben, wie gut und rasch alles vonstattengeht, doch ich muss leider sagen, dass das nicht so ist. Man sollte eigentlich meinen, mit siebenundzwanzig Jahren sei man in der Lage, seine wertgeschätzten Sachen in Ordnung zu halten, doch mir scheint, als hätte ich die letzten Wochen oder gar Monate eine besondere, nahezu kindische Unsauberkeit an den Tag gelegt. Bei nun beinah jeder Kiste, die ich packen wollte, fiel mir im letzten Moment auf, dass etwas fehlte. Zunächst das alte und einzige Bild meiner Großmutter, das ich dann hinter einer Kommode fand. Dann fehlte mir meine Urkunde von der Universität Onsmouth. Nicht auszudenken! Ich konnte sie glücklicherweise zwischen uralten Schulunterlagen von mir wiederfinden, ehe es mein Vater bemerkte. Du weißt, wie genau er in diesen Dingen ist – zu Recht! – und er hätte mich trotz meines Alters wohl ordentlich langgemacht. Wie meine wichtige und viel neuere Urkunde bei meinen alten Sachen, die eigentlich weggeworfen werden sollen, gelandet ist, das kann ich dir nicht sagen. Wahrscheinlich habe ich das Dokument an einem heißen Tag ohne nachzudenken abgelegt. Stell dir vor, ich hätte die Urkunde weggeworfen! Mein Auszug hätte wohl noch länger gedauert als ohnehin schon.
Mary nimmt es gelassen, sie findet es sogar äußerst unterhaltsam, wie unbeholfen ich mich anstelle. Oh, das werden wohl schöne Kaffeestunden mit ihren Freundinnen, wenn sie von ihrem tollpatschigen Verlobten spricht. Da hilft mir nur Durchatmen.
Aber was am schlimmsten ist und ich muss befürchten, dass du mir nun zornig werden wirst: ich habe unseren Vertrag verlegt. Unser kleiner Geheimbund, den wir vor einigen Jahren gegründet haben, unsere kleine, eigene Loge in Onsmouth. Ich weiß ja auch, dass das mehr ein jugendlicher Streich von uns war und wir mit einigen Flugblättern Irritationen an der Uni hervorrufen wollten. Aber den sentimentalen Wert des Blatts mit den ganzen Unterschriften schätze ich hoch ein! Ich hoffe unbedingt, ich werde es die nächsten Tage wiederfinden!
Geschäftige (!) Grüße,
Elphias
P.S.: Ich habe unterschätzt, wie anstrengend ein Umzug ist.
Liebster Freund,
ich habe unsere Geheimurkunde wiedergefunden! So eine gute Nachricht will vorweg gesagt sein, auch wenn ich vortäuschen musste, ich würde nach anderen Dingen suchen. Zwei Tage hat es gebraucht, bis ich wirklich in der hintersten Ecke des Dachgeschosses die Urkunde gefunden habe. Es ist mir ein Rätsel, wie auch immer sie dorthin gelangt ist.
Leider ist mir beim Packen die alte Vase zerbrochen, die mein Onkel einst aus dem fernen Osten mitgebracht hat. Eine schmerzliche Sache und ich hätte weinen können, als ich die Scherben auf dem Boden gesehen habe. Meine Eltern haben mich ermuntert, weiterzumachen und wollten mir dann beim weiteren Packen helfen. Ich lief hin und her, versuchte meine Gedanken wieder zusammenzukriegen und die vor mir liegenden Dinge zu organisieren. Doch an diesem Tag schaffte ich nichts mehr.
Das Schlimmste daran war, dass ich gar nicht erklären konnte, wie das geschehen war. Gerade wollte ich diese wunderschöne Kunstarbeit in die ausgelegte Kiste legen, da war alles … verschwommen, als würde ich auf einem Schiff stehen. Freilich, das Haus wird nicht gewackelt haben, sondern ich. Wahrscheinlich ein Schwächeanfall, es war ein warmer Tag und ich habe wenig getrunken.
