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Die Blaue Feste: Die Nata
Die Nata
Entsetzt sprang Kanri einen Schritt zurück. Beinahe wäre sie von einem vorbeirasenden Sportwagen erfasst worden.
"Selbst schuld," dachte sie, "wenn du bei Rot über die Straße willst."
Nun wartete sie, bis die Ampel umsprang. "Die Welt hat sich in den Jahrtausenden sehr verändert," dachte die Frau, während sie durch die Straßen von Blufar ging. Im Vorbeigehen grüßte sie einen Bekannten. "Früher war das Leben einfacher. Heute kämpft man mit Schwertern als Sport. Früher ging es dabei wirklich um Leben und Tot." Sie kam an einem Wahlplakat vorbei. "Und das gab es früher auch nicht. Die heutige Zeit hat zwar ihre guten Seiten, aber ich sehne mich trotzdem zu den Guten Alten Zeiten zurück."
Kanri kam an dem Schaufenster einer Boutique vorbei. Sie sah sich die Kleider genauer an. Sie stellte sich so, das das Spiegelbild ihres Kopfes genau über dem Halsausschnitt eines Kleides zu sehen war.
Ein Mann stellte sich neben sie. "Das Grün paßt wunderbar zu ihren Augen," stellte er fest. "Übrigens, mein Name ist Jorat von Beutlin," stellte er sich vor. "Eigentümer der Beutlin Autowerke."
Kanri lachte. "So ein Zufall," sagte sie, "ich wäre vor ein paar Minuten fast von einem Beutlin überfahren worden."
"Zum Glück ist ihnen nichts passiert," stellte der Grauhaarige Mann fest, "es wäre wirklich schade um sie gewesen, junge Frau."
"Mein Name ist Kanri Natis, und so jung wie sie vielleicht glauben, bin ich nicht."
Jorat musterte Kanri. Sie war eine Kotazzii, ihr Kopf sah wie der einer Katze aus, das Fell auf ihrem Kopf war größtenteils weiß, ein schwarzes Dreieck, das an ihrem Hinterkopf begann, lief auf ihrer Nasenspitze aus. Das Fell auf ihren Händen war ebenfalls weiß. An ihrem rechten Ringfinger trug sie einen Ring aus blauem Glas, mit einem eingearbeiteten Brillant. Sie war nur wenig kleiner wie Jorat, er schätzte sie auf eins fünfundsiebzig.
"Das glaube ich nicht," sagte Jorat, "sie sind bestimmt nicht viel älter als fünfundzwanzig."
Kanri lachte wieder, "und wie erklären sie sich dann, das meine Reiseberichte seit fast zwanzig Jahren ein Renner auf dem Büchermarkt sind?"
"Ich muß mich verschätzt haben," entschuldigte sich Jorat.
"Kommen sie mit," bat Kanri, "ich kenne einen Ort, wo wir uns in Ruhe unterhalten können, und wo ich an die Alten Zeiten erinnert werde."
Jorat sah zu der Blauen Feste hoch, die auf einem großen Hügel am Nordrand der Stadt lag. Die zehn Schritt hohen, mit blauem Glas überzogenen Mauern umschlossen mehrere Quadratmeilen. An einigen Stellen der Mauern standen Gerüste. Die Schäden des letzten großen Krieges waren immer noch nicht vollständig beseitigt, obwohl es über zwanzig Jahre her war.
"Nein," sagte Kanri, die Jorats Blick bemerkt hatte, "wir gehen nicht zur Feste. Dort kommen nur Befugte hinein. Die Blaue Feste gilt nicht umsonst als uneinnehmbar."
"Ich weis," seufzte Jorat, "ich war bei einem der Bomberangriffe dabei. Ich flog Begleitschutz. Damals befehligte ich eine Staffel von vierzig Jagdfliegern. Ich war der einzige überlebende meiner Staffel."
"Ich war an der Abwehr dieser Angriffe beteiligt," erinnerte sich Kanri, "möglich, das ich auch ein paar von ihren Leuten runtergeholt habe."
"Wir wurden damals von keinem einzigen Flugzeug angegriffen," erwiderte Jorat.
"Ich weis," antwortete Kanri, "ihr habt damals unsere Möglichkeiten gewaltig unterschätzt."
Die Katzenfrau seufzte, "ihr Südländer macht immer den gleichen Fehler: Ihr glaubt nicht mehr an die Macht der Magie."
"Ich bin fast fünfzig," überlegte Jorat von Beutlin, "wenn das stimmt, was Kanri sagt, kann sie nicht viel jünger wie ich sein."
Gemeinsam zogen die Beiden durch die Straßen von Blufar. Nach einer halben Stunde kamen sie an ein Fachwerkhaus. Das Haus fiel inmitten der Neubauten sofort auf. Das Haus war eine Wirtschaft, über der Eingangstüre hang ein gußeisernes Schild, es zeigte ein schwarzes Einhorn.
"Das Schwarze Einhorn," stellte Jorat fest, "ich hab schon viel davon gehört. Es soll so aussehen, wie eine Taverne vor Jahrhunderten."
Zielstrebig ging er auf die Eingangstüre zu. Kanri hielt ihn auf. "Das ist nur für die Touristen," erklärte sie, "wir gehen dahin, wo das Einhorn wirklich schwarz ist."
Die Katzenfrau führte ihren Begleiter in eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern. Sie schlängelten sich zwischen Mülltonnen hindurch auf einen Hinterhof. Kanri stieg die Kellertreppe des Gebäudes, das neben dem Fachwerkhaus stand, hinab. Sie klopfte in einem bestimmten Rhythmus gegen die Tür. Die Tür wurde einen Spalt geöffnet, eine kleinwüchsige Gestalt lugte durch den Spalt hinaus. "Du bist es, Kanri," stellte der Zwerg schnell fest, "du darfst reinkommen und dein Begleiter natürlich auch."
