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Die Bahnfahrt

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02.02.2004
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Die Bahnfahrt

Es hatte geschneit. Und wie. Ich musste den Wagen in der Garage lassen. Heute fuhr ich mal wieder mit der Bahn. Eigentlich mag ich das Bahnfahren nicht besonders, da muss ich mich immer so nach den Abfahrtszeiten richten. Und wenn dann die Sitzung im Büro wieder etwas länger dauert, blieben mir meist nur noch wenige Anschlüsse um noch rechtzeitig zu Hause zu sein. Aber heute freute ich mich auf die eine Stunde, in der ich mich, bequem in den Sitz des Abteils geschmiegt, in Ruhe mein neues Buch lesen konnte.

Vor fünf Minuten war ich eingestiegen, der Intercity musste noch einen Schnellzug aus Lausanne abwarten. Der Zug war zwar voll besetzt, aber ich konnte mir noch einen Platz in einem Abteil in der Mitte des Wagens ergattern. Mir gegenüber sass ein älterer Herr mit Anzug und Krawatte. Er war in eine Zeitschrift über Mobilheime vertieft. Als ich mich nach dem freien Platz erkundigte, hatte er kurz aufgeschaut, genickt und sich wieder hinter das Mobilheim verdrückt. Links, neben meinem Platz sass wohl seine Frau. Ich nahm das mal so an, weil sie ihre Beine bequem ausgestreckt an seine gelehnt hatte. Auf dem Platz mir gegenüber sass ein junger Schüler mit wirrem Haar und unausgeschlafenem Gesichtsausdruck. In der einen Hand ein halbes Brötchen haltend war er in einen Stapel Notizen vertieft und machte ab und zu mit einem Leuchtstift Markierungen aufs Papier. Vielleicht hatte er heute Prüfungen, dachte ich noch, doch dann widmete ich mich meiner Tasche.

Ich schlug sie auf und holte mein neues Buch hervor, dass ich gestern per Post erhalten habe. Ich stellte die Tasche zwischen meine Beine und lehnte mich zurück. Verträumt sah ich auf den Umschlag und schlug das Buch an der Stelle auf, an welcher ich es gestern mit zufallenden Augen im Bett verlassen hatte. Ich begann gerade den ersten Absatz des fünften Kapitels zu lesen, als das leise Gemurmel und Lachen, welches das Wageninnere seit meinem Zusteigen erfüllte durch ein markerschütterndes Handyklingeln unterbrochen wurde.

- PiepelipieeepTataPiepelipieeep -

Ich schaute auf und in Richtung des hässlichen Ruftons. Es kam vom Nebenabteil, in welchem sich ebenfalls Schüler befanden. Mit bunten Schultaschen zwischen den Beinen und Rucksäcken auf dem Schoss. Alle fuhren wie von der Tarantel gestochen in ihre Taschen oder Rucksäcke und kramten ihre Handys hervor. "Oh, hallo Jule, wo bist du ?" Während einer der Schüler, ein grosser schwarzhaariger mit einer Baseballmütze auf dem Kopf und Pickel im Gesicht in sein Handy plärrte, schaute ich wieder in mein Buch und versuchte weiterzulesen. "...neeeeein, was hat sie damit gemeint, ich soll mich verpissen?" Das war doch unmissverständlich, dachte ich. Und warum muss der so in sein Handy schreien, zwei Dezibel lauter und Jule konnte ihn auch ohne Handy hören. Überhaupt schreien die meisten Leute in ihr Handy, als wären sie alleine auf einem Felsvorsprung und probierten das herrliche Echo des am gegenüberliegenden Hang gelegenen Waldes aus. "...die soll die Klappe nicht so weit aufreissen!" Ich sprang wieder zum Satzanfang, da ich durch Jules Handypartner kurz etwas abgelenkt war.

- Pieppiep, pieppiep -

Hinter mir kam gerade ein weiterer Gesprächsteilnehmer über den Äther. Ich wünschte mir ein Funkloch, jetzt gleich und für die nächsten Fünfundvierzig Minuten. "Halloooo? Oh, Martinschatz, bist du schon wach?" Bellte es mit einer hellen Frauenstimme durch die Polster meines Intercitysitzes. "Jaaa, ich vermisse dich auch." Wahrscheinlich hatte sie ihn erst vor einer halben Stunde noch mit hundert Küssen auf Wange, Ohr und was weiss ich wo noch überall verabschiedet. Jetzt war Martinschatz aufgewacht und hatte ganz doll Sehnsucht nach seiner Barbiemaus.

