Die böse Neun!
Die böse Neun !
Hajo, mein Freund und Mitbewohner, liegt auf dem Bett und wein; er schluchzt hemmungslos in sein Kopfkissen. Als ich in sein Zimmer komme und meine Hand auf seinen Kopf lege und ihn frage, was los sei, antwortet er mir, er habe die 9 gesehen. "Oh, das ist schlimm," sage ich verständnisvoll. "Die 9, ja, aber es geht vorbei. Glaub mir, es wird alles gut werden. In den nächsten Monaten und Jahren wirst du entsetzlich abmagern und", ich mache eine kurze Pause, "du wirst entsetzlich altern."
Hajo ist schwanger, hochschwanger. Seine Freundin bekommt in zwei Wochen ein Mädchen, "Hauptsache gesund" habe ich ihn getröstet. Seit Monaten beschäftigt er sich mit seinem Bauch, mit sich selbst, dem Essen und seiner Verdauung. Nun ist es soweit, er hat die 9 auf der Waage gesehen. Und Hajo ist deprimiert. Dabei ist das doch gar nicht so schlimm, er wird eben ein dicker alter Sack. Alle Männer werden das.
Wenn das Kind da ist, will seine Freundin bestimmt abnehmen, um ihre frühere Figur zurück zu erlangen. Er könne sich mit seinem Schwangerschaftsbauch ja anschließen und auch endlich abnehmen. Das habe er sich doch schon seit Jahren vorgenommen. Abnehmen nach der Geburt und den Bauch wieder straff und flach im Bikini präsentieren können. Das sei bei allen Frauen das Ziel. - Jedenfalls sagen es alle Frauen vor der Geburt, manche ändern allerdings ihre Meinung.
Ich konnte Hajo trösten, er werde in den ersten 16 Monaten ohnehin kaum zum Schlafen kommen, und das sei die Beschäftigung mit dem geringsten Kalorienverbrauch. Denn sein Mädchen werden nachts alle zwei Stunden etwas zu essen wollen. Oder er trage es schuckelnd über die Schulter geworfen durch das Wohnzimmer, weil die Koliken das Baby unerträglich brüllen lassen. Es gibt die 2-Monatskoliken, 3-Monatskoliken, 5-Monatskoliken, dann den Leistenbruch vom Schreien, Druchfall, wegen falscher Ernährung, erstes Zahnen, zweites Zahnen, drittes Zahnen, usw. bis alle Zähne durch das Fleisch durchgebrochen sind, kleinere Verletzungen beim Wickeln, Krabbeln, Schreien wegen Langeweile oder aus Trotz; die Tortur sei beinah endlos. Aber wenn die Pubertät erreicht sei, habe er nur noch Ärger wegen Gesetzesübertretungen und zu hohen Telefonrechnungen.
Babys verringern erwiesener Maßen die Zufriedenheit und die Harmonie in der Partnerschaft. Allerdings habe er sowie nicht mehr soviel Zeit für eine Freundin, da er neben der Brutpflege auch noch das schmale Einkommen sichern wird. Wenig Schlaf, aufgeriebene Nerven und kaum Sex. Schliesslich erlahmt die Libido in den ersten 12 Monaten nach der Geburt bei Frauen. Schlaflosigkeit und mangelnder Sex werde seine Haut schneller altern und die Risse im Gesicht werden tiefer. Mit den dunklen Rändern um die Augen habe er wahrscheinlich auch bei anderen Frauen weniger Chancen. Er solle gar nicht an andere Frauen denken, das wäre das allerletzte und ziemlich mies gegenüber der Mutter seiner kleinen Tochter.
Das Schluchzen auf dem Kopfkissen kommt in konvulsischen Phasen, sein mächtiger Brustkasten bebt und hebt und senkt sich. Ich tröste ihn, in ein paar Jahren sei der Schmerz vorbei, dann habe er akzeptiert, ein alter Sack zu sein und er blicke nostalgisch auf die sorglosen und freien Jahre seines Studentenlebens zurück. Das Leben sei nun eben vorbei und er werde ein langweiliger Spießer, aus und vorbei. Aber damit sei er nicht alleine, er brauche nur durch die Fußgängerzone zu laufen und in die Gesichter zu schauen. Nein, du gehörst nicht mehr zu den Jugendlichen, sondern da, sieh die Enttäuschten und Abgehärmten an. Ich klopfe ihm auf die Schulter, "es wird alles gut. Wir sehen uns später, ich geh mit den Kumpels ein Bier trinken - oder zwei. Vielleicht bist du schon im Bett, wenn ich heimkomme. Wecke mich morgen nicht zu früh. Danke." Leise schließe ich die Türe hinter mir und gehe zufrieden in die Kneipe. Es ist gut, Freunde zu haben. Dann fühle ich mich nicht so schlecht.