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Die Barbarin
"Ich mag nicht!" Mit einer heftigen Bewegung schüttelte das Mädchen die Hand auf ihrer Schulter ab.
"Aber Garena ...", sagte die Frau hilflos.
"Nein!" fauchte die andere. Trotzig blickte sie vor sich hin.
"Lass sie!" rief ein älterer Krieger, der hinzugetreten war, und berührte die Frau sanft am Arm. "Hilf bei den Vorbereitungen und lass Garena. Sie wird sich schon beruhigen."
Die Frau nickte seufzend und wandte sich ab. Der Krieger blieb bei Garena stehen. Prüfend sah er auf ihren kerzengeraden Rücken.
"Garena", sprach er sie leise an, "es hilft dir doch nichts. Du wirst dich früher oder später beugen müssen, und du weisst das genau. Dein Trotz bringt dir nur Unmut bei den Ältesten ein, und du wirst es mit der Zeit immer schwerer bei ihnen haben."
"Das ist mir egal", gab sie knapp zurück.
"Ja, noch ist es dir egal. Und selbst wenn es dir immer gleichgültig bleiben sollte, Karana denkt darüber anders. Sie ist dein Vormund, und du solltest ihr dankbar sein, anstatt sie in Schwierigkeiten zu bringen."
Er wartete noch ein paar Augenblicke auf eine Antwort, doch als nichts mehr kam drehte er sich um und ging zum Lagerfeuer, wo sich bereits andere Krieger versammelt hatten und die Vorbereitungen für das Fest trafen.
"Meno", rief jemand und er spürte eine Hand auf seinem Arm.
"Karana", murmelte er.
Die Frau warf ihm einen traurigen Blick zu. "Du hast sie nicht überreden können, nicht wahr?"
Meno unterdrückte ein Seufzen.
"Nein. Sie ist verstockt wie ein junger Esel. Aber hab keine Angst, sie wird schon nachgeben."
"Ja, irgendwann vielleicht", gab Karana resigniert zurück. "Irgendwann besinnt sie sich womöglich. Doch heute Abend wird sie wieder unangenehm aufallen. Die Alten werden reden."
"Lass sie reden", versuchte der Krieger sie zu beruhigen, "sie werden Verständnis haben für so ein junges Ding. Sie ist gerade vierzehn geworden und noch ein rechter Wildfang. Alle kennen Garenas Flausen, sie hat nichts zu befürchten." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: "Und du auch nicht."
"Hm". Karana sah zweifelnd in Menos Gesicht. "Ich habe Angst um sie", flüsterte sie und fasste unwillkürlich nach seiner Hand. Der Mann drückte sie leicht.
"Ich verstehe dich", gab er ebenso leise zurück, "mir ist auch nicht wohl dabei. Die Toleranz der Alten sollte niemals ausgenutzt werden und Garena strapaziert sie schon lange über Gebühr. Aber man wird sie nicht verbannen. Nicht jetzt. Nicht so bald. Noch hat sie Freiraum. Noch darf sie sich dumm verhalten".
"Noch", hauchte die Frau kaum hörbar. Eine Träne glitzerte in ihrem Auge. Meno biss sich auf die Lippen als er ihren Kummer sah. Sein wütender Blick traf Garena, die abseits des Lagerfeuers stand und ihnen noch immer den Rücken zuwandte.
"Hilf den anderen das Essen aufzutragen, ich hole sie."
"Sei nicht zu grob zu ihr!" rief Karana ihm mit erstickter Stimme nach und wischte sich hastig über die Augen.
*
"Es wird Zeit, Garena." Meno verschränkte die Arme.
Das Mächen warf den Kopf zurück, während sie sich langsam umdrehte.
"Zeit für was?" fragte sie in spöttischem Ton.
"Zeit ans Lagerfeuer zu gehen", erwiderte der Krieger mit unbewegter Miene.