Ich starrte auf mein Buch, die Zeilen verschwammen, ich hörte von rechts lautes Gejohle, als das Pickelfrüchtchen eine wüste Abhandlung über die Tierwelt in Richtung Jule schickte, welches sich von hinten mit dramatisch lautem Liebesgesülze mischte. Ich sah die Wörter auf dem Papier, wie sie geduldig darauf warteten gelesen zu werden. Ich las zum x-ten Mal den gleichen Absatz.

- Plingelingplangplingelingplang -

Der ältere Herr liess die Mobilheimzeitschrift in den Schoss seiner Frau fallen und zog hastig sein Handy aus der Brusttasche. "Ja, hallo? Ach, Marianne, dass ist aber eine Überraschung. Wie geht es den lieben Enkelchen?" Marianne müsste jetzt eigentlich einen Hörschaden haben. Ich klappte das Buch zu. Meine Stimmung sank auf Null. Dabei habe ich mich so auf eine ruhige Stunde Zugfahren mit Leseerlebnis gefreut. Doch halt, ich wollte mich nicht geschlagen geben. Was glauben die denn eigentlich? Ich schlug mein Buch wieder auf, suchte nach der Stelle, fand sie und begann laut zu lesen.

"Der Magier fuchtelte sichtlich erzürnt mit dem knorrigen Stab in Richtung Rolands Weg..." Ich spürte, wie erstaunte Augenpaare sich in meine Richtung drehten. Auch hielt Mariannes Vater inne und starrte überrascht in meine Richtung. Ich war bestärkt in meinem Tun. Ha, jawohl Leute, hier kommt der große Zampano. "Staub und Dreck klebten an seinen geschnürten Lederschuhen und zeugten von einer weiten Reise voller..." fuhr ich fort, nun eine Spur lauter und selbstsicherer, wie ein Erzähler auf einem Podium. Gewillt, dem Handygestammel einen sinnvollen Gegenpol zu verpassen.

Wann es im Wagen schlussendlich zu einer gespannten Ruhe gekommen war, kann ich heute nicht mehr sagen, ich war so in meinen Text vertieft und rezitierte mit solcher Inbrunst, dass alles um mich in weite Ferne gerückt war. Ich liess mich vom Text tragen, erlebte den Ärger des Magiers und wünschte mich ebenfalls an diesen Ort. "Ihre Fahrkarte. Bitte." Ich hielt abbrupt inne, schaute auf und sah in das mitleidig blickende Gesicht des Schaffners, der mir die Hand entgegenstreckte und auf meine Fahrkarte wartete. Im Hintergrund tuschelten die Schüler und liessen ein gedämpftes Lachen ertönen. Meine Abteilgenossen hatten sich sichtlich von mir abgewandt und in ihre Ecken gedrückt. Anscheinend muss ich soeben einen ziemlich durchgeknallten Eindruck hinterlassen haben.

Ich zog meine Fahrkarte aus der Jackentasche und gab sie dem Herrn mit der Mütze. Er sah sie sich prüfend an und gab sie mir dann mit einem breiten Grinsen zurück. "Danke. Ach ja" er deutete auf ein kleines Schildchen über dem Fenster." Dies ist ein Ruheabteil, bitte lesen sie doch etwas leiser." Ich starrte auf das Schild, welches einen stilisierten Finger zeigte, der auf zwei stilisierten Lippen ruhte.

Hoffentlich wird es bald Frühling, dachte ich und schloss die Augen.

 

Hallo dotslash!

Ich fand deine Geschichte ganz ok. Begeistert hat sie mich aber nicht. Denn das Thema ist mir schon zu oft begegnet, um noch wirklich neu zu sein.
Die Pointe hat mich auch nicht wirklich überrascht. Vielleicht liegt das daran, dass ich persönlich noch nie was von Ruheabteilen gehört habe und es für mich daher unrealistisch klang.

Was mir gut gefallen hat, waren die eingestreuten sarkastischen Kommentare. Mehr davon!

Was mir sehr gut gefallen hat, war die Stelle, an der der Protagonist beginnt, laut sein Buch zu rezitieren. Ich habe mich schon so gefreut und mir gedacht, ja! Endlich mal was Innovatives!
Ich fände es schön, wenn diese Stelle mehr ausgearbeitet würde. Wirklich fasziniert hätte mich die Geschichte, wenn die anderen einfach mal zugehört hätten und darüber hinaus vielleicht auch ihre Handys vergessen hätten. Das klänge vielleicht zu sehr nach Moralapostel, aber der momentane Schluss ist einfach nicht überspitzt genug, um zu überraschen.

dayvs GE-ve
Stefanie

 

Hallo filechecker und xkaxre

Danke für eure klare und konstruktive Kritik.

