Was ist neu

Die Bomberpiloten

Mitglied
Beitritt
27.08.2001
Beiträge
80

Die Bomberpiloten

Während ich koche, höre ich im Radio Nachrichten. Die Rede ist wieder einmal von den vielen Nebensächlichkeiten, wie politischen Diskussionen oder einem neuen Gesetzesentwurf. Wenig überrascht nehme ich zur Kenntnis, daß der 57te Jahrestag der Bombardierung von Mannheim gewesen sei und eine Gedenkveranstaltung gefeiert würde. Ich bin zuhause. Ich will nichts davon wissen. Nicht mehr. Zuviel habe ich darüber nachgedacht und schneide die Zwiebel schneller. Niemand kann zurücknehmen was geschah. Nie mehr.

Die Gedenkveranstaltung gilt nicht den Bombenopfern, sondern den umgekommenen alliierten Bomberpiloten. Fast schneide ich mir in den Finger.
Die wurden nach dem Bombenabwurf gefangengenommen, durch die Stadt geführt und von der Bevölkerung gesteinigt, sagt der Radiosprecher.

Zweiter Weltkrieg. Ich lebe in Mannheim. Dort oben kommen Sie wieder angeflogen. Unzählige kleine schwarze Punkte am Himmel. Ruhig und ungestört fliegen sie. Fast gelangweilt halten die Todesmaschinen träge Kurs. Majestätisch wirken Sie, als Sie näherkommen. Langsam schwillt das monotone Brummen der vielen Propeller immer lauter an. Im Bauch fühlt man es und auf der Haut. In der Luft ist ein Dröhnen, das widergeworfen wird von den Hausmauern und sich verfielfacht zu einem dumpfen Orkan. Unerreichbar sind Sie. Wir hier unten sind ausgeliefert und machtlos. Einige Flugzeuge glänzen in der Sonne. Sie fliegen jetzt direkt über uns.
Unten auf der Straße: Hektik und Panik. Jeder versucht sich in Sicherheit zu bringen.
Dann bricht das Inferno über uns herein. Überall sind Explosionen, Feuer und Rauch. Wie durch einen Vorhang sehe ich einen alten Mann. Er verbrennt auf dem Bürgersteig. Frau Müller torkelt als Fackel über die Straße. Leiber werden in einer Stichflamme in Stücke gerissen, Familien ersticken unter den Trümmern ihrer eingebombten Häuser. Mein Nachbar wird erschlagen von niedergehendem Gebälk. Überall Rauch und stickige Luft.
In unmittelbarer Nähe kracht es, ich stürze heraus, flüchte. Es ist ein Affekt, ich denke nicht. Meine Beine laufen selbst. Mein Baby! Ich besinne mich und renne zurück. Da trifft mich ein Schlag.
Als ich aufwache, gehe ich in das Haus zurück. Zu meinen Füßen liegt ein verkohlter, kleiner, schwarzer Aschehaufen. Von Brandbomben entstellt. Vor einer halben Stunde war das ein lachendes Baby mit schon 3 Zähnen und blauen Augen. Vor einer halben Stunde habe ich es geküsst. In 2 Sekunden war alles vorüber. Ich wollte das doch nicht. Ich bin doch nur rausgerannt. Ich weiß nicht wie lange ich geweint habe. Ich weiß es wirklich nicht mehr. Irgendwann schlief ich ein.

Ungesühnt und unerreichbar zogen die schweren Bomber da wieder ab. Keine Chance auf Vergeltung.

Zurück blieb mein ewig währender Vorwurf, fortgelaufen zu sein als es knallte. Warum ich in der Sekunde nicht das Bündel mitnehmen konnte. So wie es alle Mütter doch automatisch immer tun. Ohne zu denken. Ich nicht.
Zurück blieben Schutt, Feuer, Rauch, Tote und das Ende von allem was ich meine Welt nannte.

Meine Trauer ist so unmenschlich groß wie mein Hass. Fast bin ich verrückt. Alles vermischt sich zu einer einzigen Hölle aus Schmerz. „Untröstlich“, schießt es in meinen Kopf und ich verbringe den Tag wie irr damit, das Wort zu buchstabieren, zu intonieren, schnell und langsam zu sprechen. Erfreue mich am Klang. Lache es aus, dieses Wort. Schreie es. Flüstere es herbei und bemerke wie sich der Klang verändert. Untröstlich. „Du, Wort willst mich ausdrücken?“ Ich schreie es an. „Geh weg!“ Aber es geht nicht. Es ist mein neuer Weggefährte.

