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Die Brücke
Ossi saß wie so oft unter der Autobahnbrücke und genoss es den Regentropfen zuzusehen, wie sie sich mit dem Wasser des Flusses durch das Hinterlassen von ein paar Kreisen vereinte. Er liebte dieses Wetter.
„Tarack, tarack!“
Diese rhythmischen Geräusche entstanden durch die Fahrzeuge auf der Brücke, die über einen der Schächte fuhren. Die Regelmäßigkeit und Vertrautheit bestärkten die Zufriedenheit, die sich in Ossis Gemüt breit machte. Er zog die Flasche mit Fusel, die er zwischen seine Beine geklemmt hatte, heraus und nahm einen tiefen Schluck. Nachdem er den Behälter wieder an den alten Platz gestellt hatte, setzte er sich gerade, holte tief Luft und atmete in Gestalt eines gewaltigen Rülpsers wieder aus.
„Mahlzeit, du Schwein!“ meinte Trudi, die neben Ossi auf einer uralten Isomatte lag und zum hundertsten Male die Betonplatten zählte, aus denen die Brücke zusammengefügt war.
Ossi kümmerte sich nicht um den Kommentar seiner Kameradin und Leidensgenossin. Er hatte eine neue Beschäftigung entdeckt.
Drei streunende Hunde versuchten, einen Schutz vor dem Regen zu ergattern. Langsam und etwas nervös näherten sie sich der trockenen Fläche. Doch Ossi machte sich einen Spaß daraus, die Tiere mit gezielten Steinwürfen wieder ins feuchte Umfeld zu treiben.
Trudi wurde durch die Unruhe, die Ossi durch seine Betätigung hervorrief, neugierig, drehte sich deshalb zur Seite und sah ihrem Nachbarn zu.
„Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich mit dir noch zusammen bin.“
„Das kann ich dir schon sagen“, antwortete Ossi und zielte wieder auf einen Streuner.
„Erstens bin ich der Jenige, der dir immer wieder etwas zu Saufen besorgen kann und zweitens bin ich der Einzige, der dir zeigen will, wo der Hammer hängt. Außerdem kannst du froh sein, dass ich dich nicht schon lange so davon gejagt habe wie diese Köter. Mist, vorbei.“
„Tarack, Tarack!“
Die Geräusche waren durch das Schweigen, das sich nach den beleidigenden Worten Ossis eingestellt hat, leichter zu vernehmen. Trudi hasste diese Geräusche. Sie hörte sie zwar nicht immer. Doch immer dann, wenn sie sich überflüssig, beleidigt und ausgestoßen fühlte, waren sie da.
Sie stand auf, ging auf einen der Brückenpfeiler zu, zog ihren Rock bis zur Hüfte hoch, sank in die Knie und lies den Urin laufen. Danach legte sie sich wieder auf ihre alte Matte.
„Ich weiß nicht ob das bißchen Gerammel es wert ist mein Leben mit dir zu verbringen“, sagte Trudi hauptsächlich um die nervtötenden Geräusche zu übertönen.
„Dafür, dass es nur ein bisschen Gerammel ist, kannst du aber nicht genug davon bekommen“, erwiderte Ossi und schob seine rechte Hand unter Trudis Rock. Doch kaum hatte er sein Ziel erreicht, zog Ossi seinen Arm wieder zurück.
„Du alte Sau!“ schrie er wütend auf und wischte seine Hand an einer alten Zeitung ab.
„Kannst du dich nicht mal nach dem Pissen abwischen?“
„Warum sollte ich?“ fragte Trudi mit einem Grinsen. „So schnell wie du immer zwischen meinen Beinen bist, erledigt sich das doch von selbst.“
Ossi nahm einen kräftigen Zug von der Flasche, rülpste und warf den leeren Behälter in den Fluss.
„Jetzt weiß ich auch, warum ich so oft besoffen bin“, sagte er und sah der Flasche nach wie sie vom Fluss um einen Brückenpfeiler getragen wurde. „Nüchtern würde ich das Leben mit einer Drecksau wie dir wohl kaum ertragen.“
„Tarack, Tarack!“
Es war wieder da. Dieses nervtötende Geräusch würde Trudi wohl nie in Ruhe lassen.
Warum musste Ossi sie auch immer so beleidigen. Sie war doch auch ein Mensch wie er.
War sie überhaupt ein Mensch?
War Ossi ein Mensch?
„Hast du noch was zu saufen da?“ fragte Trudi und kämpfte gegen den belegten Unterton in ihrer Stimme an, der von den Tränen herrührte, die sie in die Isomatte wischte.
