Mitglied
- Beitritt
- 16.03.2003
- Beiträge
- 282
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 10
Die Blaue Feste: Kjaskar
Kjaskar
Sie flog in rund sechshundert Meter Höhe über einer Stadt. Der Körperbau der jungen Frau war menschlich, aber sie hatte zusätzlich ein Paar Flügel auf dem Rücken. Die Spannweite von rund zwölf Meter war schon beeindruckend. Ihre Füße waren wie die von Raubvögeln. Ihr kurzes schwarzes Haar war vom Wind zerzaust. Mit einer leichten Bewegung ihrer ockergelb gefiederten Flügel korrigierte sie ihren Kurs. Ihre Arme hatte sie dicht an den Seiten ihres Körpers, sie wollte den Luftwiederstand gering halten, um den Kraftaufwand zu begrenzen. Suchend sah sie sich um, da schreckte sie ein Motorgeräusch auf.
Dem Hubschrauber konnte sie nur knapp ausweichen. "Ist ihnen nichts passiert?" Fragte der Elf, der den Hubschrauber flog.
"Nichts passiert," antwortete Kjaskar, "ich hab mir nur gewaltig erschreckt."
"Dann ist ja gut. Ich muss jetzt weiter."
"Einen Moment noch bitte; bin ich hier in Blufar?"
"Ja. Suchen sie was bestimmtes?"
"Das Stadtbüro der Blauen Feste."
"Sehen sie dort die breite Straße? Am Ende der Straße, das letzte Gebäude vor der Festungsanlage, da ist das Büro der Feste."
"Vielen Dank." Kjaskar flog die Straße entlang, dabei ging sie langsam tiefer. Ihr war klar, das ihr wahrscheinlich viele Blicke folgten. Wesen ihrer Art waren selten, vor allem hier im Nordreich. "Vorsicht da unten." Sie war jetzt nur noch wenige Meter über dem Boden, Körper und Flügel steil aufgerichtet bremste sie ihren Flug für die Landung.
Die Passanten sahen sie erstaunt an, aber daran hatte sie sich auf ihrer langen Reise gewöhnt. Sie war von ihrer Heimat sehr weit entfernt. Sie sah sich kurz um. In der Stadt schienen alle Völker des Nordreiches vertreten zu sein. Die meisten die sie sah waren Menschen, aber sie sah auch Elfen Zwerge und Kotazzii. Nach dem Rundblick betrat die junge Frau das Gebäude.
Im Vorraum saßen zwei junge Elfen hinter der Theke. "Was macht den eine Harpyie hier?" Wollte eine von ihnen wissen. Kjaskar löste das Bündel, das an ihre Brust gebunden war. Das Bündel bewegte sich, ein leises Wimmern war zu hören.
"Verstehe," sagte die Elfe, "kommen sie bitte mit."
Sie führte Kjaskar tiefer in das Gebäude. Die Krallen der Vogelfrau klapperten auf dem gefliesten Boden.
Vor einer Tür blieb die Elfe stehen, sie klopfte, ohne eine Antwort abzuwarten trat sie ein. Hinter einem Schreibtisch saß eine Katzenfrau. "Was gibt es, Elavi? – Oh!"
Die Kotazzii kam hinter dem Tisch hervor. "Guten Tag, mein Name ist Kanri Natis. Was führt den eine Harpyie hier her?"
Kjaskar fand die Katzenfrau auf den ersten Blick sympathisch. Das weiße Fell auf ihrem Kopf mit dem schwarzem Dreieck, das von ihrem Hinterkopf bis zur Nasenspitze ging war ein ungewöhnliches Fellmuster.
"Ich bin Kjaskar Sandschwinge. Ich möchte meine Tochter in die Obhut der Blauen Feste geben."
In dem Moment hörte man ein leises Grummeln. Kjaskars bronzefarbene Haut bekam im Gesicht einen Rotstich.
"Elavi, holst du für unseren Gast was zu Essen?"