@filechecker
Ich baue Deinen ersten Vorschlag ein, dann fällt das zweite mich weg.

@xkaxre
Bei uns gibt es diese Abteile tatsächlich.
(Mal schauen, ob ich das mit dem Linkeinbau hinkriege:Ruheabteil )

Ich fände es schön, wenn diese Stelle mehr ausgearbeitet würde.
- Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher. Meinst Du, ich sollte den Prot mehr von der Geschichte erzählen lassen oder mehr das Umfeld während des Rezitierens beschreiben ?

Vielen Dank nochmals Euch beiden für's Lesen.
Lieben Gruss
Robi :cool:

 

Ich kenne nicht das Prinzip der Geschichten, die hier in Alltag stehen. Nach dem, was in "Bitte vor dem Veröffentlichen lesen" steht, müßte ja langweilige Stereotypie Pflicht sein.
Meiner Ansicht nach ist eine Geschichte, in der nichts Ungewöhnliches passiert, nicht aufschreibenswert, so wie es für nicht-ungewöhnliche Dinge zumeist nicht mal Wörter gibt.
Es kann aber vorkommen, daß man wenig interessante Informationen bringen muß, weil sonst die Geschichte nicht verständlich ist. In dem Fall pflege ich immer zu versuchen, "es" so komprimiert wie möglich hinter mich zu bringen.

