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Die alte Dame

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28.05.2012
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Die alte Dame

In der kleinen Stadt sprach sich herum, dass der Geburtstag der alten Dame nahe bevorstand. Menschlich schätzte man sie wenig, sie wirkte kühl und berechnend. Aber gerade sie war es, ohne deren Unterstützung das Kinderheim hätte geschlossen werden müssen. Das wussten die Kinder und überlegten sich, wie sie sich bei ihr bedanken könnten. "Und ausgerechnet diese alte Giftmurchel wollt ihr beschenken?", fragte Rike genervt in die Runde. "Warum denn nicht? Ohne sie wären wir jetzt nicht hier, sondern sonstwo", erwiderte Rita. Rikes Misstrauen gegen die alte Dame rührte aus Erfahrungen her, die sie im Restaurant Neptun gemacht hatte, wo sie als Putzkraft arbeitete. Die alte Dame gehörte zu den Stammkundinnen, obwohl sie als Person blass blieb, niemals mehr sagte als "Guten Tag" und "Auf Wiedersehen". Als Rike der alten Dame neben anderen Gästen die Hand gab, ärgerte sie sich, weil ihre schwarzhaarig-blauäugige Niedlichkeit bei der Frau nicht die gewohnte (und darum fest eingeplante) Wirkung zu zeitigen schien. Nur eine trockene Hand. Kein Lächeln, viele kleine ausweichende Blicke, die die Angst verrieten, einem Kind in die Augen zu schauen.

Rita schlug vor, einen Schokokuchen zu backen. Peter würde sich um das Rezept kümmern, Lene die Zutaten heranschaffen und Rita als selbsternannter Küchenmensch die Entstehung des Werks dirigieren. Alle hatten Spaß daran, von dem schmatzig-leckeren Teig zu naschen, so viel, dass gerade noch genug für einen kleinen Schokokuchen übrigblieb. Nur Rike hatte sich zurückgezogen, wurde aber unweigerlich aus ihrem Winkel gelockt durch das fröhliche Lachen ihrer Freunde. Als sie die Küche betrat, war der Kuchen bereits fertig. "Der ist aber schnuckelig geworden. Wolltet ihr nicht einen richtigen Kuchen backen?" Die bräunlich eingesprödeten Mundwinkel der Grinsgesichter gaben ihr einen Eindruck davon, was in ihrer Abwesenheit geschehen war. Alle hatten Spaß gehabt, obwohl Rike nicht dabei war. Der Gedanke, für die anderen entbehrlich zu sein, überfiel sie und ließ ihr einige Tränchen über die Wange rieseln. "Was hast du? Ist was Schlimmes vorgefallen?", fragte Rita besorgt. "Nein, nein", sagte Rike und lechzte gleichzeitig danach, von ihrer besten Freundin in den Arm genommen zu werden.

Am Nachmittag des nächsten Tages besuchten die Kinder die alte Dame. Sie hatte mit keinem Besuch gerechnet; in ihrem Gesicht leuchtete eine bis dahin noch nie gesehene Freude und Dankbarkeit darüber, an diesem Tag nicht vergessen worden zu sein. Sie begann zu weinen. Rike, die dachte, sich längst wieder beruhigt und innerlich eingependelt zu haben, erschrak über sich. Denn waren es nicht gerade Menschen wie sie, die, getrieben von einem erbarmungslosen Geliebtwerdenwollen, all jene zu Unmenschen abstempelten, die distanzierter empfanden? "Aber warum weinst du denn?", fragte die weinende alte Dame das Mädchen, dem dicke Tränen über die Backe kullerten, und bot ihr an, sich auf ihren Schoß zu setzen. Sie strich ihr durch's Haar und drückte Rike, als wäre sie die Tochter, die sie nie gehabt hatte.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ariadne,
du hast diesen Text in die Rubrik „Kinder“ gesetzt. Die sprachliche Ausgestaltung dürfte sich m.E. aber selbst sprachgewandten Kindern frühestens ab dem 12. Lebensjahr oder eher Jugendlichen ab dem 14. Lj. erschließen.
Beispiele:

Menschlich schätzte man sie wenig

rührte aus Erfahrungen her,

obwohl sie als Person blass blieb

Wirkung zu zeitigen schien

die Entstehung des Werks dirigieren

für die anderen entbehrlich zu sein

und lechzte gleichzeitig danach

getrieben von einem erbarmungslosen Geliebtwerdenwollen, all jene zu Unmenschen abstempelten, die distanzierter empfanden?
und innerlich eingependelt


Zum Formalen:
Die sich ähnelnde Namensgebung „Rike“ und „Rita“ stört ein wenig.
Zeilenumbrüche bei den Dialogen würden das Lesen erleichtern.

Zum Inhalt:
Rike ist in deiner Geschichte offensichtlich ein Kind von höchstens zwölf Jahren, eher jünger, denn ich bezweifle, dass sie sich sonst so ungeniert auf den Schoß der alten Dame setzen würde.
Wie aber kann dieselbe Rike in dem Restaurant als Putzfrau arbeiten? Das wäre ja Kinderarbeit!

Im Restaurant Neptun macht Rike nicht näher beschriebene „Erfahrungen“ mit der Stammkundin, die zu einem Misstrauen ihr gegenüber führen.

Hm, Misstrauen nur, weil die Stammkundin nicht viel redete?

„… als Person blass blieb, niemals mehr sagte als "Guten Tag" und "Auf Wiedersehen".
(Hier kommt übrigens der Punkt vor die Schlusszeichen)
Misstrauen, weil die alte Dame beim Händedruck im Restaurant distanziert und vom Kind interpretiert mit ängstlich ausweichenden Blicken reagiert?
Wenn Rike Ängstlichkeit in den Blicken der Frau erkennt, dann müsste sie eher Mitleid mit ihr haben.
„… viele kleine ausweichende Blicke, die die Angst verrieten, einem Kind in die Augen zu schauen.“
Die Charaktere der Prots hätte man mehr ausgestalten können und zum Verständnis durch junge Leser auch müssen.

Denn waren es nicht gerade Menschen wie sie, die, getrieben von einem erbarmungslosen Geliebtwerdenwollen, all jene zu Unmenschen abstempelten, die distanzierter empfanden?
Du gibst hier eine Erklärung für das Verhalten Rikes, besser wäre es, wenn du Beispiele brächtest, die den jungen Leser zu dieser Deutung führen.

Insgesamt bleibt deine „alte Dame“ in deinem Text blass, obwohl man erfährt, dass sie selbst kinderlos ist und wohl aus diesem Grunde das Kinderheim kräftig unterstützt.
Vielleicht überlegst du dir genau, welche Altersgruppe deine Geschichte lesen und verstehen soll.
Baue ein paar Episoden ein, durch die für junge Leser nachvollziehbarer wird, warum Rike „distanzierte Menschen zu Unmenschen abstempelt“.
Welche schmerzlichen Erfahrungen hat Rike gemacht, die zu dieser Einstellung geführt haben, obwohl sie stets die Erfahrung zu machen scheint, bei anderen gut anzukommen?

Als Rike der alten Dame neben anderen Gästen die Hand gab, ärgerte sie sich, weil ihre schwarzhaarig-blauäugige Niedlichkeit bei der Frau nicht die gewohnte (und darum fest eingeplante) Wirkung zu zeitigen schien.

Ich hoffe, dass du meine Anmerkungen eher als Überarbeitungshilfe und nicht als vernichtende Kritik auffasst.
Lass dich nicht entmutigen.
Lieben Gruß
kathso60

 

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