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Die Boisenbergs

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31.01.2003
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Die Boisenbergs

Die Boisenbergs

„Die sitzen schon wieder draußen.“ Meine Frau Susanne blickte aus dem Küchenfenster und schüttelte den Kopf. „Wenn ich nur so viel Zeit hätte!“
„Susi, es sind alte Leute. Laß sie doch ihren Lebensabend genießen.“, erwiderte ich. „In spätestens dreißig Jahren sind wir Rentner und dann sitzen wir auch da und lassen uns den ganzen Tag die Sonne ins Gesicht scheinen.“
„Ja, aber nicht so lange der Abwasch noch rumsteht!“ Susanne warf mir das Küchentuch zu und lachte mich an. „Los, du bist dran mit Abtrocknen.“
Während ich die Teller trocken rieb, schaute ich aus dem Fenster und beobachtete die Boisenbergs. Seit vier Jahren sind wir bereits Nachbarn und dennoch haben wir kaum ein Wort zusammen gesprochen. Ich weiß so gut, wie nichts über sie, nur daß ihnen das kleine Haus nebenan schon über fünfzig Jahre gehört. Beide leben sehr zurückgezogen. Im Herbst und im Winter bekommt man sie fast nie zu Gesicht. Doch sobald die Frühlingssonne die erste angenehme Wärme verbreitete, stellten die Boisenbergs ihre zwei Gartenstühle dicht nebeneinander auf. So dicht, daß sich beide Armlehnen berührten. Herr Boisenberg saß immer im linken Stuhl und laß Zeitung, während seine Frau neben ihm saß und strickte. Gegen halb vier verschwand sie immer kurz im Haus und kam nach zehn Minuten mit zwei Tassen Kaffee wieder heraus. Und so saßen die Boisenbergs noch zwei oder drei Stunden in ihrem Vorgarten und hielten die Tassen in der Hand, auch wenn schon lange kein Kaffee mehr darin war.

Am Donnerstag Abend kam ich erschöpft von meiner Arbeit. Wir hatten jeden Tag Überstunden geschoben.
„Hallo Schatz.“ Ich gab meiner Frau einen Begrüßungskuß.
„Du siehst müde aus. Mußt du morgen wieder länger arbeiten?“
„Nein. Für diese Woche haben wir’s geschafft. Morgen können wir endlich mal unsere Überstunden absetzen und uns einen freien Tag nehmen.“
„Zum Glück!“ Susanne nahm mir die Jacke ab. „Ich mach’ uns erst mal was zu Essen.“
Ich zog mir die Schuhe aus und ließ mich erschöpft auf die Wohnzimmercouch fallen.
„Mir ist diese Woche überhaupt aufgefallen, daß die Boisenbergs gar nicht mehr im Garten sitzen.“, rief Susanne aus der Küche. „Ich hab’ sie das letzte Mal vor vier Tagen gesehen. Und dabei war doch so schönes Wetter.“
„Vielleicht sind sie im Urlaub.“, antwortete ich.
„Nein, die waren die ganzen Jahre noch nie im Urlaub.“

Am nächsten Tag wachte ich erst gegen zehn Uhr auf. Susanne hatte bereits Brötchen geholt und Kaffee gekocht. Nach dem Frühstück hörte ich plötzlich einen LKW vorbeifahren. Ich schaute aus dem Fenster und sah, wie er vor dem Haus der Boisenbergs hielt.
„Sieht aus, als hätte der sich verfahren.“, sagte meine Frau.
„Ich geh’ runter. Mal sehen, wohin er will.“
Aus dem LKW stieg ein großer, schlanker Mann. Er sah sehr ernst aus. Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig, vielleicht war er auch etwas älter.
„Guten Tag.“, sagte ich.
„Tag!“
„Haben sie sich verfahren?“
„Wie? Nein. Wir müssen hier leer räumen.“ Mit einem kurzen Wink zeigte er auf das Haus der Boisenbergs.
„Was? Wieso ...“ Entsetzt schaute ich den Mann an.
„Meine Mutter ist am Montag gestorben. Naja, und meinen Vater kann ich doch nicht allein hier wohnen lassen. Er wäre mit dem Haus total überfordert. Also ist er derweil mit zu mir und meiner Frau gezogen.“
„Achso, Sie sind der Sohn von den Boisenbergs?“
„Ja. Kannten Sie meine Eltern gut?“
„Nein, eigentlich nicht. Wir haben uns nur gegrüßt. Sie waren sehr zurückhaltend. Kann ich ihnen irgendwie helfen?“
„Nein, danke. Bis auf die Wohnzimmermöbel, kommt das meiste Zeug sowieso auf den Sperrmüll.“
„Die Gartenstühle auch?“ fragte ich.
„Welche Gartenstühle?“
Ich zeigte auf die weißen Stühle, die immer noch Armlehne an Armlehne im Vorgarten standen.
„Ach, die alten Teile kommen auch weg. Oder brauchen Sie die?“
„Ich würde sie gern nehmen, wenn Sie sonst keine Verwendung dafür haben.“
„Nein, nein.“
Ich nahm beide Stühle und stellte sie dicht nebeneinander in unserem Garten auf. So dicht, daß sich beide Armlehnen berührten. Dann ging ich wieder zurück ins Haus und erzählte Susanne, was passiert war.
„Sie werden mir irgendwie fehlen.“, sagte sie.
„Ja, mir auch.“ Ich umarmte meine Frau. „Weißt du, heute ist so schönes Wetter und ich habe frei. Wir könnten uns doch heute Nachmittag etwas in den Garten setzen.“
Susanne war sofort einverstanden. Und seit diesem Tag war es meiner Frau und mir zur geliebten Gewohnheit geworden die Nachmittage im Frühling und Sommer in unserem Garten zu verbringen. Und jedes Mal, wenn ich mich in den Stuhl setzte und meine Zeitung aufschlug, mußte ich daran denken, wie ich am Küchenfenster stand und die Boisenbergs beobachtete und mir nichts sehnlicher wünschte, als mit ihnen zu tauschen.

 

Hallo MikeL

Deine Geschichte stimmt mich etwas traurig. Da lebt man jahrelang mit den Menschen Tür an Tür, sieht sie täglich und kennt sie doch nicht. Sogar wenn jemand stirbt, müssen wir erst mit der Nase drauf gestoßen werden. Ist schon traurig, aber wirklich Alltag.

Trotzdem. Die Idee mit den Stühlen hat mir recht gut gefallen. Schöne Vorstellung, da draußen im Garten zu sitzen. So leben wenigsten in dieser Beziehung die beiden Alten weiter.

Liebe Grüße
Anja

 

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