"Schon unterwegs." Die blonde Elfe eilte aus dem Zimmer. Nach ein paar Minuten war sie wieder da. "Es ist zwar nichts besonderes," sagte sie, als sie der Harpyie eine Papiertüte gab, "aber das beste, was ich in der kurzen Zeit auftreiben konnte."
Wie die Vogelfrau mit einem Blick in die Tüte feststellte waren eine große Portion Pommes, ein großer Becher Limonade und zwei Hamburger darin. Sie begann zu essen.
"Fünf Stunden nonstop fliegen geht ganz schön an die Substanz," stellte sie dabei fest.
"Das glaub ich ihnen," sagte Kanri. "Sie brauchen meine Fragen nicht zu beantworten, alle Angaben die sie machen sind freiwillig. Eigentlich hätten sie uns auch nicht ihren Namen sagen brauchen.
Sie wollen ihr Kind also der Blauen Feste anvertrauen. Haben sie ihrem Kind einen Namen gegeben?"
"Ja, meine Tochter heißt Jasmin."
Kanri tippte etwas in ihren Computer. "Soweit ich weis lebt ihr Volk doch in den Bergen am Rand der Wüste Salahara im Grenzgebiet zwischen Irasuda und Sarabien. Sind sie die ganze Strecke aus eigener Kraft geflogen?"
"Ja, mit den Zwischenstops habe ich rund zwei Wochen gebraucht. Meine Sippe lebt auf dem Gebiet von Sarabien. Wir leben hauptsächlich davon, das wir helfen Touristen und Pilger, die in der Wüste oder in den Bergen vermisst werden, wiederzufinden."
"Warum wollen sie ihre Tochter den abgeben?"
Kjaskar sackte sichtlich in sich zusammen. "Ich kann ihr nicht die Liebe geben, die ein kleines Kind braucht."
Elavi nahm die inzwischen leeren Packungen und warf sie in den Papierkorb.
"Sie können ihr keine Liebe geben?" Fragte die Katzenfrau nach. "Warum glauben sie, das sie das nicht können?"
Die Harpyie atmete ein paar mal tief durch, bevor sie antwortete. "Meine Tochter ist das Ergebnis einer Vergewaltigung."
Kanri und Elavi schluckten.
Nach einem Moment erzählte Kjaskar weiter. "Vor knapp elf Monaten bekamen wir wieder einen Auftrag. Wir sollten entlaufene Verbrecher aufspüren, die sich in den Bergen versteckt hielten. Meine Gruppe hatte sich aufgeteilt um die engen Schluchten schneller zu durchsuchen. Ich landete auf einem Felsvorsprung um etwas zu Essen. Dummerweise war der Fels sehr morsch. Der Fels brach ab und ich fiel. Ich war so erschrocken, das ich es nicht schaffte meine Flügel schnell genug zu entfalten. Der Aufschlag war so hart, das ich das Bewusstsein verlor. Anscheinend bin ich den drei gesuchten direkt vor die Füße gefallen, sie haben meine Hilflosigkeit ausgenutzt. Als ich zu mir kam stand einer von ihnen gerade von mir auf. Die anderen beiden sahen grinsend zu. Aber ihnen ist das Grinsen schnell vergangen, als ich sie angriff. Keiner von ihnen hatte überlebt."
"Das kann ich verstehen," sagte Elavi, "vor rund zwei Jahren ist mir was ähnliches passiert. Zum glück konnte ich die Männer fertig machen, bevor es zum Äußersten kam."
"Theoretisch hätten sie ihre Tochter doch auch jemandem aus ihrer Sippe geben können," wandte Kanri ein.
Kjaskar schüttelte den Kopf. "Die Gesetze in unserem Land sind sehr streng. Ich wurde wegen dreifachen Mordes und Außerehelichen Verkehr zum Tode verurteilt. Weil ich Schwanger war, wurde die Vollstreckung ausgesetzt. Ich durfte so lange bei meiner Sippe bleiben. Der Rat der Sippe beschloss mich in die Verbannung zu schicken. Sie wollten nicht zulassen, das ich von den Menschen öffentlich hingerichtet werde. Einen Tag nach der Geburt meiner Tochter machte ich mich auf den Weg.