"Zeit für eure barbarischen Rituale, meinst du wohl!" gab sie heftig zurück. Ihre dunklen Augen funkelten. Meno kam nicht umhin, sie für ihre Leidenschaft zu bewundern.
"Nun, wenn du es so siehst ist das deine Sache. Unser Stamm hat Traditionen, die so weit zurückreichen wie die Erde besteht, und wenn du sie barbarisch findest, wird das kaum jemanden beeindrucken."
"Dein Stamm-" fing sie an, doch er unterbrach sie.
"Unser Stamm. Du gehörst zu uns."
"Tue ich das?" Garena stieß ein Schnauben aus. "Ich gehöre nicht zu euch, so wenig wie die Medura-Krieger zu euch gehört haben. Ihr habt sie bekämpft und feiert jetzt euren Sieg, aber ich will nicht dazugehören."
"Du gehörst aber nunmal zu uns", sagte Meno und blickte ihr fest in die Augen. "Geboren bist du anderswo, in einem anderen Stamm, weit hinter der Großen Wüste, aber seit unsere Krieger dich fanden, eingehüllt in zerschlissene Lederlumpen, und dich damals in Karanas Arme gaben, die dich aufzog wie ein eigenes Kind, bist du Eine von uns.
Vierzehn Jahre ist das jetzt schon her, und du wirst auch weiterhin bei uns bleiben, bis du alt genug bist um dich alleine durchzuschlagen, sofern das dein Wunsch sein sollte.
Denke aber immer daran, dass unser Stamm immer gut zu dir war. Besonders die Ältesten, die seit jeher steng über das Verhalten der Heranwachsenden wachen, haben viel Nachsicht mit dir bewiesen. Heute Abend wirst du sie wieder verstimmen, und Karana wird viel Schlimmes zu hören bekommen. Sie gilt als deine Mutter, dein Tun wirft schlechtes Licht auf sie. Denke darüber nach, was dein Trotz für sie bedeutet - denk nach, was es für Karana bedeutet!"
Garena presste die Lippen aufeinander bis alles Blut aus ihnen wich und sie sich weiß verfärbten. Ihr Kopf drehte sich kaum merklich nach rechts, wo sie an Meno vorbeisah und einige Meter dahinter Karana erspähte, die sich mit den anderen Frauen ums Essen sorgte. Meno wandte keine Sekunde den Blick von dem Mädchen ab.
"Ich komme mit dir", sagte sie endlich. "Aber ich mache da nicht mit. Ich setze mich nur zu euch. Und vielleicht esse ich etwas. Mehr nicht."
Meno nickte. "Das ist gut. Die Alten werden es bemerken und Karana wird dir sehr dankbar sein. Setze dich zu ihr."
Garena folgte der Aufforderung und trat zum Feuer. Karanas Augen leuchteten auf, als sie das Mächen neben sich sah, drückte ihr die Hand und führte sie zu ihrem Platz.
Auch der restliche Stamm versammelte sich, die Speisen wurden herumgereicht. Als der Kelch schießlich die Runde machte und sich Garena näherte, verkrampfte das Mädchen leicht. Karana spürte es. Sie versuchte ihr eine Hand auf die Schulter zu legen, doch Garena ignorierte die Geste.
Der goldene Kelch erreichte ihren Platz und sie gab ihn hastig an Karana weiter. Der schwere Duft des Weines, vermischt mit dem durchdringenden Eisengeruch, stieg Garena in die Nase und ließ sie würgen. Ihre Hand zitterte, so dass der warme Kelch leicht überschwappte und ein Tropfen neben ihren Teller fiel. Mit vor Ekel weitaufgerissenen Augen starrte Garena auf das Rot auf dem Tisch und schlug die Hand vor den Mund.
In diesem Moment erklang die Stimme des Ältesten vom Tafelende:
"Große Göttin, stärke uns mit dem Blut unserer Feinde, gib uns ihre Kraft ..."