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Die blinden Spinnen

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17.02.2003
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Die blinden Spinnen

Die drückende, feuchte Hitze des Regenwalds belastete den Kreislauf des alten Mannes sehr. Professor Alan Zurkov fühlte sich nicht wohl. Zuhause war er mit den Jahren zwar zunehmend kälteempfindlicher geworden und ihn fröstelte leicht. Er glaubte nämlich zu spüren, wie er von innen her immer mehr auskühlte - selbst in seinen Gedanken war es kälter geworden -, und so scheute und fürchtete er jeden frostigen Tag. Selbst bei angenehm temperiertem Wetter, bei leichtem, lauem Wind war er nur noch mit dicker Strickjacke zu beobachten, mit der er die äußere Kälte abhalten und die Erstarrung der Glieder vermeiden wollte. Aber in dieser brutheißen Hölle begann er auf einmal davon zu träumen, welch angenehme, erleichternde Kühle Schnee gewähren könnte. Doch der Traum von einer Abkühlung war weit jenseits des Realen, der alte, kantige Militärjeep besaß keine Klimaanlage, und er und sein Partner steuerten immer tiefer in den Dschungel Guatelemalas hinein. Die Baumkronen waren über ihren Köpfen fast zu einem Gewölbe zusammengewachsen, so daß kaum Licht bis zum Weg hinunter drang. Sie fuhren am hellichten Tag fortwährend im Dämmerlicht. Von menschlicher Besiedlung war weit und breit nichts zu erkennen. Die Piste - von "Straße" konnte seit den letzten drei Stunden Fahrt keine Rede mehr sein - hatte sich ständig verschlechtert: Mittlerweile bestand sie praktisch bloß noch aus Schlaglöchern und Regenrinnen. Wenn es hier jemals einen Straßenbelag gegeben haben sollte, dann haben ihn die täglich niedergehenden Wolkenbrüche restlos fortgespült, die Pflanzen drohten von beiden Seiten den Weg zuzuwuchern und der Dschungel arbeitete zusehends daran, dieses Einfallstor wieder zu schließen. Zurkov kam der grüne Urwald wie eine gigantische Venusfliegenfalle vor, die hinter seinem Rücken zuschnappen könnte. Von Anfang an hatte er das ungute Gefühl, daß er nicht hierher gehörte. Und dennoch hatten die beiden Männer die Absicht, gerade in das Herz dieser brodelnden, von indianischen Mythen netzartig überzogenen Welt vorzudringen.

Zurkovs einzige Beruhigung blieb, daß er nicht alleine war, daß er nicht einsam umherzog wie so oft, sondern daß er einen Menschen an seiner Seite hatte, noch dazu einen Europäer, der diesen Wald Gott sei Dank wie seine Westentasche kennen mußte. Sein Partner, ein gewisser Dr. Bernhard Lindauer, war Höhlenforscher und stammte aus Österreich. Er erforschte seit über 10 Jahren die Kalksteinhöhlen Guatemalas. Zurkov selbst war ein Zoologe aus den USA, genauer gesagt ein Arachnologe, also ein Spinnenforscher. Er war auf seinem Gebiet einer der anerkanntesten Wissenschaftler weltweit, oder er hielt sich zumindest dafür. Lindauer hingegen konnte in seinem Fachbereich keinen nennenswerten Bekanntheitsgrad aufweisen, aber er war mit seinen vierzig Jahren auch noch deutlich jünger als Zurkov. Ein ehrgeiziges Forschungsprojekt hatte die beiden so unterschiedlichen Männer zusammengeführt und sie an diesem Tag zum ersten Mal persönlich miteinander bekannt gemacht.

Der Fahrstil des Österreichers beängstigte Zurkov. Viel zu schnell schleuderte das Fahrzeug von einer Kurve in die nächste. Wenn hier etwas passierte, dachte sich Zurkov, und sei es nur eine Panne, dürften sie in dieser Wildnis verloren sein. Denn selbst in Guatemala Stadt gab es kein zuverlässiges Mobilfunknetz, erst recht müßte hier im Hinterland der verzweifelte Versuch, mit dem Handy Hilfe herbeizurufen, vergeblich enden. War dem Österreicher sein Leben nichts wert? Und warum wich er den Schlaglöcher nicht aus? Der alte Jeep war schlecht gefedert und dem alten Mann wurde von dieser aggressiven Fahrweise zunehmends schlecht. Er hatte aber lange nicht protestiert und lieber vorsichtig abgewartet, denn er konnte Lindauer, obwohl Zurkov eine gute Menschenkenntnis besaß, nicht einschätzen. Die beiden hatten sich bis zu diesem Tag nur über einige Briefe gekannt. In diesen Briefen war Lindauer außergewöhnlich sachbezogen geblieben, so daß sie keine Rückschlüsse auf das Wesen des Verfassers zuließen. Zurkov hatte sich nichts dabei gedacht, außerdem hatte er sich ganz von dem wissenschaftlichen Inhalt der Briefe in Bann schlagen lassen. Seit sie sich am Vormittag vor dem Terminal des Flughafens von Guatemala Stadt getroffen hatten, hatte sich die Lage kaum gebessert - Lindauer blieb weiterhin mysteriös und undurchsichtig. Von einigen künstlich antrainiert wirkenden Höflichkeitsfloskeln bei der Begrüßung abgesehen, hatte der Österreicher - obwohl er sich der englischen Sprache durchaus mächtig zeigte - jede normale Unterhaltung verweigert. Stumm saß er am Steuer und fuhr Zurkov in den Urwald hinein. Zeitweilig kam es Zurkov so vor, als sei der Mann mit der Schirmmütze nur ein Gesandter, ein Chauffeur, der den Auftrag habe, ihn abzuholen und wohinzubringen. Doch es war der Wissenschaftler, mit dem er korrespondiert hatte, selbst.

Zurkov erschrak, als er im Spiegel sein eigenes aschfahles Gesicht sehen mußte. Aber eigentlich verwunderte ihn dieses kranke Antlitz nicht, er fühlte sich auch dementsprechend. Hilfesuchend schaute er zum Fahrer hinüber und suchte Blickkontakt. Doch der bullige Mann starrte wie eine Maschine nach vorn, seine Hände umkrallten das Steuer, und seine Augenhöhlen waren so tief, daß Zurkov von der Seite aus kaum Augen, sondern nur Schatten wahrnehmen konnte. Möglicherweise haben die ewig dunklen Grotten, in denen er forschte, zur rudimentären Zurückbildung seiner Sehorgane geführt, sagte sich Zurkov im Scherz und versuchte sich etwas aufzuheitern. Doch das half nichts, gleich darauf erlitt er einen schlimmen Schwindelanfall.
Er hatte Angst, bewußtlos zu werden, doch der Fahrer bemerkte von seinen Problemen nichts. Endlich sagte Zurkov in ausgesucht freundlichem Ton:
"Könnten sie bitte ein wenig langsamer fahren? Mir geht es nicht gut."
Vom Fahrer kam keine Reaktion, weder gab er ihm eine Antwort, noch veränderte er seine Fahrweise. Zurkov war sich nicht sicher, ob Lindauer ihn überhaupt gehört hatte.
Doch nach einiger Zeit trat der schwere Schaftstiefel des Fahrers plötzlich abrupt und aggressiv auf das Bremspedal, Zurkovs Kopf schlug fast auf dem Armaturenbrett auf, und sie fuhren nun mit quälend langsamer Geschwindigkeit weiter.
"Wenn uns jetzt etwas passiert, sind sie verantwortlich", sagte der Österreicher auf einmal mit geheimnisvoller Glut in den Augen.
"Wie meinen sie das?", fragte Zurkov eingeschüchtert.
Eine Zeitlang herrschte beklemmendes Schweigen. Nach einer Weile sprach Lindauer:
"Der Touristenbus, der auf dieser Route einmal pro Tag nach La Libertad fährt, wird beinahe jede Woche überfallen. Den Touristen geschieht in der Regel nichts, wenn sie den Räubern brav ihr Hab und Gut überlassen. Solange die Banditen die Urlauber nicht gerade umbringen, was im Ausland böse Schlagzeilen produzieren würde, läßt sie die faule, korrupte Polizei gewähren. Wir sind zwar auch Ausländer, aber wir haben keinen Anlaß, auf Schonung zu hoffen. Wer würde nach uns fragen, wenn wir spurlos im Dschungel verschwinden würden? Aber wenn sie natürlich gerne überfallen werden, können wir sogar eine Rast einlegen und am Straßenrand in Ruhe was vespern."
"Entschuldigen sie", sagte Zurkov nach einer Weile, "ich wollte sie nicht kritisieren. Von mir aus können sie auch wieder etwas schneller fahren, ich wollte ihnen nur mitteilen, daß es mir gerade gesundheitlich nicht gut geht."
Der Österreicher änderte am übertrieben langsamen Tempo aber nichts. Er setzte bloß hinzu: "Wenn sie den gesundheitlichen Strapazen der Tropen nicht gewachsen sind, hätten sie in ihrem behaglichen Neuengland bleiben sollen. Haben sie sich vorher nicht informiert, in was für ein Land sie fahren?"
Die Erklärung schien Zurkov zwar nicht vollständig logisch zu sein, aber er wollte sich auf keine weitere Diskussion einlassen. Sein Partner schien ein aggressiver, schwieriger Mann zu sein. Immerhin hatte er ihn dazu gebracht, ein paar Worte zu sprechen. Ob er gespürt haben sollte, daß er Zurkov vom ersten Moment an unsympathisch war? Zurkov wollte sich das zwar möglichst nicht anmerken lassen, doch einige seltsame Eigenheiten seines Partners hatten ihn von Anfang an abgestoßen. Dazu gehörte, daß der Österreicher sein Hemd bis fast zum Bauchnabel aufgeknöpft trug. Sicher, es war sehr heiß, aber Zurkov ist das trotzdem irgendwie anstößig vorgekommen. Außerdem strich sich Lindauer, der von einer mysteriösen Unruhe erfüllt schien, ständig mit der Hand durch die Haare, was diese wahrscheinlich so unangenehm fettig werden ließ. Und wenn er schwieg - was ja häufig vorkam -, vibrierten doch andauernd seine Lippen, als ob er immerfort mit sich selber über irgendetwas Zwiesprache hielte. In einem Punkt hatte der Österreicher allerdings Recht: Zurkov hatte sich in der Tat viel zu wenig Gedanken über mögliche Schwierigkeiten und Strapazen der Expedition gemacht, er hatte dauernd nur sein Forschungsprojekt im Kopf gehabt.