Der Kopf meines Nachbarn war gespalten als Sie den Vierkantbalken weghoben. Er liebte seinen Garten, werkelte dort von früh bis spät. Zusammen mit einem einzelnem Arm haben Sie ihn später verscharrt.

Eine Maschine stürzte wohl ab, höre ich. Irgendwo nahe dem Horizont. Am nächsten Tag werden Sie durch die Straßen geführt. Dort sind sie! JETZT seit ihr am Boden, so wie wir...

Ich werfe Steine. Zuerst wahllos in die Männer hinein. Die feigen Mörder. Danach picke ich mir einen heraus. Ziele auf das Gesicht. Einen Stein für meinen Mann und noch einen für mein Kind. Und als der Pilot fällt, werfe ich in das Gesicht bis nur eine rote, breiige Masse übrigbleibt. Aber da ist noch so viel Schmerz, den ich fortwerfen will. Mein Arm ist lahm. Jemand zerrt mich fort.

Ich stehe auf der Straße. Ich bin leer. Keine Genugtuung. Kein Stein war gut. Mit keinem Wurf, keinem Treffer, wurde die Trauer weniger. Es wurde nur leerer in mir. Immer leerer.
Ich bin ein Teil, ein Werkzeug von dem allem geworden. Ich weine. Ich weine, weil ich mich hasse, den Krieg hasse, meine Grausamkeit hasse. Ich weine wegen der Menschen, die ich liebe und verloren habe. Ich fasse keinen klaren Gedanken. Für Führer, Volk und Vaterland schrieben Sie bei meinem Mann. Und mein Baby? Ich hoffe nicht auf einen Sinn. Es gibt ihn nicht.

Ich habe einfach weitergelebt. Ich mußte nur Atmen. Nur Denken durfte ich nicht. Schon gar nicht an den Tag.

Heute stehe ich in der Küche und schneide Zwiebeln. Ich weine. Nicht wegen der rot gewordenen Zwiebel, sondern weil alte Wunden aufbrechen.
Niemand spricht von meinem Mann und meinem Baby. Ich weine, weil ich Sie noch immer vermisse. Ich weine, weil Sie so sterben mußten. Ich weine, weil ich mich so fühle als wäre es gerade geschehen.
Und ich weine aus Wut. Das Schweigen ist, als würde man auf ihr Grab spucken.Von den Piloten sprechen Sie. Heute müssen Sie denken wir waren Bestien. Sie haben Recht. Alle waren Bestien. Nur das haben Sie eben wieder einmal nicht gesagt. Da waren nur Piloten, die Opfer waren. Opfer, keine Angreifer.
Ich hätte nicht weglaufen sollen.

 

Nicht schlecht ??
Wirklich gut !!! Geht unter die Haut, regt zum Nachdenken an und ist sehr gut geschrieben.

 

Euch allen ein „Danke“ für die Kritiken.

Hallo Morphin,
die Opfer haben den Krieg nicht begonnen. Ich schildere Grausamkeiten auf der Erlebnisebene der meisten Menschen damals. Du beginnst, was heute Trend, ja pawlowsche Reaktion ist: Politisieren und Moralisieren nach heutigen Maßstäben. Nun – wenn man das beginnt, sollten Äußerungen durchdacht sein. Schuldzuweisungen auf Zeitgeistniveau helfen da nicht weiter.

„actio est reactio“ – das ist im Angesicht der Leiden der Einzelnen fast Zynismus, da einherzulateinern. Zur Welt des kleinen Mannes gehörte sicher nicht die Weltpolitik. Versetze Dich in die Menschen herein.
Wenn heute in Mazedonien ein Krieg geführt würde, müßtest du Dir von Deinen Enkeln vielleicht einmal Vorwürfe anhören. „warum hast du nicht...“ etc. In Deiner Welt spielte es gar nicht diese Rolle, wie in späteren Lehrbüchlein und der dann geltenden Sicht der Dinge.

„Feuerteufel“ – wer ist der Feuerteufel? Herr Wagner von nebenan? Oder Mr. Smith im Bomber? Das passt doch nicht.

„der grausamste aller Kriege“ - ?????????

„unweigerlich und logisch, das die Gewalt.....“ – Das ist bedenklich: Damit rechtfertigst Du die Grausamkeiten der einen Seite, während Du die der anderen aburteilst. Sind – um an der Geschichte zu bleiben – Bomberangriffe, „logische Reaktion“ eines Krieges?