Ich habe schon früher von der Blauen Feste gehört, die Krieger genießen in der ganzen Welt ein hohes Ansehen. Ich wollte meiner Tochter einen möglichst guten Start ins Leben geben."
"Wir können für nichts garantieren," sagte Kanri, "die Ausbildung in der Feste ist sehr hart. Todesfälle sind nicht selten. Wenn auch nicht mehr so häufig, wie zu meiner Zeit. Auch wenn sie hier bleiben, sie werden nur sehr selten Gelegenheit haben, ihre Tochter zu sehen. Außenstehende haben keinen Zutritt zur Feste."
"Das nehme ich in kauf." Die Harpyie seufzte. "Ich habe meine Tochter in gute Hände gegeben, jetzt muss ich selber sehen, wo ich bleibe."
"Bleiben sie hier in Blufar," schlug Kanri vor. "Sie können hier ähnliche Aufgaben übernehmen wie in ihrer Heimat. Wir haben hier zwar Hubschrauber und Flugzeuge, aber eine Harpyie hat andere Möglichkeiten als eine Maschine. Sie können für die hiesigen Behörden nützlich sein."
"Danke, das Angebot nehme ich gerne an."
Ein Monat war seitdem vergangen. Kjaskar arbeitete für die Stadt Blufar. Mehrere Stunden pro tag flog sie über der Stadt um Unfälle oder andere ungewöhnliche Ereignisse zu melden. Sie hatte auch schon geholfen einen Bankräuber zu fangen, indem sie den Fluchtwagen im Auge behielt und über Funk die Richtung durchgab.
Sie landete auf dem Dach des Stadtbüros der Blauen Feste. Das Stadtbüro war auch gleichzeitig eine Polizeiwache, den die Polizei von Blufar bestand zum größten Teil aus Kriegern der Blauen Feste.
Die Harpyie wurde von Elavi erwartet, die beiden jungen Frauen hatten sich inzwischen angefreundet. "Hallo Kjaskar. Heute scheint nicht viel los zu sein."
"Ja heute ist es wirklich ruhig, Elavi. Machen wir wieder zusammen Pause?"
"Klar, deswegen bin ich ja hier."
Sie gingen zusammen in den Aufenthaltsraum. Die Harpyie ging die Treppe seitwärts hinunter, weil ihre Vogelfüße für die Treppe zu lang waren.
Im Aufenthaltsraum setzten sie sich an einem kleinen Tisch gegenüber. Kjaskar saß auf einem Hocker, den Arm- oder Rückenlehne währen ihren zusammengefalteten Flügeln im Weg gewesen.
"Ich hab mich erkundigt," sagte Elavi, "deine Chancen das du auch offiziell Asyl bekommst stehen sehr gut. Bisher wirst du ja nur geduldet. Aber du musst wahrscheinlich noch eine Befragung im Beisein eines Psycho-Magiers über dich ergehen lassen. Aber egal wie das ausgeht, deine Tochter bleibt bei uns."
"Schön das mein Kind in Sicherheit ist, trotz allem vermiss ich sie. Ich vermiss auch meine Familie, aber wenn ich zurückkehre, werd ich hingerichtet."
"Du kannst sie doch anrufen, oder ihnen schreiben."
"Ich trau dem Geheimdienst von Sarabien nicht. Briefe würden sie öffnen, und Telefon abhören. Und in meiner Heimat sind die Möglichkeiten aufs Globale E-Netz zuzugreifen stark eingeschränkt."
Elavi verzog ärgerlich ihr Gesicht. "Das stell ich mir sehr lästig vor." Sagte sie. "Hier kann es einem auch passieren, das Briefe geöffnet oder Telefongespräche abgehört werden, aber da muss schon der begründete Verdacht auf ein Schwerverbrechen bestehen."