Sie betraten die Wirtschaft. Die Luft war schwer von Schweiß, Essensduft, Rauch und anderem. Jorat sah sich um. Der Schankraum hatte kleine hochliegende Fenster, die Wände und die Decke waren mit altem Holz getäfelt, an vielen Stellen hingen flackernde Öllampen. Tische Stühle und Theke waren aus grob behauenem Holz. Der Wirt, er war ein Zwerg, trug ein einfaches Leinenhemd und -hose zu einer speckigen Lederschürze. Kaum saßen Kanri und Jorat richtig an ihrem Tisch, kam er auf die beiden zu.
"Wollt ihr nur was trinken, oder wollt ihr auch was essen?," wollte der Zwerg wissen.
"Bring mir was zu essen," antwortet Kanri. "Und was ist mit dir?," wandte sie sich an Jorat.
"Ich bin ebenfalls hungrig," antwortete er, bevor er mehr sagen konnte, war der Zwerg wieder verschwunden.
"Es wirkt tatsächlich wie eine Kaschemme im Mittelalter," dachte Jorat, "nur die Kleidung der Gäste paßt nicht ins Bild."
Kurze Zeit später kam das Essen. Das Fleisch war angebrannt und das Gemüse war so zerkocht, das es nicht mehr zu identifizieren war. Das Bier schien gepanscht.
"Kann der Koch nicht besser achtgeben?," fluchte Jorat leise, "das ist ja ungenießbar. Das die Polizei hier nicht eingreift."
Kanri hatte Mühe ihr Lachen zu unterdrücken, sie räusperte sich lautstark. "Der Zustand des Essens ist Absicht," erklärte sie, "wer hierher kommt, will es so. Und die Polizei greift hier bestimmt nicht ein. Sieh dich mal um."
Jorat sah sich um. Er entdeckte vier Leute im dunkelblauen Overall. Auf ihren Schirmmützen waren zwei sich kreuzende brennende Schwerter eingestickt. An ihre Gürteln trugen sie jeweils eine kleinkalibrige Pistole und einen großkaliberigen Revolver. Die weiteren Waffen, die sie trugen paßten überhaupt nicht in das Bild, das sie boten. Zwei von ihnen trugen Schwerter, einer hatte einen Speer griffbereit neben sich an die Theke gelehnt, der Vierte, es war ein Zwerg, hatte ein, für seine Verhältnisse großes, Kriegsbeil in seinem Gürtel.
"Das sind Krieger der Blauen Feste," fuhr es Jorat durch den Kopf. Eine Frau die er entdeckte kannte er von den Wahlplakaten her, es war die derzeitige Bürgermeisterin von Blufar.
"Jetzt verstehe ich, warum die Polizei nicht eingreift," sagte Jorat, "aber warum in einem Hinterhof?"
"Wir Grotts wollen möglichst unter uns bleiben, ihr Paposso werdet hier nur geduldet," antwortete Kanri.
Jorat war etwas verwirrt. "Grotts? Paposso? Was meint Kanri?"
Die Katzenfrau bestellte zwei weitere Bier. Wie vorher, als der Wirt das Essen brachte, bezahlte Kanri, sobald die Krüge auf dem Tisch standen.
"Wer hier hin will braucht viel Kleingeld," bemerkte Jorat.
"Man kann auch in Scheinen zahlen," versicherte Kanri, "aber dann muss man damit rechnen, das der Wirt 'versehentlich' zuviel einbehält. Es ist fast wie damals."
Einige Bierchen später waren die Beiden in Jorats Hotelzimmer. Nur wenige Minuten später waren sie zusammen im Bett.
Erschöpft von dem Bier und zwei Liebesakten schlief Jorat schließlich ein.
Als er am nächsten Morgen wieder aufwachte war Kanri verschwunden. "Sonst las ich immer die Frauen sitzen," stellte Jorat erstaunt fest.
Kanri war inzwischen fast in der Blauen Feste angekommen. "Der Abend mit Jorat war ganz schön," überlegte sie, "aber ich vermisse Mansret. Wir haben uns seit fast fünf Jahren nicht mehr gesehen." Kanri seufzte.
"Man sollte glauben, das fünf Jahre für jemanden wie mich unbedeutend sind, aber ich... Verdammt noch mal ich liebe Mansret, auch wenn ich es mit noch so vielen Männern treibe, so kann ich den Schmerz nur vorübergehend betäuben.
Reiß dich zusammen, dein Dienst fängt gleich an."
Die Wachen am Tor nickten ihr nur kurz zu, sie war in der Feste sehr bekannt. Außerdem gab es am Tor noch weit wirksamere Kontrollen als die Wächter. Kanri registrierte das Kribbeln, das sich einstellte als sie die magische Schranke durchquerte, nur am Rande. Sie wusste, das Eintreten eines Unbefugten hätte eine magische Falle und den Alarm ausgelöst. Ähnliche Schranken gab es noch an verschiedenen wichtigen Orten innerhalb der Feste.
Die Katzenfrau betrat Minuten später ihre Unterkunft, ein relativ geräumiges Wohnschlafzimmer, mit dazugehörigem Bad. Neben ihrem Kleiderschrank stand eine Schaufensterpuppe.
Die Puppe trug Kanris alte Rüstung: Eine Weste aus schwarzem Leder mit aufgesetzten Stahlringen; ein breiter drahtverstärkter Gürtel an dem gut zwei Dutzend mit schwarzem Leder umwickelte Stahlstangen hingen; dazu kamen Unterarm- und Schienenbeinschützer aus schwarz lackiertem Stahl. Die Verzierungen des Gürtels waren für einen Kundigen als Wurfsterne erkennbar.
Zärtlich strich die Katzenfrau über die Rüstung, dabei spürte sie, das das was wie Leder aussah, in Wirklichkeit ein Kunststoffgewebe war. "Lang ist's her," überlegte Kanri, "die Ringe und die Stangen sind noch echt. Aber das Leder ist im Lauf der Jahre verrottet. Der Kunststoff ist neu. Es mußte sein. Damals mußte meine Rüstung nur Schwerthiebe und Pfeile auffangen, heute muß sie auch MG-Salven standhalten."