„Nee, war die letzte Flasche,“ antwortete Ossi und bewarf die Hunde wieder mit Steinen.
„Scheiße!“ Trudi legte sich wieder auf den Rücken und versuchte die Betonplatten zu zählen. Doch die Angst, die in ihr hochstieg, ließ keine Konzentration zu. In spätestens einer Stunde würde sie nüchtern sein und das bedeutete, dass sie ihr Leben wieder so sah, wie es wirklich war.
Die Wirklichkeit!
Es gab für Trudi nichts Schlimmeres.
Denn dort wurde ihr aufgezeigt, dass sie nichts anderes war, als eine dieser streunenden Hunde, die Ossi gerade zu verjagen versuchte. Dabei hätte sie ein so schönes Leben haben können. Ein Leben mit einer Familie, mit einem Ehemann der sie liebte und ihr durch einen gutbezahlten Job den Luxus gab, den sie sich jetzt so sehr wünschte.
Doch leider zählte das nicht zu ihrem jetzigen Dasein.
Jetzt war sie ein Individuum, dass sich jeden Tag zusoff, um zu verdrängen.
„Du hast doch sicherlich noch irgendwo eine Flasche gebunkert!“ ,sagte Trudi und versuchte verzweifelt das Zittern, das ihre Hand befiel, zu verbergen.
Über Ossis Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. Ihm gefielen solche Situationen.
Jetzt war Trudi Wachs in seinen Händen. Sie würde sich jetzt alles gefallen lassen. Egal welches seiner perversen Spiele er mit ihr wieder ausprobieren wollte. Er überlegte, was er mit ihr anstellen würde. Sollte er ihr wieder ins Gesicht kacken? Nein, das hat mittlerweile schon den Reiz verloren. Auch an den Brückenpfeiler binden und ihr den Hintern blutig schlagen, war nicht das Richtige für den Moment.
Jetzt knöpfte er seine Hose auf, legte seinen Unterleib frei und stupste Trudi in die Seite.
„Wenn du was zu saufen willst, dann musst du dir das erst verdienen.“
Trudi atmete erleichtert auf. Gott sei Dank nur Fellatio.
Langsam kletterte sie über den Schoss ihres Nachbarn und tat ihre auferlegte Schuldigkeit.
Doch kaum war das erledigt, spürte sie eine starke Hand in ihrem Genick, die es ihr unmöglich machte, den Kopf zu heben. Als hätte ihr die Flüssigkeit, die sich in ihrem Mund breit gemacht hatte, nicht schon gereicht, schoss nun ein starker Strom von Ossis Urin in ihren oralen Bereich.
Trudi bekam Panik. Ekel machte sich noch dazu in ihr breit. Angestrengt versuchte sie nicht zu schlucken und durch die Nase zu atmen. Außerdem bemühte sie sich den Brechreiz zu überlisten. Denn wenn sie Ossi tatsächlich in den Schoss kotzen sollte, würde sie so schnell keinen Stoff mehr bekommen und das wäre ihr Ende.
„Tarack, Tarack!“
Tränen schossen Trudi in die Augen. Warum lies sie sich immer so schikanieren, so demütigen?
Nur wegen dem Rausch?
Nur wegen der Flucht vor der Wirklichkeit?
War die Wirklichkeit wirklich schlimmer, als das, was ihr Ossi antat?
Gehörte nicht Ossi zur Wirklichkeit?
Langsam ließen der Druck der Hand in ihrem Genick und der Strom des Urins nach.
Sie hatte es nicht verhindern können ein paar Mal den Harn zu schlucken. Darum war der Brechreiz jetzt kaum mehr kontrollierbar.
Mit einem heftigen Ruck befreite sie sich aus der Klammerung und lief zu dem Brückenpfeiler.
Mit lauten Würggeräuschen übergab sie ihren Mageninhalt der Natur.
Ossi lachte laut auf, nahm die Zeitung die noch immer neben ihm lag und wischte sich damit den Unterleib ab.
Danach schloss er seine Hose, stand auf und ging auf Trudi zu.
„Ich bin in fünf Minuten wieder da,“ sagte er und gab ihr noch einen leichten Schubs, der genügte, das sie ihr Gleichgewicht verlor und mit beiden Händen in ihrem Erbrochenen landete.
Wieder erklang das schadenfrohe, unheimliche Lachen Ossis, der sich langsam aus dem Schutz der Brücke in die Feuchtigkeit begab.
„Tarack, Tarack!“
„Ruhe!“ brüllte Trudi in die Leere. Langsam begab sie sich wieder in die Senkrechte und wanderte zum Fluss um ihre Hände zu säubern. Die Tränen die über ihre Wangen liefen ignorierte sie einfach. Auch das Schluchzen, das ihren Körper ab und an überfiel, nahm sie kaum war.
