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Die Abrechnung (alternatives Ende)
Ich hatte schon viele miese Jobs in meinem Leben gehabt, doch alle zusammengenommen waren nicht so erniedrigend wie dieser hier.
Doch im Jahre 2027 gehörte dies nun mal zum Resozialisierungsplan und alles, was einem blieb, war gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
"Das ist deine große Chance", hatten sie zu mir gesagt.
"Hiermit kannst Du allen beweisen, dass Du ein wertvolles Glied der Gesellschaft bist."
"Du willst doch diese Chance haben, oder nicht?"
"Ja", hatte ich gesagt. Was blieb mir auch anderes übrig. Hätte ich abgelehnt, wären mir alle weiteren Türen auf ewig verschlossen verblieben. Außerdem versprachen sie mir eine Wohnung mit einem direkten Wasseranschluss und dies machte alles für mich ein wenig erträglicher. Schließlich war ein Zugang zu sauberen Wasser so gut wie ein Gewinn in der Lotterie.
Also machte ich mit bei ihrer Pret-a-porter Show. Ehemalige Strafgefangene als Laufsteg-Models, das war schon ein werbewirksamer Geniestreich. Die Einschaltquoten waren garantiert. Und das war es worauf es letztlich ankam.
"Das nächste Outfit Shamanis, des neuen Stardesigners am Modehimmel, wird ihnen präsentiert von der verrückten Lilly, die vor 12 Jahren in einem Blutrausch ihre gesamte Familie abgemurkst hat. Passend zu dem extravaganten Karorock aus reiner Schurwolle, trägt Lilly ein durchsichtiges Oberteil, das nicht nur ihre Brüste preisgibt, sondern auch einen Blick auf einige ihrer zahlreichen Narben gewährt, die sie sich in der Zeit ihres Wegschlusses in der Anstalt mit Hilfe einer Tonscherbe selbst zugefügt hat", höre ich den Moderator über die Lautsprecher sagen, woraufhin die Menge lautstark durch Klatschen und Johlen, ihre Begeisterung zu erkennen gibt.
Nach der verrückten Lilly gibt mir ein Kerl mit einem Knopf im Ohr und einem Walkie-Talkie in der einen Hand ein Zeichen. Dabei hält er mir vier Finger entgegen, die er nacheinander wieder einklappt. Vier, drei, zwei, eins....
Seine Lippen formen ein stummes "Los". Ich zögere einen Augenblick.
In diesem hautengen Latexoverall und diesen merkwürdigen Helm auf den Kopf komme ich mir dämlich vor. Doch der Kerl drängt mich mit einem strengen Blick und einem energischen Kopfnicken nach draußen, wo ich schon brennend von der reichen Meute erwartet werde.
Das Scheinwerferlicht, das auf mich gerichtet ist, brennt sich in mein Gesicht und ich begehe den zusätzlichen Fehler, geradewegs in das grelle Licht zu schauen. Für einige Sekunden bin ich geblendet, alles verschwimmt vor meinen Augen und ich beginne wie durch rote, blaue und gelbe Farblinsen zu sehen. Ich bemerke, wie ich schwitze und bewege mich halbblind auf das imaginäre Kreuz auf der Lauffläche zu, das wir einstudiert haben und wo ich vor dem zahlenden Publikum einen Moment halt machen soll.
Da ich immer noch nichts sehe, zähle ich meine Schritte. Nach dem siebenunddreißigsten stoppe ich meinen Gang.
Die futuristische Robe dieses Shamani scheint bei der Menge anzukommen, denn die Leute beginnen zu grölen und zu jauchzen und aus der Ecke links von mir kommt ein Blitzlichtgewitter über mich. Ich hüte mich davor rüberzuschauen, bemerke ich doch gerade, wie sich mein Sehvermögen wiederherstellt.
Während ich so dastehe, muss ich an diesen Shamani denken, dessen Klamotten ich hier zur Schau trage.
Es war schon unglaublich, was für eine Karriere er in nur so kurzer Zeit hingelegt hatte. Dabei war er wie aus dem Nichts aufgetaucht. Niemand schien genaueres über ihn zu wissen. Doch die Leute waren angetan von seinen Sachen, die sie ihm regelrecht aus den Händen rissen. Selbst die Kleinsten trugen "Shamani".