Neben der Rüstung, hang Kanris Bogenmesser an der Wand. Die gebogene Klinge der Zweihandwaffe war so lang, wie Kanris Arm von der Schulter bis zu den Fingerspitzen. Das Heft bestand aus vergoldetem Edelstahl, der Griff war mit aufgerautem Leder umwickelt. Die Scheide war aus schwarz lackiertem Holz, mit eingelegten silbernen Verzierungen.
Kanri nahm die Waffe von der Wand. Langsam, fast zeremoniell, zog sie die Klinge ein Stück aus der Scheide. "Das Schwert ist oft repariert worden," erinnerte sich die Katzenfrau, "aber die Klinge selber hat in den vielen Jahren, in den vielen Kämpfen, nicht eine Schramme bekommen. Magisch geschmiedetes Zwergensilber, es ist immer noch das beste Material auf dieser Welt."
Seufzend hang sie das Schwert wieder an seinen Platz zurück. "Reiß dich zusammen," sagte sie, "du mußt noch unterrichten."
Die Katzenfrau zog sich um. Nun trug sie einen enganliegenden schwarzen Trainingsanzug. Sie packte noch eine kleine Tasche, dann machte sie sich auf den Weg.
In der Turnhalle warteten ihre Schüler schon auf sie. Es waren zwölf, sechs Menschen, vier Katzenmenschen und zwei Elfen, alle zwischen zehn und zwölf Jahren alt. Kanris Aufgabe war es, sie im Waffenlosem Kampf zu unterrichten.
Zu Beginn machte Kanri Aufwärmübungen mit ihren Schülern. Beim nachfolgendem Kampftraining, war die Katzenfrau ganz in ihrem Element. Sie lies die Kinder jeweils zu zweit gegeneinander Kämpfen. Hier und da griff sie ein, erteilte Rat und führte vor, wie dieses oder jenes Manöver richtig ausgeführt wurde.
Nach einer kurzen Pause lies Kanri ihre Schüler, der Reihe nach, sie angreifen. Die Katzenfrau verteidigte sich mit Griffen und Würfen. Mehr als einmal wurde eines der Kinder von ihr gegen die gepolsterten Wände geschmettert.
Vor der nächsten Lektion musste die Katzenfrau erstmal die Verletzungen ihrer Schüler behandeln. Doch dank Kanris Kenntnisse verschiedener Heilzauber, war das kein Problem.
Es war schon spät, sie gingen zusammen Essen. "Das Training bei ihnen ist immer besonders hart," stellte Elavi, eine der Elfen fest, "die anderen Lehrer nehmen uns nicht so hart rann."
"Wahrscheinlich," meinte Tronzar, einer der Katzenmenschen, "weil sie nicht unsere Verletzungen mit einer Handbewegung heilen können, wie sie es machen, Sensei."
"Möglich, das es daran liegt," bemerkte Kanri, "es gibt leider nicht mehr viele Heiler, die so gut sind. Viele gingen im letzten Krieg an die Front. Nur die Hälfte kam wieder. Ich blieb hier, wegen der Bomberangriffe.
Einmal schlugen vier Bomben in der Feste ein. Eine hat das große Loch in die äußere Mauer geschlagen. Eine explodierte im Kinderhaus, dort gab es keine Verletzten, nur Tote. Fast zweihundert Kinder, keines älter als vier. Die Dritte schlug im Exerzierplatz ein, zum Glück war der zu der Zeit leer.
Ich bin heute noch froh, das die Vierte ein Blindgänger war. Ich war mitten auf dem kleinen Platz neben der Turnhalle. Ich bin über irgend etwas gefallen, bevor ich wieder aufstehen konnte traf etwas meine Beine. Erst als ich im Krankenhaus wieder zu mir kam erfuhr ich, das der Blindgänger mir beide Beine zerschmettert hatte. Ein anderer Heiler half mir, sonnst hätte ich wohl meine Beine verloren.
Es ist sehr schwer sich selbst zu heilen. Man ist durch die Verletzung geschwächt, und vor Schmerzen kann man sich nicht auf den Zauber konzentrieren. Du wirst die Erfahrung bestimmt auch machen müssen, Elavi."
"Woher wissen sie, das ich Heilzauber studiere?," wunderte sich die Elfe.
"Wenn man genug Erfahrung mit Magie hat, kann man 'sehen' welche Zauber der andere kennt," erklärte die Katzenfrau.
Kanri stand auf. "Es wird Zeit," stellte sie fest, "las uns weitermachen." Sie machten sich auf den Weg zurück zur Turnhalle.
Nun wurde den Kindern von Kanri neue Manöver beigebracht. Schließlich forderte die Katzenfrau einen ihrer Schüler auf, zu zeigen was er gelernt hatte.
Die ersten Attacken konnte Kanri mit Leichtigkeit abwehren. Doch dann traf der Junge zufällig eine Lücke in ihrer Verteidigung. Kanri merkte das der Schlag gegen ihren Mund ihr mehrere Zähne ausbrach. Erschrocken holte sie Luft. Das war ein schwerer Fehler. Die ausgeschlagenen Zähne gerieten in ihre Luftröhre und blieben dort hängen.
Rat- und Hilflos sahen die Kinder zu, wie ihre Lehrerin röchelnd auf die Knie und dann vornüber fiel.
Kanri merkte, das ihr Bewußtsein immer trüber wurde, sie war dem Tode nah. "Nach so vielen Jahren, nach so vielen Kämpfen, muss es jetzt so enden?"