Die drohende Nüchternheit machte ihr zu schaffen.
Auch hatten sich bereits Kopfschmerzen angemeldet und ihr Magen rebellierte, obwohl sie ihn kurz zuvor entleeren musste.
Am Fluss angekommen, beugte sie sich zum Wasser und tauchte ihre schmutzigen und übelriechenden Hände ins kalte Nass. Dabei vermied sie es aber, einen Blick in den Strom zu werfen. Alles hätte sie jetzt ertragen können, aber in ihr Gesicht konnte sie jetzt nicht sehen. Eigentlich wollte sie jetzt gar nichts mehr sehen. Sie wünschte sich, blind zu sein.
Endlich all die Bilder vermeiden, die sich ihr Tag für Tag bot. Sie wollte den Schmutz nicht mehr sehen. Die Helligkeit, Ossi, die streunenden Hunde, den Fluss und vor allem diese scheußliche Brücke wollte sie nicht mehr wahrnehmen müssen.
Sie erhob sich, trocknete ihre Hände an ihrem Rock und versuchte immer noch keinen Blick in den Fluss zu werfen. Doch dann entdeckte sie eine alte verrostete Gabel, die zwischen zwei großen Kielsteinen eingeklemmt war.
Ein Lächeln huschte über Trudis Gesicht. Das war ihr Weg in die Dunkelheit.
Es würde auch bestimmt nicht schlimm werden. Kraft müsste sie nicht viel aufwenden. Nur die Schmerzen würde sie ertragen müssen. Doch körperliche Schmerzen machten ihr nichts aus. Wer so viele Narben auf der Seele trug wie sie, würde physische Pein ertragen können.
Schnell beugte sie sich zum oxidierten Stück Metall hinab, schnappte es und eilte zu der Isomatte. Sie durfte keine Zeit verlieren. Ossi musste jeden Augenblick wieder auftauchen und würde sie sicher von ihrem Vorhaben abhalten.
„Tarack, Tarack!“
Da waren sie wieder, diese Geräusche, die sie so hasste. Doch diesmal klangen sie anders, sie klangen freundlicher, fast anheimelnd. Trudi versuchte sich mit den Geräuschen anzufreunden, denn sie wusste, das es in Zukunft das Einzige sein würde, dass sie von der Brücke noch wahrnehmen würde.
Denn das Ansehen dieses grässlichen Baus würde bald vorbei sein.
Langsam führte sie ihre Hand mit der Gabel in Richtung Gesicht. Das Zittern wurde stärker. Sie versuchte das Schlottern einzudämmen, indem sie das Stück Metall mit beiden Händen umklammerte. Und siehe da, dass Zittern lies nach.
Ein wohliger Schauer durchfuhr Trudis Körper.
Sie freute sich auf die bevorstehende Blindheit.
Ein Lächeln machte sich in ihrem Gesicht breit, das immer größer wurde, je näher sie mit dem ausrangiertem Esswerkzeug ihrem Auge kam.
„Tarack, Tarack!“
Das Geräusch wurde für Trudi immer angenehmer. Doch da war noch etwas. Ein Rascheln ließ sie in ihrem Vorhaben inne halten. Einer der Streuner hatte sich nach Ossis Verschwinden nun doch unter die Brücke getraut und schnüffelte an der Lache, die durch Trudis Erbrechen entstanden war.
Ekel kam in ihr wieder hoch. Gott sei Dank würde sie solche Bilder bald nicht mehr sehen können. Sie führte die Gabel wieder auf ihr Auge zu. Es fehlten nur noch wenige Millimeter bis zur Blindheit. Sie würde dann zwar nur auf einer Sehhälfte blind sein, doch der erste Schritt wäre getan. Leider konnte sie die letzten Millimeter nicht überwinden.
Ihre Hand schaffte es nicht, denn letzten Ruck auszuführen. Sie saß ungefähr zwei Minuten mit der Gabel vor ihrem Auge da und kämpfte mit ihrem inneren Schweinhund.
Inzwischen wollte sie schon aufgeben, Tränen rannten über ihre Wangen.
Es waren Tränen der Unfähigkeit. Es war die Wut über sich selbst.
Sie wollte gerade die Hand mit dem Metallstück sinken lassen, als sie zuerst einen Stoss und dann den schlimmsten Schmerz verspürte, den man sich vorstellen konnte.
Ein Brennen und ein Stechen zuckte durch ihre Augenhöhle, lies sie aufspringen und ihr Mund stieß das grausamste Geräusch aus, das sie je vernommen hatte.
