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Die Büchse Pandoras

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06.09.2014
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Die Büchse Pandoras

Die Büchse sieht unscheinbar aus, schwarz schimmert sie im Moosbett. Zuerst bildete ich mir das nur ein, es gibt keine funkelnden Büchsen im Dschungel, nur Flimmern. Alles flimmert in schwüler Luft, die Bäume, Feinde, das Gras, Gedanken an Zuhause – die Zwillinge, Kaffee, schwarz und ohne Zucker, Schmorbraten, die Lenden der Liebst…

„Alarm!!!“
Routiniert hechte ich ins hohe Gras, direkt neben die Büchse, und schalte mich ab – alles ist möglich.

„Entwarnung!“

Die Büchse hat ihre Farbe gewechselt. Plötzlich ist sie unsichtbar, schimmert durchscheinend vor meinen Augen. Ich kann nicht anders, greife zu: Blitze treffen mich, ich bäume mich auf, spastisch, schwebe, sehe mich von oben. Es brummt irgendwo her, leise, anschwellend - ein Tinnitus vermutlich, doch er lässt nicht nach, steigert sich, springt Oktaven tiefer, durchdringender, lauter. Das Flimmern in der Luft beginnt zu tanzen, meine Wahrnehmung flackert, ich werde zum Spielball, knalle gegen die Atmosphäre, als wäre sie ein Trampolin – unten liegt mein Körper. Schüsse treffen die Bäume, sorgen für Blätterregen, Borkensplitter fliegen, Qualm verwehrt mir die Sicht – ich schwebe mitten in gleißend hellem Licht, das im Sound des tiefen Basses flimmert, der alles übertönt, Angst macht, und zugleich frei. Konzentration ist wichtig, Konzentration auf den stärksten Impuls, das Brummen, es muss eine Bedeutung haben. Es ist zu laut für andere Geräusche, omnipräsent – allgegenwärtig.

„Aufhören“, brülle ich, „es soll Stille sein.“ Ich atme hektisch, zu schnell für diese Art von Luft, hyperventiliere, bis mir schwarz vor Augen wird…

Vogelzwitschern weckt mich, es ist kalt auf dem Boden, mein Körper schmerzt. Splitter stecken wie Siegsymbole in mir, Hoheitszeichen der Eroberer, überall rinnt Blut. Meine rechte Hand hält die Büchse umschlossen, schwer und kalt ist sie, doch habe ich eine Art von Bindung mit ihr. Ich kann es deutlich spüren, irgendeine Energie, deren Ursprung nicht in meiner Hand liegt und mich dennoch wärmt, eine heilende Wirkung hat. Meine Wunden verschließen sich, die Splitter fallen einfach auf den Boden, als wäre ich unsterblich. Niemand schießt, keine Granaten, keine Minen. Es ist surreal, nicht wirklich. Ich müsste tot sein, doch ich lebe, fühle mich gesund und stark. Die Büchse entwickelt ein Eigenleben, glüht plötzlich, ohne meine Hand zu verbrennen. Es rauscht und knackt um mich herum als wäre die Büchse eine Box, ein Transmitter, der über Bluetooth die Luft als Lautsprecher benutzt:

„…geben wir einen Waffenstillstand bekannt, der unbefristet ist“, dröhnt es aus atmosphärischem Megaphon, „… jegliche Kampfhandlungen einstellen …“

Eisige Tornados toben über meinen Rücken, bringen Gänseschauer mit. Mein Wunsch war Stille gewesen, es ist still. Ich kann das nicht gewesen sein, Niemand kann sowas, ein Zufall. Waffenstillstand bedeutet ja nur, dass nicht geschossen wird, während Verhandlungen geführt werden: Wunden lecken zur Steigerung der Heilwirkung, doch die Mündungen sind immer noch aufeinander gerichtet. Eine unklare Situation, die nur durch dauerhaften Frieden entschärft werden kann.

Wieso schießen wir aufeinander? Ich kenn die nicht, von denen hat mir keiner was getan. Wir haben alle Familie, eine Frau, Kinder, wir sollten nicht hier sein und aufeinander schießen. Frieden brauchen wir, nichts weiter.

An der Büchse tut sich was, es knackt erneut im Raum: „… wurde ein dauerhafter Frieden beschlossen.“

Mit offenem Mund starre ich um mich, Blicke ohne Fokus. In meinem tiefsten Inneren wummert es, schnell, stark und unheimlich laut.