Sie fühlte sich ganz leicht. Immer schneller werdend glitt sie durch einen Tunnel aus goldenem Licht. Ihr ganzes Leben lief dabei noch einmal vor ihren Augen ab. "Ob ich im Jenseits meine Mutter und meine Geschwister wiedersehe?" Dann war Kanri schon am Ende des Tunnels angekommen. Sie stand vor einem durchsichtigen Vorhang, dahinter konnte sie eine wunderschöne Parklandschaft erkennen. Sie wusste es fehlte nur noch ein Schritt...
Doch bevor sie durch den Vorhang schreiten konnte, wurde sie durch den Tunnel zurück gerissen. Im nächsten Moment war sie wieder in ihrem Körper, sie wurde von einem so heftigen Hustenanfall durchgeschüttelt, das sie fürchtete ihre Lunge wurde reißen.
Langsam klärte sich ihr Blick. Sie lag in einem Krankenzimmer. Drei Personen standen an ihrem Bett. Azatis, der Leiter der Blauen Feste, ein Arzt und Elavi, die junge Elfe.
"Sie haben gewaltiges Glück gehabt," stellte der Arzt fest, "ohne die Kleine hier," er strich kurz durch Elavis weißblondes Haar, "würden sie bestimmt nicht mehr leben. Sie hat die Zähne aus ihrem Hals entfernt und dann mit einem Zauber Herz und Atmung wieder in Gang gebracht."
Die Katzenfrau lächelte die junge Elfe an. "Ich weis nicht, soll ich dir nun danken, oder wütend auf dich sein?" Durch die fehlenden Zähne lispelte sie ein wenig. Sie seufzte. "Ich war so kurz davor. Ich habe das Land des ewigen Frühlings gesehen. Es fehlte nur noch ein Schritt..."
Kanri nahm Elavis Hand. "Du bist noch so jung. Und doch hast du es geschafft, mich zurück zu holen. Bei der richtigen Ausbildung, kannst du eine der besten Heilerinnen der Welt werden.
Elavi, meine Kleine. Willst du meine Nata werden?"
Die Elfe taumelte ein paar Schritte rückwärts und lies sich schwer auf einen Stuhl fallen. Nata, schoss es ihr durch den Kopf, eine Grott bot ihr an sie als Nata anzunehmen. Sie sollte die persönliche Schülerin und Adoptivtochter einer Unsterblichen werden?
"Kanri mein Kind," mischte Azatis sich ein, "bist du dir über die Konsequenzen im Klaren? In den fast dreitausend Jahren, die du schon lebst, hast du noch nie eine Nata gehabt. Du wärst für sie verantwortlich, als wär sie tatsächlich dein Kind."
Langsam setzte sich Kanri im Bett auf. Sie hielt ihre rechte Hand hoch. "Dieser Ring macht mich unsterblich. Aber durch ihn kann ich keine Kinder haben. Elavi hat mir das Leben gerettet, sie als Nata anzunehmen ist das Mindeste, was ich für sie tun kann."
Dreitausend Jahre? Elavi bekam fast einen Schock. Sie wusste das Kanri alt war, aber so alt?
"In Ordnung," lenkte Azatis ein, "wenn du so darauf bestehst und wenn sie damit einverstanden ist, dann darfst du Elavi bei dir aufnehmen."
"Dann ist ja fast alles klar," stellte Kanri fest. "Jetzt geht bitte, ich muss wieder zu Kräften kommen."
An diesem Abend brauchte Elavi sehr lange zum Einschlafen. Sie grübelte über das Geschehene nach, und darüber, ob sie Kanris Angebot annehmen sollte.
Am nächsten Morgen ging die Elfe früh zur Krankenstation der Feste. Sie hatte Glück, Kanri war gerade fertig sich umzuziehen. "Guten Morgen," grüßte Elavi höflich, "wie ich sehe, geht es ihnen schon sehr viel besser."
"Guten Morgen, Kleines. Du brauchst mir gegenüber nicht so förmlich zu sein. Nenn mich doch einfach Kanri. Hast du dich schon entschieden?"
Bevor die Elfe antworten konnte fiel ihr etwas an der Katzenfrau auf. "Ihre Zähne?"
"Sie sind wieder nachgewachsen," antwortete Kanri, "schließlich bin ich Heilerin. Ich habe schon weit schlimmere Verletzungen an mir kuriert. Aber um auf meine Frage zurückzukommen, hast du dich entschieden?"
"Ja! Ich möchte eure - Verzeihung - deine Nata werden."
"Gut," Kanri legte ihre Hände auf Elavis Schultern, "wenn es dir wirklich Ernst ist, dann lass uns gleich zu Azatis gehen, um die Formalitäten zu erledigen."
Mittags packten die Beiden ihre Sachen. Kanri lud die Kisten und Koffer in ein Auto. "Wohin fahren wir?," erkundigte sich Elavi.
"In die Wälder nordöstlich von Kotazzitorn. Der Blauen Feste gehört dort ein großes Areal, in dem nur einzelne Häuser stehen. Wir ziehen in eins der Häuser."
Nur Minuten später waren sie unterwegs. Spät nachmittags kamen sie an ein Rasthaus. "Die Hundert Räuber." Beim Aussteigen bemerkte Kanri zwischen den anderen Fahrzeugen vier Motorräder, die dicht zusammen standen. Das Zeichen des Herstellers war deutlich zu erkennen. Die weiße Silhouette eines Falken. "Holvays," stellte Kanri fest, "ob vielleicht... Das wäre schon ein großer Zufall."
Elavi und Kanri betraten die Raststätte. Elavi wollte sich schon einen freien Tisch suchen, doch dann bemerkte sie, das Kanri mit dem Besitzer des Hauses, er war ein Kotazzii, sprach. Kurz darauf winkte die Katzenfrau der Elfe zu, ihr zu folgen.
Es ging über eine Treppe in das Untergeschoss. Der Raum war durch die Öllampen nur spärlich beleuchtet, trotzdem schien sich Kanri hier sehr gut zurecht zu finden. Sie stellte sich an die Theke an der die vier einzigen andren Gäste standen. Die vier waren Elfen, ein Mann und drei Frauen.
