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Die brennenden Hügel
Frei, dieses Wort bekam ich in den letzten 24 Stunden oft zu hören. Das ich gehen kann, wohin ich will. Das niemand mehr über mein Leben bestimmt, mir sagt, was ich zu tun und zu lassen habe. Doch ich kann das kaum begreifen, ich weiß gar nicht mal ob ich das schaffe, frei zu leben. Mein ganzes Leben lang haben Menschen über mich entschieden, ich musste so hart arbeiten wie drei weiße Männer zusammen und was bekam ich dafür? Wenn es gut lief, bekam ich wie ein Hund ein paar kalte Reste vom Sonntagsbraten hingeschmissen, es machte Mr. Smith Spaß mich zu zwingen vom Boden zu essen und sich über den zurückgebliebenen, kleinen Negerjungen lustig zu machen. Das er so immer wieder bewies, dass er die einzige zurückgebliebene Person von uns beiden war, war ihm nie bewusst.
Ich sitze neben ein paar Yankees und schaue runter auf Kingsport, oder eher das, was die Nordstaatler davon übrig gelassen haben. Eine riesige, pechschwarze Rauchschwade kommt aus der Stadt, das erinnert mich an eine Geschichte, die mir Mama erzählt hat, als sie noch da war. Die Geschichte von Sodom und Gomorrha, die Städte, die von Gott zerstört wurden, weil die Menschen dort verdorben waren. Wiederholt sich das hier jetzt? Hat Gott uns die Yankees geschickt, damit diese Menschen bestraft werden? Aber wo war dann Gott als Mr. Smith Mama betatscht hat als Mrs. Smith bei Freunden war, als sie einen Tritt in den Bauch bekam, weil sie versehentlich ein wenig Wasser auf den Sohn von Mr. Smith geschüttet hat oder als sie die Grausamkeit dieser „Menschen“ nicht mehr ausgehalten hat und weggerannt ist? Hätte sie mich mitgenommen, oder wenigstens umgebracht, könnte ich sie jetzt noch so lieben wie früher …
Wir machen uns auf den Weg, es wird ein langer Marsch werden bis zu einem Bahnhof, der noch funktioniert. Der die Yankees und mich mit ihnen aus Tennessee wegbringt und in die herrlichen Nordstaaten fährt, wo ich eine Zukunft hätte, wie viele von ihnen zu mir sagen. Neben den Weg liegen entstellte Leichen, Männer, aber auch Frauen und Kinder. Eine ganze Familie liegt beieinander, der Mann, die Frau und ein Kind. das Kind hat eine riesige Wunde auf dem Bauch, es ist, oder war eher, ein schöner Bursche, blondes, lockiges Engelshaar. Vielleicht wäre er Künstler geworden, oder ein Musiker? Man wird es nie herausfinden, die Yankees haben ihn genauso umgebracht wie seine Eltern, schließlich ist er ein verdammter Redneck und wird genauso werden wie seine Eltern, oder?! Mir wird schlecht bei den Leichenbergen und wie sie zugerichtet worden sind, mag sein, dass viele von ihnen ekelhafte Bastarde waren, aber sowas haben sie doch nicht verdient! Das kann unmöglich Gottes Wille sein, dass die Yankees ihnen sowas antun, vor allem den Kindern? Ich dachte immer es würde mein Herz mit Freude erfüllen wenn ich eines Tages sehen würde, wie Mr. Smith, seine Frau und noch sein ekelhaftes, verzogenes Gör so behandelt werden würden, so oft hab ich ihnen das gewünscht, heute bin ich schockiert darüber, wie sadistisch ich war.
Nachdem ich es schaffte, aus der noblen Ranch zu fliehen, die solange mein Zuhause/Gefängnis war und ich auf den Marktplatz rannte, den feindlichen Soldaten entgegen, das sie mich endlich von diesem Leben befreiten, sei es durch einen Schuss durch den Kopf, sah ich die Szene, die ich mir so oft erträumt hatte: Mr Smith, mit dem Gesicht zur Wand, vor ihm ein Yankee, der ihm mit einem einzigen Schuss den Schädel wegbließ. Seine Frau, die von Soldaten fest gehalten wurde, schrie wie am Spieß, das Kind weinte so bitterlich, dass ich es am liebsten in den Arm genommen hätte. Es erfüllte mein Herz nicht mit Freude, sondern mit der Erkenntnis, dass sie fast genauso schlimm sind wie die Südstaatler! Alle lagen sie tot am Boden, der Bürgermeister, der Schuldirektor, der Tischler und der Metzger, sie alle wurden an diesem Tag hingerichtet! Ein Hoch auf die glorreichen Nordstaaten, die so viel besser sind als der ekelhafte Süden!
Doch ich muss diesen Anblick ertragen, ich will mich nicht durch Rumheulerei unbeliebt machen bei meinen „Rettern“. Unsere Gruppe kommt an einen Flüchtlingstrack vorbei. Diese Menschen sind dem sicheren Tod nochmal entkommen, doch bei ihrem Anblick frage ich mich, ob es so gut für sie ist, das sie noch leben. Ihnen steht dieser Krieg ins Gesicht geschrieben, verstört, unfähig klar zu denken, sie haben zu viel gesehen, was sie nicht verarbeiten können. Manche von ihnen haben Rußflecken im Gesicht, neben ihnen hat vielleicht ´ne Kanone eingeschlagen, nach so einem Knall werden ihre Ohren nutzlos für sie sein. Sie tragen zerrissene Kleidung und schleppen in einem kleinen Wägelchen ihre Kinder und das, was ihnen geblieben ist, hinterher. Wo wollen sie hin, was soll nur aus ihnen werden? Die Großen laufen genauso verstört an den Händen von Mami und Papi mit, werden sie je wieder mit ihrem Lachen die Herzen anderer Leute erfreuen? Werden sie je wieder mit anderen spielen, wie als ob nie etwas passiert wäre? Ich weiß es nicht.
Was wohl aus Mrs. Smith und dem Kind geworden ist? Vielleicht vergnügen sich gerade ein paar Yankees mit ihr, so wie sie es schon in anderen Städten mit vielen Frauen gemacht haben. Das Kind, vielleicht wird es von nem Nordstaatler adoptiert und hat vielleicht doch eine Chance auf ein gescheites Leben. Doch jetzt muss ich erstmal an mein Leben denken, einer von den Soldaten, Fred, hat gemeint, dass ich mit ihm mitkommen könnte nach Minnesota, dort werden alle Menschen gleich behandelt, ich könnte für ne Weile bei ihm wohnen, mir einen kleinen Job zulegen und das Leben genießen, ich könnte frei sein. Doch ich weiß, dass ich nie ganz frei sein werde. Diese Erfahrungen, all die Dinge, die mir angetan wurden, sie werden immer über mir schweben, wie finstere Wolken. Für den Rest meines Lebens.
Wir müssen anhalten, wir sind schon stundenlang gelaufen und es ist bereits dunkel. Erschöpft lassen wir uns ins Gras fallen, wir haben von unserer Wiese einen Blick über die Landschaft Tennessees. Früher wäre dieser Ausblick wunderschön gewesen, jetzt offenbart er das Ausmaß der Zerstörung. Wir sehen mehrere kleine rot leuchtende Punkte verteilt über dieses apokalyptische Panorama. Rauch schwebt über diesen Punkten. Als ob die Hügel brennen würden.