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Die Beerdigung

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20.02.2002
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Die Beerdigung

Die Gänge mit den türkisen Teppichböden hatten nichts mit der Kirche gemein, an den Wänden waren keine weißen Kerzen befestigt, auch keine dieser elektrischen Imitationen, die man so oft auf Tannenbäumen vorfindet. Nein, die Ständer waren aus Glas, in einer geometrisch vollkommenen Sechsecksform, darin zwei gewöhnliche Glühbirnen. Die Wände waren weiß, in 4Meter-Abständen mit goldenen Linie durchzogen, die bis kurz vor die Decke reichten und sich an eben dieser Stelle horizontal miteinander verbanden. An den Rändern dieses breiten Durchganges waren Regenschirmständer hingestellt, vielleicht vom Pfarrer, oder auch von kiffenden Meßdienern, wer weiß das schon.
Kaum angekommen, begrüßten uns auch schon unsere Eltern, nicht weinend, nicht geschockt, nicht nach Trost suchend, sondern einfach nur hektisch und eilig. Während meine Mutter wie ein Mensch um sich schaut, der in seinem Bett einschläft und in einem Regenwald in Südamerika aufwacht, erhebt mein Vater die Ärmel seines schwarzen Sakkos, wobei seine dünne Krawatte noch mehr verrutscht, und deutet auf einen hinteren Eingang. Wir beide gehen dahin, während mein Paps versucht mit dem Verlobten meiner Schwester eine Konversation zu führen. Doch wie so eine Konversation mit meinem Vater eben so ist, er legt wert auf sein miserables Aussehen, unterstützt vom starken Deodorant, Axe Voodoo, für 4.99DM in jedem Kaufhaus erhältlich. Ich konnte nicht verstehen, was er Daniel erzählte, aber ich hörte und ich sah seine abstoßende, widerwärtige Lache, die, wenn man es nicht besser wüßte, peinlich ist. Aber ich weiß es besser, nämlich daß dieses Lachen absichtlich ist. Er hört sich an wie ein Pferd, dem in jedes Ohr eine Nähnadel gesteckt wird und das nun um Hilfe schreit. Wenn er merkt, daß man sich davor ekelt, hört er nicht etwa damit auf, nein, er macht weiter, noch lauter, noch länger. Vor allem wenn er weiß, daß ich ihm zuhöre.
Doch es war nicht der Ort und nicht die Zeit, um sich über menschliche Debilität aufzuregen. Wir betraten ein Zimmer, dessen Aussehen mit dem Gang identisch war, der gleiche Teppich, die gleichen Verzierungen. Doch der Inhalt war anders. Auf einem hohen Podest lag er in der Mitte des Raumes, in seinem eckigen, rubinrotbraunen Sarg, dessen Form mich an die Verslängen einiger Sonaten erinnerte, die in der Mitte am breitesten waren. Auf weißen Samtkissen lag er da, in einem feinen, grauen Anzug, die Hände waren wie zu einem Gebet umklammert, doch sie hielten nur die Rose, die genauso verwelken und verwesen würde wie...
Die Augen waren starr verschlossen, doch sie blickten durch die Lider hindurch, vorbei an der Wand, empor zum grauen, weinenden Himmel, als suchte der zurückgelassene Körper seine wandernde Seele. Die Haare waren geschnitten und säuberlich gelegt, die Haut in seinem Gesicht war frei von Bartstoppeln, frei von diesen tiefen Faltenfurchen, die so weit ich zurückdenken kann immer zu ihm gehört hatten. Sie waren das Produkt der harten Bergarbeit, die er von seinem 16. Lebensjahr, bis zum Alter von 57 betrieb. Doch viel mehr waren sie das Produkt des Alkohols gewesen, der sein Leben immer mehr bestimmt und zerstört hatte. Wäre die Tagesportion von einer halben Flasche Wodka, fünf Bier und einer Flasche Chantré nicht gewesen, hätte sich sein Körper höchstwahrscheinlich von dem Schlaganfall erholen können, aber nicht so, nicht, wenn er davor schon mit Krücke und der Unterstützung seiner kleinen, liebevollen Enkelin keine 50 Meter Schrittempo durchhalten konnte.
Die Leichenbestatter hatten eine wirklich gute Arbeit gemacht. Auch wenn ich mich dafür schäme, es zu sagen, er hatte noch nie besser ausgesehen. Doch eines hatten die Todesvisagisten übersähen, die Fingernägel. Sie waren zwar perfekt geschnitten, doch der Verwesungsprozeß setzte bereits ein, durch die Nägel sah man die Verfärbung, braun wie ein etwas zu lang gebratenes Cordon bleu, im Kontrast zum Rosa der Fingerspitzen.