Kanri wurde von ihnen sehr herzlich begrüßt. Elavi verstand nur einen Bruchteil dessen, was sie sagten. Die Sprache die sie benutzten ähnelte zwar der Sprache des Nordreiches, aber es war ein Dialekt, der der jungen Elfe unbekannt war.
"Entschuldige bitte, Elavi," bat Kanri nach einer Weile, "das sind Siri und Holvat, meine alten Kampfgefährten und Freunde aus alten Tagen, mit ihren Töchtern Saliva und Siva.
Das ist Elavi, meine Nata."
"Deine Nata?" Siri war sichtlich erstaunt, "wie kommt es, das du eine Nata bei dir aufnimmst?"
Kanri erzählte ihren Freunden die Geschichte. "... Die Kleine hat mir das Leben gerettet, und sie hat bewiesen, das sie Talent hat. Sie zu meiner Nata zu machen, war das mindeste, was ich für sie tun konnte."
"Woher kennt ihr euch?," wollte Elavi wissen.
"Kanri Siri und ich sind damals zusammen in der Blauen Feste aufgewachsen," erklärte Holvat, "mit Alraksch und Mansret waren wir fünf. Wir haben im Lauf der Jahre viel zusammen erlebt."
"Saliva und Siva sind unsere Töchter," ergänzte Siri, "wir Grotts können zwar keine Kinder bekommen, aber Saliva und Siva sind gekommen, bevor wir unsterblich wurden. Ich erinnere mich noch sehr gut. Das war als wir zum ersten Mal die Blaue Feste verlassen hatten. Oh je, damals in Bagdir, als wir bei unserem Gastgeber die Schleier abnahmen... Das hätte leicht schiefgehen können.
Bei der Geburt meiner Töchter hatt Kanri mir sehr geholfen. Wir waren noch nicht lange zurück in der Feste. Ausgerechnet beim Neujahrsfest, kurz nachdem der Beginn des neuen Jahres verkündet worden war, ging es los..."
Elavi war schon längst auf ihrem Zimmer, da tauschten die Krieger immer noch Erinnerungen aus.
Nach einem ausgiebigen Frühstück, ging die Fahrt am nächsten Morgen weiter. "'Die Hundert Räuber' ist ein ungewöhnliches Haus," stellte Elavi fest, "das Untergeschoss war wie eine mittelalterliche Taverne eingerichtet."
"Es gibt im Nordreich insgesamt zehn solcher Tavernen," erklärte Kanri, "am bekanntesten ist 'Das Schwarze Einhorn' in Blufar. Paposso kommen nur in Begleitung oder in Empfehlung eines Grotts hinein, zumindest im Normalfall. Es ist fast wie bei den exklusiven Privatclubs, auf der Insel Britein. In diesen Tavernen werden wir Alten wieder an die alten Zeiten erinnert." Die Katzenfrau seufzte. "Manchmal würd ich gern die Zeit zurückdrehen. Ich finde die Welt wird immer hektischer und unübersichtlicher.
Weist du von wem 'Die Hundert Räuber' gegründet wurden? - Das kannst du nicht wissen. Meine Mutter und meine Geschwister, mein Vater war damals schon tot, hatten wenige Jahre nach meiner Geburt das erste Rasthaus an der Straße zwischen Kotazzitorn und Moira gebaut. Damals hieß es nur 'Haus Natis'. Erst nachdem meine Freunde und ich dort waren und wir von einer Bande überfallen wurden, bekam es den neuen Namen. Es steht jetzt an einem anderen Platz, aber es ist immer noch in Familienbesitz, nach rund dreitausend Jahren. Inzwischen gehört ihnen eine ganze Kette von Raststätten, aber die Räuber selbst wird immer noch von der Familie geführt. Ich bin an den Betrieben beteiligt, und ich muss sagen, mein Einkommen daraus ist nicht schlecht."
"Habt ihr Unsterblichen alle so gute Beziehungen?"
"Die vier Elfen, die wir gestern getroffen haben, sind Gründer und Besitzer der Holvay Motorenwerke. Mein Gefährte Mansret ist unser Botschafter in Irasuda, und er ist Vorstandsmitglied der Noday Bank. Alraksch, der Zwerg, der damals auch noch zu unserer Gruppe gehörte, ist ein bekannter Goldschmied, außerdem gehört ihm eine gutgehende Brauerei."
Stunden später kamen die Beiden bei dem Haus an. "Azatis hat mir zwar gesagt, das das Haus renoviert werden muß," sagte Kanri, "aber, das es so schlimm ist..."
Von der gesamten Fassade blätterten Farbe und Putz ab, einige Fenster waren gesprungen, Dachziegel waren verrutscht oder sogar runtergefallen, der Garten war völlig verwildert.
Kanri und Elavi brauchten fast zwei Monate, um sich einzurichten, und das Haus samt Grundstück wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen. Erst danach, konnte sich Kanri ausgiebig um Elavis Unterricht kümmern.
Während der Zeit blieben die Beiden fast nur in dem abgelegenen Haus. Sie fuhren wohl regelmäßig in den nächsten Ort zum Einkaufen.
Jahre später, Elavi war inzwischen sechzehn, bei einen Übungskampf: Kanri war erstaunt wie geschickt ihre Nata mit ihrer Waffe umging. Die Elfe benutzte ein sogenanntes Kettenschwert. An dem Griff eines Schwertes war eine lange Kette angebracht, am anderen Ende der Kette war eine massive dornenbesetzte Kugel. Bei der Übungswaffe war das Schwert stumpf, und die Kugel war aus einem weichen Kunststoff, trotzdem war ein Treffer sehr schmerzhaft, wie es Kanri oft genug zu spüren bekam.
"Du bist als Kämpferin genausogut wie als Heilerin," lobte Kanri ihre Pflegetochter, "bei den Prüfungen die du in zwei Jahren in der Feste ablegen musst, wirst du kaum Schwierigkeiten bekommen."