Kann es sein?

Misstrauisch betrachte ich die Büchse, sie ist rechteckig, zerkratzt und alt, doch ich erkenne etwas: Es sind keine Kratzer, keine Abschürfungen, es sind Zeichen. Ich erkenne Elemente griechischer Mythen genauso wie Runen, lateinische Buchstaben, arabische Symbole und Fragmente aus Urdu und Hebräischem – die Büchse ist übersäht davon, was keinen Sinn ergibt, zumindest nicht für mich als Student der Sprachwissenschaften. Es kann einen solchen Gegenstand auf meiner Welt nicht geben. Glaube wird schließlich nur in der eigenen Line vererbt und ist einzigartig, ein Stigma. Die Alten stanzen ihre Fantasie ins neue Bewusstsein - glorreiche Werte, für die gelebt und gestorben wird für Volk und Vaterland: die Grundlage fast jeden Krieges auf Erden und doch nur eine Schablone aus der Urzeit.

Ich bin ein mittelmäßiger Mensch, verheiratet, zwei Kinder, mein Glaube gilt der Familie. Mein Gott ist Mutter Natur, die ohne Hirn lenkt, doch stets perfekte Entscheidungen trifft. Götter? Phantasmagorien, Konstrukte überbordender Träume der Hoffnungslosen: Fundamentalismus, an einen Glaubensfetisch geknüpft.

Die Büchse blinkt plötzlich, als warte sie auf einen Befehl. Kalt liegt sie noch immer in meiner rechten Hand. Ich habe vergessen, was sie ist und was sie kann, doch sie ist mir unheimlich. Gewöhnlich definiert sich alles durch Logik oder die Grundgesetze der Natur. Manchmal auch nur durch Menschenverstand, Intuition. Wir kennen Physik und leben nach ihr, weil sie plausibel erscheint mit Formeln, die wir selbst erstellt haben – und dadurch zwangsläufig unsere Möglichkeiten begrenzen. Es kann kein Ding geben, das all dies ad absurdum führt, Wunschgedanken erfüllt, als wäre es ein Dschinn.

Ich es will es wissen, muss es probieren:

„Zeig mir meine Familie.“

Ein Strudel bildet sich, winzig klein brennt er sich in die Luft vor mir, wird größer, zu einer Kinoleinwand mir Rückprojektor, der mir mein Zuhause zeigt: Meine Frau sitzt auf der Couch, schaut mit den Kindern Sandmännchen, das Bild so intensiv, dass mir Tränen über die Wangen perlen. Zu lange bin ich bereits weg.

Was geschieht hier? Warum ich? Ich will bei meiner Familie sein. Es gibt nichts Heiligeres als die Familie, den Segen der Natur, der aus Kaulquappen Menschen machte. Es muss doch einen Grund haben, wieso mir diese Macht verliehen wird.

„Fritz?“

Ich sitze auf der Couch, neben meiner Frau, die mich ungläubig betrachtet. Sandmännchen läuft und meine Kinder starren ins Fernsehbild. Sie tastet mit offenem Mund nach mir, zaghaft berührt ihre Hand meine stoppelige Wange. Meine Kids werden aufmerksam, blicken mich verwundert an: „Papa ist wieder zu Hause“, brüllen sie, denen Wunder noch greifbar sind, doch es ist zu unheimlich, nicht zu erklären – und ich drücke die Büchse in meiner Rechten mit Gedanken an „Zurück.“

Nachts duftet der Wald besonders intensiv, ist Mündungsfeuer lauter. Mörsergranaten blenden, Bäume brechen, doch mich umfängt Stille, bettet meine Träume auf blutgetränktem Moos. Meine Rechte umklammert noch immer die Büchse. Es ist ein zu mächtiges Gerät, mit dem man lieber nicht spielt. Ich sollte es weglegen, tief im Erdreich vergraben, auf das es niemals wieder benutzt werden kann. Unsere Formeln sind zwar begrenzt, reichen aber zum Büchsen bauen.

