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Die Affenfrau

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21.03.2004
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Die Affenfrau

„Wir werden uns trennen!“ Er sagt diese Worte mit einer unermesslichen Selbstverständlichkeit und spricht sie fast beiläufig aus. Er sieht sie nicht an dabei, sondern sein Blick geht einfach durch sie hindurch. Als wenn sie schon nicht mehr da ist in seinem Leben, nicht mehr dazu gehört.

Sie spürt ihren harten Herzschlag. Die Gedanken wirbeln wie ein Novembersturm durch ihren Kopf. Und wenn sie versucht, einen davon zu packen und festzuhalten, dann entwischt er ihr wieder. Sie sucht nach dem rettenden Schlüsselsatz, der diese Farce beenden kann. „Das ist doch jetzt ein dummer Scherz, oder?“ Unsicherheit und Unglauben liegen in ihrer Stimme. Sie versteht nicht. Ein Güterzug hat sie gerade überfahren.

Er sagt nichts. Keine Reaktion, kein Blick für sie. Nicht die Spur eines Gefühls findet sie in seiner Miene. Stattdessen fängt die Wand seinen Blick auf und verbündet sich mit ihm. Gemeinsam mit ihr der Teppich, die Couch, der Fernsehschrank, die Stehlampe. Sie ist plötzlich ein Fremdkörper in seiner Wohnung. Nur noch ein Gast, auf dessen Aufbruch man ungeduldig wartet.

Er hat mit einem Baseballschläger ihre Träume zertrümmert, mit einem Gift ihre Atmung gelähmt, die Blutbahnen ihrer Zukunftsvisionen mit einem scharfen Messer durchtrennt, ihre Gefühle mit einem Kissen erstickt. Jede Emotion in ihr hat er tausend Tode sterben lassen. Mit nur einem einzigen Satz. „Wir werden uns trennen.“ Die Worte hallen wie ein unbarmherziges Echo in ihrem Kopf.

Die Bilder der Vergangenheit vollführen einen traurigen Festumzug vor ihren Augen. Ihre Begegnung beim Joggen. Die erste gemeinsame Nacht nach dem leicht eskalierten Kneipenbummel. Anstandsbesuch bei ihrer Großmutter. Die alte Dame ist hin und weg von ihm. Sein neues Auto. Gemeinsam entdeckt bei einem Straßenrandhöker. Der Urlaub in Kenia mit eindrucksvollen Bildern. Seine Fieberattacke. Doch keine Malaria. Glück gehabt. Zeitungen wälzen nach Anzeigen für eine größere Wohnung. Zusammen.

„Warum?“ Es ist nur ein kurzes flehendes Wort, aber sie vermag es kaum auszusprechen. Sie weiß nicht, ob er sie wenigstens jetzt anschaut. Die Tränen haben einen matten milchigen Schleier vor ihre Augen gehängt.

„Ich habe in der Firma eine andere Frau kennen gelernt. Es geht schon seit mehreren Wochen.“ Das ist also seine Erklärung. Klar, unmissverständlich, unumstößlich. Seit mehreren Wochen schon. Ach so. Na dann. Ihr Gehirn beginnt automatisch zu rechnen. Letzten Sonntag – der Strandspaziergang an der Ostsee. Das Kreischen der Möwen, das sich unter ihr Lachen mengt. Der Mittwoch davor – seine Wärme, als er sie in seine Arme schließt, um sie über den Streit mit ihrer Kollegin hinwegzutrösten. Noch eine Woche weiter zurückgespult – Hand in Hand schlendern sie aus der Bar und küssen sich innig, bevor er ihr die Autotür öffnet. Oder hatte nur sie ihn geküsst? Und er sie nicht? Gab es Zeichen, die sie nicht gesehen hat? Vielleicht nicht sehen wollte? War sie so glücklich gewesen, dass sie seinen latenten Rückzug nicht bemerkt hatte? Hätte sie gegensteuern, um sein Herz kämpfen, ihn halten können, wenn sie bewusster wahr genommen hätte? Wo waren die Zeichen gewesen?

Vielleicht die Montags-Runden, die sein Chef so spät angesetzt hatte, dass es sich nicht mehr lohnte, wenn sie abends zu ihm fuhr? Oder das edle silberne Feuerzeug? Ein Utensil, das seit etwa drei Wochen untrennbar mit ihm verbunden war. Von Karstadt, durch Zufall entdeckt. Das frisch bezogene Bett nachdem er das Wochenende bei seinem Freund in Berlin verbracht hatte. Berlin, das ganz nett war, aber ansonsten nichts Erzählenswertes bot. Das Telefonkabel, das er aus der Buchse gezogen hatte, weil seine Mutter ihn mit ihren ständigen Anrufen terrorisierte.