Allmählich normalisierte sich die angespannte Situation, was Zurkov daran merkte, daß Lindauer nun nicht länger so provozierend langsam fuhr. Doch weiterhin zeigte der kein Interesse an einer Unterhaltung mit ihm. Zurkov rätselte, ob sein Partner, der, wie er wußte, oft wochenlang allein und ohne Kontakt zur Außenwelt in Höhlensystemen herumkroch, durch dieses Eremitendasein etwas wunderlich geworden sein mag und ungeübt im Kontakt mit anderen Menschen. So problematisch und undurchsichtig hatte er sich seinen Partner nicht vorgestellt, aber er hatte ja, wie gesagt, auch kaum Gedanken auf die äußeren Umstände der Forschungsreise verschwendet. Zurkov suchte niemals Streit. Im übrigen war hier in der unbekannten Wildnis sein Wohl und Wehe von dem Österreicher abhängig. Er hatte ihm außerdem sehr viel zu verdanken. So ließ er ihn in Ruhe, und während die beiden Männer schweigend nebeneinander saßen, rekapitulierte Zurkov noch einmal die Ereignisse der Vergangenheit, die ihn letztlich hierher nach Guatemala geführt hatten.
Zurkov war einer der bedeutendsten Experten für Vogelspinnen. In den letzten Jahren, insbesondere seit seiner Emeritierung, war es allerdings etwas still um ihn geworden und der Ruhm, den er sich hauptsächlich in jungen Jahren dank spektakulärer Entdeckungen erworben hatte, begann allmählich zu verblassen. Ein kleines, an sich unbedeutendes Erlebnis hatte sich besonders hartnäckig in seinem Gedächtnis festgebrannt. Vor ein paar Monaten hatte er in der Seminarbibliothek seines früheren Lehrstuhls gearbeitet. Er hatte dort nichts wirklich Wichtiges zu tun gehabt, er hatte - was er sich selbst gegenüber natürlich nie zugeben hätte - hauptsächlich den Weg dorthin gefunden, um den vertrauten Duft der alten Bibliothek wieder einmal riechen zu können und um alte Kollegen abzufangen, um seinen tristen Alltag mit einem Pläuschchen aufzulockern. Weil er also nichts Dringendes zu tun hatte und weil er ein hilfsbereiter Mensch war, unterstützte er eine junge Studentin bei der Suche nach einigen Büchern. Die Studentin hatte ihn nicht erkannt, was ihn nicht grämte, woher sollte sie ihn auch persönlich kennen, das junge Ding. Daß er jedoch auf der Literaturliste, die sie ihm ratsuchend zeigte und die sein Nachfolger zusammengestellt hatte (den er über viele Jahre hin gefördert hatte) keinen einzigen Buchtitel von sich selbst finden konnte, verletzte ihn. Und als er ihr ein Buch von "Zurkov" zur vertiefenden Lektüre empfehlen wollte, da wollte sie es nicht haben - weil dieser Name nicht auf der Liste stehe und sie auch noch nie davon gehört habe! Die Studentin war sehr hübsch, doch er konnte es sich unter diesen Umständen sparen, sich vorzustellen. Er half ihr trotzdem noch bei der Suche nach den übrigen Büchern und verließ danach in für sein Alter erstaunlich aufrechtem, strammem Gang, doch innerlich gebeugt das Fakultätsgebäude. Dieses an sich nebensächliche Erlebnis - und einige andere, ähnliche - hatten eine kleine, aber nicht zu stillende Wunde bei ihm hintergelassen. Früher freilich, da war das ganz anders gewesen. In seinem jungen Forscherleben hatte er sagenhaften Ruhm in seine Scheuern eingefahren, nachdem er ein gutes Dutzend völlig unbekannte Vogelspinnenarten Indiens entdeckte und dokumentierte. Damals befand er sich auch fast ganzjährig auf Reisen. Außerdem hat er ein Buch über die Kategorisierung der Vogelspinnen geschrieben, das jahrzehntelang das Standardwerk schlechthin dargestellt hat. Die von ihm vorgeschlagene Systematik hat sich zwar im Laufe der Zeit als teilweise fehlerhaft herausgestellt, aber noch immer hat das Werk keinen würdigen Nachfolger gefunden und wurde noch immer herangezogen. Doch die Zeit seiner Expeditionen in den Wäldern Indiens und Mexikos und Kolumbiens und damit seiner großen Erfolge war schon lange vorüber. "Sic transit gloria mundi", sagte er sich manchmal in schwachen Momenten. In der zweiten Hälfte seines Forscherlebens hatte er sich komplett an den Schreibtisch zurückgezogen und dort diffizile, mühevolle Arbeit in theoretischen Detailfragen geleistet. Dieses Schaffen hielt er persönlich zwar für kaum weniger wichtig als seine spektakulären Expeditionen im Ausland, doch sie hatten allgemein weitaus weniger Popularität erreicht. Im übrigen hatten sich aber auch seine Prioritäten irgendwann verschoben: In jungen Jahren hatte er durchaus nach Forscherruhm gestrebt, später jedoch, nachdem er seine Frau Christine geheiratet hatte, sollte er auch die Vorzüge des kleinen, privaten Glücks erkennen. Christine, die er bis zu ihrem Tod nie aufgehört hatte zu lieben und zu verehren, hatte Angst um ihn und wollte nicht, daß er sich auf so lange, gefährliche Reisen begäbe. Sie war sowieso ein sehr zerbrechliches Wesen und er wollte ihr das nicht antun, daß sie um ihn fürchten mußte. So ist er eben zu Hause geblieben und tröstete sich mit seinem großen Freiterrarium im Garten, in dem mehr als hundert Vogelspinnen webten. Die Vogelspinnen gab es noch, ansonsten war es in dem großen Haus aber still und einsam geworden - sein guter Engel war vor zwei Jahren nach langer, schwerer Krankheit verstorben - und er hatte ihr im Krankenhaus bis zur letzten Minute die Hand gehalten. So sind ihm als Trost nur die Spinnen geblieben. Was er freilich nicht wußte, war, daß ein gewaltiger Hagelsturm das Glas der Terrarien kurz nach seiner Abreise zerschlagen hatte und daß die so freigewordenen Spinnen längst gen Süden heimwärts krabbelten.

Nach dem Tod Christines hatte sein Leben irgendwie sein Gerüst und sein Koordinatensystem verloren. Kinder hatten sie keine und alte Freunde gab es nur wenige. Das Loch, das Christine in seinem Leben hinterlassen hatte, füllte er mit der Fürsorge für seine Spinnen, die sich freuen durften, und mit dem Traum, noch einmal eine große Entdeckung zu machen. Ein einziges Mal noch wollte er es sich und anderen beweisen, den viele als Wissenschaftler schon abgeschrieben hatten. Immerhin hat man ihn noch zum internationalen Jahreskongreß der Vogelspinnenforscher nach Philadelphia eingeladen - vielleicht eher aus mitleidsvollem Respekt anstatt aus ernsthafter Anerkennung. Aber wie auch immer, diesem Kongreß fieberte er jetzt entgegen und der würde ihm das Forum bieten, seine zu erwartenden, höchstwahrscheinlich sensationellen Forschungsergebnisse zu präsentieren.

Seine große Chance und seine Erlösung schien ihm gekommen zu sein, als er den ersten Brief von Lindauer in Händen gehalten und gelesen hatte. Seine freudige Erregung in diesem Moment läßt sich kaum beschreiben. Lindauer hatte geschrieben, er sei bei seinen Forschungen in den Höhlen der Yucatán-Halbinsel auf völlig unbekannte Vogelspinnenarten gestoßen, die tief unter der Erde in ewiger Dunkelheit lebten. Zurkov spürte sofort, daß das die Sensation war, nach der er lange gesucht hatte. Schon seit Jahrzehnten war keine Entdeckung einer unbekannten Vogelspinnenart mehr gemeldet worden. Natürlich fühlte er sich auch unheimlich geschmeichelt, daß Lindauer gerade ihn, den alten Mann, für das gemeinsame Projekt ausgewählt hatte. Seit diesem ersten Brief waren kaum einige Wochen verstrichen. Denn sowohl Lindauer drückte aufs Tempo und auch Zurkov selbst wollte ja noch vor dem Weltkongreß fundierte Ergebnisse vorliegen haben. So war ihm kaum Zeit zu den wichtigsten Reisevorbereitungen verblieben, er hatte sogar leichtsinnigerweise auf Malariaprophylaxe verzichtet. Vor allem aber hatte er niemandem über seine Reisepläne und seinen Aufenthaltsort in Kenntnis gesetzt. Er wollte sie alle überraschen, und er wollte das ängstliche Gerede seiner Freunde, die ihm sicher von der Reise abgeraten hätten, nicht hören.

"Manchmal denke ich mir", begann Lindauer plötzlich langsam zu sprechen, "sie könnten den Strapazen nicht gewachsen sein. Habe ich einen Fehler gemacht, sie einzuladen? Nicht nur, daß unser Projekt in Gefahr kommt, ich würde mir auch Vorwürfe machen, wenn ihnen etwas zustieße... Ich habe nicht gedacht, daß sie schon so hinfällig sind!"
Zurkov wußte nicht recht, was er diesen bösen Worten entgegnen sollte.
"Ich werde ihnen keine Probleme machen", antwortete er nach einer Weile.
"Hier nehme ich sie beim Wort! Sie haben wissen müssen, auf was sie sich einlassen. Deshalb will ich keine Klagen mehr hören."
Zurkov fühlte sich in zunehmendem Maße unwohl bei dem Gedanken, diesem Menschen ausgeliefert zu sein, aber er protestierte nicht.
"Sie wissen hoffentlich, daß wir uns im alten Kulturland der Maya bewegen und daß die Mayastämme heute noch diese Wälder bewohnen?" fragte Lindauer auf einmal.
"Ja, das habe ich gelesen."
"Schön, dann will ich ihnen die Schöpfungsgeschichte dieses Volkes erzählen. Die Maya glauben, daß alle Berge hohl sind und daß in ihnen die Götter der Unterwelt leben. Auch ihre Tempel, die wir Pyramiden nennen, waren in Wirklichkeit Nachbildungen der Berge und auch sie waren von Gängen durchzogen. Nicht das Gebäude, sondern die inneren Hohlräume waren ihnen wichtig und heilig. Und um Höhlen dreht sich auch ihr Schöpfungsmythos."
Der Österreicher hielt einen Moment mit der Erzählung inne, weil er eine schwierige Furt durchqueren mußte, danach setzte er zu einem langen Monolog an:
"Das Popol Wuj, das heilige Buch der Maya, berichtet von dem göttlichen Zwillingspaar Jun Junajpu und Wuqub Junajpu. Sie spielten vor einer Höhle, dem Tor zur Unterwelt, Ball. Die Herren der Unterwelt störte der ungewohnte Lärm, den die beiden dabei veranstalteten und sie forderten die Zwillinge auf, ins Schattenreich hinunterzukommen, um sich mit ihnen im Ballspiel zu messen. Die Herren der Unterwelt lockten die Brüder aber in eine Falle. Ahnungslos folgten die Zwillinge der Einladung. Boten führten sie den gefährlichen und beschwerlichen Weg in die Unterwelt hinab. Es ging über viele steile Stufen, reißende Flüsse und enge Schluchten. Die Herren der Unterwelt empfingen Jun Junajpu und Wuqub Junajpu ränkesüchtig und siegessicher. Schon zur Begrüßung wurde ihnen ein glühender Stein als Sitzbank zugewiesen. Als sich die göttlichen Zwillinge arglos niedersetzten und sogleich voller Schmerzen jammernd aufsprangen, krümmten sich die Herren der Unterwelt bereits vor Lachen.
Weil das Ballspiel erst für den nächsten Tag festgesetzt war, bot man den Brüdern das 'Haus der Finsternis' zum Schlafen an. Man reichte ihnen einen brennenden Kienspan und zwei Zigarren, allerdings mit der Weisung, am nächsten Tag beides unaufgebraucht zurückzugeben. Weil es in dem Raum so erschreckend dunkel war, ließen die Brüder jedoch aus Angst den Kienspan brennen und zündeten damit auch noch die Zigarren an, die sie aus Langeweile rauchten. Als die Herren der Unterwelt am nächsten Tag die Brüder nach dem Verbleib des Kienspans und der Zigarren fragten, mußten sie zugeben, beides aufgebraucht zu haben. Ohne Verzug ließen die Herren der Unterwelt Jun Junajpu und Wuqub Junajpu wegen dieses Ungehorsams enthaupten und lachten finster über ihren Sieg. Der Kopf von Jun Junajpu wurde nach der Hinrichtung an einem Ast aufgehängt.
Eines Tages aber kam die Tochter eines der Herren der Unterwelt an dem Baume vorbei. Da sprach sie der verweste Schädel von Jun Junajpu an, und als sie verwundert näher trat, spuckte er ihr in die ausgestreckte rechte Hand und schwängerte sie auf wundersame Weise mit seinem Speichel.
Aus Angst vor ihrem Vater, daß er die schändliche Schwangerschaft entdeckte, floh das dunkle Mädchen aus der Unterwelt. Schließlich gebar sie die beiden göttlichen Zwillinge Junajpu und Xbalanke. Die beiden wuchsen zu geschickten Jägern heran. Eines Tages erjagten sie eine Maus, die ihnen verriet, wo Jun Junajpu und Wuqub Junajpu vor ihrem Abstieg in die Unterwelt ihre Ballspielausrüstung abgelegt hatten. Neugierig suchten sie das Versteck, das ja direkt vor der Höhle lag, und schließlich übten auch sie sich im Ballspiel wie ihre Vorgänger.
Erneut störten sich die Herren der Unterwelt an dem Lärm und abermals erging eine Einladung an die Unruhestifter, ihre hohe Kunst doch der Unterwelt vorzuführen. Auch Junajpu und Xbalanke nahmen die Einladung an und ließen sich den gefährlichen Weg hinabführen. Auch ihnen wurde das 'Haus der Finsternis' als Schlafstätte zugeteilt. Doch sie erwiesen sich als raffinierter als ihre Vorgänger. Zwar ließen auch sie den Kienspan brennen, und auch sie waren keine Kostverächter und zogen an den Zigarren; aber sie ersetzten den unverbraucht zurückgeforderten Kienspan durch die leuchtende Schwanzfeder eines Ara und sie hefteten an das Ende ihrer Zigarren jeweils ein Glühwürmchen. Die Herren der Unterwelt bemerkten den Betrug nicht und tobten vor Wut.
Auch die folgenden Prüfungen bestanden die göttlichen Zwillinge meisterhaft. Sie überlebten das 'Haus der Obsidianmesser', das 'Haus des Frostes' und das 'Haus des Feuers'. Erst die Prüfung im 'Haus der Fledermäuse' verlief unglücklich. Die Zwillinge wurden gezwungen, eine Nacht unter Vampirfledermäusen mit messerscharfem Gebiß zu verbringen. Auf wundersame Weise verkrochen sich die Zwillinge in ihre Blasrohre. Wenn Junajpu nicht zu ungeduldig gewesen wäre und nicht vorzeitig seinen Kopf herausgestreckt hätte um nachzusehen, ob die Nacht schon vorbei wäre, hätten sie ihre letzte Prüfung vor dem Ballspiel bestanden gehabt. Doch kurz vor dem Morgen riß eine der Fledermäuse Junajpu den Kopf ab. Xbalanke versuchte zwar, den Kopf Junajpus für das Ballspiel behelfsmäßig durch einen Kürbis zu ersetzen, aber die Niederlage war dadurch nicht mehr abzuwenden. Die Herren der Unterwelt töteten die göttlichen Zwillinge, zermahlten ihre Körper und warfen die Knochen in einen Fluß.
Doch dann geschah ein neues Wunder: Die Knochen sammelten sich auf dem Grund des Flusses und wuchsen erneut zu Körpern zusammen. Am fünften Tag nach der Hinrichtung entstiegen die göttlichen Zwillinge dem Wasser. Sogleich sannen sie auf Rache an den Herren der Unterwelt. Sie tarnten sich als arme Gaukler, zogen durch die Lande und machten von sich reden durch ihre Tanzkunst und das Vollbringen von Wundern. Unter anderem ging das Gerücht um, sie könnten Tote erwecken. Als die Herren der Unterwelt diese seltsame Kunde erreichte, wünschten sie, daß die beiden ihre Kunst auch vor Hofe der Unterirdischen vorführten. Ohne Verzug ließen sich die göttlichen Zwillinge den ihnen bereits vertrauten Weg hinabführen. Die verkleideten Brüder begeisterten dort zunächst durch ihren ekstatischen Tanz, der sogar die Herren der Unterwelt ermunterte, das Tanzbein zu schwingen. Als die Vorstellung fortgesetzt wurde, töteten die göttlichen Zwillinge einen Hund und erweckten ihn wieder zum Leben. Die Herren der Unterwelt waren begeistert, so etwas hatten sie noch nicht gesehen, und sie wünschten weitere Wunder. Deshalb zündeten die Brüder die Residenz der Herren der Unterwelt an, und sie loderte auch in hellen Flammen, ohne jedoch irgendwelchen Schaden zu nehmen. Entzückt forderten die Herren der Unterwelt die Zwillinge auf, sich gegenseitig zu opfern und erneut zum Leben zu erwecken. Xbalanke führte dieses Wunder an Junajpu erfolgreich vor. Zuletzt baten die Herren der Unterwelt in ihrem euphorischen Überschwang, selbst getötet und durch wieder zum Leben erweckt zu werden. Da schnitten die göttlichen Zwillinge den Herren der Unterwelt die Brust auf, rissen ihnen ihre Herzen heraus - und ließen die Leichname der Herren der Unterwelt einfach liegen, ohne ihnen wieder das Leben zu schenken. So haben die göttlichen Zwillinge der Herrschaft der Dunkelheit Einhalt geboten und Junajpu verwandelte sich daraufhin in die Sonne, Xbalanke in den Mond."