Sie sprang und schrie, bis sie keine Kraft mehr hatte und langsam auf die Knie sank.
Dort angekommen tastete sie vorsichtig ihr Gesicht ab und spürte, wie etwas Hartes vom Rost Aufgerautes aus ihrer Augenhöhle trat. Zudem bemerkte sie etwas feuchtes Klebriges.
Langsam öffnete sie ihr noch gebrauchfähiges Auge und betrachtete die Flüssigkeit. Es war Blut. Sie hatte es also doch geschafft.
„Tarack, Tarack!“
Trudi schloss wieder ihr Auge und weinte. Sie weinte nicht vor Schmerzen, die konnte sie schon ertragen, zudem machte sich eine wohlige Wärme in ihrem Körper breit. Sie weinte vor Glück, sie weinte, weil sie den ersten Schritt getan hatte. Doch jemand musste ihr dabei geholfen haben. Doch wer?
Plötzlich spürte sie etwas raues und doch weiches über ihre Hände gleiten.
Erschrocken riss Trudi ihr Auge wieder auf und erkannte den Köter, der kurz zuvor an dem Erbrochenen geschnüffelt hatte.
„Du hast mir also geholfen,“ sagte sie, legte einen Arm um den Köter und streichelte sein schmutziges Fell. Dass dabei jede Menge Blut auf den Hund tropfte, störte die beiden herzlich wenig.
„Das war aber noch nicht alles, mein Kleiner,“ sagte sie wieder zu dem Tier. „Einmal musst du mir noch helfen. Aber das machen wir später. Jetzt bin ich erst mal müde. Außerdem wird es unangenehm kühl!“
Trudi legte sich wieder auf ihre Matte und freute sich, dass der Streuner sich zu ihr kauerte.
Das musste das schlechte Gewissen sein, dachte Trudi und lächelte. Dabei musste das Tier doch gar kein schlechtes Gewissen haben, es hat ihr doch einen Gefallen getan.
„Tarack, Tarack!“
Da war es wieder, doch diesmal war es leiser.
„Tarack, Tarack!“
Es war so schwach, dass es Trudi kaum noch hören konnte.
Auch die Dunkelheit ließ nach, obwohl sie das gesunde Auge geschlossen hielt.
Doch jetzt sah sie wieder mit beiden Augen. Sie sah eine neblige Wand hinter der sich allerhand abspielen musste. Wie die Schatten, die sich abzeichneten, ihr verrieten.
Sie wollte aufstehen und auf diese Wand zu eilen, doch das brauchte sie nicht. Die Wand kam auf sie zu.
Sie kam immer näher.
Und Trudi freute sich auf sie.
Jetzt waren es nur noch wenige Meter.
Eine angenehme Kälte umhüllte Trudi und ein Lächeln machte sich in ihrem Gesicht breit.
„Tarack, Tarack!“
Die Geräusche wurden wieder etwas stärker und für Trudi war es wie ein Glockengeläut, als die Wand die letzten Zentimeter wanderte und ihren Körper umschloss.
„Tarack, Tarack!“
„Tarack, Tarack!“
Diese rhythmischen Geräusche entstanden durch die Fahrzeuge auf der Brücke, die über einen der Schächte fuhren. Die Regelmäßigkeit und Vertrautheit bestärkten die Zufriedenheit, die sich in Ossis Gemüt breit machte. Er zog die Flasche mit Fusel, die er zwischen seine Beine geklemmt hatte, heraus und nahm einen tiefen Schluck. Nachdem er den Behälter wieder an den alten Platz gestellt hatte, setzte er sich gerade, holte tief Luft und atmete in Gestalt eines gewaltigen Rülpsers wieder aus.
„Mahlzeit, du Schwein!“ sagte Lena, die neben Ossi auf einer uralten Isomatte lag.
„Danke, das du mich mit deinem Vornamen ansprichst,“ antwortete Ossi, setzte sein hämisches Grinsen auf und ging auf das Flussufer zu.
Dort angekommen öffnete er seinen Hosenlatz und entleerte seine Blase.
Lena hatte es sich in der Zwischenzeit wieder auf der Isomatte bequem gemacht und bemerkte somit nicht, wie Ossi ein dünnes, verrostetes Stück Metall aus seiner Hosentasche zog und es fein säuberlich zwischen zwei große Ziegelsteine legte.
„Tarack, Tarack!“
„Tarack, Tarack!“
„Tarack, Tarack!“
„Tarack, Tarack!“
[ 14.05.2002, 16:01: Beitrag editiert von: Hennaboindl ]