Wohl kaum. Dein Satz hat etwas von Automatismus und ignoriert die Tatsache, daß Deutschland aufgrund kriegsrationaler Erwägungen und einem Anteil Hass in Grund und Boden gebombt werden sollte, obwohl gleichzeitig betont wurde, der Krieg werde nicht gegen die Deutschen an sich geführt, sondern das Regime.

Aber ich mache mit meiner Antwort genau das, wozu ich einen Gegenpol schaffen wollte: Einfachste Sachverhalte „hochziehen"“auf ein theoretisches Niveau. Alles das hier war gleichgültig für sämtliche Opfer des Krieges, die nur ihre Haut irgendwie retten wollten.

 

Man könnte hier endlos darüber streiten, was ein "gerechter" Krieg ist, ob die Opfer die Täter waren, was Unrecht, was Recht war, usw.
Ich selbst sehe das ganze differenzierter als früher, denn da war es ein Dogma, dass die bösen Deutschen und Österreicher die anderen Völker angriffen und von den guten Amerikanern besiegt wurden, später sind die Russen, die damals gut waren, auch böse geworden, usw.
Bullshit!

Aber darum geht es hier gar nicht. Es geht darum, dass der Krieg immer wieder die falschen trifft.

Das gleiche erleben wir zB im Israel-Konflikt: Riesige mediale Aufbereitung, wenn ein beschissener, irrer Palästinenser sich und viele Israelis in die Luft jagt.
Andererseits wird kaum beachtet, dass die Israelis tagtäglich Palästinenser foltern oder gleich umbringen - sind ja alles böse Terroristen...

Deine Geschichte muss wohl zwangsläufig unter die Haut gehen, wie es formuliert wurde, denn das Grauen ist so "banal" geschildert, dass nix daran aufgesetzt, pathetisch, verlogen klingt.
Ich zolle der Story deshalb höchsten Respekt.

 

Tolle Geschichte ! Vorallem weil sie wie man hier ja auch sieht, zum Nachdenken und zu Diskussionen über das Thema anregt.

Gerechten Krieg gibt es nicht meiner Meinung nach. Krieg ist moralisch nicht vertretbar, so oder so nicht. Krieg ist wohl eine der niedrigsten menschlichen "Erfindungen" die es überhaupt gibt.

Und zu dem Palästinenser-Israel Vergleich kann ich Rainer nur völlig Recht geben. Der Westen zeigt wirklich auf wessen Seite er ist.

 

Krieg gibt es auch unter Tieren! Das ist keine "Erfindung" des Menschen.
Ich finde es nur erbärmlich, dass wir trotz unsere Intellekts nicht imstande sind, ihn nicht zu führen. Das macht einen schon nachdenklich...

Das mit dem Israel-Konflikt ist ja nur ein Beispiel - die meisten Kriege und Unterdrückungen kriegen wir gar nicht mit. Das mit Israel ist nur deshalb interessant, weil wir halt immer noch unter unserer Vergangenheit leiden.
Sonst würde es uns gar nicht sonderlich berühren, wie zB der Bürgerkrieg in Algerien.

 

Hallo Rainer!
Da steht es!
Du schaffst es in Deinem Post mal wieder einen Sachverhalt über den ich mir 1001 Gedanken mache so derart einfach und auf den Punkt gebracht auszudrücken, daß ich mir nur "genau" denke. Das ist etwas, das Du absolut und immer wieder drauf hast.
Mail 11:40 erster Absatz. Ich tue mich mit Lob eher sehr schwer, aber das muß auch mal gesagt werden.
Ach ja: Zu Deiner Person. du magst umstrittene Person dieser Website sein. Ich lese viele Deiner Kritiken und mit Genuss. Oft aber triffst du auch da den Nagel auf den Kopf, lässt Dich nicht irreleiten.
Danke für eure Kritiken!

Grüße

 

Mal sehen ob du noch so positiv gestimmt bist, wenn ich deinen nächste Geschichte runterputze... :D

Aber vielen Dank für deine Worte! Es gibt nicht viele, die eine solche Offenheit schätzen und selber zum diskutieren bereit sind.

 

Wow, diese Geschichte ist es wirklich wert aus den Tiefen der KG gegraben zu werden. Hart, real und regt, JollyJoker schon sagte, zum Nachdenken an. Denn mMn gibt es im Krieg nur Opfer - auf beiden Seiten - bis aus die paar A... löcher die einen Krieg anzetteln ....

 

Eine sehr gute Geschichte - Da kommt die ganze Ohnmacht und die ganze Brutalität des Krieges heraus
Da gibts nicht mehr zu sagen
Bernhard

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom