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Die auf fünf Minuten beschränkte Diskussion, von der eventuell sehr viel abhängt.

Seniors
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24.04.2003
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Die auf fünf Minuten beschränkte Diskussion, von der eventuell sehr viel abhängt.

"Was soll das darstellen?", frage ich die hagere Gestalt in einem leicht spöttischen Tonfall und deute dabei mit einer Hand auf das seltsame Gebilde.
Der alte Mann sieht mich an. Seine dunkelroten Lippen sind fast völlig unter dem dichten Bart verborgen; das vernarbte Gesicht glänzt wie das Antlitz einer in die Sonne gehaltenen Plastikpuppe, und einzelne Schweißperlen laufen langsam daran herab, sammeln sich an seinem Kinn. Alle paar Sekunden löst sich ein Tropfen und landet auf dem durchnässten, viel zu engen T-Shirt, welches zum Hals hin weit ausgeschnitten ist und einen wahren Urwald schwarzer Haare feilbietet.
"Das ist eine Atombombe. In fünf Minuten wird sie detonieren.", antwortet er fröhlich, während er mit seinen dürren Fingern über den kalten Stahl des sonderbaren Gerätes streichelt.
"Aha!", grinse ich ihm entgegen. "Dann sollte ich mich mit meinen Einkäufen wohl lieber ein wenig ranhalten." - Diesesmal lache ich ihn aus. Es stehen noch ein paar andere Leute um uns herum, die gleichfalls auf den Bus warten; gleichfalls schmunzeln müssen.
Ich möchte ihn fragen, ob er für das Metallungetüm - der vermeindlichen Bombe -, vorsorglich auch ein Ticket gelöst hat, verkneife mir die Bemerkung dann aber lieber.
Wer weiss, ob der Kerl nicht plötzlich aggressiv wird, wenn man ihn zu sehr reizt.
So wende ich mich also ab von ihm und wage einen unmöglichen Blick um die Straßenecke herum. Die Linie ' 852 ' lässt einmal mehr auf sich warten.
Auf dem kostspieligen Digitaldisplay der Haltestelle wird im gleichen Augenblick eine fünfminütige Verspätung vorhergesagt.
- Teurer Luxus, in einer bis ins letzte verschuldeten Stadt -
"Der Bus wird ganz genau pünktlich sein.", flüstert er verschwörerisch in mein Ohr. Mir ist überhaupt nicht aufgefallen, wie er sich genähert hat.
Sein selbstgebastelter Roboter rollt - an einer Art Leine befestigt - auf kleinen Kunststoffrädern hinter ihm her. Einige LED´s blinken nervös in verschiedenen Farben auf, und als ich sie genauer betrachte, überkommen mich unversehens Zweifel an meinem rationalen Denken.
Ist irgendein Obdachloser tatsächlich im Stande, solche Konstruktionen zu entwerfen?
Vielleicht hat er das Ding ja auch irgendwo gestohlen.
"Ganz schön schwer, in diesen Zeiten an Uran zu kommen, was?", frage ich ihn ein wenig verunsichert.
Ein knapper Alarmton dringt aus einem kleinen Autoradio, welches an dem bizarren ' Kopf ' des künstlichen Ungeheuers angebracht ist.
"Noch vier Minuten.", sagt der alte Mann, ohne jede erkennbare Emotion, mich scheinbar absolut ignorierend.
Ich kratze mich hastig an meinen Armen, wie ich es immer mache, wenn ich nervös werde.
Natürlich ist das alles reiner Schwachsinn. Selbstverständlich redet der Kerl bloß versoffene Scheiße.
Trotzdem bin ich beunruhigt; kratze mich weiterhin.
Zwei Mädchen fangen an zu lachen, deuten mit ihren Zeigefingern in Richtung des Obdachlosen und seines undefinierbaren Begleiters. Sie rufen etwas mit ihren hellen, vorpubertären Stimmen.
"Polnischer Terminator."- Mehr höre ich nicht heraus. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, die Situation zu beurteilen.
Ein unheilschwangeres Summen legt sich in den Schall der Luft und plötzlich werden die bunten Lämpchen noch viel unruhiger, panisch fast.
"Schonmal was vom Armageddon gehört?", möchte er von mir wissen.
"Glaubst du daran, dass Gottes Sohn ein zweites Mal auf diese Erde zurückkehrt, diesesmal allerdings, um sich zu rächen? Glaubst du mir, wenn ich dir jetzt sage, dass es einen Ort hier ganz in der Nähe dieses unscheinbaren Platzes gibt, dem eine Nuklearexplosion gar nicht gut bekommt? Ein Ort, der eine noch viel gigantischere Detonation auslösen wird? Natürlich weiss niemand davon, ist sozusagen Top-Secret." - Es weht keine Alkoholfahne aus den Tiefen seines Rachens mit, er spricht so unglaublich...glaubwürdig.