Es ist wie ein Mosaik und die kleinen Steinchen fügen sich mit erschreckender Leichtigkeit zu einem großen Ganzen zusammen.

Sie ist ja so dumm gewesen. Blind für das Geschehen um sie herum. Taub für die mahnenden Worte ihrer Freundin. „Er hat heute Abend schon wieder etwas vor?“ Stumm vor Befangenheit und aus der Angst heraus, ihn zu verlieren. Blind, taub und stumm vor Liebe. Wie die drei Affen, die ihre Hände über Augen, Ohren und Mund halten. So kommt sie sich vor in diesem Moment. Wie der größte Affe von allen, der nicht nur mit einem Handicap geschlagen ist sondern bei der Wahl seiner geistigen Einschränkungen aus dem Vollen schöpft.

„Ich bringe Dir die restlichen Sachen gerne noch vorbei und wir können doch Freunde bleiben.“
„Ja, ja.“ Sie sieht nicht zurück, als sie die Tür hinter sich zuzieht.

 

Hallo Lara,

da beschreibst du eine Frau, die nicht kontrolliert, die vertraut und nciht jede Äußerung, jede Überstunde oder jede Minute, die ihr Freund ohne sie verbringt gleich negativ gegen sich auslegt, schon geht es schief. Achade eigentlich, denn Vertrauen ist weder blind noch dumm. So kann ich deiner Prot nur wünschen, dass sie sich nach der Enttäuschung dieses Vertrauen erhält.
Trotz dieser inhaltliche Kritik, hat deine Geschichte mir gut gefallen. Die Reaktion des Schmerzes hast du gut getroffen. Was mir auffiel, ist, dass deine Prot auf die unverschämte Einbeziehung ihrer Person nicht reagierte. "Wir werden uns trennen." Nicht er würde sich von ihr trennen, sondern er tut so, als beteiligte er sie an dieser Entscheidung, die er längst gefällt hat.

War das Absicht?

Eine Stimmung stimmt für mein Gefühl nicht:´

Die Gedanken wirbeln bunt durch ihren Kopf.
Ist doch eigentlich ein fröhliches Bild
Er sagt nichts. Keine Reaktion, kein Blick für sie, nicht die Spur eines Gefühls findet sie in seiner Miene.
müsste mE keinen Blick heißen.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo lara

Eine schöne (traurige) Geschichte. Hat mir gut gefallen.

Er sagt nichts. Keine Reaktion, kein Blick für sie, nicht die Spur eines Gefühls findet sie in seiner Miene. Stattdessen fängt die Wand seinen Blick auf und verbündet sich mit ihm. Gemeinsam mit ihr der Teppich, die Couch, der Fernsehschrank, die Stehlampe. Sie ist plötzlich ein Fremdkörper in seiner Wohnung. Nur noch ein Gast, auf dessen Aufbruch man ungeduldig wartet.
Klasse getroffen, wie für sie alles zusammenbricht.

Im Schlusssatz lässt du sie extrem schnell resignieren, ihre Erkenntnis ist ja noch frisch und schreit doch eher nach Wut und Erklärungen. Ich würde mir wünschen, dass du ihr statt des "Ja, Ja" ein sarkastisches "Klasse" in den Mund legen würdest.
Ist natürlich Geschmackssache. ;)

LG dot

 

Hallo sim und dotslash, vielen Dank für Eure Anregungen. Ich freue mich, dass Euch die Geschichte gefallen hat.

sim,

Was mir auffiel, ist, dass deine Prot auf die unverschämte Einbeziehung ihrer Person nicht reagierte. "Wir werden uns trennen." Nicht er würde sich von ihr trennen, sondern er tut so, als beteiligte er sie an dieser Entscheidung, die er längst gefällt hat.

War das Absicht?


Ich wollte einen starken Satz am Anfang, der die Protagonistin regelrecht überfährt. Sie kann in dieser Situation nicht auf seine Anmaßung reagieren. Ganz andere Dinge beschäftigen sie: nicht mehr erwünscht zu sein, die schönen Momente der Vergangenheit, die Frage nach dem Warum ... Die Reaktion auf die Wortwahl hätte hier nicht herein gepaßt. Dafür ist sie zu unwichtig gegenüber den anderen Dingen, die sie bewegen.