Ich dachte kurz darüber nach, es nun etwas langsamer beim Auszug anzugehen, doch jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, habe ich dieses kindische Zögern wieder abgelegt. Meine Güte, ich lasse mich doch nicht von so ein paar Kleinigkeiten aufhalten.
Herzlichste Grüße,
Elphias
Liebster Freund,
es ist doch wie verhext. Endlich hatte ich alle meine Kisten beisammen und war mir endlich sicher, auch alles, was mir wichtig war, aufgefunden zu haben. Dass mir dabei noch eine Lampe zerbrochen ist und ein Buch nach einem ungeschickten Handgriff halb aus dem Einband gerissen ist … nun, damit könnte ich noch leben.
Es hat letzte Nacht heftig gestürmt und eine Stelle im Dach ist undicht geworden – genau dort, wo meine Sachen standen. Das Wasser hat sich seinen Weg durch das Loch im Dach gebahnt und jetzt sind die meisten meiner Kisten aufgeschwemmt. Glücklicherweise sind nur wenige Sachen darin gewesen, die wasserempfindlich sind, sodass nichts zerstört wurde. Doch nun müssen wir auf neue Umzugskisten warten, denn die alten würden auseinanderfallen, höbe man sie nun an. Eine elendige Geschichte. Mary hat vorgeschlagen, bereits die Sachen holen zu lassen, die abreisebereit sind, doch das bringt mich ja auch kaum weiter. Mittlerweile ist sie ebenfalls etwas ernüchtert. Hinzu kommt, dass ich seit Tagen schlecht schlafe, wenn überhaupt. Mir wird dieses alte, wenn auch schöne, Haus mit seinen knarrenden Dielen und knarzenden Treppenstufen allmählich leidig. Aber gut, es kann nur alles eine Frage der Zeit sein, bis der Auszug endlich geschafft ist.
Was mich nur stutzig macht: mein Vater ist sehr genau, was das Haus anbelangt. Er schätzt es sehr und hat Wände, Böden und auch das Dach beinah dreimal so oft reparieren und begutachten lassen, wie eigentlich notwendig. Dass dennoch und ausgerechnet jetzt eine Stelle gegen den Regen undicht wird … Vater meinte aber, dass solche Dinge bei älteren Häusern immer möglich seien.
Angestrengte Grüße,
Elphias
Mein teurer Freund,
allmählich zweifle ich. Ich kann mir nicht mehr sicher sein, dass jene Dinge meiner eigenen Tollpatschigkeit oder dem Unglück allein entspringen. Wir mussten, aufgrund dieses verfluchten Dachschadens, meine Sachen kurzfristig umsortieren, da haben wir alles ins derzeit leere Gästezimmer gestellt. Alles an einem Ort, schlicht und schnell. Und jetzt? Die neuen Kisten sind da … und es geht wieder los. Das Bild meiner Großmutter, die Urkunde von Onsmouth, unser Geheimvertrag: weg. Banales, Offizielles, Sentimentales – es scheint, als wolle mich ein geschickter Stratege auf allen Ebenen treffen.
Wahrscheinlich glaubst du langsam, ich wolle gar nicht ausziehen. Dass diese „Zufälle“ Ausdrücke meines unterdrückten Wunsches sind, den Zustand der letzten siebenundzwanzig Jahre beizubehalten und das gute Elternhaus niemals zu verlassen. Doch je mehr hier geschieht, je mehr ich … aufgehalten werde, desto mehr wünsche ich mir gerade, fortzukommen.
Ich glaube, dass das Haus dunkler wird. Man betritt ein Zimmer und es ist stockdunkel, obwohl durch das Fenster helles Licht hereinfällt. Ich laufe zwischen den Möbeln umher und meine Augen gewöhnen sich nur langsam an dieses seltsame Zwielicht. Wenn etwas auf den Boden fällt hilft nur Tasten oder eigens eine Lampe zu entzünden. Und selbst dann … inmitten dieses alten, so gut erhaltenen, viktorianischen Gebäudes flackern die Lampen. Jedes zweite Mal, wenn ich einen Raum betrete, geht das Licht aus und ich muss es erst mit Mühe neu entfachen. Du denkst, dass alte Häuser solche Eigenheiten haben könnten? Dass mir das einfach noch nie aufgefallen sei? Das mag sein, doch meine Nerven beruhigt es nicht. Nachts liege ich wach und ich höre, wie das alte Holz noch immer arbeitet, als ob das Haus …
Ich werde hier nicht weiterschreiben; ich glaube, ich schreibe mich in Rage. Diesen Brief schicke ich wohl besser nicht ab, du wirst mir wohl sonst noch einen Arzt ins Haus bestellen.
Elphias
P.S.: Ich schicke den Brief doch ab – warum sollte ich Geheimnisse vor dir haben, schließlich kennen wir uns so lange. Nimm nur bitte nicht alles für bare Münze, ich habe mich mittlerweile wieder etwas gefangen.
Mein lieber Freund,
es wird eine Weile her sein, seit du den letzten Brief erhalten hast. Das liegt nicht daran, dass ich nicht an dich gedacht hätte oder es nichts zu schreiben gegeben hätte. Aber seltsame Ereignisse haben mich auf Trab gehalten. Den ersten Brief, den ich vor anderthalb Wochen begonnen hatte, verlor ich: Während ich schrieb, schlug plötzlich das Fenster auf und ein Windstoß riss meinen Entwurf nach draußen. Ein elendes Pech. Ich setzte mich sodann wieder hin und schrieb weiter – das Fenster wieder gut verschlossen. Doch gerade war ich fertig, da fiel das Tintenfässchen um und das Schwarz hat sich über die gesamte Seite ergossen. Ich konnte eigentlich gar nicht gegen das Gefäß gekommen sein, doch irgendwie … war es nun mal geschehen. Allerdings hatte ich nun genug und ließ es erst einmal dabei bewenden.
Am nächsten Tag habe ich mich wieder hingesetzt und die ersten Zeilen geschrieben, da wurde es Zeit für das Mittagessen und ich ließ meinen Entwurf liegen. Als ich wiederkam, war der Brief weg. Das Fenster war noch geschlossen, also begann ich, in meinem Büro zu suchen, bis ich schließlich nur eine Handvoll Schnipsel fand. Irgendwie musste der Zettel vom Tisch gerauscht und an ein paar Unebenheiten des Holzes und einem vorstehenden Nagel hängen geblieben … und zerrissen worden sein. Etwas ermattet setzte ich mich wieder hin, begann zum vierten Mal. Das Licht ging aus. Ich sah nach der Lampe, da zerbrach sie in meinen Händen und ich schnitt mich an den Scherben.
Drei Tage lang konnte ich nichts tun, was auch nur einen Hauch Feinmotorik benötigte, dann war ich wieder in der Lage zu schreiben. Ich ging also entschlossen in mein Zimmer, da sah ich … wie sich etwas bewegte. Unter dem Tisch. Langsam sah ich nach, mochte es doch mit Sicherheit eine Maus sein.
Nichts. Da war nichts. Also setzte ich mich an den Tisch, als ich wieder eine Bewegung sah. In meinem Augenwinkel: am Fenster. Vorsichtig schritt ich dorthin und erwartete, einen Vogel auf dem Fensterbrett zu sehen.
Nichts. Wieder nichts. Verdutzt setzte ich mich an meinen Schreibtisch und tunkte den Federkiel in die Tinte. Gerade als ich die Spitze über das Papier führte und mich bereitmachte, sie anzusetzen … da hörte ich es. Es war kein Knarren des alten Holzes. Es waren auch nicht meine Eltern, denn diese waren ausgegangen. Es war auch keine Maus.
