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Die Bahn.
Köln. Halb zehn abends. Straßenbahnlinie fünf. Richtung "Butzweilerhof". Meine Augen tasten prüfend die Passagiere an, auf der Suche nach der Person, die ich beschreiben will. Ich drehe mich um und sehe sie schon.
Das ist eine Frau. Sie sieht typisch südländisch aus mit ihren dunklen schulterlangen Haaren und dunklen Augen. Die Nase finde ich etwas zu groß für ihr schmales Gesicht und die schwarzen Augenbraunen, scheinen, wie mit der Kohle, auf der hellen Haut gemalt. Italienerin, Spanierin?
Sie trägt einen kurzen schwarzen Mantel, Jeans und Stiefeletten mit den halbhohen Absätzen. Bequem und elegant. Eine große schwarze Frauentasche liegt auf ihrem Schoß. Die braucht bestimmt lange um etwas darin zu finden.
Die Frau hat ihr Gesicht komplett zum Fenster gedreht und schaut durch die, mit den unzähligen Fingerabdrücken versehrte Scheibe. Wie alt sie ist, ist schwer zu sagen. Wenn wir durch die dunklen Tunnels rasen und ihr Gesicht gelegentlich, wie von Blitz, von den hellen Exitlampen, getroffen wird, schätze ich sie auf Mitte zwanzig. Wenn wir aber durch die dunkle Straßen schaukeln und die Laternen ihr eiergelbes Licht auf ihr Gesicht gießen, gebe ich ihr locker vierzig.
Die Frau hält ihren Fahrticket in der Hand, bestimmt fährt sie nicht oft mit der Straßebahn. Die erfahrene Pendler, bevorzugen Buch oder Smartphone, die tägliche Route ist denen längst vertraut. Die Passagiere kommen und gehen, die Frau schaut aufmerksam in das Fenster und scheint sie nicht zu bemerken.
Wenn man direkt durch die Glasscheibe guckt, wird man die dunklen Umrisse von den Häusern, leuchtende Reklameschilder und vorbei zischende Autos erkennen. Wenn man aber den Blick auf der Fensterscheibe konzentriert, wird sich das Innere vom Waggon darin finden.
Unsere Straßenbahn macht eine 90° Kurve und biegt langsam von der Subbelratherstrasse auf den Ehrenfeldgürtel. Irgendwo hier sollte sie vermutlich aussteigen. Im schönen Neuehrenfeld, mit den Gründerzeithäusern, die vor dem zweiten Weltkrieg verschont blieben.
Mein Telefon klingelt unerwartet laut. Die Frau zuckt zusammen. Ich suche in meiner großen schwarzen Frauentasche nach dem Telefon. Das dauert, wie immer sehr, sehr lange. Endlich.
"Hallo",- sagt die Frau mit dem hohen, etwas aufgeregten Ton.
"Hey, wo bist du denn?"- fragt meine vertraute, heißgeliebte Stimme.
"Ich bin in fünf Minuten bei dir",- sagt Frau und versteckt das Telefon. Dann dreht sie sich um und schaut noch mal in die Fensterscheibe.
Ich zwinkere meinem Spiegelbild zu, stehe auf und gehe zum Ausgang.