Lebt wohl, meine Süßen, ich liebe euch, ich liebe das Sandmännchen…

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Karn Hardt,

ich hatte gerade einen Post an dich schon begonnen und dann ist er verschwunden, also jetzt noch mal:

Ich hab deine Geschichte voller Interesse gelesen. Ich finde die Idee, die Büchse der Pandora mit einem Gewehr gleichzusetzen, sehr gut. Sie lässt alles Übel raus, also den Krieg, wie das der Mythos erzählt, die Hoffnung hast du auch drin, aber eben in Form der wahr werdenden Wünsche.
Dass die Büchse zum Gewehr wird, assoziiert man jedenfalls, wenn man an die Ausgangssituation deiner Geschichte denkt. Aber noch nicht mal da bin ich mir sicher, ob du das auch wirklich so meinst, wie ich es auffasse.

Du hast auch einen schon entwickelten Schreibstil, den ich angenehm flowig finde, nur stellenweise könntest du ein paar Zacken Gas rausnehmen, was die Formulierungen betrifft, da werden sie stellenweise zu melodramatisch, was meinen Geschmack angeht.
Zuviel Drumrum aber auch was die Gedanken angeht.

Viel mehr als das hat mich allerdings beschäftigt, dass die Geschichte durch die Ausgangssituation, der
Alarm, einen in eine Kriegssituation reinbringt. Da fängt man dann unwillkürlich an zu überlegen, wo das sein soll, wann das sein soll, man denkt über einen wirklich stattgefundenen Krieg nach, auch wenn man merkt, dass der eher ein Stellvertreter für die Idee sein muss, denn zu disparat sind da die Informationen. Vielleicht liegt das ja nur an mir, dass ich sofort meine Vorstellungen, wie es weitegehen müsste, einsetze, oder immer daran denken muss, welcher Krieg soll das sein, aber mit Dschungel, Sandmännchen, Fritz, Tinnitus und Bluetooth setzt du natürlich auch ein paar Eckpfeiler, zwischen denen man dann rumüberlegt, was in Gottes Namen soll das für eine Krieg sein, das erscheint wie ein Sammelsurium. Also ich hatte einfach große Probleme, den Text zeitlich und räumlich festzustecken, fand es einfach wirr, und das fand ich schade, weil es mich von der Idee deiner Geschichte ablenkt und zwar so erheblich, dass es gestört hat.
Einen Vorschlag oder so, wie man das ändern könnte, habe ich da auch nicht, wie gesagt, das kann ja auch an meiner Erwartungshaltung oder an meinem Geschmack liegen. Da musst du halt mal gucken, was andere so schreiben.

Die Büchse sieht unscheinbar aus, schwarz schimmert sie im Moosbett. Zuerst bildete ich mir das nur ein, es gibt keine funkelnden Büchsen im Dschungel, nur Flimmern. Alles flimmert in schwüler Luft, die Bäume, Feinde, das Gras, Gedanken an Zuhause – die Zwillinge, Kaffee, schwarz und ohne Zucker, Schmorbraten, die Lenden der Liebst…
Schöner Beginn. Aber wieso: bildete ich mir das nur ein. Was bildet er sich denn ein? Das Schimmern der Büchse? Das sieht er doch. Vielleicht willst du seinen Zweifel beschreiben, ob da wirklich eine funkelnde Büchse liegt. Aber so wirkt die Formulierung zu faktisch. Er sieht sie. Dann bildet sich er sich ein, was er sieht.

Routiniert hechte ich ins hohe Gras, direkt neben die Büchse, und schalte mich ab – alles ist möglich.
Das routiniert ist mir zuviel. Dass ein Soldat solche Bewegungen unendliche Male trainiert und gemacht hat, das weiß man schon. Außerdem kommts auch in dem Hechten so ein bisschen mit raus, denn das ist eine zielgerichtetete, entschlossene Bewegung. Das Adjektiv schwächt hier das Verb.