Zurkov fragte sich, welcher kranke Gedanke Lindauer dazu bewegt haben mochte, ihm spontan und ohne jeden Gesprächszusammenhang diese seltsame Geschichte zu erzählen.
"Eine interessante Legende", meinte er.
"Genau, und unser ganzes Leben setzt sich aus Legenden zusammen."
Professor Zurkov war zwar keineswegs der Ansicht, daß sich das Leben nur aus Legenden zusammensetzte, er glaubte im übrigen nicht an Übernatürliches, und er hatte auch keine Religion, aber er wagte Lindauer nicht zu widersprechen.
Im selben Augenblick sahen sie, daß ein umgefallener Baumstamm quer zur Piste lag und den Weg versperrte. Lindauer ließ den Motor laufen und blickte sich blitzschnell mit skeptischen Augen nach allen Seiten um, weil er vielleicht Banditen fürchtete.
"Kommen sie", rief er, "sie müssen mit anpacken!"
Sie stiegen aus, um den Stamm aus dem Weg zu räumen.
"Wissen sie, was das bedeutet, was ich ihnen gerade erzählt habe?", fragte Lindauer, als er mit Bärenkräften den Stamm anhob.
"Nein."
Lindauer blickte mit sehr besorgter Miene zu Zurkov hinüber: "Daß wir geistlichen Beistand brauchen!"
"Wieso das?" keuchte Zurkov, der ganz mit dem Baum beschäftigt war.
"Damit es uns nicht so geht wie Jun Junajpu und Wuqub Junajpu", antwortete der Österreicher mit sehr ernster Stimme.
"Wieso?" erwiderte Zurkov verwundert, der die Äußerung nicht ganz ernst genommen hatte, "vielleicht gewinnen wir ja das Ballspiel."
Lindauer schaute erst irritiert, dann brach er plötzlich unmäßig in Lachen aus.
"Vielleicht!", sagte er dann, "Aber trotzdem!"

Die beiden Männer stiegen nach Beseitigung des Hindernisses wieder in den Jeep und setzten die Fahrt fort. Als Zurkov noch über das seltsame Gespräch nachdachte und darüber, was Lindauer wohl mit "geistlichem Beistand" meinen könnte, fuhr dieser mit seinen Monologen fort:
"Haben sie schon gewußt, daß ihre Vogelspinnen den Maya als heilige Tiere gelten? Denn die Vogelspinnen - das wissen sie besser als ich - graben sich Höhlen in den Boden, in denen sie oft für Monate verschwinden. Man sollte glauben, sie seien tot. Doch eines Tages kriechen sie wieder aus dem Erdreich hervor, schöner, glänzender als je zuvor, als seien sie von den Toten auferstanden. Deshalb glauben die Maya, daß die Spinnen mit den Verstorbenen in Kontakt treten und befragen sie in heiligen Ritualen nach dem Schicksal ihrer Angehörigen in der Unterwelt."
"In Wirklichkeit haben sie sich während dieser Zeit gehäutet", warf Zurkov ein.
"Wahrheit ist relativ", entgegnete der Österreicher.
Lindauer erging sich begeistert in der Schilderung zahlloser weiterer Mythen über Spinnen und Höhlen und Totengötter und seine Stimme überschlug sich nun fast. Er bemerkte nicht, daß die Aufmerksamkeit seines Gesprächspartners längst nachgelassen hatte, der sich traditionell eher für greifbarere Dinge interessierte. Zurkov - der irgendwann in ganz andere Gedanken versunken war - nickte von Zeit zu Zeit anstandshalber, und Lindauer, der gar keinen echten Dialog suchte, schien sich damit zufriedenzugeben. Einige Fetzen von dem, was aus Lindauers Mund munter hervorsprudelte, bekam Zurkov dennoch mit, etwa daß die Maya alle Krankheiten mit Winden in Verbindung bringen, die aus Höhlen austreten oder daß in ihrer Kunst der Zugang zur Unterwelt als der Rachen eines Tausendfüßlers dargestellt würde - den Gott der Unterwelt nennten sie auch den "weißen Knochenhaus-Tausendfüßler". Als Lindauer erheitert erzählte, daß die Maya den Gott der Unterwelt den "großen Furzer" bezeichneten, weil er schlechte Winde verbreite - solche der Fäulnis und Verwesung nämlich - lächelte Zurkov höflichkeitshalber ebenfalls. Auch die Schilderung, daß man den Göttern Blutopfer schuldig sei, nahm er am Rande war.

In Wirklichkeit kreisten Zurkovs Gedanken mittlerweile jedoch um wissenschaftliche Fragen, die alle mit seinem Projekt zu tun hatten. Er erhoffte sich vor allem darüber Aufschluß, welches Verhalten Vogelspinnen in der absoluten Dunkelheit einer Höhle angenommen haben könnten, um zu überleben. Wovon ernährten sie sich und welche Körpergröße würden sie erreichen? Und wie hat sich im Lauf der Evolution ihr "Augenhügel" entwickelt, der bei Vogelspinnen normalerweise acht Linsenaugen vereinigt? Ist er - da er in der Dunkelheit ja unbrauchbar ist - nur noch rudimentär vorhanden? Sind die Spinnen blind? Zurkov verwunderte es nicht, daß es ausgerechnet die Vogelspinnen waren, die sich den Lebensraum Höhle erobert haben. Im Gegensatz zu anderen Spinnen ist ihr weitverzweigtes Gespinst ziemlich unregelmäßig und sie gebrauchen es auch nicht zum Beutefang, sondern nur zur Ortung der Beute. Ihre Fäden gleichen den Drähten in einem Minenfeld. Wenn ein Beutetier so unvorsichtig ist, über einen der Fäden zu stolpern, ist das für die Spinne das Signal, aus ihrem wohlgetarnten Versteck, das sich meist im Erdreich befindet, pfeilschnell herauszuspringen, während für das Beutetier das Zerstören, ja das bloße Berühren eines solchen Fadens fast dem sicheren Todesurteil gleichkommt. Denn die Spinne vermag anhand der Berührung auch genau zu orten, wo sich die Beute befindet. Das chaotisch erscheinende Netz kann als ein riesiges, zusäzliches Sinnesorgan gesehen werden und die einzelnen Fäden als Nervenstränge. Aus diesen Gründen sind Vogelspinnen grundsätzlich nicht auf ihre Sehorgane oder auf das Sonnenlicht angewiesen und so auch nicht die mutmaßlichen Spinnen in den Höhlen Guatemalas.
Augenlose Spinnen - mit dieser Behauptung würde er in der Fachwelt allerdings erheblichen Staub aufwirbeln! Aber das war ihm egal, er fand sich viel zu alt dafür, kein Risiko einzugehen. Unlängst hatte er sich mit einem Kollegen unterhalten, einem Primatenforscher, der selber nicht mehr der jüngste war. Jener hatte lange Jahre das Verhalten von Pavianrudeln in Afrika beobachtet. Und dabei hatte er festgestellt, daß die alten Pavianmännchen, wenn sie ihren Pascha-Status längst eingebüßt hatten, doch noch für das Rudel tauge waren und nicht verstoßen wurden. Sie machten sich nämlich dadurch nützlich, daß sie, wenn die Horde auf ihrem Weg Gefahr vermutete, vorausliefen und die Lage auskundschafteten, während die jungen Männchen, die noch ein ganzes Leben verlieren konnten, vorsichtig in Deckung blieben. "Wenn ich eines von meinen Pavianen gelernt habe", pflegte sein Kollege auszurufen, der dafür bekannt war, gewagte wissenschaftliche Thesen zu formulieren, "dann das, daß wir Alten gelegentlich ein wenig mutiger sein dürfen als die Jungen und ein wenig mutiger sein müssen." Dieser Meinung wollte sich Zurkov gerne anschließen.

