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Die alte Schule

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11.04.2011
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Die alte Schule

Hermine Schatz lässt ihren schmalen Körper in die Bank sinken. Sie schließt die Augen und nimmt all die vertrauten Gerüche wahr: den des von Holzwürmern zerfressenen Tisches, den der Kreide und des alten Lappens unter der Tafel. Den Leinengeruch der alten Weltkarte und den des Leders der Schulranzen. Sie öffnet die Augen und betrachtet die auf die Tafel geschriebenen, großen und kleinen Buchstaben. Das von Flecken umgebene Tintenfässchen, das Kruzifix an der Wand.
Die Wand. Sie vermisst den Riss darin.
Eine Granate der Franzosen hatte das Nebengebäude getroffen - da hatten sie bereits im Keller gesessen, Buben und Mädchen und sogar der Lehrer dicht aneinandergedrängt. Plötzlich bebte der Boden und als sie dann wieder nach oben kamen war da der Riss. Stieg hinter dem Lehrerpult empor, als hätte Zeus einen zornigen Blitz geschleudert.
Ihre Gedanken heben ab und fliegen.
Nach der letzten Stunde wird sie mit Dora und Gertrud zusammen aufs Feld gehen, durch die Reihen kriechen und die wenigen, vom Bauer vergessenen Knollen aufsammeln. Der Mutter beim Anfachen des Zubers helfen, die Wäsche waschen und zur Mangel bringen.
Der Vater ist seit Jahren im Krieg. Fürs Vaterland heißt es und sie versteht das. Dass der Führer jetzt auch ihren Bruder Stefan geholt und zum Volkssturm eingezogen hat, versteht sie nicht.
Er wird nicht zurückkommen, weiß sie.
Er wird bei einer Übung im Prorer Wieck von einem Schrapnell getroffen werden. Sie wird den Ort aufsuchen und sich den kleinen Krater mit den verbrannten Bäumen ansehen.
Später werden der Dachstuhl der alten Schule in Flammen auf- und der Krieg verloren gehen.
Sie wird heiraten und zwei Mädchen gebären, ihren Mann beerdigen, Enkel und Urenkel bekommen.
Sie wird ihr Gehör verlieren und aus dem schiefen Haus ausziehen in eine Wohnung.

„Hat es Ihnen geschmeckt?“, reißt sie die Stimme der Kellnerin aus ihren Gedanken.
Hermine Schatz erinnert sich: Die alte Schule ist jetzt ein Restaurant.
„Sie hätten die Kerze anzünden müssen“, rügt sie die Kellnerin und trinkt aus.

 

hallo nastro,

hm, also ich find, da geht eine schöne Sogwirkung von den ersten Zeilen aus. Du fütterst da gekonnt an, wie du mit den Sinnen um dich peitschst. Aber dann folgen nur Aufzählungen und die Kraft des Ganzen erlahmt. Im Prinzip bedienst du dich der bei uns allen präsenten Bilder, die man eben von dieser Zeit hat. Das ist jetzt nicht wirklich die Leistung des Autors, sondern die der Schule/ Medien etc.
Ich finde, da machst du es dir ein bisschen zu einfach. Ich werte das als eine Art Experiment. Denn obwohl du nur Stichworte lieferst, binden sich die Brocken schon zu einer Geschichte zusammen. Das hat schon auch etwas, zeigt auch, wie präsent dieses Thema ist. Aber es ist eben, so hart das auch klingt, einfach eine x-beliebige Aneinanderreihung, da fehlt mir das Zugeschnittene, das, was den Text aus dem Brei diverser Texte gleichen Themas heraushebt, mir etwas Neues gibt, eine individuelle Sichtweise auf die Dinge ...
Vll wolltest du ja genau diesen Kniff meistern. Die Sache mit der Kerze am Ende ist schon sehr symbolisch (Der Titel auch irgendwie). Da reißt du ganz schön aus dem Text aus. Aber es ist ja auch ein Wachwerden der Prota, spiegelt sich also irgendwo.
Hm, das sind jetzt meine Gedanken dazu. Kann mir gut vorstellen, dass du auch noch Kommentare voll des Jubels abgreifen wirst. Für mich ist das Thema einfach generell schwer zu bedienen, weil eben schon so oft durch. Womit ich nicht den Umkehrschluss aufwerfen will, nur sagen, dass solche Themen eben echt knifflig sind. Mir ruht das hier zu sehr auf einem Allgemeinplatz.
Trotzdem nicht ungern gelesen

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Alex,

herzlichen Dank für Deinen Kommentar.