"Danke Kanri," antwortete die Elfe, "aber du bist auch eine sehr gute Lehrerin."
"Danke für das Kompliment, aber lass uns trotzdem für heute Schluss machen."
Wenig später ging Elavi unter die Dusche. Kaum hatte sie angefangen, da kam auch Kanri ins Bad. Die Katzenfrau zog ihren Bademantel aus, darunter war sie nackt. Elavi stellte fest, das ihre Pflegemutter sehr schön war. Von der Statur her waren sich die beiden Frauen sehr ähnlich, schlank, kleine Brüste, sportlich, nahezu gleich groß. Kanris Körper war nur teilweise von Fell bedeckt, ihr Kopf und ihr Hals waren fellbedeckt, von ihren Händen zog sich das weiße Fell, immer dünner werdend, bis zu den Ellenbogen, auch ihre Füße und die Unterschenkel waren mit weißem Fell bedeckt. An ihrer rechten Schulter war die Tätowierung, die sie in der Feste bekommen hatte, deutlich zu erkennen: Zwei sich kreuzende brennende Schwerter. Elavi bemerkte, das Kanri ihren Ring selbst jetzt nicht abnahm.
Kanri kam zu Elavi unter die Dusche, sie wuschen sich gegenseitig. Danach rieb Kanri Elavis Brüste. "Du bist eine wunderschöne junge Frau geworden, Kleines," bemerkte Kanri, "deine Figur bereitet nicht nur den Jungen aus dem Dorf schlaflose Nächte."
"Wie meinst du das?," wollte Elavi wissen. Als Antwort gab die Katzenfrau der Elfe einen langen intensiven Zungenkuss.
Kurz darauf lagen die beiden zusammen in Kanris Bett. Kanri streichelte Elavi am ganzen Körper. Die Katzenfrau schnurrte. Danach vergrub Kanri ihr Gesicht zwischen Elavis Schenkeln. Seufzend und stöhnend wand sich die Elfe, schließlich kam sie mit einem langgezogenem Seufzer. Als Dank leckte Elavi Kanris Brüste, wobei die Elfe gleichzeitig die Scheide der Katzenfrau rieb.
Das Liebesspiel der Beiden zog sich über mehrere Stunden hin. Schließlich schliefen sie eng aneinander gekuschelt ein.
Am nächsten Morgen standen sie früh auf. "Beeil dich, Kleines," forderte Kanri Elavi auf, "wir müssen heute wieder in die Klinik."
"Ich hasse unseren Dienst in der Klinik," beschwerte sich die Elfe, "dort kommen doch fast nur Hypochonder hin. Außerdem, 'Klinik', das Ding ist kaum größer wie unser Haus."
"Vertrag ist Vertrag, mindestens einmal die Woche soll ein Heiler aus der Blauen Feste in das Dorf kommen. Und da wir ganz in der Nähe wohnen... Außerdem bekommst du so Gelegenheit, deine Fähigkeiten als Heilerin auch anzuwenden. Nur mit Theorie kommt man nicht weit."
"Schon gut, schon gut, ich komm ja schon." Sie setzten sich ins Auto und fuhren los.
Elavis erster Patient klagte über Kopfschmerzen. Als die Elfe den Atem des Mannes roch, hatte sie schon einen Verdacht. Kanri beobachtete ihre Nata genau. Elavi legte ihre Finger an die Schläfen des Mannes. Schon nach wenigen Sekunden senkte sie ihre Hände wieder, für einen Moment grinste sie breit. "Dabei kann ich nicht viel machen," erklärte sie im ernsten Ton, "ich würde nur unnötig meine Kraft verbrauchen. Gehn sie nach Hause, schlafen sie sich richtig aus, danach ein kräftiges Frühstück und ein paar Tassen starken Chaffa. Sie werden sehen, danach fühlen sie sich viel besser. Außerdem ist es billiger als wenn ich sie behandeln würde."
Leicht beleidigt schlurfte der Mann von dannen. "Der hat einen ganz schön großen Wolf," bemerkte Kanri.
"Das ist schon ein Wehrwolf, was der hat," antwortete Elavi, "nach dem Restalkohohl, den ich gefunden hab, muß er mindestens ein großes Faß Bier alleine getrunken haben. Würd mich nicht wundern, wen er auch ein Loch im Fluss hat."
Später, bei der Mittagspause, sprachen sie noch einmal über den Fall. "Warum habt ihr beide den Mann unbehandelt nach Hause geschickt?," fragte T'zul. Die Frau, deren Haar schon graue Strähnen hatte, war eine sogenannte Gescheiterte. Sie hatte in einer Magierakademie studiert und den Abschluss nicht geschafft. Solche Leute sah man oft als Dorfzauberer in kleinen Orten, oder sie zogen mit Gauklern durch die Gegend.
"Wenn sich jemand, so wie er, fast bis zur Vergiftung betrinkt," antwortete Elavi, "ist er es selbst schuld. Ich hätte ihn mit Leichtigkeit behandeln können. Aber ich denke, wenn sich einer so vollaufen lässt, ist das sein Problem, und er muss auch die Konsequenzen tragen."
Sie nahmen ihre Arbeit wieder auf. Ein paar Stunden geschah nichts Besonderes. Sie behandelten Kinder, die sich beim Spielen verschiedene Blessuren zugezogen hatten. Sie richteten den verrenkten Fuß einer Frau.
Elavi stand gerade am Getränkeautomat, als ein Notfall herein getragen wurde. Bei dem Anblick lies die Elfe den Becher fallen und rannte mit grünlich blassem Gesicht den Gang hinunter.
Kanri musste gegen ihre Übelkeit kämpfen, so war der Patient zugerichtet. Es war kaum noch zu erkennen, das er ein Elf war. Ein Ohr und große Teile der Kopfhaut waren abgerissen. Auf Brust und Bauch waren Risse, groß genug um die Organe sehen zu können. Arme und Beine waren mehrmals gebrochen und nur noch durch einzelne Sehnenstränge mit dem Körper verbunden.