Die Vogelfrau lächelte etwas schief. "Nach dem Gesetz muss bei uns auch ein 'Begründeter Verdacht' bestehen, aber das wird von Polizei und Geheimdienst sehr großzügig ausgelegt."
"Das ist das Problem bei den Gummiparagraphen," bemerkte Elavi.
"Du scheinst dich mit Frau Natis ja sehr gut zu verstehen," sagte Kjaskar.
"Das liegt auch daran, das ich ihre Nata bin," stellte die junge Elfe fest.
"Ihre was?"
"Ich bin ihre Pflegetochter," antwortete die Elfe. "Vor fast acht Jahren habe ich ihr nach einem Trainingsunfall das Leben gerettet. Zum Dank hat sie mich als ihre Nata aufgenommen. Ich wurde von ihr persönlich ausgebildet."
Nach der Zusammenfassung, erzählte Elavi ihrer Freundin die ganze Geschichte.
"Das erklärt einiges," stellte die Kjaskar danach fest.
Die Pause war vorbei. Die Harpyie startete ihren nächsten Partroulienflug, Die Elfe ging wieder in die Feste.
"Jetzt habe ich vergessen Kjaskar einzuladen," fiel es Elavi ein. "Pech, dann muss ich heute Abend dran denken."
Nach Feierabend trafen sich die Freundinnen wieder. "Ach Kjaskar, ich hab dir vor ein paar tagen schon gesagt, das ich bald zur Kriegerin der Blauen Feste ernannt werde."
"Ja das hast du schon ein paar mal gesagt."
Elavi räusperte sich. "Jeder der Aspiranten darf eine Person die nicht zur Feste gehört zu der Feier einladen. Ich wollte dich einladen, Kjaskar. Du bist meine Beste Freundin außerhalb der Feste."
"Danke Elavi, ich komme gerne."
"Hier ist die Karte. Ein Platz in der VIP-Tribüne im Stadion von Blufar, das ist einer der besten Plätze. Leider darf außer den anderen Bewohnern der Feste, keiner auf der Wiese sein. Ich hätte dich gerne an meiner Seite gehabt."
Kjaskar küsste ihre Freundin. "Vorschrift ist halt Vorschrift," sagte sie dabei. "Aber auch wenn ich nur Zusehen und nicht dabei sein kann. Ich freu mich für dich."
Elavi erwiderte den Kuss. Die Küsse der beiden Frauen wurden intensiver, doch nach ein paar Sekunden sagte Kjaskar: "Wir sollten aufhören. Die Leute gucken schon." Die beiden standen auf dem Bürgersteig vor dem Stadtbüro.
Elavi kicherte. "Du hast recht," stellte sie fest. "Gehen wir ins Schwarze Einhorn?"
"Da war ich schon vor ein paar Tagen," antwortete die Harpyie, "die ganzen Touristen im dem Laden, machen die Stimmung kaputt."
"Das stimmt," antwortete die Elfe. "Aber ich will dahin wo das Einhorn wirklich schwarz ist. Kanri wollte mit ihren alten Gefährten auch da sein."
"Wo das Einhorn wirklich Schwarz ist?"
"Komm einfach mit, dann wirst du es schon sehen. Außer den Grotts und anderen Kriegern der Blauen Feste kommen nur wenige Leute dort hinein."
Nach einer Weile waren die beiden Frauen auf einem Hinterhof. Elavi führte Kjaskar eine Kellertreppe hinunter. Die Elfe klopfte an, ein Zwerg öffnete die Tür einen Spalt. "Guten Abend Elavi," sagte er, "Kanri und die anderen sind schon da."
Er lies die beiden Eintreten. Der Raum schien den gesamten Keller des Gebäudes einzunehmen. Die Wände und die Säulen in dem Raum waren Holzgetäfelt. Kjaskar sah kleine hochliegende Fenster, die Tische und Stühle waren aus grob gezimmerten Holz. Es wirkte wirklich wie eine mittelalterliche Taverne, nur die Gäste passten durch ihre moderne Kleidung nicht in das Bild.