Es war ein tiefes Stöhnen. Mit hohlem Klang und weit entfernt, wie aus einem Brunnenschacht. Und es vermittelte ein Gefühl: es war etwas Weggeworfenes; ins Brackwasser eines alten, nicht mehr benutzten Brunnens gestoßen. Ein Stöhnen, das mir die Haare zu Berge stehen ließ. Doch es war nicht weit weg. Es war direkt hinter meinem Kopf.
Ich brauche wohl nicht sagen, dass ich mit einem Schrei herumgefahren bin und hektisch den Raum nach der Quelle dieses seltsamen Geräuschs abgesucht habe. Doch da war nichts. Ich schritt sodann alle Zimmer unseres Hauses ab, auch den alten, kleinen Keller, in dem wenig mehr lagert als etwas Wein. Aber ich war allein.
Von besagtem Wein nahm ich eine Flasche mit nach oben und trank sie binnen weniger Minuten mit zittriger Hand aus.
Nach diesem Erlebnis habe ich etwas gezögert, einen neuen Brief zu beginnen. Ein seltsames Gefühl beschlich mich fortan, wenn ich nur zur Tür meines Arbeitsraumes blickte. Wie ein Kind, das sich vor dem Keller fürchtet, begann ich, dieses Zimmer zu meiden. Darin zwischengelagerte Sachen holte ich nicht heraus, um sie nun wieder zu verpacken, wofür ich mir allerlei Ausreden einfallen ließ. Meine Eltern waren sehr verärgert, doch ich konnte mich nicht überwinden …
Bis jetzt. Und jetzt ist doch alles gut. Ich schreibe einen Brief und das Haus frisst mich nicht auf.
Liebste Grüße,
Elphias
Mein Freund,
ich bin bettlägerig und musste lange mit mir kämpfen, dass ich dir diesen Brief schreibe. Wir hatten gerade begonnen, die ersten Kisten in den Wagen meiner angehenden Schwiegereltern zu verladen, da fing es an zu regnen. Nun einmal bei der Arbeit wollte ich nicht aufhören – du hast gelesen, welche Anstrengungen es bis zu diesem Schritt benötigt hatte. Doch zum Regen war bald ein heftiger Wind hinzugekommen und durchnässt wankte ich immer wieder zum Haus und zurück. Man verstand kaum sein eigenes Wort und ich fühlte mich wie ein Walfänger, der den Sturm trotzend über die Planken seines Schiffes wankte. Und jedes Mal, wenn ich in unser altes Haus trat, hörte ich diese Stimme, diese tiefe Verzweiflung … Oh, wenn es doch nur das alte Gemäuer gewesen wäre, das ich hörte.
Schließlich war der Wagen voll und meine Schwiegereltern in spe fuhren los. Erschöpft ging ich in mein Zimmer, wo mein Fenster sich weigerte zu schließen. Schreckliche Geräusche des pfeifenden Windes krochen durch das Holz, um mir den Schlaf zu rauben.
Wir beließen es für den Tag dabei und am nächsten Morgen erwachte ich mit schmerzenden Gliedern und überhitztem Gemüt. Fieber und Erkältung binden mich seitdem ans Bett. Und jede Nacht höre ich, wie das Holz arbeitet, ja, wie das ganze Haus arbeitet. Es hat einen Plan, mein Freund. Mit mir.
Elphias
Mein Freund,
ich habe einen Fehler gemacht. Allmählich auf dem Wege der Besserung, sicher auch dank deiner warmen Worte und Genesungswünsche, machte ich meinem Vater gegenüber Andeutungen, dass das Haus nicht wolle, dass ich ging. Er hat laut zu zetern begonnen, was ich mir einbilden würde. Meine Hirngespinste hat er verlacht und zornig war er, weil er dachte, ich würde die Verlobung lösen wollen, die sowohl aus Liebe als auch des Standes wegen perfekt ist. Dass es darum nicht ging, ignorierte er oder konnte es gar nicht erst erfassen. Doch er hatte nicht gesehen, was ich gesehen hatte, nicht gehört, was ich gehört hatte. Er lebte schon immer hier und ihm hatte das Haus nie etwas Böses gewollt. Und so zwang er mich hinaus, ein Spaziergang oder etwas dergleichen sollte es werden. Auf den Stufen zu unserer Haustür stolperte ich und liege nun mit gebrochenem Bein wieder im Bett.
