Die Bestie
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Die verfluchte Bestie hat sich in der Scheune verschanzt. Im schattigen Dämmerlicht wartet sie, lauert, dieses blutrünstige… Miststück. Oh, wie ich sie schon verflucht habe. Sie hat Karl auf dem Gewissen, hat ihm den Arm abgerissen, als wäre es nichts weiter als der einer Stoffpuppe. Ratsch und ab.
Oh ja, sie lauert da drin, ich kann sie hören, und fühlen. Wenn ich die Augen zu Schlitzen zusammenkneife kann ich sie sogar sehen, glaube ich. Sie ist halb verdeckt, versteckt sich hinter dem Werkzeugregal auf der linken Seite. Gut, dass die Tore sperrangelweit offen stehen. So kann sie mich nicht mehr überraschen. Aber das kann sie sowieso nicht mehr. Ich weiß, wozu sie fähig ist, wann sie zuschlägt. Es reicht ein Moment der Unachtsamkeit und ZACK! Schon hat sie dich mit ihren scharfen Zähnen, wirbelnd und tödlich.
Oh Karl… du dusseliger Kerl, du hast dich zu nahe an sie herangewagt. Oh Karl… Mein armer Freund. Ihn kann ich deutlich sehen, er liegt vor ihr. Er ist tot, die Blutlache unter ihm legt davon deutlich Zeugnis ab. Sie hat sich langsam ausgebreitet, nachdem das Geschrei verstummt war. Und es hat lange genug gedauert… Ich war zu weit weg, drüben beim alten Baumer. Aber ich habe ihn gehört, bin sofort los, den knappen Kilometer. Aber es war zu spät, der Schock hat ihn umfallen lassen, kurz bevor ich die Scheune erreicht hatte. Und dann ist er… ist er vor meinen Augen in ihren gierigen Schlund getaumelt, ein hilfloses Opfer. Er hatte keine Chance. Und das grinsende Biest hat ihn einfach zerfetzt…
Noch immer brüllt es in der Scheune, will mich zu sich locken, oder mir Angst machen, ich weiß es nicht. Und ich habe Angst. Oh ja… Sie ist schnell, man unterschätzt sie, obwohl man sie vielleicht kennt. So wie Karl, der gutmütige Dummkopf. Ich habe ihn immer und immer wieder gewarnt: Sie ist ein Luder, und sie hat es auf dich abgesehen, du musst dich vorsehen! Aber er hat meistens nur gelacht und gesagt: ‚Ich hab sie im Griff, Tony, keine Angst. Sie gehört mir.‘
Oh Karl…
Und jetzt was? Was soll ich nun tun? Ich werde dich rächen Karl, ich werde sie zerschmettern und vernichten, das verspreche ich dir! Ich werde es beenden, ein für alle mal. Du sollst ihr letztes Opfer gewesen sein!
„Hörst du mich, du verdammtes Monster? Ich komme, und ich werde dich erledigen! Hörst du mich?“ Ich habe keine geeignete Waffe, aber es tut gut, Herausforderungen zu schreien, zumal sie sich sowieso nicht aus der Scheune traut. Faules, feiges Stück.
Nach einigem Suchen habe ich im Geräteschuppen das Richtige gefunden: Der große Vorschlaghammer scheint mir gut geeignet, um dem brüllenden Biest entgegenzutreten. Ich wiege ihn prüfend in der Hand, den Schlegel, und ja: Das fühlt sich richtig und gut an. Die Waffe eines Helden!
Tief durchatmen jetzt. Die Zeit ist reif, die Scheune zurückzuerobern.
„Jetzt bist du fällig, Beastie“, murmle ich vor mich hin, beinahe weggetreten, fixiert auf mein einziges Ziel. Den Hang hinab die paar Schritte, durch das Tor und Angriff, mit aller Kraft. Der Schlachtplan steht.
„Hörst du mich? Jetzt mach ich dich fertig!“, brülle ich, und übertöne mit meinem Geschrei kurz ihr Heulen und Kreischen. Dann sprinte ich los, einen Schrei auf den Lippen, den Schlegel erhoben, bereit für den ersten fatalen Hieb mit aller Kraft. Ich muss sie beim ersten Mal erwischen, das ist mir klar, sonst ist es aus. Ich tauche ein ins Dämmerlicht, jetzt sehe ich sie vollständig, kauernd halb hinter dem Regal, aber ich habe sie genau im Visier. Sie wird mich nicht auch noch erwischen. Mich nicht!
„Aaarrrrghh!“ Und der Schlegel fährt nieder, mit voller Wucht, vernichtend, und donnert auf ihre Panzerplatten, schlägt Funken, Dellen, bringt Zerstörung, stört das Heulen und Kreischen, und kann die Bestie doch nicht niederstrecken.
„Rache!“, brülle ich. „Rache!!!“ Ich hole erneut aus, unter mir ein Holzscheit, ich stolpere
Später am Tag…
„Herr im Himmel… was für eine Sauerei.“ Der Mann in der beigen Hose kniete sich nieder, wenige Schritte vor der Scheune. Sein Blick ruht auf den zwei blutigen Leichen, die darin liegen. Insgesamt beschauen sich vier Augenpaare die Szenerie. Einer ist der alte Baumer, ein dürrer, wettergegerbter Mann jenseits der 70. Seinen Hut hält er in den Händen, eine Träne rollt ihm über die Wange.
„Sie waren gute Männer, beide. Haben nur zu viel getrunken.“ Er hätte viel mehr sagen können, etwa, dass er sie jahrein, jahraus gewarnt hatte, aber er ließ es. Baumer machte nie viele Worte. Er ging immer davon aus, andere verstünden auch so, was nicht gesagt wurde. Nie kam ihm in den Sinn, dass er damit gravierend falsch liegen könnte.
Der Polizist nickte, schob sich die Mütze aus der Stirn. Dann stand er auf, um die weiteren Ermittlungen zu führen. Obwohl es ziemlich klar war, was sich ereignet hatte.
„Zuviel getrunken… Ja, man muss wohl zu viel getrunken haben, wenn man mit einem Steinschlegel auf eine Kreissäge losgeht.“