"Hallo Elavi." Kanri winkte den beiden von einem Tisch aus zu. Außer der Katzenfrau saßen noch vier weitere Personen an dem Tisch. Ein hochgewachsener breitschultriger Mensch mit schwarzem Haar und bronzefarbener Haut. Ein Zwerg mit gepflegten dunkelbraunen Haar und Vollbart, den er wie viele Zwerge in mehrere kleine Zöpfe geflochten hatte. Ein rotblonder Elf und eine blonde Elfe vervollständigten die Runde.
"Sind das Kanris alte Kampfgefährten?" Überlegte Kjaskar. Sie ging mit Elavi zu dem Tisch.
"Meine Freunde, das ist Kjaskar Sandschwinge, eine Freundin von meiner Nata und mir," stellte die Katzenfrau die Harpyie vor. "Er hier ist Mansret en Bagdir," begann die Kotazzii ihre Freunde vorzustellen. "Auch wenn wir weder Brief noch Siegel haben, er ist mein Mann. Der Zwerg ist Alraksch, die beiden Elfen sind Holvat und Siri. Wir sind damals zusammen in der Feste aufgewachsen."
Kjaskar hatte nicht lange die Nerven sich die Geschichten der fünf Krieger anzuhören. Zusammen mit Elavi verlies sie nach zwei oder drei Bier das Einhorn.
"Uh." Wieder auf der Straße schüttelte die Harpyie heftig ihren Kopf. "Besser ich flieg heute nicht mehr," stellte sie fest. "Das Bier macht sich doch bemerkbar. Ich lauf lieber nach Hause."
"Das bisschen haut dich schon um?" Wunderte sich die Elfe.
"Ich hab noch nie vorher Alkohol getrunken."
"Stimmt, dann machen sich drei Bier schon bemerkbar." Elavi grinste breit. "Ich bring dich nach Hause."
Die beiden Frauen machten sich auf den Weg. In einer Seitenstraße standen plötzlich vier Männer vor ihnen. "Na meine Hübschen, wie wär's?" Sprach sie einer der Männer an.
"Verzieht euch. Wir machen es nicht mir jedem dahergelaufenen." Wies Elavi ihn ab.
"Wir müssen wohl deutlicher werden," mit den Worten zogen die Männer Messer und Knüppel aus ihren Jacken.
"Dann werd ich auch deutlicher!" Die Elfe straffte ihre Haltung, ihre langen Haare schienen sich in alle Richtungen zu winden, um ihren ausgestreckten rechten Arm zuckten knisternd kleine Blitze.
Einer der Männer lies vor Schreck seine Waffe fallen. "Scheiße, eine Zauberin. Weg hier!" Die Männer flohen.
Kaum waren sie verschwunden entspannte sich auch die Elfe wieder. Sie hielt sich die Hände vor dem Mund, doch nach wenigen Augenblicken konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und begann laut zu lachen. "Die haben anscheinend zu viele Folgen von 'Der Hexer' gesehn. Laufen vor einem harmlosen Showzauber davon." Elavi beruhigte sich wieder. "Aber es ist besser das sie geflohen sind. Einfache Straßenräuber haben gegen eine Kriegerin der Blauen Feste keine Chance. Sie wären im Krankenhaus gelandet und ich hätte einige unangenehme Fragen beantworten müssen."
"Kannst du wirklich zaubern?" Auch in dem Licht der Straßenlaternen konnte Elavi erkennen, das Kjaskar blass beworden war.
"Ja. Hast du das nicht Gewusst? Jeder Krieger der Feste lernt mindestens ein paar einfache Kampfzauber. Die meisten lassen es dabei bewenden andere lernen noch mehr Zauber. Dabei sollte man sich aber auf eine Richtung konzentrieren. Ich bin eigentlich eine Heilzauberin, kann die Zauber aber auch im Kampf umkehren. Das hat mich schon einmal gerettet, wenn der Preis auch sehr hoch war."
