Die Brücke
Es tat ihm gut bei ihr in der Küche zu sitzen. Er spürte wie ein warmer Windhauch seine Haut streichelte. Das Fenster stand offen. Die Kinder nutzten das schöne Wetter und spielten im Hof. Beinahe vergaß er die Zeit, doch der Schlag der Kirchturmuhr erinnerte ihn an sein Vorhaben. Es war halb fünf. Um fünf ging es los.
„Ich muss gehen.“ sagte er und betrachtete sie noch einmal. Was wenn sie ihn kriegen würden?
„Ich lade dich Sonntag ins Kino ein.“ Langsam näherte er sich der Tür. Es wäre leicht gewesen bei ihr zu bleiben. Bei ihr bestand keinerlei Gefahr. Doch irgendetwas drängte ihn zum Gehen. Er musste um fünf dort sein.
„Ich komme morgen vorbei und sag dir welcher Film läuft.“
„Ok, ich warte auf dich.“
Er nahm ihre Hand und küsste sie. Es war das erste Mal seit sie sich kannten.
„Dann bis morgen.“
Er gelangte auf die Straße und fuhr auf dem Fahrrad durch die Stadt. Leicht und unbeschwert trat er in die Pedale. Auf dem Sattel lag die Tasche mit der Mine. Wenn es ihm gelang die Brücke zu sprengen, konnten die Deutschen nicht mehr in die Stadt eindringen. Er erreichte die Brücke, auf der ein Paar Wachposten auf und nieder liefen. Jetzt durfte er an nichts mehr denken, musste sich konzentrieren. Er hatte keine Angst. Langsam fuhr er bis zur Mitte. Dann hörte er den ersten Schuss fallen. Sofort stieg er vom Rad und warf es an den Rand. Er sprang über die Steine als er immer dichtere Schüsse hinter sich spürte. Er kletterte unter den Pfeiler und befestigte die Mine an der vorhergesehenen Stelle. Er löste die Zündung und lief los. Er rannte am Fluss entlang in den Kanal. Es stank fürchterlich. Er glaubte keine Luft mehr zu bekommen. Doch er musste warten bis er das Geräusch von Motorrädern in seiner Nähe nicht mehr hörte. Sicher würde man ihn suchen. Das Surren der Motorräder verstummte. Vorsichtig er verließ den Kanal. In der Mitte der Brücke war ein klaffendes Loch. Es war ihm gelungen. Er hatte Glück gehabt und war davongekommen. Jetzt konnten sie ihn nicht mehr finden. Er schlug den Weg durch die Maisfelder ein. Es fuhren drei Motorräder vorbei und noch drei. Am Ende des Maisfeldes gelangte er zu einer Vogelscheuche. Kinder hatten sie gegen die Krähen aufgestellt. Im Maisfeld war er sicher. Er brauchte nur noch warten bis der Abend heranrückte. Er betrachtete die Vogelscheuche sorgfältig. Auf einmal kam ihm eine Idee. Er zog die übergroßen Sachen der Vogelscheuche an, stellte sich auf das Gerüst und setzte den riesigen Kürbiskopf auf. In den Kürbis waren die Züge eines Gesichts geschnitzt.
So konnte er die Straße beobachten und bis zur Dunkelheit warten. Ihm wurde heiß. Die Hitze drückte auf seinen Körper und der Schweiß lief schon über seine Wangen. Er dachte an das Mädchen. Sonntag würde er es ihr sagen. „Ich liebe dich.“ würde er lächelnd sagen und nach dem Kino würden sie noch spazieren gehen. Er fühlte sich wohl bei diesem Gedanken, insgeheim froh über das was er getan hatte.
Die Sonne stand schon tief im Westen. Er entschloss sich noch ein Weilchen zu warten und dann loszugehen. Die Deutschen kehrten schon wieder in die Stadt zurück. Vergeblich haben sie nach ihm gesucht. Plötzlich hielt ein Motorrad mit Beiwagen am Rand des Maisfeldes. Die beiden Deutschen stiegen ab um zu urinieren. Der Beifahrer entdeckte die Vogelscheuche und wies mit dem Finger auf sie. Die Männer waren nicht weit entfernt und er konnte jedes Wort hören.
„Wetten, dass du es mit vier Schüssen nicht schaffst den Kopf der Vogelscheuche zu treffen.“
„Doch!“ wiedersprach der zweite und zog seinen Revolver. Der erste Schuss ging daneben.
Er konnte hören wie die Kugel die Blätter der Maispflanzen streifte. Die zweite Kugel flog durchs Feld. Seinen Körper durchströmte eine große Wärme. Darauf hin spürte er noch zweimal die gleiche Wärme und fiel von der Stange. Er spürte etwas flüssiges über sich und neben sich laufen. Das Motorrad war schon längst weitergefahren. Er grub die Hände in die Erde. Dann ließen sie locker und regten sich nicht mehr. Der Wind trug die Erde unter seinen Händen fort. Man hörte nichts mehr.