Muss ich sagen, was ich denke? Was ich weiß? In den Schatten zu meinen Füßen hatte sich etwas bewegt. Das Holz wich mir aus und mein sicherer Tritt über die Stufen, die ich zehntausende Male beschritten hatte, ging fehl! Und konnte es ein Zufall gewesen sein, dass ausgerechnet da, wo mein Fuß landete, eine morsche Stelle war, die einbrach, mich umklammerte und so durch den Winkel meines Sturzes den Knochen brach?
Mein Vater lachte erst. Doch jetzt schweigt er. Wird mir wahrscheinlich bald einen Arzt bestellen und nicht nur für das Bein.
Mein liebster Freund, du glaubst mir doch?
Flehentlich,
Elphias
Saihple,
niella thcin nib hcI. tbel suaH saD. hcis negeweb nettahcS. Zruk run ebierhcs hcI. neguA nebah ednäW eid
,dnuerF nieM.
Mein Freund,
das Unheil lässt nicht ab. Ein Arzt war hier, auf Bitten meines Vaters. Zunächst war ich zögerlich, doch dann habe ich immer mehr offenbart. Zum Schluss hatte ich ihm alle meine Sorgen vermittelt – hoffend, dass er meine Verlegung beschließen würde. Dass ich herauskommen würde aus diesem Hexenhaus.
Doch nein, es soll nicht sein. Er hat gesagt, ich müsse hierbleiben! Bis ich „überzeugt“ wäre, dass es hier gar kein Unheil gebe. Er hat gesagt, das wäre das Beste für meine Psyche! Was für ein Schwachsinn!
Ich habe seit Tagen nicht mehr geschlafen! Nachts knarrt das Gebälk und ich spüre Bewegungen unter mir. Das Bett vibriert, schaukelt hin und her. Dieses Haus will mich einlullen, bis ich vergesse, was es mir angetan hat und jederzeit noch antun könnte! Ich bin in Lebensgefahr!
Elphias
Mein Freund,
es ist geschafft. Vollbracht will ich sagen und noch größere Worte heraussuchen, um diesen Akt zu beschreiben. Es regnete, stürmte und das Haus krakeelte in seinen schlimmsten Tönen. Mein Kopf drohte unter all diesem Lärm zu zerbrechen und ich spürte meinen letzten Willen – ein letztes Mal dieses schreckliche Gebäude zu verlassen – schwinden. Es war, als würde all das Grauen Sturm laufen gegen die Bastion, die ich meinen Verstand nenne. Mit aller Kraft habe ich mich aus dem Bett geworfen und geschrien, als mein gebrochenes Bein auf den Boden aufschlug. Doch in dem Donner von draußen und noch schlimmer, der Kakophonie des Hauses verstand man nichts. Balken ächzten, Läden wurden auf und zugeschlagen, Scheiben zerschlagen. Ich rief nach meinen Eltern, doch sie schien der ewig-süße Dämmerschlaf einer anderen Welt gepackt zu haben. Sie reagierten nicht. Angst beschlich mich, doch ich hatte keine Zeit nach ihnen zu sehen. Im Dunkeln meinte ich kalte Fühler an meinen Armen zu spüren; dünne Seile, die sich über sie zogen und festzurrten.
Doch ich riss mich frei, zog mich vorwärts. Jeder Meter war ein Kampf und bei jedem Griff schossen Splitter aus den Balken am Boden und bohrten sich in meine Hände hinein. Meine leichte Bettbekleidung hing bald in Fetzen – doch ich gab nicht auf! Nein, ich schrie gegen den Lärm des Hauses an: Elphias Warenne wird nicht nachgeben!
