Die Biene
An einen warmen Sommertag, irgendwo auf einer großen, grünen Aue, flog eine Biene ihres Weges.
Da alle Blüten auf dieser Aue besetzt waren, flog sie immer weiter. Nach einiger Zeit erreichte sie dann einen Sumpf, wo sie sich schließlich völlig erschöpft, auf einem morschen Ast, niedersetzte.
"Ach!", seufzte sie. "Ich fliege jetzt schon seit Stunden hin und her auf der Suche nach Blütenstaub.
Ich muss etwas finden, ich darf nicht schon wieder die Letzte sein."
Sie erinnerte sich noch an das Theater beim letzten Mal, als sie nur halb beladen umkehren musste. Sie hörte damals, wie die Anderen über sie tuschelten. Unerhört sei so was und das man sich überhaupt noch traute, halbbeladen wiederzukommen. Einige nannten sie sogar Hummel, und es wusste doch jeder, das Hummeln im Gegensatz zu den fleißigen Bienen, nur faule und gefräßige Insekten waren, ohne jegliches Gemeingefühl.
Schon als kleine Larve hatte es man ihnen beigebracht fleißig zu sein. Hart zu arbeiten, für die Königin und den ganzen Staat. Noch einmal würde man es ihr sicherlich nicht durchgehen lassen. Vielleicht würde man sie Ausweisen und was sollte sie dann machen?
Für die Ameisen arbeiten? Im Dreck und unter der Erde? Nein! Eine Aussätzige würde sie sein.
Dabei hatte sie doch so große Ziele als Larve. Wächter wollte sie werden, die Königin beschützen und angesehen sein.
Ja, das waren ihre wirklichen Ziele und Wünsche.
Neue Kraft aus ihren Überlegungen schöpfend, flog sie immer weiter und weiter,
durch die gesamte Aue, überquerte einen Sumpf, bis sie schließlich in weiter Ferne das saftige Grün einer Wiese erkannte.
Keine Minute zu früh, dachte sich die Biene, denn ihre Kräfte begannen langsam nachzulassen. Mittlerweile war sie soweit geflogen, dass sie kaum noch die Kraft hatte sich oben zu halten.
-Wenn ich nicht bald etwas Nahrung und einen sicheren Platz zur Landung finde, werde ich noch verhungern. Und was wäre dann, wenn ich nicht mehr zurückkäme...- Schoss es ihr wieder durch den Kopf.
-Einen Feigling würde man mich nennen. Faulenzer, Sozialschmarotzer, der auf Kosten der anderen fleißigen Bienen lebt. Nie würde jemand mehr wieder auch nur ein Wort mit mir Reden.-
"Halt ein, halt ein." Erklang es da plötzlich unter der Biene. Eine hungrige Venusfalle die das Treiben der Biene schon eine weile Beobachtet hatte, meldete sich plötzlich zu Wort. "Wohin des Weges, so allein und ohne Schutz. Dies ist aber kein geeigneter Ort für eine Biene wie dich."
"Warum?" Protestierte die Biene aufs Schärfste.
"Ich sammle Blütenstaub für meinen Stock!"
"Hier?" Lachte die Venusfalle. "Hier gibt es nichts außer Gras und Sumpf und bis auf mich, keine Blüte weit und breit."
"Doch, die Wiese da hinten, da wird ich schon etwas Geeignetes finden." Antwortete die Biene trotzig und setzte sich schon an weiter zu fliegen.
"Das schaffst du nie. Mir scheint du bist jetzt schon viel zu erschöpft um weiterzufliegen."
Die Biene überlegte kurz. "Warum landest du nicht erst einmal bei mir, erholst dich etwas und fliegst dann weiter. Und vielleicht gebe ich dir etwas von meinen Nektar. Dann kannst du noch vor allen anderen zuhause sein."
"Ich kenne Pflanzen wie dich," ereiferte sich die Biene. "Du glaubst doch nicht, dass ich auf diesen alten Trick reinfallen werde."
"Und ich Bienen wie dich! Aber wie du willst," trotzte die Venusfalle. "Doch so schaffst du es auf keinen Fall.Und ich dachte bis jetzt, nur Hummeln würden mit leeren Taschen zurückfliegen. Oder habe ich mich da etwa getäuscht?"
Die Biene blickte abwechselnd zurück zur Aue und zur Venusfalle, landete schließlich und wurde sofort gefressen.
Ich liebe das System! Dachte sich die Venusfalle, während das Zappeln in ihren Inneren immer schwächer wurde.
[ 14.06.2002, 22:57: Beitrag editiert von: Epikur ]