Die Büchse hat ihre Farbe gewechselt. Plötzlich ist sie unsichtbar, schimmert durchscheinend vor meinen Augen. Ich kann nicht anders, greife zu: Blitze treffen mich, ich bäume mich auf, spastisch, schwebe, sehe mich von oben. Es brummt irgendwo her, leise, anschwellend - ein Tinnitus vermutlich, doch er lässt nicht nach, steigert sich, springt Oktaven tiefer, durchdringender, lauter. Das Flimmern in der Luft beginnt zu tanzen, meine Wahrnehmung flackert, ich werde zum Spielball, knalle gegen die Atmosphäre, als wäre sie ein Trampolin – unten liegt mein Körper. Schüsse treffen die Bäume, sorgen für Blätterregen, Borkensplitter fliegen, Qualm verwehrt mir die Sicht – ich schwebe mitten in gleißend hellem Licht, das im Sound des tiefen Basses flimmert, der alles übertönt, Angst macht, und zugleich frei. Konzentration ist wichtig, Konzentration auf den stärksten Impuls, das Brummen, es muss eine Bedeutung haben. Es ist zu laut für andere Geräusche, omnipräsent – allgegenwärtig.
Den Absatz find ich ziemlich gut gemacht. Man spürt das Chaos, in dem er sich befindet.

Splitter stecken wie Siegsymbole in mir, Hoheitszeichen der Eroberer, überall rinnt Blut.
Das ist mir jetzt einen Tacken zuviel. Das ist so distanziert einerseits und ein bisschen melodramatisch andererseits. Wo sind seine Schmerzen? Hat er da nicht Angst vor dem Tod? Wieso konzentrierst du dich jetzt einzig auf die Feinseite? Wirkt hier ein bisschen "selbstverliebt", als sei dir eine schöne Formulierung eingefallen, und jetzt willst du sie nicht auf die Restgeschichte beziehen.

Meine rechte Hand hält die Büchse umschlossen, schwer und kalt ist sie, doch habe ich eine Art von Bindung mit ihr.
Das Wort Bindung ist mir hier zu allgemein. Würd mir da eine bessere, intensivere Formulierung oder ein entsprechendes Bild oder Beschreibung wünschen, als eine Art von Bindung. Das sollte greifbarer werden.

Eisige Tornados toben über meinen Rücken, bringen Gänseschauer mit. Mein Wunsch war Stille gewesen, es ist still. Ich kann das nicht gewesen sein, (Hier ist ein Komma hingerutscht) Niemand kann sowas, ein Zufall. Waffenstillstand bedeutet ja nur, dass nicht geschossen wird, während Verhandlungen geführt werden: Wunden lecken zur Steigerung der Heilwirkung, doch die Mündungen sind immer noch aufeinander gerichtet. Eine unklare Situation, die nur durch dauerhaften Frieden entschärft werden kann.
Da sind mir seine Überlegungen zu kopfgesteuert. Besonders die fette Passage. Dass er den Wunsch nach Frieden äußert, klar, das muss er machen, aber er kann ihn sich doch wünschen und es nicht so herbeireflektieren.

Wieso schießen wir aufeinander? Ich kenn die nicht, von denen hat mir keiner was getan. Wir haben alle Familie, eine Frau, Kinder, wir sollten nicht hier sein und aufeinander schießen. Frieden brauchen wir, nichts weiter.
Ich weiß nicht. ich war nie Soldat, ich weiß auch nicht, wie man tatsächlich denkt, wenn man dann einem Feind gegenübersteht und auf ihn schießen soll. Das liegt dem Menschen nicht im Blute, das zu tun, sondern das wird ihm schon auch beigebracht, dass der andere ein Feind ist. Ob das nun durch Drill oder die Herstellung eines Feindbildes ist, das ein ganzes Volk zu Bösewichtern macht, sei mal dahingestellt, aber Soldaten wissen schon, warum einer Feind ist und dass sie mit Recht schießen. Und die furchtbare Erkenntnis, dass man sich vielleicht sich zum Obertrottel einer Regierung hat machen lassen oder, dass man mehr Gemeinsamkeit mit dem feindlichen Soldaten hat als mit der eigenen Regierung, das ist ja richtig, aber ob einem das einfach mal so einfällt als wäre das eine völlig neue Erkenntnis? In der LIteratur ist das schon oft thematisiert worden, und teilweise großartig mit einem hohen Indentifikationspotential, doch so wie du den Gedanken hier setzt, ist er zu allgemein und dadurch zu nichtssagend. Da fände ich was Individuelles besser.

Und jetzt komm ich, weil ich einfach keine Zeit mehr habe, zum Ende. Das fand ich sehr stark.

Alles in allem fand ich das ein vielversprechendes Debut. Bin gespannt auf weitere Geschichten, aber selbstverständliche auch auf deine Kommentare, denn der, den ich gelesen habe, der war schon klasse und fundiert und im Übrigen auch der Grund, warum ich mal bei dir reingeschneit bin. Und es hat sich gelohnt.