Kanri schüttelte sich. "Das der noch lebt..." Sie sah sich im Behandlungsraum um. "Wo ist Elavi?"
"Auf der Toilette und kotzt sich aus," war die Antwort.
"Würd ich auch gern," flüsterte Kanri. Laut sagte sie: "Wieviel Kunstblut Typ E haben wir noch?"
"Knapp fünfzig Raumfuß."
"Hol es, schnell," wies die Heilerin an, "legt ihn dort in die Wanne, vorsichtig. Hol das Besteck, dazu noch Schienen Nägel Schrauben usw. Elavi, da bist du ja wieder, karr das Beatmungsgerät her, und beeil dich."
Der Schwerverletzte lag in der Wanne. Elavi schloß das Beatmungsgerät an, dabei machte ihr Magen wieder Anstalten sich zu verkrampfen. Die Wanne wurde mit einer weißlichen, fast durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt, dem Kunstblut. Die Flüssigkeit bekam bald einen rötlichen Schimmer.
"Wir haben nicht mehr viel Zeit," stellte Kanri fest, "Elavi ich brauch deine Hilfe: Halt ihn stabil, während ich anfange ihn zusammen zu flicken. - Und noch eins: Wenn du wieder Kotzen musst: Nicht in die Wanne!"
Mit verkniffenem Gesicht nickte die Elfe. Kanri begann mit ihrer Arbeit. Sowohl mit den Fingern als auch mit Magie tastend, untersuchte sie den Schwerverletzten. Dann machte sie sich ans 'Zusammenflicken'. Es dauerte über sechs Stunden.
Danach waren Elavi und Kanri zu erschöpft, um nach Hause zu fahren. Eine Pflegerin machte ihnen zwei Betten. Kaum lagen die Zwei darin, da schliefen sie schon.
Der Duft von frisch aufgebrühten Chaffa weckte die beiden. "T'zul meinte, das ihr nach der anstrengenden Heilung gestern ein gutes Essen vertragen könnt," erklärte die Pflegerin, die den Beiden jeweils eine Tasse eingoss. Auf einem kleinen Tisch waren zwei Tabletts. Auf den Tabletts waren Teller, mit jeweils einem großen Stück Braten, viel Sauce, Kartoffeln und Gemüse. In der Mitte des Tischs stand eine Kanne Chaffa.
Elavi war etwas verwirrt, doch nach einem Blick auf die Uhr, verstand sie. Es war fast ein Uhr, sie hatten rund zwölf Stunden geschlafen.
"Ich fühl mich immer noch schwach," bemerkte Elavi.
"Ich mich auch," antwortete Kanri, "aber T'zul hat Recht: Ein gutes Essen wird uns helfen."
Nach dem Essen sahen sie sich ihren Patienten an. "Er sieht immer noch sehr schlimm aus," stellte Elavi fest.
"Ja," bestätigte Kanri, "aber er ist nicht mehr in Lebensgefahr. Wir werden ihn noch ein mal behandeln, damit er transportfähig ist. Dann lassen wir ihn in die Uniklinik von Kotazzitorn bringen."
Gesagt getan. Noch am selben Nachmittag wurde der, immer noch bewusstlose, Elf von einem Krankenwagen abgeholt.
Kanri und Elavi fuhren wieder zurück zu ihrem Haus. Nach einer ausgiebigen Dusche gingen die Beiden in ihre Betten.
Wochen später war Elavi allein im Haus. Kanri war nach Kotazzitorn gefahren, um dort verschiedene Besorgungen zu machen. Elavi saß mit verschränkten Beinen auf dem Boden, vor ihr lagen einige Zettel. Elavi hatte sich ihre Notizen zu verschiedenen Zaubern wieder angesehen und meditierte nun.
Die Elfe war gerade dabei einen besonders komplizierten Zauber in Gedanken nachzuvollziehen, als sie hörte, wie sich jemand an der Haustür zu schaffen machte.
Sie öffnete die Augen. "Bist du's Kanri?"
Die Geräusche setzten einen Moment aus. Elavi hörte, wie zwei Männer an der Tür miteinander sprachen. Leider konnte sie nicht verstehen, was sie sagten.
Die Elfe packte ihre Notizen zusammen. Sie brachte die Zettel auf ihr Zimmer. Oben hörte sie, wie die Haustür aufgebrochen wurde. Vorsichtig schlich die Elfe die Treppe runter. Sie sah drei Männer, die dabei waren, die unteren Räume zu durchwühlen.
"In der Bruchbude ist nichts, das einen Einbruch lohnt," fluchte einer der Männer.
"Was heißt hier Bruchbude," meldete sich Elavi zu Wort. Die Elfe stand mitten im Zimmer.
Einer der Einbrecher zog eine Pistole, doch bevor er auf die Elfe schießen konnte bekam er einen Krampf in seinem Arm. Kanri hatte ihrer Schülerin auch beigebracht, wie man Heilzauber umkehren kann, um sie im Kampf zu benutzen.
Einer der anderen beiden Einbrecher zog ein Messer und ging damit auf die Elfe los. Elavi duckte sich ein wenig, packte den Arm des Angreifers und warf ihn hart gegen den Türrahmen.
Fast im gleichen Moment wurde sie von hinten niedergeschlagen. Zum Glück war sie nur wenige Augenblicke bewusstlos. Einer der Einbrecher kniete über ihr und wollte ihr die Hose ausziehen. Elavi erinnerte sich an einen sehr schwierigen Zauber, den Kanri ihr erst vor Kurzem beigebracht hatte.
Die Elfe schrie. Der Schrei ging fast in den Ultraschallbereich. Der Mann, der auf ihr kniete fiel schreiend hinten über. Den anderen beiden Männern erging es nicht besser.