Zerfetzt, zerrissen und geschunden erreichte ich die Haustür, schlug sie auf und rollte mich über die verfluchte Treppe ins Freie.
Regen schlug mir ins Gesicht und obwohl mein Bein mit einem lauten Knirschen aufkam spürte ich nur tiefste Erleichterung – im Matsch vor der Tür meines einstigen Zuhauses, das mir nun keine Zuflucht mehr war. Dann kämpfte ich mich weiter, verschlammt und verdreckt, bis auf die Hauptstraße.
Dort fand mich schließlich ein älteres Ehepaar. Sie stoppten ihr Automobil und luden mich ein. Dann verlor ich mein Bewusstsein und erwachte erst am nächsten Morgen in einem Krankenhaus.
Ich tischte ihnen eine Geschichte auf, dass ich nachts entführt worden sei, mich aber aus dem Automobil der Verbrecher hinauswerfen konnte, ehe diese beseelten Menschen mich gefunden hatten. Man sagte mir, ich könne tatsächlich noch am selben Tage entlassen werden, wenn ich das Bett hüten würde. Also ließ ich mir einen Fahrer bestellen und auf schnellstem Wege brachte der Mann mich mit seinem Wagen zu meiner geliebten Mary und ich sank so tief in ihre Arme wie noch nie vorher in diesem Leben.
Meine Eltern sind schockiert von meiner Flucht, doch versuchen sie nicht, mich in dieses schreckliche Haus zurück zu holen. Und ich bin jetzt sicher. Meine Sachen werden nach und nach gebracht und endlich habe ich die Ruhe und den Frieden gefunden. In zwei Wochen werde ich wieder arbeiten können und dann nimmt dieses Leben endlich wieder seinen gewohnten Lauf.
Frohlockend,
Elphias
Mein guter Freund,
mit großer Freude möchte ich dich zur Hochzeit von Mary und mir am 20. Juli einladen. Natürlich wird dich bald, womöglich sogar vor diesem Brief, unsere offizielle Einladung erreichen, wie sie alle anderen erreicht. Dir möchte ich aber gesondert danken – du hast den Glauben an mich nicht verloren, auch wenn die letzten Wochen sonderbar waren … sogar grausam. Doch das liegt jetzt endlich hinter mir und ich kann nach vorne sehen. Alles ist sortiert, ich bin voll und ganz frei. Frei, mich Mary zu unterwerfen, wie du wohl endlich witzeln kannst. Und ich bin froh darum. Es ist so vieles geschafft.
Herzliche Grüße,
Elphias
Mein Freund,
Glück verweilt nur kurz in diesen Tagen. Ich schreibe dir mit zittriger Hand, während ein bitterer Belag meine Zunge lähmt. Als würde mein Herz nur noch halb schlagen, dauert alles, was ich tue, eine Ewigkeit.
Meine Mutter ist gestorben. Sie ist die Treppe zum Keller hinuntergestürzt. Sagte der Arzt. Das Licht wäre wohl plötzlich ausgegangen. Und dann ist sie gestürzt, hat sich das Genick gebrochen. Meine Mutter ist tot.
Mein Freund, was soll ich tun? Natürlich gehe ich zur Trauerfeier, werde mir aber ein Zimmer in einem Hotel mieten. Nichts wird mich dazu bringen, jemals wieder in diesem schrecklichen Hexenhaus zu übernachten.
Elphias
Mein Freund,
du hast mich bei der Trauerfeier in unserem Haus gesehen. Mein blasses Gesicht – doch ich konnte dir nicht sagen, was ich gesehen habe. Ich konnte nichts riskieren, denn ich fürchte nicht mehr nur um mich. Ich weiß, was passieren kann, und ich weiß auch, was passieren wird.
Wir standen alle am offenen Sarg meiner Mutter, mein Vater mir gegenüber und mein Blick fiel auf seinen Schatten. Dahingestreckt lag er auf dem Boden. Und ich sah einen weiteren Schatten über ihm thronen. Es war das Regal … sein Schatten breitete sich aus, wallte über den gesamten Boden. Und verschlang den meines Vaters.