Die Mädchen lachen weiterhin und erneut ereifern sich die Lautsprecher des Radios für den Bruchteil einer Sekunde.
"Noch drei Minuten habt ihr alle Zeit, zu bereuen.", sagt er weiterhin unbekümmert.
Gleichzeitig kündigt das amtliche Display meinen Bus in gleicher zu erwartender Zeitspanne an.
Dieser Mensch ist wahnsinnig! Er hat sich auf dem Schrottplatz ein paar alte Küchengeräte zusammen gesucht und will jetzt Panik verbreiten. Natürlich bin ich um ein Haar auf diese Masche hereingefallen. Ich bin eben viel zu naiv.
"Fick dich!", schreie ich ihn laut an.
Er wirkt weder entsetzt, noch angriffslustig; in keinster Weise überrumpelt, nicht im geringsten Maße beeindruckt.
"Du solltest deine Ansichten gründlich überdenken, und lass dir nicht zuviel Zeit dafür." - Seine Tonlage macht mich fast wahnsinnig. So ernst und nüchtern, als wenn er felsenfest von der angepriesenen Wirksamkeit seines mechanischen Gefährtens überzeugt ist; der nachfolgenden Katastrophe, die von dem ' Nummer 5 ' lebenden Imitat angeblich verursacht werden soll.
Inzwischen ist es gänzlich ruhig um uns herum geworden. Gebannt starren die Menschen in unsere Richtung, erwarten eine handgreifliche Auseinandersetzung, bei der ich rein körperlich zweifelsfrei haushoch überlegen wäre.
Stattdessen legt mir der Alte beschwichtigend seine Hand auf die Schulter.
Ich zucke zurück. Nicht wegen der Berührung, sondern weil ich flüchtig seine sauberen, manikürten Nägel erblicke. Ein angenehmer Duft teuren Deodorants verwöhnt meine Nasenschleimhäute.
Dann reisst mich der schrille Laut des alten ' Sony ' Radios erneut aus meinen Gedanken.
"Zwei Minuten hast du noch Zeit, mit dir selbst ins Reine zu kommen. Eine unbedeutende Kleinigkeit, in Anbetracht einer heißen Ewigkeit."
Ich wende mich von ihm ab, kann noch immer nichts wirklich abstoßendes an ihm finden, so sehr ich auch nach solchen Hinweisen suche.
"Wasch dich erstmal, du Drecksack!", lüge ich ihm aus unsinniger Verzweiflung entgegen.
In Wahrheit bin ich es, der sich plötzlich schmutzig vorkommt.
Weshalb mischt sie niemand ein?
Eventuell sind die Leute gleichfalls entsetzt, oder sie hoffen noch immer auf ein wenig mehr ' Action ' zwischen uns beiden.
Ich komme mir vor, wie der Hauptdarsteller in einem billigen B-Movie.
Nein, vielmehr fühle ich mich zurückversetzt nach Babylon. Ich bin dort gewesen; für einen Moment glaube ich wahrhaftig an diesen Unfug.
Dann muss ich wieder lachen; ich schleudere meinen unzensierten Gefühlsausbruch völlig unverhohlen und hysterisch in sein ungepflegtes, schönes Gesicht.
< Eine Bombe ist das nicht, nur ein Verrückter Freak, der von der Existenz selbiger überzeugt ist. >
Der Ton, an den ich mich mittlerweile fast gewöhnt habe, erklingt ein letztes mal.
"Eine Minute bleibt dir jetzt noch. Sekunden können lang sein, aber auch viel kürzer als erwünscht.", verrät er mir, ohne dabei auch nur einen Anschein von jedweger Gestik zu offenbaren.
Ich bin zu leichtgläubig, zu sehr beeinflussbar. In einer Stunde werde ich zu Hause ankommen, meiner Freundin einen Kuss geben, sie streicheln; mit ihr intim werden.
Ich sollte mich freuen.
Das Display kündigt meinen Bus an; gleich wird er um die Ecke biegen.
Voller Wut trete ich brutal vor den Metall-Herkules. Die LED´s sind jetzt auf einem Niveau, auf dem sie jeden Epilepktiker in die Notaufnahme befördern könnten.
Nichts als Lichtblitze; beinahe hätten sie mich trotzdem überzeugt.
"Noch zehn Sekunden!", flüstert die armseelige Gestalt.
Die ' 852 ' kommt um die Ecke und nähert sich.
Der fünfziger Jahre Science-Fiction Cyborg rastet fast aus vor sich steigernden Blinklichtern, seltsamen Geräuschen und unkontrollierten Bewegungen.
Der Bus ist so gut wie da.
Alles nur Schwachsinn; vergesse den Mist!
"Noch fünf kurze Augenblicke."
Das langgezogene, schlängelnde Geschöpf menschlicher Personenbeförderung kommt zum Stehen.
Alles andere ist einfach nur Quatsch!
Der Penner rasselt seinen Countdown weiter hinunter; ich kann ihm einfach nicht glauben.
"Drei...zwei...eins."