Er liebte seine Vogelspinnen. Und er war zeitlebens darum bemüht gewesen, den Menschen die Angst vor Spinnen, diesen Wundern des Tierreichs, zu nehmen. Er war wie wohl jeder Arachnologe der Überzeugung, daß die Angst vor Spinnen nur von der Gesellschaft anerzogen sei und auf keinen Fall angeboren sein kann. Er erinnerte sich, wie er einmal mit einem deutschen Tiefenpsychologen heftig in Streit geraten war, der die Arachnophobie als Ursymbol der menschlichen Psyche gesehen wissen wollte. Dem hochgestochenen Gefasel von "der im Zentrum ihres Netzes sitzenden Spinne als einem Symbol des Selbst in seinem negativ, beängstigenden Aspekt" konnte er gar nichts abgewinnen. Und wenn Besucher in seinem Haus vor den Vogelspinnen hysterisch zurückschreckten, dann nahm er sie zur Demonstration mit den Händen aus dem Terrarium heraus und streichelte sie. Einem jeden hatte er freilich die Scheu vor den Spinnen nicht aberziehen können. Am meisten hatte ihn enttäuscht, daß er es nie geschafft hatte, Christine die Angst vor Spinnen zu nehmen. Sie hatte den Garten mit seinen zahllosen Terrarien so gut es ging immer gemieden. Ihre Beziehung war ansonsten äußerst harmonisch, doch mit diesem Verhalten hatte sie ihn immer gekränkt.
Dabei seien Vogelspinnen viel besser als ihr Ruf, wurde er nicht müde zu propagieren. Ihr Gift etwa sei wider allen Irrglaubens vergleichsweise harmlos, für den Menschen sowieso. Sie können ihre Beute damit allenfalls betäuben. Dann spritzen sie ein Verdauungssekret in den Leib der Beute, das das Gewebe des noch lebenden Tieres zerfrißt und zu einem dicken Brei zersetzt. Nach einiger Zeit saugt die Spinne diesen vorverdauten Brei in sich ein. Auf diese Weise verfährt übrigens auch das Spinnenweibchen mit dem Spinnenmännchen nach der Begattung.
Zurkov hatte Vogelspinnen sogar schon verspeist, wenn auch nicht ganz freiwillig. Als er einmal vor vielen Jahren in Kolumbien auf Expedition war, setzten ihm die dortigen Indianer als besonderen Leckerbissen gebratene Vogelspinnen vor. Um seine Gastgeber nicht zu enttäuschen, konnte er das Mahl nicht ablehnen. Zurkov legte sie wie seine Gastgeber in die linke Hand, presste mit der Rechten fest von oben auf den Körper, damit der Chitinpanzer aufsprang und schlürfte schließlich das Fleisch heraus. Er mußte zugeben, daß sie gar nicht so schlecht schmeckten, wenn man sich einmal daran gewöhnt hatte, ihr Geschmack erinnerte an frischen Krebs. Nach der Mahlzeit folgte er dem Beispiel der Einheimischen und benutzte das Klauenwerkzeug der Spinnen als Zahnstocher.
Er freute sich darauf, die blinden Spinnen endlich mit eigenen Augen sehen zu können.

"Wir haben nicht mehr weit", rief Lindauer optimistisch, "wir sind bald da!"
"Aber hier gibt es doch nicht den kleinsten Berg?" wendete Zurkov ein.
"Na und? Der Untergrund der halben Yucatán-Halbinsel ist verkarstet und von Höhlen zerfressen. Sogar der große Peten-Itzá-See, von dem wir gar nicht so weit entfernt sind, wird von unterirdischen Wasserläufen gespeist. Die Maya glauben sowieso, daß alle Wasserläufe im Untergrund miteinander verbunden sind und mit den Strömen der Unterwelt in Verbindung stehen und mit dem mythischen Urmeer..."
"Meinen sie", unterbrach ihn Zurkov, "daß wir mit den Forschungen schon morgen beginnen können?"
"Sicher!"
Plötzlich steuerte Lindauer den Jeep an den Straßenrand und hielt an.
"Kommen sie Professor, aussteigen!"
"Was wollen wir denn hier?"
"Ich habe ihnen doch gesagt, wir brauchen geistlichen Beistand!"

Zurkov sah, daß ein schmaler Pfad von der Piste abzweigte, den Lindauer, mit beiden Händen das Gestrüpp zur Seite biegend, betrat. Verwundert folgte Zurkov seinem Partner. Nach etwa fünfzig Metern erreichten sie eine Lichtung, in dessen Mitte eine kleine Hütte stand.
Als sie auf die Lichtung traten, kam als erstes ein Kapuzineräffchen aus der Hütte gelaufen. Es stellte sich vor den beiden Forschern auf, machte Männchen und wollte offensichtlich was zum Fressen haben.
"Geben sie ihm bloß nichts", sagte Lindauer verächtlich, "das Vieh ist total verfressen!"
Aber der Professor liebte Tiere viel zu sehr, um gegenüber dem kleinen Kerl mit den schwarzen Pfötchen Härte zeigen zu können. Sein Herz wurde weich bei den lustigen Posen, das das Äffchen trieb, und er fütterte es mit einigen Keksen.
Durch die Schreie des Kapuzineräffchens sind aber noch weitere Bewohner der Hütte auf die Besucher aufmerksam geworden. Es traten ein alter Indianer mit langen, zerzausten Haaren, der eine einfache, beige Tunika trug, heraus, sowie ein etwa zehnjähriger Junge, der nur mit einem Lendenschurz bekleidet war.
"Das ist K'ayum Ma'ax", rief der Österreicher freudig aus, als er auf den Greis deutete und auf ihn zulief, um ihn zu umarmen.
Nach der Begrüßung schaute der Alte mit wachen, skeptischen Augen zu Zurkov hinüber.
"Kommen sie Professor, stellen sie sich meinem Freund vor. Er ist ein großer Heiliger und Medizinmann!" reif Lindauer aufgeregt.br> Zurkov hätte sich denken können, daß Lindauer mit "geistlichem Beistand" nicht gerade einen Franziskanerpriester gemeint haben konnte. Mit einer gewissen Distanziertheit begrüßten sich die beiden wortlos. Auch den kleinen Knaben begrüßte er freundlich, worauf der Junge schüchtern zurücklächelte.
"Wir werden den heutigen Abend bei K'ayum Ma'ax am Feuer verbringen", meinte Lindauer, und er sagte das in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.
Die Sonne ging auch schon unter. Zurkov und Lindauer mußten sich beeilen, auf der Lichtung ihr Zelt aufzuschlagen.
"Wieso lebt er eigentlich ganz allein hier im Urwald?" fragte Zurkov.
"Das Dorf seines Stammes ist nicht so weit weg, wie sie denken. Doch die Medizinmänner der Maya sind gezwungen, etwas abseits ihres Stammes zu leben, denn man fürchtet und meidet sie. Sie werden nicht geliebt, und nur, wenn die Menschen Probleme haben, suchen sie den Kontakt zu ihnen und greifen auf ihre Hilfe zurück. Doch die Dankbarkeit ist selbst dann nicht von Dauer, sondern hält nicht viel länger an, als man sie braucht."

Es dauerte nicht lange, bis K'ayum Ma'ax die beiden Forscher zum Essen rief. Er hatte Maisfladen und einige Stücke Truthahnfleisch auf den Grill gelegt. Sie ließen es sich schmecken. Währenddessen unterhielten sich Lindauer und K'ayum Ma'ax wie zwei alte Freunde. Lindauer mußte den Maya-Dialekt des Zauberers nahezu perfekt beherrschen, während Zurkov natürlich kein Wort davon verstand. Er wendete sich irgendwann ab und erklärte lieber dem Jungen, dessen Augen interessiert und aufgeweckt leuchteten, mit Hilfe vieler Gesten die Funktion seiner Kameraausrüstung. Als sie mit dem Essen fertig waren, war schon völlige Dunkelheit eingekehrt. Nur der flackernde Schein des Feuers erhellte noch die kleine Lichtung.
K'ayum Ma'ax stand auf und stellte eine Schale über die Flamme.
"Was jetzt kommt, wird ihnen nicht gefallen, aber es muß sein", warnte Lindauer. "Wir betreten bald die Unterwelt, wir verletzen den Herrschaftsbereich der heiligen Spinnen und das Refugium der Toten. Wir müssen für diesen furchtbaren Frevel entsühnt werden."
Zurkov glaubte aber, ihn könnten keine indianischen Rituale mehr schrecken. Schließlich hätte er einst monatelang unter Indianern im Regenwald Venezuelas gelebt.
Zunächst bot K'ayum Ma'ax den beiden Gästen ein Getränk an.
"Das ist 'Balche'", erklärte Lindauer, "es wird aus wildem Honig und der Rinde des Balchebaumes hergestellt. Trinken sie nur, es enthält nur wenig Alkohol."
Zurkov zögerte, denn er trank gewöhnlich überhaupt keinen Alkohol.
"Was ist denn? Wollen sie den Schamanen kränken? Trinken sie!" befahl Lindauer.
Widerwillig kostete Zurkov von dem Getränk. Es schmeckte abscheulich. Doch kaum hatte er den Becher gelehrt, schenkte K'ayum Ma'ax bereits nach. Auch der Knabe bekam reichlich zu trinken.
Nach einigen Bechern Balche-Genuß geschah etwas Seltsames: K'ayum Ma'ax warf sein Gewand ab. Er hatte darunter nichts an und stand nun vor ihnen mit seiner ganzen Mannespracht.
Da flüsterte der Österreicher: "Erschrecken sie nicht! K'ayum Ma'ax ist nicht etwa betrunken, dazu reicht der Alkoholgehalt von Balche lange nicht aus. Das ist Teil der Zeremonie."
Zurkov nickte. Er selbst war bei weitem nicht mehr nüchtern. Außerdem vermutete er, daß der Alte noch diverse andere Substanzen außer Alkohol in den Trunk hineingerührt haben mußte. Er fühlte sich sehr seltsam. Der Schamane aber band sich nun eine Stofftasche, die mit mysteriösen Zeichen bemalt war, wie ein Lätzchen vor die nackte Brust.
Die Entkleidung seines Meisters war für den Knaben das Zeichen gewesen, in die Hütte zu laufen. Kurze Zeit später kam er wieder, mit einem Trichter und anderen merkwürdigen Utensilien in der Hand, während K'ayum Ma'ax mittlerweile mit dem Kopf nach vorne auf dem Boden kauerte, wie ein Mohammedaner in demütiger Gebetshaltung. Sein verrunzeltes Gesäß streckte der Alte nach hinten empor. Nun trat der Junge heran, steckte den Trichter in den After des Schamanen und füllte - zu Zurkovs Erschrecken - literweise Balche in den Enddarm.
Diese Maßnahme, dem Körper zusätzlichen Alkohol zuzuführen, verfehlte ihre Wirkung nicht: Nach kurzer Zeit geriet K'ayum Ma'ax in Ekstase und begann erst zu singen, dann zu schreien. Hinzu kam die Stimme des Jungen, der auch leise zu singen begann. Das Kind packte den Kapuzineraffen und preßte ihn zu Boden, während der Schamane dem Affen mit einem Beil den Kopf abhackte. Das aus den Schlagadern noch herausspritzende Blut wurde in der Schale über der Feuerstelle aufgefangen und verbrannt. Bestialischer Gestank verbreitete sich über der ganzen Lichtung. K'ayum Ma'ax tanzte und schrie wie im Wahn. Plötzlich begann auch der Österreicher in das Gebrüll miteinzustimmen. Der Schamane erbrach sich in das Täschchen vor seiner Brust und schwenkte es darauf feierlich über dem Feuer. Ein wenig von dem Erbrochenen kippte er in die Schale, um es verdampfen zu lassen. Zurkov wurde schlecht und die Bilder flirrten vor seinen Augen. Seine Glieder befiel außerdem ein leichtes Gefühl von Taubheit.
Auf einmal kam der Knabe wieder herbeigelaufen. Er hielt eine silberne Nadel in der Hand. K'ayum Ma'ax kniete sich erneut vor dem Feuer nieder, und der Junge durchstach mit dem Metall langsam, schräg von oben nach unten, offensichtlich nach einer festen rituellen Vorschrift, die Zunge des Schamanen. Danach zog er eine etwa ein Meter lange Schnur durch die blutende Wunde, anschließend einen Rochenstachel. Der Zauberer brüllte mit schmerzverzerrtem Gesicht. Das Blut, das während dieser Prozedur heruntertropfte, wurde ebenfalls in dem Schälchen aufgefangen und über dem Feuer erhitzt und verräuchert.
"Das tut er alles für sie!" schrie Lindauer den Professor an, wobei er die Schmerzensklagen des Schamanen und die Gesänge des Knaben und das Zischen des verdampfenden Blutes zu übertönen versuchte.
Nach einer Weile kehrte Ruhe ein. Völlig erschöpft saß der nackte Schamane, der immer noch sein stinkendes Stofftäschchen vor der Brust hängen hatte, am Feuer und starrte wie in Trance in die Flammen.