Die Harpyie hatte sich auch wieder gefasst. Die Frauen setzten ihren Weg fort. An einem Teilstück, auf dem mehrere Laternen ausgefallen waren, lies Elavi mit einem Fingerschnippen eine Lichtkugel erscheinen, die vor den Frauen herschwebte.
"Zaubern scheint für dich ganz normal zu sein," stellte Kjaskar fest.
"Ist es auch. Das ist ein einfacher Zauber, den lernt man schon in einer der ersten Lektionen. Ist manchmal ganz praktisch, da braucht man keine Taschenlampe."
Wenig später waren sie in Kjaskars kleiner Wohnung angekommen. "Holst du für uns beide noch Limo aus dem Kühlschrank, Elavi?" Fragte die Harpyie. "Ich muss kurz zum Klo."
Auf der Toilette dachte Kjaskar nach. Es war schon erstaunlich wie schnell sie sich eingelebt hatte. Ihre Freundschaft zu Elavi hatte dabei sehr geholfen. Die Beiden hatten sich von Anfang an gut verstanden. Auch mit ihren Kollegen kam Kjaskar sehr gut klar. In der Stadt wurde sie auch nicht mehr so oft angestarrt, man hatte sich an ihren Anblick gewöhnt. Doch die größte Hilfe war wahrscheinlich das sie schon damals in ihrem Dorf heimlich einiges über das Nordreich gelernt hatte, vor allem die Sprache.
Als sie wieder ins Wohnschlafzimmer kam standen schon zwei Gläser und eine Flasche Limonade auf dem Tisch. "Wir haben beide morgen frei," stellte Elavi fest, "wir haben also noch viel zeit. Weist du Kjaskar wir kennen uns erst einen Monat und wir sind gute Freundinnen geworden. Aber seit ein paar Tagen lässt mich ein Gedanke nicht mehr los..."
"Welcher?"
Statt direkt zu antworten stand die Elfe auf, sie ging zu der Harpyie und küsste sie. Aber es war nicht einer dieser freundschaftlichen Küsse, die die Frauen bisher getauscht hatten.
"Ich will unsre Freundschaft nicht zerstören," sagte die Elfe, "aber ich will wenigstens einmal mit dir das Kopfkissen teilen." Elavi begann Kjaskars Brüste zu streicheln. Die Harpyie war sichtlich erstaunt, lies ihre Freundin aber gewähren.
Die Elfe hielt kurz inne. "Soll ich aufhören?" Fragte sie.
"Nein. Mach weiter."
"Gerne."
Einige Zeit später lagen die beiden Frauen nebeneinander im Bett. Elavi war nach dem ausgiebigen Liebesspiel schon eingeschlafen. Kjaskar war noch wach. Wie meistens hatte sich die Harpyie zum Schlafen auf den Bauch gelegt, sie breitete ihre Flügel leicht aus, um die Elfe damit zuzudecken.
"Ich danke dir Elavi. Du hast mir gezeigt, das Sex auch schön sein kann. Ich glaub nicht, das unsre Freundschaft dadurch zerstört wird, eher im Gegenteil. Ich habe mein Dorf und meine Familie verlassen, aber ich habe mich dort nie wirklich wohlgefühlt. Durch dich wird diese Stadt für mich immer mehr zu einer neuen Heimat."
Am nächsten Tag machten die beiden Frauen einen Einkaufsbummel. Elavi deutete auf ein Schaufenster. "Sie mal das Kleid da, währ das nicht was für dich, Kjaskar?"
"So was zieh ich nicht an," antwortete die Harpyie. "Ich trage nie Röcke. Enge Röcke behindern mich beim Starten und Landen, und weite Röcke flattern im Wind. Dann kann doch jeder mein Höschen sehn."