Er war schon ein komischer Kerl, fand ich.
Vor der Show hatte er den Ankleideraum betreten und war schnurstracks auf mich zugekommen. Er legte seine Hände auf meine Schultern und blickte mich durch seine rotgetönten Brillengläser an, wobei er mich auf eine merkwürdige und unheimliche Weise anlächelte.
Ich hasse es, wenn Typen einen einfach antatschen. Die Tatsache, dass ich ihn von Anfang an nicht mochte, machte die Sache nicht angenehmer.
Dabei sprach er kein Wort zu mir, sondern musterte mich nur von oben bis unten, sah mich noch einmal aberwitzig lächelnd an, bevor er dann wieder auf dem Absatz kehrtmachte und den Raum verließ.
Ich schrieb dies alles dem exzentrischen Charakter dieser Sorte Mensch zu und verdrängte schnell das seltsame Gefühl, das mich bei der Begegnung mit ihm überkommen hatte.
Doch während ich nun so dastehe und die Farben der Realität so langsam zurückkehren, muss ich jedoch unwillkürlich an diese Begebenheit denken, die wieder dieses unerklärliche Gefühl in mir auslöst. Doch das Pfeifen und Johlen der Zuschauer holt mich von meinen Überlegungen zurück und ich blicke zum ersten Male an diesem Abend in die Gesichter der Stars und Sternchen, die man sonst nur aus dem Kino und von Preisverleihungen her kennt.
Auch die Prominenz aus den höchsten Politkreisen ist natürlich heute zugegen. Wer nie den Präsidenten der Vereinigten Kontinente bei einer solchen Veranstaltung vermutet hätte, wurde jetzt eines Besseren belehrt. So etwas wie heute hatte es noch nie gegeben. Dieser Tag sollte in die Annalen der Fernsehgeschichte eingehen. Und bei dieser Gelegenheit konnte man schließlich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen und somit gleichzeitig um die Gunst der Wähler buhlen.
Der kontinentale Kanal hatte sich alle Übertragungsrechte gesichert und auf diesem Weg konnte man ein Drittel der Weltbevölkerung erreichen und wenn man sich wie der jetzige Präsident auf dem absteigenden Ast befand, zählte jede Stimme.
Besonders seitdem der Präsident die Gefahren des "K.I.L.L.-Virus" heruntergespielt hatte, welches in den Labors der Militärs gezüchtet wurde, unglücklicherweise aber in die Hände der revolutionären Terrorgruppe "Back to Roots" fiel, die das Virus über Australien abwarfen, dessen Bevölkerung zur Folge fast vollzählig dezimiert wurde und seitdem aus Sicherheitsgründen nur noch aus der Luft versorgt werden kann.
Das war schon ein herber Schlag für den Präsidenten gewesen, doch diese Show war die einmalige Gelegenheit, sich volksnah zu geben und somit am verlorenen Boden wieder gutzumachen.
Der Präsident sitzt am Ende des Laufstegs an einem speziell für ihn hergerichteten Tisch, um ihn herum steht im Halbkreis seine Leibgarde, die grimmig und scheinbar teilnahmslos vom übrigen Geschehen steif aus der Wäsche guckt.
Als ich zum Präsidenten rübersehe und er dies bemerkt, legt er ein schmieriges Lächeln auf und in der vollen Gewissheit, dass die Kameras seine wohlwollende Geste gerade einfangen, winkt er mir geradewegs zu.
In diesem Augenblick wird mein Anzug plötzlich heißer und heißer und ich schreie laut auf und falle nach vorne auf alle viere. Die Menge hält dies jedoch für einen Teil der Show und jault fröhlich auf.
Ich versuche mir den Anzug, dessen Hitze aufs Unerträgliche ansteigt, vom Leib zu reißen, doch er klebt mir auf der Haut fest.
Mit einem Mal reißt es mich mit einem Ruck nach oben. Der Anzug an meinem Körper scheint ein Eigenleben anzunehmen und steuert fortan alle weiteren Bewegungen. Wie eine zweite Haut, die sich auf mir gebildet hat, tut es mit mir, was es will.