"Jetzt sind die Geister der Toten und die Götter der Unterwelt und die heiligen Spinnen wohl versöhnt", sagte Lindauer mit bedeutungsschwerer Stimme, "ich habe ihnen ja gesagt, daß es Blut zu opfern gilt. Und die Indianer sind auch versöhnt, ohne deren Erlaubnis wir niemals in die Höhlen hätten eindringen dürfen."
Zurkov kauerte ziemlich verstört neben ihm und war zu keiner Antwort fähig.
"Sitzen sie nicht so tatenlos in der Gegend herum, auf geht's, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, die Höhlen aufzusuchen!" trieb Lindauer seinen Partner an.
"Was?" rief Zurkov verständnislos, "Jetzt? Mitten in der Nacht?"
"Was spielt das für eine Rolle", entgegnete Lindauer, "in Höhlen ist es doch immer Nacht!"
Ohne auf eine Antwort zu warten, ging Lindauer zum Fahrzeug und holte die Ausrüstung.
"Kommen sie, Zurkov, der Kazike bleibt hier, er muß sich von den Strapazen erholen. Ich kenne den Weg selbst."

Zurkov blieb nichts anderes übrig, als Lindauer in den Wald zu folgen. Sein Schwindelgefühl verflog zum Glück allmählich, doch zum ersten Mal seit Jahren sehnte er sich in sein wohliges Haus in Massachusetts zurück, das er zu hassen begonnen hatte, seit seine Frau verstorben und dort nur Leere und Stille zurückgeblieben war. Mit eingeschalteter Helmbeleuchtung kämpften sie sich durchs Dickicht, doch schon nach wenigen Metern standen sie vor einer großen, schwarzen Öffnung im Boden.
"Das ist der Eingang der Höhle", rief Lindauer triumphierend.
Offensichtlich hatte der Schamane seine Hütte absichtlich in unmittelbarer Nähe zur Höhle errichtet.
"Kletterausrüstung brauchen wir eigentlich nicht, wenn die Spinnen noch am selben Platz sind, an dem ich sie entdeckt habe", sagte der Höhlenforscher.
Zurkov war froh, daß wenigstens nicht der wahnsinnige Indianer dabei war, sondern daß er sich ganz in der Obhut des Österreichers befand.
Zurkov beugte sich nach vorn und leuchtete mit der Helmlampe in das gähnende Loch hinunter. Er schätzte, daß es etwa zehn Meter in die Tiefe ging. Am Grund stand offenbar Wasser, das das Licht reflektierte.
"Keine Angst Zurkov, wir holen uns keine nassen Füße", sagte Lindauer. "Wir können das Wasser umgehen. Vertrauen sie mir einfach und kommen sie mit!"
Sie mußten eine etwa 10 Meter hohe Leiter hinunterklettern. Lindauer ging voraus und Zurkov folgte ihm vorsichtig. Sie kamen unten tatsächlich auf trockenem Grund zu stehen. An dieser Stelle lagen zahllose Gegenstände auf dem Boden verstreut, die verdammt so aussahen, als seien es alles Kultgegenstände und Weihegeschenke an die Unterweltgottheiten. Zurkov fragte sich, ob sie alle von K'ayum Ma'ax stammten oder ob sie sich über die Jahrhunderte allmählich angesammelt hatten. Bei den Maya flossen Gegenwart und Vergangenheit so sehr in eins zusammen, daß man solche Fragen schwer zu entscheiden vermochte.
"Die nächsten paar Meter ist es etwas glitschig. Passen sie auf, daß sie nicht ausrutschen!" warnte Lindauer.
Sie krochen in eine etwa anderthalb Meter hohe Öffnung, die in einen Gang mündete, der ziemlich steil nach unten führte. Wenn Lindauer damit beruhigte, hier brauche man keine Kletterausrüstung und meinte, der Weg sei ein Spaziergang, dachte sich Zurkov, dann habe er nur an sich gedacht. Ein normaler Mensch ohne Höhlenerfahrung dagegen könne sich hier alle Knochen brechen.
Nach etwa dreißig Metern konnten sie wenigstens wieder aufrecht gehen, allerdings mußten sie aufpassen, nicht mit dem Kopf an einen der zahlreichen Stalaktiten zu stoßen. Immer wieder verzweigte sich der Weg, den Lindauer aber genau zu kennen schien. Zurkov hielt sich deshalb ängstlich direkt hinter ihm, auf sich alleine gestellt wäre er hier unten höchstwahrscheinlich verloren gewesen.
"Eilen sie sich, Zurkov, bald haben wir es geschafft!" trieb Lindauer ihn an.
Jetzt war der Professor wirklich aufgeregt und er begann seine Ängste zu ignorieren, das alte Feuer wissenschaftlicher Besessenheit entflammte in ihm noch einmal. Zu Zurkovs Überraschung stießen sie plötzlich auf einen unterirdischen Flußlauf, der sich aber schon seit längerem durch dunkles Rauschen angekündigt hatte.
"Hier habe ich die Vogelspinnen entdeckt", flüsterte Lindauer und beschrieb mit dem Arm einen etwas weiteren Bogen.
Zurkov blickte sich um, sah aber keine.
"Das ist merkwürdig", versetzte Lindauer, "vor kurzem wimmelte es hier geradezu davon."
"War es wirklich genau an dieser Stelle?" fragte Zurkov. "Vogelspinnen sind eigentlich sehr ortsfest. Es sind Lauerjäger."
Lindauer gab keine Antwort, sondern suchte weiterhin den Boden ab.
"Zumindest müßten abgelegte Chitinpanzer alter Häutungen hier herumliegen, wenn es hier jemals welche gegeben haben sollte", murmelte Zurkov eher zu sich selbst.
"Möglicherweise war der Wasserspiegel zwischenzeitlich gestiegen und der Fluß hat alles fortgespült", spekulierte Lindauer.
Zurkov brummte ungläubig.
Andererseits drängte sich langsam, aber penetrant und unabweisbar ein Objekt in sein Bewußtsein, das er zunächst wegen dessen Größe ignorieren wollte. Der Körper steckte im Schlick, hatte eine Länge von ungefähr einem Meter und sah im Halbdunkel wie ein gekrümmter, vermodernder Stock aus. Doch als er mit dem Stiefel dagegentrat, knirschte es. Es knirschte, als ob man die Schale eines Hummers knackt. Zurkov wußte instinktiv, daß er auf das Beinskelett einer Vogelspinne getreten war, doch er wollte diesen Gedanken am Anfang nicht zulassen. Denn eine Spinne solcher Größenordnung sei ein Wesen, das den Menschen zum Glück nur in ihren Träumen oder in der Phantasie begegnen kann.

Leichtsinnigerweise zog der Wissenschaftler das Beinskelett aus dem Schlick. Dann sah er, daß am unteren Ende zahllose weiße Fäden hingen, die an ein Pilzmyzel erinnerten. Zu spät begriff Zurkov, was das zu bedeuten hatte. Er hätte vorsichtiger sein müssen. Wie hatte er nur ein derart kritisches Artefakt so unbesonnen berühren können? Jetzt waren die Fäden zerrissen, das Signal ausgelöst, das Geflecht erregt und die gigantische Spinne, die dieser abgelegten Hülle entwachsen war und ihn als Köder ausgelegt hatte, würde sich gleich auf den Weg machen, um sich ihre Beute zu sichern.
Zurkov hörte flußaufwärts etwas Großes ins Wasser platschen, und als er erschrocken den Blick dorthin wendete, glaubte er im Dämmerlicht der Lampe erkennen zu können, daß ein großer, fetter, rundlicher Leib teils sich von der Strömung treibend lassend, zusätzlich mit vielen dürren Beinen rudernd stürmisch schnell auf sie zukam. Bald würde sie die Spinne betäuben, ihnen ihr Verdauungssekret injizieren, zu saugen beginnen, und nur leere Hauthüllen wie jene des Heiligen Bartholomäus würden an den Gestaden des Unterweltflusses zurückbleiben. Und niemand würde wissen, wo er abgeblieben ist, niemals würde er in das Grab seiner Frau finden, die vielleicht auf ihn wartete, dieser Gedanke schoß ihm jetzt durch den Kopf.
Jetzt wollte Zurkov sich retten. In blinder, kopfloser Flucht begann er in Gegenrichtung flußabwärts zu laufen. Lindauer, der anscheinend die Gefahr noch nicht erkannt hatte, schrie ihm irgendetwas hinterher. Doch dann hörte er wegen des Wasserrauschens nichts mehr. Jetzt war er wirklich ganz auf sich allein gestellt.