Erschöpft lehnte sich Elavi gegen die Wand. Die drei Einbrecher waren Tot. Elavis magisch verstärkter Schrei hatte sämtliche Knochen der Männer zerspringen lassen.
Als Kanri wieder nach Hause kam kniete ihre Schülerin zitternd, mit tränenverquollenen Augen neben den Toten. Kanri nahm Elavi in die Arme.
"Was ist den passiert, Kleines?," fragte die Heilerin. Stockend, mit zitternder Stimme berichtete die Elfe.
Kanri führte die völlig verstörte Elavi ins Wohnzimmer. Sie setzten sich auf die Couch. Kanri hielt Elavi immer noch in den Armen. Die Heilerin wiegte ihre Schülerin dabei sang sie leise ein altes Lied, um die Elfe zu beruhigen. Es schien zu funktionieren, die junge Frau hörte auf zu schluchzen. Nach wenigen Minuten war die Elfe eingeschlafen.
Vorsichtig bettete Kanri Elavi auf die Couch. Dann brachte die Heilerin die toten Einbrecher hinaus. Sie war dabei so leise wie möglich um die Elfe nicht zu wecken.
Als Elavi am nächsten Morgen aufwachte erinnerte fast nichts mehr an die Ereignisse des vergangenen Tages. Elavi bemerkte, das drei der Beete im Garten frisch umgegraben waren.
Kanri trat neben ihre Schülerin. "Die Beete," sagte Elavi, "hast du die Einbrecher...?"
"Ja, Kleines," antwortete die Unsterbliche, "die drei liegen da drin. Ich kann dein Entsetzen verstehen. Aber glaub mir es gibt keinen besseren Dünger. Außerdem ersparen wir uns so stundenlange Verhöre und seitenlange Berichte."
"Wie kannst du nur so kalt sein?," fragte Elavi entsetzt.
Kanri nahm Elavi an den Schultern und sah ihr lange in die Augen. "Glaub mir, Liebes," sagte die Heilerin, "wenn man fast dreitausend Jahre alt ist sieht man vieles mit anderen Augen. Als ich damals mit meinen Freuden über den Kontinent zog sind wir oft überfallen worden. Fast jedesmal haben wir den getöteten Gegnern alles abgenommen, was von Wert war. Ich habe auch in vielen Kriegen gekämpft, da habe ich unvorstellbares Leid gesehen. Ich habe auch heute noch immer wieder Alpträume deswegen. Du musst lernen damit fertig zu werden, sonst wirst du verrückt. Glaub mir Elavi, mein Kind: Als ich damals meinen ersten Gegner getötet habe ist auch meine Welt zerbrochen. Manchmal glaube ich, ich habe immer noch nicht alle Risse gekittet.
Ich weis, Elavi, das ist das erste Mal, das dir der Tot auf diese Art begegnet. Mein Unfall damals, der zerfetzte Elf im Krankenhaus, das war beides schlimm für dich, aber du wusstest es war nicht deine Schuld und du konntest helfen. Aber gestern hast du zum ersten Mal Leben genommen. Du musstest es tun, sonst würdest du jetzt unter einem Acker der Blauen Feste liegen. Vielleicht verstehst du jetzt, warum kein Heiler aus der Blauen Feste den Eid des Hipolantes schwört.
Ich weis es wird schwer für dich, aber du musst mit deiner Tat fertig werden. Ich kann dir nicht sagen, wie du es machen sollst, du musst selbst einen Weg finden.
Ich glaube ich las dich jetzt besser eine Weile allein, damit du in Ruhe nachdenken kannst."
Elavi stand allein im Garten. Sie setzte sich auf dem Boden. Tränen liefen über ihre Wangen.
Sie wusste nicht wie lange sie so da gesessen hatte. Schließlich ging die Elfe wieder ins Haus zurück. Kanri wartete in der Küche auf sie. "Glaubst du, du kannst etwas essen?," wollte die Heilerin von ihrer Schülerin wissen. Elavi nickte nur kurz.
"Willst du darüber reden?," fragte Kanri nach.
Die junge Elfe schüttelte nur kurz den Kopf.
"Du musst es wissen," stellte Kanri fest, "falls du es dir überlegst: Ich bin im Trainingsraum."
Nach einer Weile stand Elavi in der Tür zum Trainingsraum, sie wusste nicht genau, wie sie dahin gekommen war. Doch sie wusste, das die nächsten Momente ihr weiteres Leben entscheiden konnten.
Sie beobachtete die Übung der Katzenfrau. Kanris Bewegungen waren fließend und elegant, es wirkte bei ihr wie ein Tanz, nicht wie eine Schwertübung.
"Kanri?"
"Ja, Elavi?" Die Katzenfrau hielt in ihrer Übung inne.
"Hast du damals auch an Selbstmord gedacht?"
"Das war einer meiner Gedanken. Ich dachte auch daran, irgendwo ein Einsiedlerleben zu führen, damit mir nie wieder jemand begegnet."
"Ich habe Angst vor mir selber," erklärte die Elfe, "einem Teil von mir hat das Töten gefallen. Was wenn dieser Teil zu mächtig wird? Wenn ich eine Mörderin werde, die nur aus Spaß Leute umbringt?"
"Meine Gedanken waren damals ähnlich," erzählte Kanri ihrer Schülerin, "deswegen dachte ich auch an Selbstmord oder Flucht in die Einsamkeit. Es war sehr schwer, aber ich habe gelernt, das Tier in mir unter Kontrolle zu halten. Doch manchmal bricht es immer noch durch. Es kommt immer wieder vor, das ich überreagiere, und das mehr Blut fließt als nötig gewesen währe."
"Wie kann ich es unter Kontrolle halten?"
"Zuerst musst du lernen das das Tier ein Teil von dir ist. Du musst es akzeptieren. Du darfst es nicht bekämpfen, den bei diesem Kampf kannst du nur verlieren, egal wie er ausgeht."
"Hilf mir dabei."