 

Ich mag solche Geschichten mit ungewissem Ende gut. So hat mir auch deine gefallen. Der Schreibstil ist toll, vor allem die Beschreibungen des Mannes haben mir absolut gefallen.:)

"Leider" konnte ich keinen Fehler finden. War wohl zu sehr in die Geschichte vertieft. Vielleicht kann dir in dieser Hinsicht jemand anders helfen. Mir fallen Fehler nie sehr schnell ins Auge.

Nun, eine Frage noch: Was hat es mit Babilon auf sich? Ist das eine Indiana Jones Inspiration? Mir kam das wie ein hineingeworfenes Wort vor, wenn du verstehst, was ich meine!

MfgVan:)

Ps: Ich weiss, ich weiss, kann mir den Schluss so denken, wie ich will, aber was denkt der Autor? Ist es eine Bombe, oder passiert nichts?

 
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Hi Cerberus,

gute Geschichte wirklich. Hat mir gefallen.

Aber zuerst die Detailanmerkungen (:D):

Einige LED´s blinken nervös
Im Deutschen brauchst Du den Apostroph nicht zu setzen: LEDs
Das ist so 'ne Unart, die wir aus dem Englischen abgeleitet haben.
Ein unheilschwangeres Summen legt sich in den Schall der Luft
Den Satz versteh ich nicht. Gut, dieses Summen beginnt, aber wie kann es sich in einen Schall legen? Und hat die Luft einen Schall?
er spricht so unglaublich...glaubwürdig.
In diesem Fall gehört vor und nach den Auslassungspunkten jeweils ein Leerzeichen: unglaublich ... glaubwürdig
Übrigens ist die Wortwiederholung von "glauben" nicht so schön.
Dann reisst mich der schrille Laut des alten ' Sony ' Radios
Mir ist zwar nicht ganz klar, warum Du Sony so betonst, aber wenn müsstest Du das mit ganzen Anführungszeichen und ohne Leerstellen machen: "Sony"
< Eine Bombe ist das nicht, nur ein Verrückter Freak, der von der Existenz selbiger überzeugt ist. >
Warum benutzt Du hier die Symbole von "kleiner als" und "größer als"?
- Teurer Luxus, in einer bis ins letzte verschuldeten Stadt -
Und warum setzt Du hier die Gedankenstriche? Der Sinn erschließt sich mir nicht.

Und dazu kommen noch ein paar Fehler in der Groß- und Kleinschreibung.