Zurkov watete durch den Bach, seine Stiefel sogen sich schnell voll Wasser, und als er sich einmal umdrehte, konnte er immer noch den Umriß von etwas Rundem, Schwarzem hinter sich erkennen.
Zurkov konnte nicht schneller. Seine einzige Hoffnung blieb, daß die Spinne - wenn es denn eine Spinne war, was ihn verfolgte - ihrem Instinkt folgte und die Jagd nach kurzer Zeit aufgäbe, um zu ihrem Lauerplatz zurückzukehren. Doch danach schien es momentan nicht auszusehen.
Aber unversehens keimte plötzlich eine ganz andersartige Hoffnung in ihm auf. Am Ende des Stollens glaubte er - so unmöglich das sein konnte - Tageslicht wahrnehmen zu können! Ungläubig lief er weiter, aber was dort vom Ende des Tunnels hereinschien, waren ohne jeden Zweifel Sonnenstrahlen, obwohl doch draußen immer noch tiefste Nacht herrschen mußte.
Er arbeitete sich weiter zum Licht vor. Als er ins Freie kam, bot sich ihm ein unvorstellbarer Ausblick: Er befand sich nicht länger im Dschungel. Vor ihm breitete sich eine schmerzhaft schöne, hügelige Heidelandschaft aus. Der Himmel strahlte azurblau und keine Wolke trübte ihn. Es war angenehm temperiert, aber nicht heiß. Er konnte in alle Richtungen weiten Ausschau halten, den Horizont bildeten sanfte Hügelketten. Vor ihm lag eine saftige Wiese mit vielen Blüten, hier und dort wuchsen Wacholderbüsche. Der Bach, der aus der Grotte sprudelte, aus der er selbst herausgekrochen war, war kristallklar, so daß er die bunten Steine auf dem Grund sehen konnte. Vereinzelt standen prächtige Bäume in der Landschaft, manche schlossen sich auch zu kleinen Hainen zusammen. Jetzt hatte er keine Angst mehr. In dieser wunderbaren, freundlichen Landschaft sei für böse Wesen kein Platz. Demutsvoll blieb er lange einfach reglos stehen und schaute sich nur satt an diesem Wunder. Er wagte kaum, seine täppischen Füße in diese Szenerie zu setzen. Dann begann er aber doch, ein paar Schritte weiter hinein zu gehen. Er zog dann seine schmutzigen Schuhe aus. Es war auch viel angenehmer, in dem weichen Gras barfuß zu gehen. Es war ein so wohltuendes Gefühl, wie seine Füße sanft in den Boden einsanken. Der frische Frühlingsduft der Wiesen rief Erinnerungen an Düfte wach, die ihm aus der Kindheit vertraut und seither vergessen waren. Langsam und berauscht schlenderte er in Richtung eines kleinen Hains, einfach, weil er kein anderes Ziel hatte. Hier brauchte er auch keines. An allen Ecken entdeckte er wundervolle Blumen, Gräser und vielfarbige Blüten. Alle Pflanzen kamen ihm natürlich und vertraut, aber doch gleichzeitig seltsam fremdartig vor. Am Himmel beobachtete er einen Gruppe von silbernen Vögeln, die, ohne einen Laut von sich zu geben, über die Wipfel der Baumgruppe schwebten. Zum ersten Mal hatte er, von den Blättern der Bäume abgesehen, die in der sanften Brise leicht hin- und herwogten, Bewegung in dieser Landschaft wahrgenommen,. Er ließ seinen Blick schweifen, ob noch irgendwo weitere Tiere zu beobachten waren. Da entdeckte er in der Ferne Wesen - menschliche Wesen. Sie waren in weiße Gewänder gehüllt. Eine kleine Kolonne stieg mit gemessenen Schritten einen Hügel hinauf, genau dem sichtbaren Grat entlang, so daß sich ihre weißen Umrisse vor dem blauen Himmel abzeichneten. Das Bild erinnerte ihn an ein zweidimensionales Schattenspiel. War dort eine Prozession im Gange? Eine zweite kleine Gruppe zog einen anderen Hügel auf ähnliche Weise langsam und würdevoll hinunter. Er versuchte sich diesen Menschen zu nähern, indem er sich in ihre Richtung aufmachte. Auf einmal kitzelte es ihn an den Füßen. Er vermutete, in eine Ameisenstraße getreten zu sein, doch zu seiner Überraschung stellte er fest, daß das Gelände, in dem er stand, von zahllosen kleinen Spinnen wimmelte. Er streifte die Spinnen mit den Händen ab und setzte seinen Weg fort. Wenig später senkte sich das Gelände sanft ab und er schaute in ein verträumtes, vergessenes Tal. Noch mehr überraschte ihn, daß an dem Bach, der das Tal idyllisch durchfloß, eine altertümliche Wassermühle stand. Ein Mensch, eine junge Frau saß davor und arbeitete in tiefer Ruhe an einem Spinnrad. Sogleich vergaß er die fernen Gestalten auf den Hügeln, er setzte seinen Weg stattdessen in Richtung der Mühle fort. Die Frau, die sein Herannahen noch nicht bemerkt hatte, war ebenfalls in einen leichten, weißen Umgang gehüllt, der wie aus feinster Seide gefertigt schien. Die Mühle war von einem verfallenen Holzzaun eingefriedet, und als er das knirschende Gatter behutsam öffnete, blickte die Frau von ihrer Arbeit auf. Das Entsetzen, das sich auf seinem Gesicht abzeichnete, findet keinen Vergleich: Es war seine Frau - in der Blüte ihrer Jugend! Auch auf ihrem Gesicht, als sie ihn erkannte, machte sich Bestürzung breit. Sie richtete sich von ihrem Schemel auf, wollte zunächst zu ihm hinlaufen, doch dann besann sie sich und blieb zermürbt stehen. Er schritt immer näher auf sie zu. Sie begann, aufgeregt mit den Armen zu rudern, als ob sie ihn auf etwas hinweisen wollte. Sie wollte anscheinend sprechen, doch das konnte sie nicht. Er sah, daß ihr Mund mit weißen Fäden versponnen war. Wahrscheinlich wollte sie ihm bedeuten, daß er fliehen solle, aber er geriet in ihrer Nähe in so glücklichen Taumel, daß er auf die Zeichen nicht achtete. Dann deutete sie deprimiert auf den Boden: Er schaute zu seinen Füßen hinab und erkannte, daß er in seiner Aufregung nicht bemerkt hatte, daß das gesamte Gelände von weißen Fäden dicht vernetzt war. Dick wie Watte bedeckten die Fäden die Stelle, an der er stand. Er blickte sich um und konnte eine regelrechte Schneise erkennen, die er ahnungslos mit seinen Schritten in das weiße Geflecht gerissen hatte. Dieser Anblick schien ihm sein Todesurteil zu bedeuten, wie wenn ihm der Arzt ein Röntgenbild voller todverheißender Schatten vor die Nase gehalten hätte. Schon drangen über die Hügel am Horizont mehrere schwarze Körper herüber, die bedeutend größer waren als jene menschlichen Gestalten, die immer noch in Seelenruhe hinauf- und hinunterzogen und die von den Spinnen - es waren trotz ihrer alptraumhaften Dimension eindeutig Spinnen - unbehelligt blieben. Es war ihm egal, er lief zu seiner Frau hin. Er hätte sie gerne noch einmal geküßt. Doch die weißen Fäden vor ihrem Mund schienen wie mit dem Fleisch verwachsen. Außerdem wendete sie ihren Kopf von ihm ab. Er streckte seine Hand nach ihr aus, faßte die ihre, und diesmal ließ sie ihn gewähren. Ihre Haut fühlte sich so wunderbar weich an. Der Anflug eines traurigen Lächelns flog für einen kurzen Moment über ihr blasses Gesicht. Doch dann zog sie ihre Hand sachte zurück und flehte ihn geradezu an, die Flucht zu ergreifen. Widerstrebend gehorchte er ihr. Er vermutete, der Bach, der die Mühle speiste, war dasselbe Gewässer, über das er in diese Welt gekommen war. Als er sich zur Flucht wandte, machte sich plötzlich Panik in ihm breit. Er drehte nicht mehr um. Er kämpfte sich, so schnell es sein Alter zuließ, den Bachlauf voran, er mußte sich dabei durch manches Gebüsch schlagen. Ein paar Mal hatte er sich dabei ängstlich nach den Spinnen umgedreht. Sie waren aber nicht mehr auf den Hügeln zu sehen, sie waren wahrscheinlich schon viel näher und wohl durch Bäume und ähnliche Hindernisse seiner Sicht verdeckt. Nur einmal, als er an einer erhöhten Stelle zu stehen kam, konnte er eine von den Bestien sehen, sie waren schon beunruhigend nahe gekommen, vor allem aber waren sie flink. Die Spinnen mußten mindestens zehnmal so schnell sein, wie seine alten Beine laufen konnten. Von da an blickte er nur noch nach vorn. Endlich, nach einer ihm grausam lang erscheinenden Zeit, entdeckte er die Grotte vor sich, aus der der Bach heraussprudelte. Schnell eilte er hinein, ohne die Gewissheit zu haben, daß es im Inneren des Berges sicherer für ihn sei. Er bemerkte, daß er während der ganzen Zeit seinen Höhlenhelm getragen hatte und daß er die Lampe nie ausgeschaltet hatte, sie brannte noch immer. Er arbeitete sich den Bachlauf hinauf und allmählich begannen seine Kräfte zu schwinden. Alles fing an, sich vor seinen Augen zu drehen und das letzte, was er wahrnahm, war ein Ruf: "Mein Gott, geben sie mir ihre Arme!"

Als er wieder zu Bewußtsein kam, lag er in einem Zelt. Lindauer saß neben ihm. Als der Österreicher gewahr wurde, daß Zurkov das Bewußtsein wiedererlangt hatte, sah er ihn tief in die Augen, mit einer Mischung aus ehrlicher Sorge und Verärgerung.
"Sind wir in Sicherheit?" war alles, was Zurkov in dem Moment hervorbrachte.
Später sollte ihm Lindauer erklären, daß Zurkov in der Höhle plötzlich einen Schwächeanfall erlitten habe und er ihn huckepack unter größten Anstrengungen den ganzen Weg zurück nach draußen geschleppt haben soll. Wieder ein wenig später, als Zurkov sich einigermaßen erholt hatte, stieß Lindauer dann alle möglichen Vorwürfe aus, von wegen der Schwierigkeiten, die er sich mit ihm aufgeladen hätte, von wegen des enttäuschenden Ausgangs des Unternehmens, von wegen der Arbeitszeit, die ihm verlorengegangen sei und daß Zurkov endlich einsehen solle, daß er ein alter Mann ist uns so weiter.
Er fuhr Zurkov immerhin noch zum Flughafen zurück. In der Wartehalle wollte er ihm zum Abschied einen kleinen Karton überreichen, in dem einige Luftlöcher hineingebohrt waren.
"Ich habe noch eine Überraschung für sie, Zurkov", sagte er, "damit ihre Reise nicht ganz vergebens war: Ich habe ein einziges Exemplar fangen können, bevor sie mir vollkommen zusammengebrochen sind. Nehmen sie sie! Dann können sie das Tier in aller Ruhe zu Hause studieren."
"Ich will sie nicht!" schrie Zurkov entsetzt, angeekelt von dem verschlossenen, braunen Karton.
"Wollen sie sie nicht einmal sehen?" fragte Lindauer irritiert und enttäuscht.
"Nein! Behalten sie sie!" kreischte Zurkov.
"Sie sind undankbar", sagte Lindauer.
"Nein, im Gegenteil! Ich danke ihnen von ganzem Herzen für alles! Aber bitte, bitte behalten sie die Spinne bei sich!"
Lindauer war immer noch gekränkt, aber er blieb so lange bei Zurkov, bis dessen Flug aufgerufen worden war. Zurkov freilich wäre es lieber gewesen, Lindauer wäre mitsamt seinem Karton möglichst auf der Stelle davongeschieden. Er war unendlich erleichtert, als er sich endlich von seinem Partner hatte verabschieden können.
Es sollte seine letzte Reise ins Ausland gewesen sein.
Die Einladung zu dem Kongreß in Philadelphia hatte er allerdings noch wahrgenommen. Er sollte dort sein ganzes Ansehen verspielen, als er plötzlich, mitten in seinem Vortrag, die erschütterten Zuhörer mit fahrigen Gesten und mit wirrer, zitternder Stimme vor der Gefährlichkeit "großer Spinnen" zu warnen begann.

 

HILFE! Es wäre ratsam, einige Absätze einzufügen. Das ist nicht böse gemeint, sondern ein gutgemeinter Rat. Ich spreche da aus Erfahrung. :dozey: Die meisten hier lesen am Bildschirm. Und da ist so ein "Textmonster" Gift für die Augen.

Guter Titel! Aber am Stück lesen schmerzt...

 

HILFE! Es wäre ratsam, einige Absätze einzufügen

"Per aspera ad astra" kann ich da bloß sagen... :)

Aber du hast schon Recht, ich werde ein paar Absätze einfügen bei Gelegenheit.

 

Hallo Menedemos,

Poncher hat recht - die Geschichte ist wirklich ein Textmonster...

Du hast bestimmt viele Bücher gelesen über das Thema, denn die Geschichte klingt nach guter Recherche. Da ich mich früher aber selbst nur rudimentär mit dem Thema beschäftigt habe, kann ich dazu keine wirklich fundierte Meinung geben.

Der Stil schwankte immer ein bisschen zwischen Indiana Jones und den unheimlichen Geschichten aus dem 18./19. Jahrhundert.
Damals waren ja gerade die übernatürlichen Dschungelgeschichten aus den dunklen Kolonien Afrikas der absolute Renner - hab noch ein paar davon daheim...allerdings nicht von mir, grins...
Diese hier klingt so ähnlich.

Aber das Ende kam so Knall auf Fall und wirkte ein bisschen uninspiriert, wie ich finde. Das ganze Abenteuer des Protagonistem und dann nur, um sich vor einem Kongress lächerlich zu machen. Das hättest Du kürzer machen können.
Da hätte ich den letzten Absatz lieber weggelassen und die Geschichte mit der versuchten Übergabe eines "blinden" Spinnenexemplars enden lassen. Das wäre in doppelter Hinsicht ein Knüller gewesen. Der Leser, der ungeduldig darauf wartet, endlich eines dieser "Biester" zu "sehen", wird in den literarischen Wahnsinn getrieben und dem Protagonisten wird bewiesen, dass Arachnophobie schon seine Berechtigung hat, grins...Mir scheint auch, Du hattest ursprünglich ein anderes Ende im Sinn, bist aber dann aus irgendeinem Grund davon abgewichen. Dein Schreibstil ändert sich auf dem Weg zur Traumsequenz und findet nicht mehr ganz so gut zurück...

Ansonsten -
handwerklich und stilistisch überaus gelungen, wenn auch schwer zu verarbeiten aufgrund der Textfülle...

Eine Sache noch - ich bin nämlich eigentlich kein Textklauber, sondern eher der Stimmungsleser - sehr oft hatte ich das Gefühl, dass bei Deinen Vergangenheitsformen das Hilfsverb daneben war - aber da könnte ich mich auch irren...

"So ist er eben zu Hause geblieben und tröstete sich mit seinem großen Freiterrarium im Garten, in dem mehr als hundert Vogelspinnen webten."
Stattdessen:
So WAR er eben...
Diese Sache kam öfter vor, deswegen ist es mir auch aufgefallen...

Vielen Dank für die Mühe, die Du Dir mit dieser Geschichte gemacht hast...Respekt ;)

Henry Bienek

 

Tagchen!