Eine Stimmung stimmt für mein Gefühl nicht:´
Zitat:
Die Gedanken wirbeln bunt durch ihren Kopf.

Ist doch eigentlich ein fröhliches Bild


Du hast absolut recht. "Bunt" ist ein zu farbenfroher, positiver Begriff, der hier nicht recht zur Stimmung paßt. Was hältst Du stattdessen von "ungeordnet" oder "wie ein Novembersturm"? Ich glaube, der Sturm liegt mir eher - könnte aber auch zuviel des Guten sein.

Zitat:
Er sagt nichts. Keine Reaktion, kein Blick für sie, nicht die Spur eines Gefühls findet sie in seiner Miene.

müsste mE keinen Blick heißen.


Es ist im Sinne von "Da ist keine Reaktion, kein Blick für Sie ..." gemeint. Dann muss ich aber danach einen Punkt setzen, damit es mit dem folgenden Gedanken passt. Das werde ich ändern.

dot,

Im Schlusssatz lässt du sie extrem schnell resignieren, ihre Erkenntnis ist ja noch frisch und schreit doch eher nach Wut und Erklärungen. Ich würde mir wünschen, dass du ihr statt des "Ja, Ja" ein sarkastisches "Klasse" in den Mund legen würdest.

Sarkasmus passt in diesem Moment für mich nicht so recht zu meiner Prot, obwohl auch diese Bemerkung sehr viel Charme hätte. Aber durch Deine Idee habe ich gerade richtig Lust darauf bekommen, auch mal eine sarkastische Geschichte zu schreiben. Vielleicht demnächst mal.

Lara

 

Hallo Lara,

die Geschichte gefällt mir vor allem deshalb, weil du die Reihenfolge der Reaktionen der eben Verlassenen so realistisch beschrieben hast:
erst Schock, dann Ungläubigkeit ( Erste-Hilfe-Maßnahme der verletzten Persönlichkeit, ebenso wie das Nicht- Denken-Können ), das Abspulen der Erinnerungen und letztendlich die Bestätigung bereits vorher latent vorhandener Ahnungen.

Nur den Schluss finde ich unangemessen.
Zeige mir den Mann, der in dieser Szene vom berühmten " Wir-Können-Freunde-Bleiben" redet !
Realistischer wäre: " Natürlich kannst du die Stereo-Anlage behalten "

Auch die Schlussreaktion der Frau stört mich, denn sie ist doch mittlerweile an den Punkt gekommen, an dem die Wut aus dem Bauch ihr Gehirn erreicht hat.

Deine Geschichte zeugt jedenfalls von einer guten Beobachtungs- und Einfühlungsgabe und behandelt das Thema auf eindrucksvolle Weise.

Ein schwieriges Thema, gekonnt in Szene gesetzt.
Einen lieben Gruß an dich
Odala

 

Hallo Odala,

danke für Deine Gedanken. Ich freue mich, dass Dir die Geschichte zumindest bis auf den Schluss gefällt.

Nur den Schluss finde ich unangemessen.
Zeige mir den Mann, der in dieser Szene vom berühmten " Wir-Können-Freunde-Bleiben" redet !
Realistischer wäre: " Natürlich kannst du die Stereo-Anlage behalten "

Leider ist es in meinen Augen wirklich so, dass diese "Lass-uns-Freunde-bleiben-Geschichte" in der Realität ein Dauerbrenner ist. Ich habe diesen Spruch auch schon einmal erlebt und kenne ihn aus vielen Erzählungen von sowohl männlichen als auch weiblichen Bekannten. Sie haben ihn sich entweder als Abschiedssatz anhören müssen oder sogar selbst eingesetzt. Sei es aus dem Grund, dass ihnen in der Not nichts Klügeres einfiel, oder, dass sie zwar eine Trennung der Beziehung wollten, aber sich noch nicht vorstellen konnten, ohne weiteren Kontakt zu ihrem ehemaligen Partner zu leben.

Die Problematik der Hausratsaufteilung stellt sich bei den beiden nicht, da sie zwar zusammen Wohnungsanzeigen angeschaut haben, aber derzeit ist es noch sein Domizil, und sie ist Gast. Vielleicht kommt die Situation aber noch nicht deutlich genug heraus, und ich muss hier noch ein bißchen deutlicher beschreiben.

Sie ist plötzlich ein Fremdkörper in seiner Wohnung. Nur noch ein Gast, auf dessen Aufbruch man ungeduldig wartet.

Zeitungen wälzen nach Anzeigen für eine größere Wohnung. Zusammen.

Liebe Grüße an Dich

Lara

 

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