Was dann kam, weißt du! Das Regal ist umgestürzt. Alle glauben, jemand muss dagegen gekommen sein. Doch ich habe es gesehen! Da war niemand! Es ist einfach so gefallen – oder vielmehr von etwas gestoßen worden, das wir nicht erkennen können! Mein Vater konnte rechtzeitig ausweichen. Diesmal, mein Freund. Ich weiß, was das bedeutet und welche Entscheidung ich zu fällen habe. Es macht mir Angst und vielleicht wird es in einer Katastrophe enden. Doch kann ich zulassen, dass mein Vater stirbt? Nein – das würde ich nicht ertragen. Es würde ewig auf meiner Seele lasten.
Meiner Verlobten habe ich erklärt, dass wir bald zu meinem Vater ziehen müssen. Ich habe ihr erklärt, dass der alte Mann es bald nicht mehr alleine schaffen würde, und ihr damit sogar etwas Wahrheit zugemutet. Sie weiß nur wenig von dem, was ich weiß. Und vielleicht wird dieses Nicht-Wissen ihr helfen, das Los zu ertragen, das uns zugeteilt wurde.
Grüße,
Elphias
Mein Freund,
der Umzug ging schneller, als ich es mir gewünscht habe. Jede Kiste habe ich bedacht und langsam gepackt, immer den Kurierfahrer dreimal gefragt, ob denn alles sicher verstaut wäre. Stets noch einmal selbst nachgeschaut und nicht unabsichtlich das eine oder andere verloren und langwierig „gesucht“. Doch es half nichts. Eine Woche – und nun steht alles wieder in meinem alten Familiensitz. Diesem prachtvollen, viktorianischen Bau. Seine Schnörkel ekeln mich an, diese elegante Architektur, dieser ach so schöne Aufgang zum Haus. Alles ein Trugbild von Schönheit; das wohl schönste Gefängnis, das es gibt.
Mary und Vater verstehen sich und haben sich beide arrangiert. Nur ich weiß, dass diese Wohngemeinschaft keine natürliche ist und dass wir niemals hier sein sollten. Keiner von uns. Doch … was soll ich tun? Ihnen die Wahrheit sagen? Wer würde mir schon glauben, nach all den Zusammenbrüchen?
Ich kann nur hoffen, dass sich die Wirklichkeit als barmherziger erweist, als ich es befürchte. Dass das Grauen sich zurückzieht, wenn man sich ihm ergibt. Dass ich nachts nichts mehr höre.
Grüße,
Elphias
Mein Freund,
ich habe dir nun einige Zeit nicht geschrieben, dafür muss ich mich entschuldigen. Einige Ausbesserungen standen noch seit dem Sturm an, außerdem musste natürlich ein neues Regal für das Wohnzimmer her. Schließlich haben wir alle Lampen repariert. Wir haben uns hier nun gut zu dritt eingelebt, mein Vater ist sehr glücklich, dass wir zu ihm gekommen sind.
Ich bin mir endlich sicher, meine Ängste überwunden zu haben. Es muss wohl einiges zusammengekommen sein, das sagt auch der Arzt. Nervliche Überreizung, Stress, später der Trauerfall. Kein Wunder also, dass ich allerlei Dinge gesehen habe, die natürlich nicht da waren. Aber jetzt geht es mir so gut wie noch nie! Ich liebe dieses Haus. Es ist so schön hier und ich mag das Knarren der alten Balken. Da weiß man, dass das kein Haus wie jedes andere ist. Es ist fast, als würde ein treuer Kater schnurrend im Bett liegen. Man weiß einfach, man ist nicht allein.
Ich würde dich und deine Frau gerne einladen, uns bald besuchen zu kommen. Wir haben das Gästezimmer wiederhergerichtet und ihr werdet euch so wohlfühlen, dass ihr gar nicht mehr heimwollt, das verspreche ich euch!
Liebste Grüße,
Elphias Warenne