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Die Blaue Feste: Der Wald
Der Wald
Elavi stieg von ihrem Motorrad, die Elfe nahm den Helm ab und strich sich ihr langes blondes Haar zurecht. "Was macht Kanri in diesem abgelegenen Dorf?," fragte sich die Heilerin, "das sie sich nur für die Handvoll Häuser ein paar Tage freigenommen hat, kann ich nicht glauben."
"Guten tag," wurde sie unerwartet begrüßt. "Fremde verirren sich selten hierher," stellte der Dorfbewohner fest, "aber sie sind diese Woche schon die zweite."
"Wer ist denn vor mir gekommen?," fragte Elavi nach, "eine Kotazzii mit weißem Fell und einem schwarzem Dreieck auf dem Kopf?"
"Ja genau, kennen Sie sie?"
"Ja, sie war meine Ausbilderin. Können sie mir sagen, wo sie ist?"
"Ihre Ausbilderin? Sie scheint verrückt zu sein, sie ist in den alten Wald gegangen. Niemand geht freiwillig in den alten Wald."
"Wo ist der Wald? Ich hab eine dringende Botschaft für sie."
"Etwa zwei Meilen diese Straße entlang, kaum zu verfehlen. Aber gehen sie nicht dahin. Die wenigen die von dort zurück kamen haben den Rest ihres Lebens in einer Nervenklinik verbracht."
Die Elfe lächelte den Dorfbewohner an. "Ich bin eine Kriegerin der Blauen Feste," sagte sie, "Aberglauben und Geistergeschichten schrecken mich nicht ab."
"Das ist kein Aberglaube," warnte sie der Mann, "auf dem Wald liegt ein Fluch aus dem Dunklen Jahrhundert."
Elavi schwang sich wieder aufs Motorrad und fuhr los. Unterwegs dachte sie nach. 'Wenn es tatsächlich ein Fluch aus dem Dunklen Jahrhundert ist muss es sehr mächtig sein, das er nach über fünfzehn Jahrhunderten immer noch wirksam ist. Kanri hat mir nur sehr wenig darüber erzählt, aber damals müssen viele Zauber entwickelt und angewendet worden sein, die heute verboten sind.
Einen dieser Zauber hat sie mir trotzdem beigebracht. Sie sagte mir damals, das währe einer der harmlosen verbotenen Zauber. Wenn ich an die Wirkung denke, wie sind dann die anderen Zauber?'
Elavi lief ein Schauer über den Rücken. Sie hatte den Zauber bisher ein einziges Mal angewendet. Damals hatte man sie in ihrem Haus überfallen und versucht sie zu vergewaltigen. Sie hatte mit der Magie jeden Knochen der Angreifer regelrecht zertrümmert.
Bevor sie weiter grübeln konnte, hatte die Elfe schon den Eingang zum Wald erreicht. Die Bäume standen sehr dicht beieinander, wodurch der Wald sehr dunkel wirkte. Doch es gab einen breiten Pfad, der in den Wald führte. An dem Pfad parkte ein Kleinwagen.
Elavi sah sich das Nummernschild an, es war eindeutig ein Auto aus dem Fuhrpark der Blauen Feste. "Sie ist also wirklich hier."
Die Elfe stellte das Motorrad neben dem Wagen ab. "Der Wald hat wirklich etwas bedrohliches." Sie konzentrierte sich kurz. "Seltsam, in dem Wald scheinen nicht einmal Tiere zu sein," wunderte sie sich.
Elavi betrat den Pfad, schon nach wenigen Schritten bekam sie eine Gänsehaut. Der Wald hatte eine Aura aus Trauer, Wut und Hass. "Hier muss etwas Schreckliches passiert sein," stellte die Heilerin fest. "Das sind Totenseelen. Hunderte, nein Tausende."
Trotz des breiten Weges kam sie nur langsam voran. Es war, als würde sie durch einen zähen Sumpf waten. Sie konnte die negativen Gefühle, die ihr entgegenschlugen, fast körperlich spüren. "Sie schreien, toben, jammern und verfluchen mich. Ich muss mich konzentrieren, darf mich nicht hingeben, sonst komm ich hier nicht mehr heil raus. Soll ich umkehren? Nein, Kanri braucht vielleicht meine Hilfe. Ich muss sie finden."
Je weiter sie ging, um so stärker wurde der Druck auf sie. Es war wie in einem Albtraum, wo man trotz verzweifelter Anstrengung kaum von der Stelle kam.
Mitten auf dem Weg lag ein Skelett in altmodischer Kleidung. "Scheint als hätte ich einen der Verschollenen gefunden."
Die Elfe wusste nicht, wie weit sie inzwischen in den Wald eingedrungen war. Der Druck durch die Toten war nun so stark, das sie Kopfschmerzen bekam.
"Was ist hier passiert?," überlegte sie, "fand hier eine der Schlachten der Magierkriege statt?"
Elavi lief wieder ein Schauer über den Rücken. Es hieß, das damals auch Dämonen beschworen worden waren, die dann ganze Armeen vernichtet hatten. Und es war einfacher Dämonen zu beschwören, als sie wieder in ihre Dimension zu schicken. Ob hier noch einer sein Unwesen trieb? Das würde einiges erklären.
Die Elfe biss die Zähne zusammen, sie atmete schwer. "Lange kann ich dem Druck nicht mehr standhalten. Kanri ist älter und mächtiger wie ich, aber auch sie hat ihre Grenzen. Wo bist du, und warum bist du hier. Man muss schon verrückt sein, um hier freiwillig reinzugehn," sie lachte einmal kurz, "ich bin dann wohl auch verrückt."