Kann leider keine wirklich ausführliche Kritik anbieten, da ich die Story nur rasch in der Mittagspause überflogen habe. Trotzdem muss ich noch ein paar Anmerkungen dazu machen:

Rein optisch ist sie etwas unvorteilhaft gestaltet. Nun, meine erste Geschichte habe ich auch "in einer Textwurst" gepostet. Ich weiß, wovon ich spreche. :D
Mehr Absätze sowie Zeilensprünge bei direkter Rede wären hilfreich!

Die Geschichte selber: Wie schon Henry anmerkt, ist sie sehr eng an alte Erzählungen gebunden, was ich grundsätzlich gut finde. Ich mag diesen alten, getragenen Stil und die oft ausführlichen Beschreibungen lieber als den schrecklichen, modernen Stakkato-Stil mit Informationsbröckchen, die der Leser gefälligst selber zusammensetzen soll.

Sehr gut gefielen mir zwar die Beschreibungen der Rituale sowie des Popol Vuh (kann mich an keine Geschichte erinnern, in der ich davon schon mal gelesen hätte), aber sie machten auf mich den Eindruck von der Geschichte losgelöst zu sein.
Wenn man die Kürze der Geschichte betrachtet und die Informationen gegenüber stellt, kristallisiert sich für mich ein Unverhältnis heraus. Auch dabei spreche ich aus Erfahrung: Man kann den Leser mit Informationen einerseits bei der Stange halten, ja, fesseln, ihn andererseits auch regelrecht erschlagen. Bei dir hatte ich eher zweiteres Gefühl, wenn du verstehst! Wobei ich, wie gesagt, historische Fakten, alte Sagen und dergleichen in Geschichten sehr gerne lese. Aber hier war´s ein bisserl zu viel.

Die Story selbst legt gut los, dümpelt dann aber dahin. Erst, als sie in die Höhle gehen, kommt wieder etwas Spannung auf, die durch die ziemlich klischeehaften Beschreibungen und "Traumsequenzen" wieder abflaute. Der Schluss ist völlig verschenkt, wie ich finde.

Damit wir uns nicht missverstehen: Mir gefällt die Geschichte! Allerdings gehört sie noch mal gründlich überarbeitet. Sowohl plotmäßig als auch stilistisch gäbe es da noch viel zu verfeinern. Wenn das abgestimmt wäre, würde ich die Geschichte als einen meiner Lieblinge hier bezeichnen.

Ach ja: Du erwähnst etwas zu oft, dass Lindauer Österreicher ist. Als Synonym für "der Mann" oder "der Begleiter" oder dergleichen taugt es natürlich. Aber du verwendest es so oft, dass es geradezu wie eine der Haupteigenschaften Lindauers wirkt, dass er Ösi ist... :D

 

Hallo Henry und Rainer,

erstmal vielen Dank, daß ihr euch durch mein "Textmonster" ;) durchgebissen habt!

Danke auch für die überwiegend positive Resonnanz. Mit eurer Kritik muß ich euch weitgehend rechtgeben, mit den Informationen ist es etwas zu viel des Guten, mit der Unterscheidung zwischen Perfekt und Plusquamperfekt habe ich in der Tat ein echtes Problem (!), die häufige Erwähnung des "Österreichers" ist Unsinn, obwohl ich mir etwas dabei gedacht habe (der Leser soll einerseits rätsels, warum das so oft erwähnt wird; außerdem ist es eine kleine Anspielung auf Jeremias Gotthelfs "Schwarzer Spinne" - die Dame, die dort mit dem Teufel paktiert, kommt übrigens aus Lindau). In der ersten Hälfte dümpelt die Geschichte recht dahin.

Aber bzgl des Schlusses will ich mich einmal zu verteidigen versuchen: Vor euren Kritiken war ich nämlich auf den Schluß besonders stolz und ich bin mir nicht sicher, ob ihr die Geschichte vielleicht einfach aus einer anderen Erwartungshaltung heraus gelesem habt, als es von mir beabsichtigt war. Denn sie dreht sich nicht vornehmlich darum, daß eine Art Indiana Jones etwas Aufregendes erlebt, sondern mir ging es um die existentielle Krise eines alten Mannes, der in mehrerer Hinsicht bereits vor der ganzen Reise zwischen Leben und Tod steht. Immerhin wird ja schon ganz zu Anfang gesagt, daß er innerlich auskühlt -selbst in seinen Gedanken, daß er Angst vor der Kälte und vor der Erstarrung seiner Glieder hat - ein Synonym für den Tod. Auch durch den Verlust seiner Frau, mit der er eine Einheit gebildet hat, steht er auf der Schwelle. Seinen einzigen Rettungsanker sieht er in seinen Spinnen und seiner Forschung. Er gibt sich eitlen, nichtigen Hoffnungen hin, seinen vergangen Ruhm wiedergewinnen zu können, dazu ist er bereit, sein Leben aufs Spiel zu setzen.
Der Schluß rundet dieses Bild ab: Nun hat er alles verloren - die Spinnen und seine Würde. Auch wenn er aus der Höhle herausgekommen ist, ist er tot - eines subtilen Todes gestorben. Vielleicht ist das nicht besonders spektakulär, aber ich halte es für tragisch. Aus reiner Feigheit ist er nicht bei seiner Frau geblieben. Warum mußte er in die Welt zurück, warum blieb er nicht im Paradies? Übrigens kann man die Passage zwar als "Traumvision" beschreiben, es kann sich aber genausogut um eine Halluzination, um eine Vision oder aber eine Nahtoderfahrung handeln... Das bleibt bewußt unklar.

Was den klischeehaften Stil betrifft, naja, da fürchte ich, muß ich dir wohl ohne Widerspruch zustimmen. Ich weiß allerdings nicht, wie man das Paradies ohne klischeehafte Wendungen beschreiben soll, ich werde aber darüber nachdenken.

 

Menedemos,

du hast vollkommen recht.
Wir haben die Gefühlslage des Mannes nicht mitbekommen, weil Du sie nur am Anfang erwähnt hast...Danach ging sie im Textmonster leider unter.
Hättest Du sie zum Beispiel so oft erwähnt wie den Lindauer-Österreicher, wäre sie klarer gewesen, grins...

An Deiner Paradiesdarstellung musst Du noch üben - oder war die Spinne ebenfalls tot, dass sie den Prof noch "schattenhaft" dort drüben verfolgen konnte?
Nebenbei ist Deinem Protagonisten ein neuer Rekord gelungen. Er ist der erste, der ins Paradies "gelaufen" ist - kleiner Schabernack...

Als Du am Anfang die Kälte des alten Mannes erwähntest, da dachte ich mir schon, dass er am Ende stirbt, aber dann hat mich die Erzählung des Lindauer und vor allem die Maya-Sage abgelenkt - denn Märchen und Sagen sind ein kleines Hobby von mir -
Und das er am Ende ins Paradies findet, das sah ich eher als Vision eines geistig Verwirrten. Viele Menschen neigen dazu, geistig in Paradies zu flüchten, und sich von ihrem Körper zu lösen, während er tausend Qualen leidet. Und da erschien es mir dann auch natürlich, dass er dort seine geliebte Frau wieder traf. Und die allgegenwärtige Bedrohung durch die Spinne(n) erschien mir auch verständlicher:
Die grausame Realität, die den Fiebertraum bedroht.

Deswegen habe ich auch das Ende nicht ganz verstanden. Unglücklicherweise hilft mir Deine Erklärung beim Ende auch nicht weiter. Der Prof scheint keine nennenswerte Erinnerung daran zu haben, wo er war. Ihm war der Himmel wohl nicht bewußt.
So traurig das Abgleiten in den Spinnenwahnsinn auch sein mag, enttäuscht das Ende mit der Tagung dann doch, weil man sich durch die abenteuerliche Geschichte gekämpft hat und sich dann fragen muss:
Was?
Das wars?
Das ist alles?
Wo ist der Clou?
Wo ist der Hammer?

Ich hätte entweder eine totale Kehrtwendung oder einen totalen Zusammenbruch des im Geiste des Protagonisten erwartet. Aber von dem Spleen abgesehen, scheint er die ganze Sache doch relativ glimpflich überstanden zu haben. Vielleicht solltest Du das Ende dahingehend noch etwas besser ausformulieren.

Weiss nicht, irgendwie hatte mir meine Interpretation Deiner Geschichte besser gefallen, Kafka...grins...

Aber Deine Geschichte ist trotzdem gut.

Nicht übel nehmen - bin noch verwirrt

Henry Bienek

 

@ Henry

Ich werde dann über den Schluß noch einmal nachdenken. Mir (aber das reicht ja nicht... ;) ) war es klar, daß dieses Erlebnis seinen Verstand völlig zerrüttet hat. Nachdem der Leser aufgrunde der änstlichen, aber relativ vernünftigen Verhaltensweise des Protagonisten am Flughafen annimmt, daß er das Erlebnis ohne größeren geistigen Schaden überstanden hat, gleitet er, mitten in seinen Vortrag, in Wahnsinn ab - in dem er sich freilich schon längst befindet, aber hier wird es offenbar. Oder soll offenbar werden.
Wer vor einem solchen Auditorium so reagiert und solches Zeug faselt, ist wahnsinnig.
So war es jedenfalls gemeint. Aber ich sollte das vielleicht wirklich noch deutlicher machen.
Danke noch mal für die Kritik!

Gruß Mene.

(Übrigens ist mir während dieser Diskussion aufgefallen, daß es nicht schlecht wäre, wenn der Protagonist vorher schon körperlich krank wäre - so würde noch deutlicher, daß er sein Leben auf's Spiel setzt...)

 

Hallo Menedemos,


Deine Geschichte ist sehr gemächlich vom Tempo, dafür sind die Charaktere mehrdimensional und glaubwürdig gezeichnet, besonders Zurkov. Auch das Wissen über Spinnen finde ich gut eingearbeitet, ich habe wirklich den Eindruck, es mit einem Forscher zu tun zu haben und kann mich leicht in seine Gedanken hineinversetzen, in seine Spinnen-Liebe, seinen Ehrgeiz, seinen Mut, innovativ zu denken. Gleichzeitig mag man ihn in seiner Ängstlichkeit, seiner Unbeholfenheit. (Die Lösung, dass er am Ende wahnsinnig geworden sein soll, mißfällt mir übrigens sehr, weil sie dem alten, liebenswerten Kerl nicht gerecht wird. Immerhin hat er die goßen Spinnen gesehen und nur weil er das Beweisstück nicht mitgenommen hat, glaubt ihm niemand.)

Die Figuren sind gut gegeneinander kontrastiert, beide dadurch sehr greifbar und pointiert dargestellt mit genügend latentem Konfliktpotential.

Du wartest mit viel interessanten Details auf: die Idee, die hinter den Pyramiden steht, die Höhlenlegende (auch wenn sie für den Monolog - etwas - zu lang ist), Zurkovs Gartenterrarium als "Ersatz" fürs Forschen, der Pavian-Vergleich, das sehr spannend dargestellte Schamanen-Ritual.
Gibt es Balche wirklich? Geschickt hast du das Äffchen schon bei der Ankunft der Forscher auftauchen lassen, so wirkt das Töten noch grausamer.

Das Ende fand ich übrigens gut und gab der Geschichte noch einen kleinen Schuss Ironie.

Sprachlich gefällt mir dein Text über weite Strecken, aber nicht immer. Dann wird die Erzählweise zu trocken, zu weitschweifend und zu umständlich. Du wiederholst einige Wörter sehr oft. Laß mal word durchzählen, wie oft du allein "alt" und "auch" verwendest....

Ein bißchen Straffung könnte nicht schaden, dann würde auch die Dramaturgie besser funktionieren.
Vielleicht könntest du manche - der übrigens sehr interessanten- Informationen szenischer darstellen.

Einzelanmerkungen

Die drückende, feuchte Hitze des Regenwalds belastete den Kreislauf des alten Mannes sehr. Professor Alan Zurkov fühlte sich nicht wohl. Zuhause war er mit den Jahren zwar zunehmend kälteempfindlicher geworden und ihn fröstelte leicht. Er glaubte nämlich zu spüren, wie er von innen her immer mehr auskühlte - selbst in seinen Gedanken war es kälter geworden -, und so scheute und fürchtete er jeden frostigen Tag. Selbst bei angenehm temperiertem Wetter, bei leichtem, lauem Wind war er nur noch mit dicker Strickjacke zu beobachten, mit der er die äußere Kälte abhalten und die Erstarrung der Glieder vermeiden wollte.

