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- 10.11.2001
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Die Ballettkönigin
Der Weg durch den Garten liegt im silbrigen Licht des Mondscheines. Sie rennt. Auf den leicht spiegelnden Granitsteinen wirft der Mond einen schmalen Schatten. Sie ist bald auf der verlassenen Strasse, bald auf der Strasse.
Ich bin bald in meinem Übungsraum. Ich muss noch üben, ich muss... meine Hosen rutschen mir hinunter. In drei stunden muss ich wieder zurück, wenn es meine Eltern erfahren, sind sie sehr enttäuscht von mir. Sie glauben, ich sei ein Wunderkind, eine geborene Tänzerin und ich, ich trainiere jede Nacht, nur damit sie mit mir zufrieden sind. Zu dick haben sie gesagt, eine Tänzerin muss schlank sein, sonst wird man nie eine Ballettkönigin. Dann nahm ich ab, wurde schlank, dünn, schliesslich mager.
Sie ist mager, ihre hat sie zu einem straffen Knoten zusammen gebunden. Sie nimmt ihre Schlüssel hervor, ihr Atem und das Klirren der Schlüssel sind das einzige, was man hört. Es ist ihr unheimlich. Wie sie in den Raum tritt, sieht sie eine weisse, schmale Gestalt vor sich, deren Backenknochen hervorstehen. Ihr Herz pocht noch immer, doch sie weiss, es ist nur die Spiegelwand. Ihr wird schwarz, auf ihrer kalten Stirn bilden sich Schweisstropfen . Sie setzt sich auf einen Stuhl. Nachdem ihr Zittern nachgelassen hat, stehet sie auf und geht zum Fenster. Sie kurbelt alle Storen hinuter, erst dann schaltet sie das Licht an. Den CD-Player stellt sie auf repeat. Wie eine zarte, kleine Fee wirbelt sie durch den Raum. Doch ihre Bewegungen sind müde und kraftlos. Wieder wird ihr schwarz, schwindlig und zugleich heiss und kalt. Auf dem glänzenden und frisch polierten Parkettboden bricht sie zusammen.
Die Musik spiel bis zum Morgengrauen weiter.