… wenn die Sirenen heulen und die Bomben einschlagen. Da blitzt kindische Freude durch den Kriegsalltag, wenn die Kinder dem Lehrer einen Streich spielen. Da grummelt der Magen, weil kein Essen da ist und sogar die alten Rüben auf dem Feld

Wären weitere, farbige Bilder gewesen, da stimme ich Dir zu. Ich habe mich bewusst gegen Streiche der Kinder entschieden. Warum? Ich glaube, da sehen wir aufgrund der unseligen „Feuerzangenbowle“ (ich mag den Film nicht, mag Rühmann nicht …) den Schulalltag unserer Großeltern verklärt. Ich glaube, die haben doch meistens die Klappe gehalten - Kopf runter auf Griffel und Schiefertafel. Nö, ich wollte die doch eher depressive Stimmung eines Kindes im Krieg schaffen, verkürzt und verknappt, wie Hermine eben denkt.

Ein Treffer, der etwas trifft. Naja...

Autsch, das tat weh. Volltreffer, der Satz ist geändert.

… Warum insgeheim? Was ist so schlimm daran, den Riss "Zeusblitz" zu nennen, dass man es geheim halten muss?

Mmh, da hatte ich auch drüber gegrübelt. Wenn Du jetzt drüber stolperst, werden das möglicherweise auch andere tun – ist geändert. Die Franzosenf... muss ich ablehnen, so etwas denkt Hermine nicht ;).

Das klingt so richtig nach alter, verbitterter Schachtel.
;) Meine arme Hermine.


Hallo weltenläufer,

auch Dir ganz herzlichen Dank.


… hm, also ich find, da geht eine schöne Sogwirkung von den ersten Zeilen aus …
Das freut mich sehr.

Aber dann folgen nur Aufzählungen und die Kraft des Ganzen erlahmt.
:( Mist.

Im Prinzip bedienst du dich der bei uns allen präsenten Bilder, die man eben von dieser Zeit hat.
Da hätte ich jetzt auf die Feldarbeit gehofft. Weiß nicht, ob die heute 20jährigen noch wissen, was „Stoppeln“ ist. Das habe ich selbst in den frühen Achtzigern noch tun müssen, nach der Schule: durch die Reihen gehen und die liegen gebliebenen Kartoffeln aufsammeln. Das Bild hat mich all die Jahre immer mal wieder eingeholt, es ist keines dieser Bilder von Guido Knopp (welcher ja sonst für unsere Bilder zuständig ist).

Trotzdem nicht ungern gelesen.
Das freut mich außerordentlich, Danke!

 

Hallo nastro

Sie ist kurz, die Erinnerung der Hermine Schatz, doch linear auf den Punkt gebracht. Ein kleines Häppchen, amüsant wiedergegeben, wie Assoziationen die Sinne zu täuschen vermögen, Gerüche vermeintlich wiederkehren, wenn man sich äusserst intensiv in einer gewählten Umgebung wähnt.

Die Vermischung von Illusion und Realität war angenehm zu lesen, Neugierde erweckend – ich hätte gern mehr erfahren, doch die Kellnerin hat auch mich aufgeschreckt. :sconf:

Im Kontext zu deinen andern Geschichten ist es wohl nur eine „Fingerübung“. Fast habe ich den Verdacht, du wolltest die Leserreaktionen im Assoziationsbereich testen, im Hinblick auf etwas Grösseres in deinem geplanten Buch. Oder täuscht mich jetzt meine Erinnerung und du schreibst gar nicht an einem solchem Werk? :rolleyes:

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo anakreon,

ganz herzlichen Dank für Deine Betrachtung.

Sie ist kurz, die Erinnerung der Hermine Schatz, doch linear auf den Punkt gebracht.
Sollte es mir gelungen sein, Dich zu überraschen, ja zu erschrecken, freut mich das außerordentlich. War auch mein Anliegen, so bissel zu verführen in Richtung Zeitreise (was ich ja sonst ständig schreibe ...)

Im Kontext zu deinen andern Geschichten ist es wohl nur eine „Fingerübung“.
Da kommt demnächst was Längeres ;). Leider kann ich zwei der geplanten Geschichten hier gar nicht einstellen, da es um existierende Personen und auch ziemlich politisch zugeht ... was den meiner Ansicht nach hohen Wert dieser Plattform nicht schmälern soll.
Fingerübung ist nicht ganz von der Hand zu weisen – ein Test sollte das jedoch nicht sein. Das Du Dich an meinen Roman erinnerst, freut mich – doch nein, dies ist kein Ausschnitt daraus. Ich habe das Buch tatsächlich für einige KGs unterbrochen, sonst wird man ja irre im Kopf. Allein das Exposé bringt einen um den Schlaf, da ist solch eine Fingerübung mal ganz angenehm …

Nochmals Danke,

nastro.

 

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