Beste Grüße von Novak

 

Hallo Novak,

vielen Dank für deine intensive Beschäftigung mit meinem Text. DAS ist echte und wertvolle Zuarbeit!
„Büchse“ ist ein altdeutsches Wort – auch für „Gewehr“ u.ä. Klar kann man sie mit der „Büchse Pandoras“ identifizieren, aber ich habe das bewusst offen gelassen. Jeder liest ja anders und Interpretationen sind natürlich frei – und gewollt.
Was die Melodramatik betrifft, hast du völlig Recht. Gerade hier sehe ich noch eine persönliche Schreibschwäche, was ich auf den Trennungsschmerz von eigenen liebgewordenen Schreibereien schiebe. Wer trennt sich schon gern von seinen narzisstischen Neigungen!? 
Dem „Krieg“ habe ich bewusst keinen Indikator gesetzt, weil sie sich im Ergebnis gleich sind: Die Ursache ist politisch, die Folge sind tote Soldaten. Du hast das sehr gut erkannt: „… dass der eher ein Stellvertreter …“
Das es dich vom Plot ablenkt, war natürlich nicht mein Ziel. Hier ein (mich inspirierender) Hinweis: Immer mehr Söldnerarmeen agieren weltweit – auch in der Ukraine. Da kämpfen „Söldner“ für Geld – und doch um ihr Leben. Sinnlos bleibt es allemal. Es ist erwiesen, dass von Russland beauftragte Söldner in Kiew Stimmung machten – vermutlich auch in der Ukraine.
„Zuerst bildete ich mir das nur ein …“
Hier denkt der Prot in der Gegenwart zurück, hinterfragt, ob er sich selbst trauen kann, weil sie ja da liegt, schon eine Weile, obwohl das Bild nicht real zu sein scheint.
„Routiniert…“
Ja, das sehe ich auch so. Da korrigiere ich noch mal.
„Splitter stecken wie …. Überall rinnt Blut.“
Adrenalin ist nicht zu unterschätzen, der Prot ist so vollgepumpt damit – auf der Schwelle zwischen Leben und den plötzlich hereinbrechenden Nahtoderfahrungen, dass er hier nichts spürt – und auch nicht denkt. Nur feststellt.

„Meine rechte Hand hält die Büchse umschlossen, schwer und kalt ist sie, doch habe ich eine Art von Bindung mit ihr.“
In die „Art von Bindung“ interpretierte ich, dass es „seine“ Waffe ist – oder eben eine besondere Büchse. Die Bindung kann womöglich astral sein, gefühlt und nicht real, obwohl sie eben seine Waffe war, mit der er um sein Leben kämpfte. Ich denke mal darüber nach.
Deine Anmerkungen zum gedachten „Waffenstillstand usw. …“ sind klar: kopfgesteuert. Wer weiß, was man alles denkt, wenn man auf dem Weg nach oben ist, augenblicklich keine Schmerzen verspürt und alles reflektiert. Ist es dann nicht die Suche nach Rechtfertigung, nach Schuldverschiebung und Ursachenforschung? DAS jedenfalls war mein Ziel an dieser Stelle.

Den Einschub „Wieso schießen wir aufeinander …“, den du zu Recht hinterfragst, fand ich persönlich wichtig, um des Prots Ideologie zu plausibilisieren. Wo steht er – und leide ich dadurch mit oder nicht?
Klar ist das Schießen dressiert, auch auf Menschen gegenüber, da wählt man keine Seite mehr, die wurde längst entschieden. Aber die Moral der Soldaten kommt meist in Krisensituationen zurück: wenn sie sterben, wenn sie gefangen nehmen oder gefangen werden. So sehe ich das jedenfalls.

Danke für deine Anmerkungen zu meinem Debüt. Ich freue mich riesig, gleich zum Start meiner Wortkriegerkarriere eine Kritik erfahren zu haben.

Liebe Grüße, Karn

 

Hallo,

lieber Karn Hardt,
und herzlich willkommen hierorts auch von mir!