Ein uniformierter Meßdiener stellte sich zwischen die Tür und bat uns, hinauszugehen, man müsse den Sarg nun schließen. Als wir rausgingen, sah ich meiner Schwester in die Augen, deren Blau fast mit meinem identisch war. Sie war besorgt, doch es war nicht wegen meinem Opa. Sie dachte an ihr Kind, meinen am 23. April geborenen Shakespeare-Baby-Neffen. Wenn er sterben sollte, wäre ihr Leben für immer zerstört, würde sie nie wieder ein ehrliches Lachen zeigen können. Das war es, was sie in diesem Augenblick begriff. Feuchtigkeit sammelte sich in ihren Augen.
Wir traten über in eine Art Wartezimmer, direkt vor den Eingängen zur Kappelle. Es war schon merkwürdig, die Einrichtung, die komischen Lampen, der Glastisch in der Mitte, die blaugepolsterten Stühle am Rand. Diese Einrichtung war beinahe identisch mit dem Saal des Standesamtes, wo meine Schwester im Sommer 1998 (oder war es 99) geheiratet hatte. Ich erinnerte mich wieder an Him und Ville Valos Texte. When love and death embrace.
Da standen sie, alle möglichen Verwandten, Menschen, an die ich mich nicht mehr erinnern konnte und die ich zum Teil noch nie zuvor gesehen hatte. Aber da gab es ja auch noch andere, die dumme Krimhilde, die genauso aussieht wie sie heißt. Daniel, der neue Verlobte meiner Schwester, bezeichnete sie stets mit Misses Ed. Ich frage mich, wieso mein Onkel sie zur Frau genommen hatte, kein guter Charakter, keine Intelligenz, kein Aussehen und Geld – als letzt möglicher Grund – besaß sie auch keins. Sie war unendlich traurig. Die Beerdigung, nach Außen hin ja, welche anderen Gründe sollte es da noch geben? Na zum Beispiel ihr 40. Geburtstag, den sie groß feiern wollte. 85 Einladungen wurden bereits verschickt. Nun ist es aber so, daß Beerdigungen nun mal nicht billig sind. Somit fehlt das Geld, um eine Riesenparty zu schmeißen. Man bekommt so einiges mit, wenn man grade mal 50 Meter entfernt wohnt. Außerdem, wenn man sie etwas besser kennt, ist es eine Leichtigkeit, zwischen ihrer Traurigkeit und ihrer Eingeschnapptheit zu unterscheiden.
Dann war da noch Johann, oder Ivan, wie er früher in der alten Heimat geheißen hatte. Er hatte sich gegen die gesamte Familie meiner Tante, also uns, gestellt. Der 50jährige Mann mit den blond nachgefärbten Haaren an den Rändern, und einer billigen noch blonderen Perücke am Scheitel, der Busfahrer, der Psycho. Niemand sprach ihn auf die jahrzehntelangen Gewaltakte an seiner Frau an, oder auf die Alkoholfahne, die er durch sein starkes Eau de toilette zu überdecken versuchte. Meine Tante wurde ganz diskret gefragt, wie es ihr denn ginge, schließlich hatte keiner mehr Kontakt zu ihr. Die indiskreten Gedanken „Schlägt dich dieser Schweinehund immer noch halbtot?“ blieben in den Köpfen jedes Einzelnen. Ich sage nur soviel, es ist ein seltsames Gefühl, neben jemandem zu stehen und ihm auch noch die Hand zu geben, der einst versucht hatte, mich zu überfahren.
Schließlich wurde die Kappelle geöffnet und wir fanden Einlaß. Ein matter, hellgrauer Himmel war durch die verzierten Kirchenfenster zu sehen, vorne lagen mindestens sieben Kränze, dahinter 28 angezündete Kerzen in zwei Spalten. Beim Anblick der verschwommenen Wandmalerei aus nylongelb, hellblau, pink, lila und ecstasyblau mußte ich unweigerlich an kirchlichen LSD-Mißbrauch denken und an die katholische Kirche mit ihren Stamm-erste-Reihe-Sitzern, den Weihrauchkiffern.
Am meisten verblüffte mich der riesengroße Christus, ein schwarzer Mann!!! an einem grauen Kreuz. Hierbei wurde ich an Michelangelo erinnert. Ein Mann, der von Kardinälen und Bischöfen aller Art immer nur um sein Geld und seine Kunst betrogen wurde, und eines Tages den Auftrag bekommt, die schönste Kirchenmalerei zu erschaffen, die die Menschheit je zu Gesicht bekommen würde. Das tat er dann auch, an der Kuppel und den Wänden der sixtinischen Kappelle in Rom. Doch gleichzeitig fügte er sein eigenes Gottesbild und Bibelverständnis in die kolossalen Fresken, genauso wie eine unübersehbare Anspielung auf einen Kabbalisten, der beinahe das Weltimperium des Vatikans gebrochen hätte, wenn die Staatspolizei ihn nicht erfaßt hätte und er damit zum Opfer der Inquisition geworden wäre. Denn dieser Kabbalist besaß Beweise, daß die Auferstehung Christis eine Verarschung war, daß man ihn gar nicht bis zu Tode gequält hatte, daß die Kreuzigung nur eine öffentliche Demütigung war, aber nicht sein Todesurteil. So heißt es jedenfalls, was weiß ich schon, bin ja auch nur ein kleines, dummes Schäfchen.