Es überwindet plötzlich, mit mir in ihm, die Schwerkraft und wir beginnen einen halben Meter über den Boden zu schweben. Die Massen kapieren immer noch nicht, wie mir geschieht und halten mich anscheinend für eine Art Copperfield, da sie frenetisch Beifall klatschen.
Der Präsident, der jedoch über den genauen Ablauf des Programms unterrichtet ist, weiß, dass es nicht zur Show gehört, und springt mit einem zu einem Entsetzen versteinerten und angstverzerrten Gesicht von seinem Stuhl auf.
Gleichzeitig spüre ich ein starkes Kribbeln auf der Haut und im nächsten Augenblick schießt auch schon aus meinem Helm ein blauer Energieblitz, der den Präsidenten in einem Nu pulverisiert und nichts weiter als ein rauchendes Aschehäufchen von ihm zurücklässt.
Die Secret Agents, die ungläubig die Überreste ihres Vorgesetzten bestaunen, ziehen fast gleichzeitig ihre Kanonen. Doch bevor ihre Finger auch nur ansatzweise in die Nähe des Abzugs kommen, spüre ich auch schon wieder dieses Kribbeln und die Energieblitze, die folgen, strecken einen Sicherheitsmann nach dem anderen nieder. Für einen Augenblick herrscht im gesamten Saal Totenstille. Doch als ob nun dadurch in den Köpfen der Leute ein Schalter umgelegt wird, beginnt ihre Begeisterung nun zu kippen und in Panik und Grauen umzuschlagen. Verzweifelt beginnen die Massen, auf der Flucht vor mir, zu den Notausgängen zu rennen, doch ich schwebe über ihren Köpfen hinweg und schneide ihnen jedes Mal, gleich einen immer wiederkehrenden Albtraum, den Weg ab.
Dabei stoße ich wieder und wieder grelle Energieblitze in kurzen Abständen von mir aus und auf diese Art dezimiere ich nach und nach die Größen des Showbiz und der Politik.
Zu diesen gehört Einer, der als der neue Dylan gefeiert wird, aber nun keine Gelegenheit mehr haben sollte, über diese Erfahrung einen Song zu schreiben.
Die Blitze schießen und treffen punktgenau. Keiner kann ihnen entkommen. Weder die gecastete Boygroup, noch die letzte Oscarpreisträgerin. Schauspieler, Sänger, Produzenten, aufsteigende Politiker, Unterweltbosse, Schriftsteller, Fotografen. Für alle hat das letzte Stündlein geschlagen.
Wie beim Gegenpol eines Magneten werden die Massen von mir abgestoßen, die rück- und seitwärts übereinander fallen. Einige werden zu Opfern ihrer Mitgenossen, die in ihrer Todesangst gar nicht bemerken, wie sie über andere, zum Teil noch lebende Körper, trampeln, doch letztendlich gibt es auch für sie kein Entrinnen.
Die Schreie der Sterbenden mischen sich mit denen der Flüchtenden, hallen von den Wänden wider und erfüllen den Saal, während die Blitze wie aus einem unerschöpflichen Quell in einem nicht endenden Stakkato aus meinem Helm schießen und nichts als Asche hinterlassen.
Plötzlich versiegen die Energieblitze, genauso überraschend wie sie eingesetzt hatten, und ich schwebe zur Mitte des Saales.
Ich schaue auf die wenigen herab, die nicht völlig erledigt worden sind, als hinter mir ein Lachen meine Aufmerksamkeit auf die Person lenkt, die aus einer hinteren Ecke der Bühne aus einem Schatten tritt und bei dessen Anblick mir sofort bewusst wird, dass sie für das ganze hier verantwortlich ist.
Shamani, der nun auf dem Laufsteg steht, streckt mir einen Arm entgegen, und ich werde unmittelbar von ihm angezogen, fliege in einer geraden Linie auf ihn zu und setze vor ihm mit meinen Füßen auf. Dann befreit er mich aus seiner Umklammerung, denn ich kann mich wieder eigenständig bewegen, falle jedoch aus Erschöpfung erstmal auf meine Knie.
Nach einigen Atemzügen blicke ich zu ihm auf und ich möchte nur verstehen und frage:
"Warum?"
Shamani blickt mich kalt und mitleidslos an.