Die Elfe kicherte. "Da hast du recht. So gesehn sind Röcke nichts für dich. Lass uns das drüben eine Tasse Chaffa trinken."
Doch vorher klingelte Kjaskars Handy. "Ja. – Ja, am Aperrat. Guten tag. – Oh? – Schon morgen? Gut, ich bin einverstanden. – Ja, bis morgen."
"Worum ging es?" Fragte Elavi nach.
"Du hast mir doch mal gesagt, das mir vielleicht eine Befragung mit einem Psycho-Magier bevorsteht. Das soll morgen im Stadtbüro sein."
"Viel Glück."
Kjaskar hatte schon ein flaues Gefühl im Magen, als sie am nächsten Tag ins Stadtbüro der Feste kam. Elavi wartete dort schon auf sie. "Was machst du hier?" Wunderte sich die Harpyie. "Du bist doch sonst nur einmal die Woche hier, die anderen Tage bist du in der Feste."
"Ich hab mit ner Freundin den Dienst getauscht. Ich kann zwar bei der Befragung selber nicht dabei sein, aber ich will wenigstens in deiner Nähe sein."
"Danke."
"Ich bring dich hin."
Die Elfe führte ihre Freundin in eines der Büros. Dort saßen schon vier Leute, Kjaskar kannte sie alle vier. Die zwei Männer gehörten zum Ausländeramt, sie hatte schon mehrfach wegen ihrem Asylantrag mit ihnen gesprochen. Dann waren da noch Kanri und Siri. Kjaskar überlegte: "Kanri ist wie Elavi eine Heilmagierin. Ist Siri dann die Psycho-Magierin?"
"Leider müssen wir auf die Prozedur bestehen, Frau Sandschwinge," sagte einer der Männer. "Die Regierung von Sarabien verlangt ihre Auslieferung. Was uns die Botschaftsangehörigen über den Fall gesagt haben weicht deutlich von ihrer Version ab. Wir wollen auf die Art feststellen, ob sie die Wahrheit gesagt haben."
"Setz dich und entspann dich," forderte Kanri sie auf. Kjaskar drehte sich einen Stuhl mit der Lehne nach vorne und setzte sich. Siri legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Ich werde eine Verbindung zwischen deinem Geist und meinem Geist herstellen. Dabei werde ich an der Oberfläche bleiben, es geht nur darum das ich erkennen kann ob du die Wahrheit sagst."
"Kannst du meine Gedanken lesen?"
"Wenn ich meine Magie benutze kann ich das. Ich glaube dir, das du dich bei den Gedanken nicht gerade wohl fühlst. Aber entspann dich trotzdem so gut es geht. Ich will dir nicht schaden. Wenn du ruhig bleibst ist es für uns beide angenehmer."
Siri legte ihre Hände auf Kjaskars Kopf. Die Harpyie spürte ein Kribbeln im Kopf, trotzdem schaffte sie es sich zu entspannen, dann lies auch das Kribbeln nach. Nachdem sie dazu aufgefordert worden war, erzählte Kjaskar noch einmal warum sie ihr Land verlassen hatte. Der Unfall bei der Suche, die Vergewaltigung, von der sie zum Glück nicht viel mitbekommen hatte. Ihren Wutanfall, der den Männern das Leben kostete und auch der Prozess, in dem sie nicht einmal angehört worden war.
Die Befragung wurde in Bild und Ton aufgezeichnet.
"Danke Frau Sandschwinge," sagte einer der Beamten.
Siri lies Kjaskars Kopf los. "Ich glaube ihr," sagte sie dabei, "sie sagt die Wahrheit."
Die Beamten machten sich noch ein paar Notizen, dann packten sie ihre Sachen zusammen. "Unsere Entscheidung wird ihnen in den nächsten Tagen zukommen," sagten sie dabei.
Zwei Wochen später bekam Kjaskar einen Brief von der Ausländerbehörde. Kjaskar weinte vor Freude, ihr Asylantrag war bewilligt worden.