Manches ist redundant, Einiges (z.B. Alter des Profs) durch andere Angaben (> mit den Jahren) impliziert. Ein paar Wörter würde ich deshalb streichen:

Die feuchte Hitze des Regenwalds belastete den Kreislauf des Professors sehr. Alan Zurkov fühlte sich nicht wohl. Zuhause war er mit den Jahren zunehmend kälteempfindlicher geworden und ihn fröstelte leicht. Er glaubte nämlich zu spüren, wie er von innen her immer mehr auskühlte - selbst in seinen Gedanken war es kälter geworden -, und so scheute und fürchtete er jeden frostigen Tag. Selbst bei angenehm temperiertem Wetter, bei leichtem, lauem Wind war er nur noch mit dicker Strickjacke zu beobachten, mit der er die äußere Kälte abhalten und die Erstarrung der Glieder vermeiden wollte.

Wenn es hier jemals einen Straßenbelag gegeben haben sollte, dann haben ihn die täglich niedergehenden Wolkenbrüche restlos fortgespült,.
> Wenn es hier jemals einen Straßenbelag gegeben haben sollte, dann hatten ihn die täglich niedergehenden Wolkenbrüche restlos fortgespült



Sicher, es war sehr heiß, aber Zurkov ist das trotzdem irgendwie anstößig vorgekommen.
> war das trotzdem....

Zurkov rätselte, ob sein Partner, der, wie er wußte, oft wochenlang allein und ohne Kontakt zur Außenwelt in Höhlensystemen herumkroch, durch dieses Eremitendasein etwas wunderlich geworden sein mag und ungeübt im Kontakt mit anderen Menschen.
> etwas wunderlich geworden sein mochte


Er hatte dort nichts wirklich Wichtiges zu tun gehabt, er hatte - was er sich selbst gegenüber natürlich nie zugeben hätte - hauptsächlich den Weg dorthin gefunden, um den vertrauten Duft der alten Bibliothek wieder einmal riechen zu können und um alte Kollegen abzufangen, um seinen tristen Alltag mit einem Pläuschchen aufzulockern.

> unschöne WDH
Er hatte dort nichts wirklich Wichtiges zu tun gehabt, er hatte - was er sich selbst gegenüber natürlich nie zugeben hätte - hauptsächlich den Weg dorthin gefunden, um den vertrauten Duft der Bibliothek wieder einmal riechen zu können und um alte Kollegen abzufangen, um seinen tristen Alltag mit einem Pläuschchen aufzulockern.

So ist er eben zu Hause geblieben
> So war er eben zu Hause geblieben

hätten sie ihre letzte Prüfung vor dem Ballspiel bestanden gehabt.
> hätten sie ihre letzte Prüfung vor dem Ballspiel bestanden.


Im Gegensatz zu anderen Spinnen ist ihr weitverzweigtes Gespinst ziemlich unregelmäßig und sie gebrauchen es auch nicht zum Beutefang, sondern nur zur Ortung der Beute. Ihre Fäden gleichen den Drähten in einem Minenfeld. Wenn ein Beutetier so unvorsichtig ist, über einen der Fäden zu stolpern, ist das für die Spinne das Signal, aus ihrem wohlgetarnten Versteck, das sich meist im Erdreich befindet, pfeilschnell herauszuspringen, während für das Beutetier das Zerstören, ja das bloße Berühren eines solchen Fadens fast dem sicheren Todesurteil gleichkommt. Denn die Spinne vermag anhand der Berührung auch genau zu orten, wo sich die Beute befindet. Das chaotisch erscheinende Netz kann als ein riesiges, zusäzliches Sinnesorgan gesehen werden und die einzelnen Fäden als Nervenstränge. Aus diesen Gründen sind Vogelspinnen grundsätzlich nicht auf ihre Sehorgane oder auf das Sonnenlicht angewiesen und so auch nicht die mutmaßlichen Spinnen in den Höhlen Guatemalas.

Der Infoblock ist interessant, leider etwas "aufgebläht" und pedantisch in den Details.
Störend die WDh:
3 x "auch" und "Fäden"
2 x "Beute-"
2 x berühren

Mein Vorschlag:

Im Gegensatz zu anderen Spinnen ist ihr weitverzweigtes Gespinst ziemlich unregelmäßig und sie gebrauchen es nicht zum Fang, sondern nur zur Ortung der Beute. Ihre Fäden gleichen den Drähten in einem Minenfeld. Wenn ein Beutetier so unvorsichtig ist, über einen der Fäden zu stolpern, ist das für die Spinne das Signal, aus ihrem wohlgetarnten Versteck pfeilschnell herauszuspringen, während für das Beutetier das bloße Berühren eines Fadens fast dem sicheren Tod gleichkommt. Das chaotisch erscheinende Netz kann als riesiges, zusätzliches Sinnesorgan gesehen werden. Aus diesen Gründen sind Vogelspinnen nicht auf ihre Sehorgane angewiesen und so auch nicht die mutmaßlichen Höhlenspinnen.

für das Rudel tauge waren?

Und wenn Besucher in seinem Haus vor den Vogelspinnen hysterisch zurückschreckten, dann nahm er sie zur Demonstration mit den Händen aus dem Terrarium heraus und streichelte sie.
> mit den Händen ist überflüssig, wie will er sie sonst herausholen? Mit einer Schüppe?
> Und wenn Besucher in seinem Haus vor den Vogelspinnen hysterisch zurückschreckten, dann nahm er sie zur Demonstration aus dem Terrarium heraus und streichelte sie.

tolles beinahe-out-of-character-Detail:
Zurkov hatte Vogelspinnen sogar schon verspeist, wenn auch nicht ganz freiwillig.


"Kommen sie Professor, stellen sie sich meinem Freund vor. Er ist ein großer Heiliger und Medizinmann!" reif Lindauer aufgeregt.br>
> rief Lindauer aufgeregt.

hält nicht viel länger an, als man sie braucht."
Es dauerte nicht lange,
> ungünstige Wdh


Als sie mit dem Essen fertig waren, war schon völlige Dunkelheit eingekehrt.
> Als sie mit dem Essen fertig waren, war völlige Dunkelheit eingekehrt.

dachte sich Zurkov, dann habe er nur an sich gedacht.
> dachte sich Zurkov, dann hatte er nur an sich gedacht.

Ein normaler Mensch ohne Höhlenerfahrung dagegen könne sich hier alle Knochen brechen.
>Ein normaler Mensch ohne Höhlenerfahrung dagegen konnte sich hier alle Knochen brechen.


"Vogelspinnen sind eigentlich sehr ortsfest. Es sind Lauerjäger."
> ortstreu?

Es knirschte, als ob man die Schale eines Hummers knackt.
> als wenn

Vereinzelt standen prächtige Bäume in der Landschaft, manche schlossen sich auch zu kleinen Hainen zusammen.
> Vereinzelt standen prächtige Bäume in der Landschaft, manche schlossen sich zu kleinen Hainen zusammen.


In dieser wunderbaren, freundlichen Landschaft sei für böse Wesen kein Platz. Demutsvoll blieb er lange
> war für

weißen Umgang gehüllt, der wie aus feinster Seide gefertigt schien.
> Umhang

Das Entsetzen, das sich auf seinem Gesicht abzeichnete, findet keinen Vergleich:
> fand keinen

Fazit: gut recherchiert, überbordende Phantasie - beneidenswert!- , interessante Figuren, aus denen sich der Plot logisch entwickelt, aber auch einige Längen, die das Lesevergnügen gemindert haben.
Insgesamt gesehen, ein lesenswerter Beitrag!

Soweit von mir, hoffe du kannst mit meinen Anmerkungen etwas anfangen.

Viele Grüße Petra

 

@ petdays

Hey, vielen Dank für deine mehr als detailreiche Kritik. Ich werde die Anregungen, wenn ich Zeit finde, gerne aufnehmen und einbauen.

Balche gibt es tatsächlich. Auch sonst habe ich relativ wenig erfunden, z.B. war es in historischer Zeit tatsächlich Brauch, sich Schnüre und Rochenstachel durch die Zunge zu treiben. Heute gibt es in der Region eine ziemliche Maya-Renaissance, wenn auch ein wenig eklektisch das ganze, und so ist es zumindest nicht auszuschließen, daß sich ein indianischer Möchtegernheiliger einer solchen altertümlichen Prozedur unterziehen könnte...

Zu dem "mit den Händen herausgreifen" möchte ich nur sagen, daß das keineswegs evident ist, weil man Vogelspinnen meist mit einer speziellen Zange aus dem Terrarium nimmt. Trotzdem ist es an dieser Stelle vielleicht überflüssig zu erwähnen, weil er sie ja hinterher sogar streichelt...

Viele Grüße jedenfalls zurück, Jörg.

 

Hi Menedemos!

Eine lange Geschichte, das muss man zugeben.

Tatsächlich eine in altmodischem Stil gehalten, wie meine Vorredner schon bemerkten. Ich finde aber, an manchen Stellen wirkt der Stil nicht so sicher, wie er sollte, und das stört doch ungemein. Du verfällst manchmal in eine Alltagssprache, verwechselst Tempi und bietest Wiederholungen. Alles Fehler, die sich mit ein wenig Mühe ausmerzen lassen.:cool:
Wenn du dich hinsetzt und die ganze Geschichte noch mal laut liest, wirst du merken, wovon ich spreche. Bei der Gelegenheit kannst du gleich darauf schauen, was nicht unmittelbar zur Handlung beiträgt - raus damit! Du bietest viel Detailwissen, das ist vorteilhaft, macht die Story interessant. Aber vieles, was du erzählst, ist nicht unbedingt vonnöten und du läufst Gefahr, den Leser zu langweilen.

Ich muss gestehen, dass mir deine Story überhaupt nicht gefallen hat, bis ich etwa zur Mitte kam. Zu weitscheifig (obwohl ich selbst ein Anhänger dieser Erzählweise bin), und ich für meinen Teil finde, die Charaktere nicht besonders plastisch.
Aber dann kamen die beiden Forscher zu ihrem Ziel, und plötzlich wurde die Geschichte interessant, spannend. Ab dem Zeitpunkt des Geschehens in der Höhle, war ich gefangen, als der Prof. in diese merkwürdige Welt tritt, war ich hingerissen. Damit hast du die Story gerettet.

Wenn du dich entschließen könntest, erhebliche Strecken des ersten Teiles zu kürzen, ich denke, der Text würde dadurch gewinnen.

Viele Grüße!

 

Salu la puce

nun, für dich sollte man wohl "www.langgeschichten.de" erfinden...:)

Und man merkt der Geschichte den Wissenschaftler auch deutlich an!

Ich hab die Erwartung "Horrorgeschichte" gehabt, und du hast mich mit der Beschreibung des Österreichers wirklich in eine schön beklemmende Stimmung gebracht, die leider durch die Maya-Sagen unterbrochen wurde. Und das ist schon mein einziger Kritikpunkt.

Der Text gefällt mir sprachlich, und da ich eher talentiert bin für kurz und prägnant, bewundere ich alle, die so langgezogen und gemächlich erzählen können. Ich fand die Wiederholungen auch nicht störend oder überflüssig, sondern im Gegenteil schaffen sie eine schöne Stimmung, und der Rhythmus stimmt. Ich denke sowieso, als Autor sollte man dem Rhythmus alles andere, die Grammatik, die Orthografie, die Wiederholungen opfern, der Rhythmus ist wesentlich.

Ich mochte auch seinen Abstieg in die Unterwelt, der fliessende Übergang, wie er zu dem Licht klettert, und seine Frau wieder trifft, nun, das Paradies ist kitschig und das soll man auch so beschreiben. Und es kommt so eine dezent unheimliche Note hinein mit den Spinnen... Ich fragte mich dann während des Lesens, wie du ihn da wieder heraus holen wirst..

Den Schluss fand ich logisch, es ist die Geschichte eines alten Mannes, der alles auf eine Karte setzt und dann verliert, und das fand ich sehr schön dargestellt, auch mit dem Abschluss auf dem Kongress, lass den nur bleiben, wo er ist!

Ich erküre dich hiermit zu meinem offiziellen meistgeliebten Nachfolger von Umberto Eco.

Liebe Grüsse
Ta Minette

 

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