"Sagt Dir die -Discover- etwas?" fragt er mich mit einer metallenen Stimme.
"Die Erkundungsrakete -Discover-?" stammele ich.
"Ja, eure Erkundungsrakete, die ihr ins All geschossen habt, auf der Suche nach Leben.
Nun, ich kann dir berichten, sie hat Leben gefunden!
Du kannst dir in etwa vorstellen, was diese Nachricht bei meinem Volk ausgelöst hat. Die Intellektuellen sprachen von einer Sensation, wollten sogleich an einer Antwort arbeiten, die sie zurück zur Erde senden wollten. In ihrem Enthusiasmus wären sie wahrscheinlich am liebsten selbst als Antwort gekommen. So begierig waren sie danach, mit einer neuen Zivilisation Kontakt aufzunehmen.
Glücklicherweise entschied der Ältestenrat, vorsichtiger vorzugehen und nicht überstürzt zu handeln, bevor man nicht genauere Informationen über die Erdenmenschen besaß. So entschied man sich, insgesamt zehn Kundschafter zur Erde zu senden.
In mehreren operativen Eingriffen passte man unsere Anatomie der menschlichen an, um unerkannt unter euch zu leben. Unsere physischen Möglichkeiten waren danach zwar sehr eingeschränkt, aber uns blieben ja noch unsere telekinetischen Fähigkeiten, die, wie du siehst, sehr wirkungsvoll sein können.
Seit unserer Ankunft vor einem Mondjahr beobachten und studieren wir euch nun. Mit unseren Fähigkeiten war es für uns ein leichtes, in eurer Gesellschaftsordnung des Strebens nach sinnlosen Vergnügungen und der schnellen Befriedigung der Sinne, die Karriereleiter nach oben zu steigen.
Natürlich diente alles nur unserer Tarnung, denn gleichzeitig beschäftigten wir uns weiter mit eurer Geschichte, die geprägt ist von Kriegen, Gewalt und Rassenvorurteilen und endlosen, blutigen Kämpfen um territoriale Vorherrschaften.
Was würde ein von dieser Geschichte geformter Mensch tun, wenn er auf unseren Planeten stieße? Würde er nicht auch nur wieder Hass und Gewalt aussäen, insbesondere dann, wenn seinen eigenen Interessen, damit gedient wäre? Was würde ein solcher Mensch wohl unserem Volk antun, das sich völlig von dem unterscheidet, was ihm bekannt ist, wenn der Mensch noch nicht einmal dazu in der Lage ist, mit seinesgleichen in Frieden zu leben?
Du wirst verstehen, dass die Antworten auf diese Fragen ein gewisses Risiko in sich bergen, welches wir nicht eingehen können.
Wir sandten unseren Abschlußbericht dem Ältestenrat, der äußerst bestürzt und besorgt zugleich, diesen aufnahm.
Shamani hat kaum ausgesprochen, als wir plötzlich ein Poltern an den Türen vernehmen.
"Sie kommen Shamani. Meine Leute kommen, und sie werden dich fertigmachen für das, was du uns angetan hast", höre ich mich sagen und beginne zu weinen.
"Ich glaube, sie haben immer noch nicht verstanden. Nicht ihre Leute stehen vor den Toren, sondern die Meinigen. Dies war erst der Anfang. Dieser Präventivschlag ist leider unumgänglich geworden, um mein Volk vor dem ins All vorstoßenden Menschengeschlecht zu schützen.
Und außerdem … wieso -mich- fertigmachen? Haben nicht Sie jeden auf dem Gewissen? Die ganze Welt war Zeuge davon und konnte dies sogar live an den Bildschirmen zuhause verfolgen. Ich bin nur der Stardesigner, der dem Massaker entkommen konnte", erwidert Shamani und reißt sich einen Ärmel seines Anzuges herunter.
In diesem Augenblick stürmt das Sondereinsatzkommando den Saal.
In dem ernüchternden Bewusstsein das Shamani mich ausgespielt hat, reiße ich meine Arme nach oben und schreie: "Ich bin unschuldig!"
Aber zu spät. Die Schüsse der Sturmgewehre zerfetzen die Stille und das letzte, was ich spüre, sind die Kugeln, die in tödlicher Absicht in mich eindringen.