Der Gottesdienst. Es wurde gesungen, das übliche unverständliche Gebetskaderwelsch. Es wurden Bibelzitate gesprochen, unter anderem Psalm 23. Der Herr ist mein Hirte blablabla. Dieser Psalm wird am aller Häufigsten für Beerdigungen von den Verwandten ausgesucht. Doch als ich kurz zu meinem Vater zurückschaute und er mir zublinzelte, verstand ich wieso es jetzt drankam. Nicht der Inhalt, sondern dieser alte Idiot, der sich für illuminiert hält, fand die Zahlensymbolik am aller besten.
Der Pfarrer sprach vom harten Leben meines Opas, von seiner Gastfreundschaft. Er verlor kein Wort darüber, wie hart es für seine Familie war, wenn Frau und Kinder verprügelt wurden, oder daß wenn man seine Gastfreundschaft annahm, man allein schon vom Geruch seiner Wohnung besoffen wurde. Ich weiß, man soll nicht schlecht über Tote sprechen, aber ich spreche nicht schlecht, ich spreche nur die Wahrheit.
Krimhilde behauptete immer, sie wäre die Einzige gewesen, die sich um ihn gekümmert hätte, da sie ihn in den letzten vier Jahren ja sehr oft aus dem Altersheim zu sich nachhause genommen hatten, sie und mein Onkel. Was sie aber nicht erwähnte, war die Anzahl der Fälle, in denen mein Onkel arbeiten mußte und sie mit ihren Hausfrauenfreundinnen ausgehen wollte und daher jemanden brauchte, der auf ihre siebenjährige Tochter, Jasmin, aufpaßte.
Und was sie nicht wußte, war, daß mein Opa sich geweigert hatte, bei meiner Mutter zu sein. Egal was sie tat, es war ihm immer scheißegal gewesen, denn sie war nur ein Mädchen. Mein Onkel jedoch war sein Sohn, und damit auch sein ganzer Stolz.
Ich bemerkte nun das erste Mal Jasmin, als der Sarg zum Stellplatz gebracht wurde. Sie ging alleine unter halbbekannten Gesichtern, mit einem kleinen, süßen Regenschirm, ihre Eltern mußten vorne was mit dem Pfarrer besprechen. Sie war der Grund, wieso mir Tränen in die Augen schossen und jetzt immer noch tun wenn ich rückblickend darüber schreibe. In den ersten drei Jahren ihres Lebens war ich etwas wie die zweite Erziehungskraft. Mein Onkel, so oft er auch Geld verdienen mußte, weil Hilde ja schon mit einer Stunde täglich im Kindergarten putzen überfordert war, täglich etwa 10 Stunden arbeiten, jede freie Minute verbrachte er bei Jasmin. Doch wenn er wieder mal Geld für die Miete und Nahrung anzuhäufen hatte, wurden Krimhildes Erziehungsmethoden deutlich, den Fernseher anschalten und die Kleine vor Lala, Dipsy und ihren dämlichen Winke-Winke Spielchen setzen. Darum war ich immer bei ihr, hatte mit ihr gespielt, versucht ihr Dinge beizubringen. Während Krimhilde sich mental auf ihre Stunde Arbeit einstellen mußte, war ich bei Jasmin und habe miterlebt, wie sie zum ersten Mal krabbelte. Früher nahm ich sie immer und drehte mich mit ihr im Kreid, oder spielte mit ihr, ging sogar mit ihr zum Spielplatz, wenn ihre Mutter wieder mal zu „erschöpft“ war. Jetzt ist sie 7 Jahre alt und mußte zum ersten Mal einen großen Verlust hinnehmen, jemand war tot, den sie geliebt hatte. Als ich mich neben sie stellte und auf die Knie ging, umarmte sie mich so fest sie konnte und ich hob sie hoch. Es tut mir wirklich leid, daß sie es so früh miterleben mußte.
Vor dem Hinabsetzen seines Grabes, wurde noch das Vater Unser gesprochen. ...in Ewigkeit. Amen. Doch ich hätte beinahe Bin Laden gesagt, was natürlich sehr peinlich gekommen wäre. Falls es wirklich stimmte, daß die Guten, all diese gottesfürchtigen, verlogenen, klischeehaften, nur auf ihr Bild nach außen achtenden, von der Gesellschaft anerkannten zu Jahwe kommen und die Schlechten zu Luzifer, dann richtete ich mich mit meinen letzten Gebeten tatsächlich an den Richtigen. 666