Elavi stolperte, einen Sturz konnte sie nur knapp verhindern. Sie hockte sich hin, um sich das worüber sie fast gefallen wäre, näher anzusehen. Nach kurzem Wischen kam unter dem Moos Holz zum Vorschein, es war eindeutig bearbeitet.
"Eine Eisenbahnschwelle?," wunderte sich die Elfe. "Stimmt ja. Damals soll die Welt ungefähr den technischen Stand wie vor siebzig, achtzig Jahren gehabt haben. Bis der 'Göttersturm' alles verwüstet hat. Viel mehr wie den Namen weis ich darüber nicht."
Sie ging weiter. Plötzlich stand sie auf einer Lichtung. Wie sie mit einen Blick feststellte, konnte die Lichtung unmöglich einen natürlichen Ursprung haben. Die Bäume umsäumten den Platz in einer graden Reihe, wie mit dem Lineal gezogen. Sie umschlossen ein Fläche von ungefähr dreihundert mal fünfhundert Metern. Elavi stand zwischen etwas, das sie für Rest von Torpfosten hielt. Auf der Lichtung standen etliche Mauerreste. Einige kaum mehr als eine Ziegelreihe hoch, andere ungefähr Kniehoch.
In der Ruine war Kanri. Die Katzenfrau kniete in der Mitte des Platzes, sie schien zu Beten. Die Unsterbliche war von Nebelschwaden umgeben.
Elavi sah genauer hin. Nein das waren keine Nebelschwaden. Die Kotazzii war von Geistern umgeben, die sie umkreisten und immer wieder auf sie hinabstießen.
"Das müssen die Leute sein, die hier gestorben sind," ging es der Elfe durch den Kopf.
Zwei Geister lösten sich aus dem Schwarm und verschwanden in den blauen Himmel. Kanri stand auf, leicht schwankend kam sie auf Elavi zu. "Was machst du hier?," fragte sie ihre Adoptivtochter.
Die Elfe wollte antworten, doch die Katzenfrau hielt ihr zwei Finger vor dem Mund. "Später, lass uns erst diesen Ort verlassen."
Schweigend gingen die beiden Frauen den Weg aus dem seltsamen Wald hinaus. Als sie den Waldrand erreichten dämmerte schon der Abend. Kanri öffnete die Wagentür. "Lass uns ins Dorf zurückfahren," sagte sie, "ich hab dort für heute Nacht ein Zimmer gemietet. Außerdem will ich nicht, das uns die Leute noch als vermisst melden."
Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten. Kurz darauf saßen die Beiden bei einer Flasche Wein in dem Fremdenzimmer. Kanri stopfte sich eine Pfeife.
"Was gibt es so wichtiges, das du mir in den Wald gefolgt bist?," erkundigte sich die Katzenfrau.
"Ich hab eine Botschaft vom Leiter der Blauen Feste für dich," mit diesen Worten übergab Elavi ihrer Ausbilderin einen versiegelten Umschlag. "Er sagte mir, ich soll ihn dir unter allen Umständen so schnell wie möglich geben."
"Was will Azatis so dringendes von mir?" Kanri brach das Siegel. Sie las den Brief. Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf. "Du alter Trottel," sagte sie, "du hast mir schon so oft gesagt, das ich das Lager den Profis überlassen soll. Und ich hab dir immer wieder gesagt, das ich es selber machen will, schließlich ist es ja meine Schuld. Es ist meine Art Buße zu tun."
Die Katzenfrau nahm einen tiefen Zug aus der Pfeife, dann trank sie einen Schluck Wein. "Ahnst du was es mit dem Wald auf sich hat?," fragte sie Elavi.
"Dort muss etwas Schreckliches passiert sein," antwortete die Elfe, "es ist ein Relikt aus den Magierkriegen."
"Nicht aus dem Magierkrieg," korrigierte Kanri, "es ist eine Ruine aus dem Dunklen Jahrhundert. Aber ganz Unrecht hast du ja nicht. Der Magierkrieg war der Höhepunkt und das Ende des Dunklen Jahrhunderts." Seufzend stieß die Unsterbliche etwas Rauch aus.
"Der Wald, genauer die Lichtung, das sind die Ruinen von Ausitz. Dort habe ich damals meine Experimente gemacht. Man nannte mich 'Die Schlächterin', ein passender Name. Ich habe ohne Betäubung operiert und lebende seziert. Die meisten heutigen Ärzte und Heiler ahnen es nicht einmal, aber viele meiner damaligen Forschungsergebnisse haben auch heute noch Gültigkeit und werden angewendet.
Menschen, Elfen, Kotazzii, Trolle, Orks, Orger, Zwerge, Harpyien, sogar Elben. Damals hat es mir nichts ausgemacht sie leiden zu sehn, ich hab es sogar genossen. Meine Aufzeichnungen von damals liegen in den Archiven der Blauen Feste. Die Geister der Ermordeten machen den Wald zu dem verfluchten Ort, der er seit damals ist.
Ich komme einmal im Jahr her, um die Toten um Verzeihung zu bitten. Es sind so viele. Auch wenn jedes Jahr ein oder zwei ihren Groll ablegen und ins Jenseits gehen, wird es noch sehr lange dauern, bis ich den Ort gereinigt habe."
Tränen liefen über die Wangen der Katzenfrau.