Mich hat vor allem der Titel angezogen und nicht nur wegen der ungewöhnlichen Genitivkonstruktion (die Büchse DER Pandora wird ja üblicherweise gesagt und geschrieben), aber eben nicht nur, sondern ich bin ein notorischer Mythenverehrer, werden doch täglich neue geschaffen (vor allem in der Werbung, die oft als ganz normale Nachricht daherkommt) und alte entblättert, dabei sind die Gründungsmythen unerschütterlich. Pandora ist nach Hesiod die erste Frau überhaupt und ein gewisser Epimetheus nimmt sie entgegen brüderlichem Rat zur Frau. Der warnende Bruder ist bekannter: Er heißt Prometheus und er kennt die Neugier der Frau, die tatsächlich ein Gefäß öffnet, dem alle Übel der Welt entweichen. Wir dürfen annehmen, dass ein anderer das Gefäß so rechtzeitig geschlossen hat, dass die Hoffnung darin begraben liegt.

Das erinnert ein wenig an die Geschichte im Paradies mit den tabuisierten Bäumen, heiße die Frau Adams nun Lillith oder Eva. Bei mir geht sogar eine Verwechselung (eher ein: Verlesen) vor, i. S.Karrl Kraus', dass wir eines Tages Agamemnon mit angenommen und den Kyffhäuser mit Kaufhäusern verwechseln. Dann nämlich, wenn Prometheus im gleichnamigen Fragment Goethes für mein Auge „SEINER“ Pandora sagt „Und du, Pandora, Heiliges Gefäß der Gallenblase …“, und das Gehör wahrnimmt „Gaben alle“. Wie sagt doch der Icherzähler

Es ist surreal, nicht wirklich.
Ich weiß nun nicht, wie viel Ironie Du verträgst (den Text lesend fürcht ich fast, keine), aber da musstu jetzt durch und da kommstu besser durch als Ukrainer mit und ohne russischer Herkunft und Söldner auf Anweisung ihres Truthahns. Da tut der Icherzähler unbestimmt
Es brummt irgendwo her, leise, anschwellend - ein Tinnitus vermutlich, …
und weiß doch, wo der Tubenkatarrh zu finden ist, immer im Ohr als eine Tinnitussi. Paar Schnitzer - für einen Studenten der Sprachwissenschaft schon erstaunliche Schnitzer (die ich nicht auf Flüchtigkeit zurückführ)

…, bis mir schwarz vor Augen wird…
Die Auslassungspunkte bedeuten (weiter oben ist’s korrekt!, nach unten hin kommt’s öfters vor – also besser noch mal durchschauen!), dass am vorhergehenden Wort wenigstens ein Zeichen ausgelassen wird, wäre eine Leerstelle zwischen letztem Wort und erstem Auslassungspunkt deutet an, dass im Satz etwas ausgelassen wurde. Hier ist es mindestens das zuvor genannte Leerzeichen.

…, Niemand kann sowas, …
So was immer auseinander, da eigentlich so [et]was
… die Büchse ist übersäht …
übersät

Anregungen

„Alarm!!!“
Warum drei Ausrufezeichen, wenn „Alarm“ »zu den Waffen!« bedeutet (im ital. zusammengefügt aus „all’arme“ [arma/arme = Waffe/Waffen]?

Zuerst bildete ich mir das nur ein, es gibt keine funkelnden Büchsen im Dschungel, nur Flimmern.
Wäre da nicht der Konjunktiv irrealis anzusetzen? Etwa
Zuerst bildete ich mir das nur ein, es [gäbe] keine funkelnden Büchsen im Dschungel, nur Flimmern.
(Könnte an einigen Stellen gewählt werden, erhöhte m. E. gar den surrealen Charakter mancher Szene).Hier könnte eines von zwo entbehrlichen angelegt werden – selten werden Aussagesätze gebrüllt …
„Aufhören“, brülle ich, …

Alles kein Beinbruch, meint der

Friedel

 

Hallo Friedel,

großes Kopfkino, dass ich amüsiert gelesen habe - und außerdem wurde ich sachkundiger in den "alten Mythen" von Prometheus & Co. Man lernt nie aus ...
Ich danke dir für deine literarische Weitsicht, die auch mir die Augen geöffnet hat (Der Zwerg auf der Schulter eines Riesen sieht ja bekanntlich weiter als der selbst.)
Wieviel Ironie ich vertrage? Ich habe sie erfunden :-)
Ich könnte mich küssen für die Entdeckung der Wortkrieger, die frei von der Seele schnabulieren - und keinen Dünnschiss fabeln, sondern die astralen Finger direkt auf die Wunden drücken. DAS ist Textarbeit, wie ich sie bisher noch nicht entdecken konnte im Nirwana des WWW. Klar gibt es da Irrlichter, die gaukelnd Besserung versprechen, aber echte Hinweise sind da eher selten, demografisch betrachtet eine aussterbende Art.
Ich werde meinen Text sehr gern überarbeiten, vor allem wegen deiner nützlichen Hinweise. Vielen Dank dafür!