 

Satire? Nee, das ist keine Satire. Eine Satire muß doch pfiffig und überspitzt sein - das hier ist die reine Wahrheit! :)

Also die Geschichte hat mir auch gut gefallen, nur der Schluß nicht; das hört alles so abrupt auf - warum? Kann auch sein, daß ich den Schluß nicht verstanden habe, soll ja vorkommen... ;)

Ansonsten wie gesagt; echt gute Geschichte. Du zeigst so richtig schön, wie verlogen Beerdigungen sind.

Gruß,
stephy

 

Warum die Geschichte so abrupt endete? Ganz einfach, sein Sarg wurde hinabgefahren, die gäste gingen in alle Richtungen und versammelten sich teilweise bei meinem Onkel, um zu lästern und zu saufen. Das hätte ich ja noch beschreiben können, aber da müßte ich mich in der Kurzgeschichte wiederholen und das wollte ich nicht. Sicherlich hätte ich da noch etwas hinzuerfinden können, aber wieso? Schließlich habe ich das so erlebt.

 

:crying:
Hallo Zorenmaya,
Hoffentlich bist du bald nicht mehr so verbittert !
Und zwei Dinge noch :
Es gibt keine Beweise für oder gegen die Auferstehung von Christus.
Die "Verarsche" war den Menschen zu verkünden, er hätte mit der
Kreuzigung unsere Sünden auf sich genommen. Wenn es einen Gott gibt, dann kennt er uns und verzeiht uns auch ohne Kreuzigung.. Fakt ist : Jesus hat gelebt. Ob er Gottes Sohn war, oder nur ein Freak, lassen wir das jetzt mal beiseite.
Jesus ist aus politischen Gründen gekreuzigt worden. Er hatte zu Lebzeiten viele "Fans" und hätte eine Riesenkarriere machen können. Macht, Geld, Frauen. Er hat sich für den Märtyrertod entschieden, wohlwissend das er damit unsterblich wird.
Für die Auferstehung spricht, daß die Menschen denen er sich zeigte ihn erst nicht erkannt haben. Einen Verstorbenen, den man geliebt hat ,erkennt man sofort. Man sieht ihn nach Wochen noch
irgendwo in der Stadt.
Die Römer waren bei den Kreuzigungen gelegentlich gnädig, sie hielten auch ihm den essiggetränkten Schwamm unter die Nase.
Darin war ein Extrakt aus der Alraunwurzel,esnimmtdieSchmerzen und führt zu einem todesähnlichem Zustand.
Möglich das er sich nochmal aufgerafft hat.

Zu deinem letztem Satz .
" Falls es stimmt....daß die ...verlogenen...zu Jahwe kommen..."

Wer kann das rausfinden ?
Wir müßen uns im Unwissen für Gott, Satan, oder gegen beide entscheiden.

Alles Gute !

:)

 

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