Es hatte geschneit. Und wie. Ich musste den Wagen in der Garage lassen. Heute fuhr ich mal wieder mit der Bahn. Eigentlich mag ich das Bahnfahren nicht besonders, da muss ich mich immer so nach den Abfahrtszeiten richten. Und wenn dann die Sitzung im Büro wieder etwas länger dauert, blieben mir meist nur noch wenige Anschlüsse um noch rechtzeitig zu Hause zu sein. Aber heute freute ich mich auf die eine Stunde, in der ich mich, bequem in den Sitz des Abteils geschmiegt, in Ruhe mein neues Buch lesen konnte
Ich empfinde diesen Absatz als zu lang, sowohl was die Informationsmenge betrifft, als auch was den "Unterhaltungswert" dieser Informationen betrifft.
"Heute" sollte man außerdem in Erzähltexten, welche in der Vergangenheitsform geschrieben sind, nicht verwenden.
Desweiteren empfiehlt es sich, relativierende und harmlose Ausdrücke gegen stärkere, dramatischere einzutauchen, um die Aufmerksamkeit des Lesers bei der Stange zu halten.
Meine Version dieses ersten Absatzes wäre vielleicht so ausgefallen:
Wegen massiver Schneefälle ließ ich den Wagen wieder mal in der Garage und fuhr Bahn. Eigentlich verabscheue ich das Bahnfahren, diesen ständigen Stress, den Zug zu erwischen oder ewig auf ihn zu warten. Aber an diesem Tag hatte ich ein Buch dabei und freute ich mich darauf, es in Ruhe lesen zu können.
Vor fünf Minuten war ich eingestiegen
Siehe das, was ich über "heute" gesagt habe. Müßte also korrekt heißen: Fünf Minuten nach dem Einsteigen...
der Intercity musste (noch) einen Schnellzug (aus Lausanne) abwarten
Einmal Füllwort, zum anderen fragwürdig, ob den Leser interessiert, wo der Schnellzug herkam.
Guck mal hier:
Bereits fünf Minuten nach der Abfahrt mußte der Intercity schon wieder anhalten, um einen Schnellzug vorbei lassen.
Der Zug war (zwar) voll besetzt, aber ich konnte (mir) (noch) einen Platz (in einem Abteil) (in der Mitte des Wagens) ergattern
Und außerdem heißt es Waggon, und außerdem würde ich mir PQP (Plusquamperfekt) wünschen, weil er den Platz ja schon hat.
Der Zug war überfüllt wie immer, aber ich hatte auf Wundersame Weise einen Platz ergattern können.
Mir gegenüber sass ein älterer Herr mit Anzug und Krawatte (. Er war) in eine Zeitschrift über Mobilheime vertieft
Als ich mich nach dem freien Platz erkundigte, hatte er kurz aufgeschaut, genickt und sich wieder hinter das Mobilheim verdrückt
PQP!
Als ich mich nach dem freien Platz erkundigt hatte, hatte er nur kurz aufgeschaut und genickt.
Links, neben (meinem Platz) sass wohl seine Frau
Unpräzise. Könnte man so interpretieren, als säße da keiner, nur eine Jacke.
Links von mir saß eine Frau. Wahrscheinlich seine, weil...
(Ich nahm das mal so an,) weil sie ihre Beine (bequem) ausgestreckt an seine gelehnt hatte.
(Auf dem Platz) mir gegenüber
und machte ab und zu mit einem Leuchtstift Markierungen (aufs Papier)
(Vielleicht hatte er heute Prüfungen, dachte ich noch, doch dann widmete ich mich meiner Tasche.)
Interessiert nicht wirklich.
Ich (schlug sie auf und) holte mein (neues) Buch hervor(, dass ich gestern per Post erhalten habe).
Ja, man kann wirklich viel abrasieren...
(Ich stellte die Tasche zwischen meine Beine und lehnte mich zurück)
Jeden Handgriff zu beschreiben ist der beste Weg, jemanden zu langweilen.
Verträumt sah ich auf den Umschlag und schlug das Buch an der Stelle auf, an welcher ich es gestern mit zufallenden Augen im Bett verlassen hatte.
Das kann man lassen, weil es ein wenig über die Lebensgewohntheiten des Ich-Erzählers verrät.
Ich begann gerade den ersten Absatz des fünften Kapitels zu lesen, als das leise Gemurmel und Lachen, welches das Wageninnere seit meinem Zusteigen erfüllte durch ein markerschütterndes Handyklingeln unterbrochen wurde.
Ja, im Prinzip schon nicht schlecht: Ein dramatisierender Ausdruck.
Kapitel und Absatznummer sind allerdings wieder irrelevant.
PiepelipieeepTataPiepelipieeep
Es gibt Leute, die solche Lautmalereien grundsätzlich bekritteln. Da daraus in diesem Falle ein "running gag" wird, halte ich es hier jedoch für legitim.
Ich schaute auf und in Richtung des hässlichen Ruftons. Es kam vom Nebenabteil, in welchem sich ebenfalls Schüler befanden.
1. Wieder die Details einzelner Körperbewegungen.
2. Wieso "ebenfalls"? Wo denn noch?
Das häßliche Geräusch schien aus dem Nebenabteil zu kommen, in welchem sich Schüler befanden.
Mit bunten Schultaschen zwischen den Beinen und Rucksäcken auf dem Schoss.
Wie kann er das eigentlich sehen, was im Nebenabteil vor sich geht?
Gut, soviel Detailkommentare müssen erst mal reichen.
Die Idee, daß er durch lautes Lesen die Lärmer verstummen, läßt finde ich gut; ebenso die Pointe, daß er das gar nicht darf. Wobei das alleine die Geschichte nicht trägt, wie du an den anderen Kommentaren schon ersehen konntest. In solchen Fällen empfiehlt es sich, den ganzen Text mit etwas Sarkasmus zu würzen, das kommt immer gut an.

So, daß ist jetzt ziemlich lang geworden. Hoffe, du kannst was damit anfangen.

t

 

Hallo relysium

Was soll ich da noch sagen. :eek2:

Vielen Dank für die ausführliche und konstruktive Kritik. Zum ersten Mal seit meinen noch jungen Gehversuchen als Schreiber, wird mir vor Augen geführt, was es alles zu beachten gibt, wenn man selber eine Geschichte so hinkriegen will, wie man sie selber gerne liest.
Ich hoffe, nein ich weiss, ich werde Deine Tips beherzigen und in meiner nächsten Geschichte anwenden.
Ganz nach dem Motto: Schreiben ist Arbeit und weniger ist mehr.

Nochmals vielen Dank.
Lieben Gruss, Robi

P.S. Die meisten schweizer SBB-Waggons sind durchgehend offen, und eine Vierer oder Zweiersitzgruppe links und rechts am Fenster bezeichne ich als Abteil. Möglicherweise gäbe es einen besseren, unmissverständlicheren Ausdruck dafür?

 

Das ist dann ein "Großraumwaggon", und die Sitzgruppen sind eben Sitzgruppen.

r

 

Danke relysium.
:bonk:
Ist das peinlich, wenn man sich die Antwort selber gibt und dann gleichwohl danach fragt.

 

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