Liebe Grüße, Karn

 

Hallo Karn Hardt,

von mir auch ein Willkommen bei den Wortkriegern!

Eigentlich bin ich mehr für klare Texte zu haben, keine Ahnung wieso, ich mag nicht so gerne raten, was ich da gerade lese. Dennoch hat es deine Geschichte geschafft, mich auf ihre Weise gefangen zu nehmen, um mal im Genre des Militärischen zu bleiben. ;)
Hier also das, was ich gedacht und empfunden habe beim Lesen.

Ein Söldner, ich dachte zuerst an einen Fremdenlegionär. Da er aber, verletzt wie er ist, keine Hilfe von seinen Kameraden bekommt, denke ich einfach, es ist kein Fremdenlegionär, aber jemand, der professionell kämpft. Oberbegriff Söldner.
Er befindet sich mitten in den Kampfhandlungen und wird verwundet. Er stirbt.
Auf seinem Weg ins Nichts, halluziniert er vielleicht, vielleicht sind aber auch seine Wahrnehmungen Tatsachen, das vermag ich nicht entscheiden.
Er schwebt und löst sich aus seinem Körper, aber er kämpft auch mit seinem Gebrechen, bäumt sich auf und reflektiert.
Das alles beschreibst du ziemlich intensiv und genau das fand ich so fesselnd an deinem Text.

Die Büchse, ja da bin ich unsicher. Sie könnte natürlich einfach ein Gewehr sein, dazu denkt er aber zu phantasievoll an sie. Wäre es nur seine Waffe, würde er diesen Stahlpartner anders behandeln, vielleicht ins Herz schließen als innigen Gesell, mit dem man die schlimmsten Situation durchsteht oder als Geliebte, die wie ein Schutzengel um ihm schwebt. Waffe passt also nicht so ganz.

Büchse als Symbol für sein Leben und dasjenige der Erdenbürger. Daher vielleicht der Hinweis mit den vielen Schriftzeichen darauf. Ein Allerweltsteil im wahrsten Sinne seiner Bedeutung vielleicht, ausgestattet mit der Macht, Frieden zu schaffen. Vielleicht.

Es könnte aber auch alles dem langsamen, aber sicheren Abdriften deines Protagonisten zuzuschreiben sein. Seine Waffe mutiert zu etwas Viereckigem, gleich einer Schachtel, Dose oder Büchse. Er schreibt dieser Büchse alles mögliche zu und zeigt damit, wie sehr er schon auf dem Weg ist, seinen Geist zu verlieren. Vielleicht ist das gemeint.

Fazit: Ich habe deine Geschichte vermutlich nicht (ganz) verstanden. Aber ich habe sie gern gelesen, weil sie einen Sog hatte.

Lieben Gruß

lakita

 

Hola, K.H.
Eben habe ich Dich vor einer geschlagenen Stunde mit Deinem für mich unfassbaren Text "Alabaster-Hühnchen" zur Minna gemacht, dann hab´ ich Tee gekocht, pardon gebrüht und nochmal die Tastatur gedrückt.
Du hast "Die Büchse der Pandora" geschrieben? Wie zum Teifel kommen beide Texte aus einer Hand? Da ist doch ein Schreiber dabei, sich um gutes Schreiben zu bemühen - und das gelingt ihm auch - um das sagen zu können, was er sagen muss/will. Alle Achtung, mein Lieber! Ein Supertext für meinen Geschmack, der lässt es richtig krachen, inner- oder außerhalb der Regeln! That´s power! Kompliment!
Joséfelipe, ziemlich irritiert.
Da gibt´s kein Kommazählen, da steckt Engagement dahinter - und die Kraft der Überzeugung. Das hast Du klasse geschrieben und ich verstehe es auch als Aufforderung an alle, mal nachzudenken.

 

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