Wie Du siehst, ich habe bis auf eine Ausnahme nur Kritikpunkte zu Formalien. Meiner Meinung nach kannst Du schreiben, alles andere wie Charakterisierungen, Handlungsaufbau, etc. funktioniert hier sehr gut. Das Handwerk beherrschst Du also. Nur das Werkzeug (Rechtschreibung, Grammatik) hast Du noch nicht im Griff. Vielleicht solltest Du darauf in Zukunft etwas mehr achten.
So lang sich das in Grenzen hält, tut das der Geschichte keinen Abbruch. Aber wäre es nicht trotzdem schön, wenn in Zukuft solche Fehler nicht mehr vorkommen würden? :D

Ansonsten, wie schon gesagt, Deine Geschichte gefällt mir. Als Horrorgeschichte würde ich persönlich sie zwar nicht bezeichnen, aber es hat allemal Spaß gemacht sie zu lesen. Besonders das Ende hat mir gefallen, hier ist es dem Leser tatsächlich mal überlassen, sich selbst seine Meinung zu bilden. Und die Idee mag ich auch, ist irgendwie mal was ganz anderes.
Also, mehr davon!

Edit:
Van, Babylon ist eine biblische Stadt. Aber der Zusammenhang ist mir auch nicht ganz klar; liegt wohl daran, dass ich auch nicht besonders bibelfest bin.

Edit²:
Cerberus, den Titel empfinde ich übrigens nicht als besonders passend. Von dem Ausgang der Diskussion hängt doch gar nichts ab, der Mann würde doch so oder so die Bombe zünden. Oder ist das Hinweis darauf, dass der Prot. durch sein Verhalten die Situation hätte positiv beeinflussen können?

 

Hi Cerberus!

Trotz (oder gerade wegen?) der Affenhitze habe ich deine Story gelesen. Ich mag solche Storys. Scheinbar alltägliche Situation verwandelt sich in Alptraum. Ist zwar nicht gerade neu, aber immer wieder nett.

Du erzählst sehr anschaulich, die Situation ist sehr plastisch dargestellt. Ich finde die Story zwar ein bisschen sehr kurz, aber du hast einiges rausgeholt. Das offene Ende kommt auch gut rüber, obwohl ich mir da noch einen Schuss mehr Spannung gewünscht hätte.

Ansonsten echt gut! Schöner Happen zwischendurch.

So, wieder zurück in's Kühle :-)

Gruß
Mike

 
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Schönen guten (frühen) Morgen!

Danke erstmal für die ausführliche Kritik.
Ich selbst bin, insbesondere mit dem Schluss der Story, absolut noch nicht zufrieden. Ich habe die Geschichte spät Nachts geschrieben und wollte im Endeffekt bloß noch fertig werden, um endlich in mein Bett entschwinden zu können :D
Als ich mir das Ganze dann am nächsten Tag durchgelesen habe, sind mir die erwähnten Fehler selbst aufgefallen, hier werde ich aufjedenfall noch Nachbesserung leisten und das Ende soll zwar weiterhin (wirklich?) offenbleiben, aber ich möchte es dennoch ein wenig spannender gestalten.
Das eure Kritiken dennoch gut ausgefallen sind freut mich, da ich nämlich trotz der enormen Müdigkeit mit sehr viel Elan geschrieben habe. Ich war von der Idee echt begeistert und bin froh, dass sie so gut angekommen ist (und natürlich auch darüber, dass ihr euch trotz des Wetters die Zeit genommen habt, meine Story zu lesen).

Den Titel hingegen finde ich schon recht passend, denn es dauert genau fünf Minuten bis die Explosion geschieht (oder auch nicht), und dass von der Diskussion mit dem vermeintlichen ' Obdachlosen ' so viel abhängt, liegt ganz einfach daran, als dass der Protagonist ja mit sich ins Reine kommen soll, denn ansonsten wird er sich in der Hölle wiederfinden (je nachdem, ob man an die Funktionstüchtigkeit der Bombe glaubt oder nicht)

Wird es tatsächlich zu einer Detonation kommen, oder nicht? Diese Frage bleibt nicht unbeantwortet und dem Leser überlassen; und tatsächlich ist der Schluss gar nicht einmal so offen, wie es auf Anhieb scheint. Ich gebe einige Hinweise, die klarstellen sollten, ob dieses ' Nummer 5 ' lebende Imitat auf Plastikrollen, wirklich explodieren wird.
Eventuell nocheinmal lesen.
Die Sache mit Babylon hat im übrigen auch damit zu tun.

Ich würde mich über weitere Kritik sehr freuen und wie gesagt, die enthaltenen Fehler werden selbstverständlich noch ausgebessert!

Wünsche eine gute Nacht

Cerberus

 

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