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Die Abenteuer des Harry Harrison: Die Zeitblase (2)
"Sie sind verhaftet, Harry Harrison! Ich nehme sie in Gewahrsam", polterte jemand hinter mir und packte meine Handgelenke in einen eisenharten Griff.
Ich versuchte mich umzudrehen, nachdem alle instinktiven Versuche fehlschlugen, mich loszureissen. Viel konnte ich so nicht erkennen, aber das Wenige reichte mir schon. Ein Schnüffelhund hatte mich gepackt!
Hatten sie mich letztlich doch geschnappt! Dieses elende Polizistenpack hatte mir tatsächlich einen waschechten Schnüffelhund geschickt, um mich aufzuspüren und dingfest zu machen!. Eigentlich ungewöhnlich, weil diese Polizeiroboter sonst nur Jagd auf besonders schlimme Mörder und Verbrecher machten.
Meine Handgelenke begannen zu schmerzen.
"Also gut, du hast mich geschnappt!", sagte ich resigniert und wartete darauf, das er mir meine Rechte aufsagte und mich mit sich schleppte.
Stattdessen lockerte sich sein Griff etwas. Er schob mich langsam in einen abseits gelegenen Seitengang der Altstadt und liess mich dann los. Sehr seltsam!
Ich sah mir den Blechkerl jetzt genauer an. Er sah fast aus wie ein Mensch. Fast - normale Bürger konnten einen Schnüffelhund nicht von einem Menschen unterscheiden. Was für mich aber kein Problem darstellte.
"Kennen sie Dr. Puyco, Harry Harrison?", polterte der blecherne Polizist und musterste mich mit stechenden, künstlichen Augen.
"Ho", rief ich, nun wieder etwas mutiger geworden. "Wer zum Teufel ist Dr. Puyco? Nie gehört."
Der Schnüffelhund begann zu grunzen und wackeln, und ich fürchtete schon, das er sofort zu qualmen anfing und auseinander fiel. Scheinbar stellte das Grunzen aber nur ein Lachen dar.
"Der Dr. kennt sie aber. Sie sind in sein Labor eingestiegen und wollten ihn bestehlen."
Ins Labor eingestiegen? Nie im Leben. Ich war schon oft irgendwo eingestiegen, das stimmte. Aber noch nie in einem Labor.
"Wann soll das gewesen sein?", fragte ich den Blechkerl frech und blickte ihn finster an.
Wieder erzeugte der Schnüffelhund dieses eigenartige Grunzen.
"In zwei Jahren und acht Wochen", murmelte er lächelnd in mein ungläubig staunendes Gesicht. Das hatte gesessen!
„Hör zu, du wackelnde Blechkiste!“, fauchte ich böse. „Du willst mir allen Ernstes erzählen, dein Herr und Meister - diese ominöse Dr. Puyco – sitzt in seinem hochsicheren Labor in einer Art Zeitblase gefangen, die er selber mittels einer fehlerhaften Maschine geschaffen hat. Und nur ich kann ihn wieder aus diesem Gefängnis befreien? Weil es mir schon einmal gelungen ist, das Labor gegen seine Willen zu betreten, obwohl das Sicherheitssystem als unüberwindbar gilt. Dieser Einbruch ereignet sich erst in zwei Jahren, für Puyco ist das aber bereits seit einigen Wochen Vergangenheit. Ist es so?“
Das klang alles mehr als unwahrscheinlich, und ich vermutete eher, das bei dem Schnüffelhund ein paar Schrauben locker saßen.
Dieser nickte. „Wir müssen los“, sagte er und machte Anstalten zu gehen. Mit mir im Schlepptau natürlich.
„Wohin?“, maulte ich mürrisch.
„Wir gehen zum Labor. Dort wirst du die Sicherheitsbarrieren überwinden und die Zeitspirale abstellen, damit Dr. Puyco...“
„Moment! Warum hat Puyco dir nicht gesagt, wie du das Sicherheitssystem umgehen kannst? Damit du ihn befreien kannst?“, fragte ich argwöhnisch.
Der Schnüffelhund kratzte sich am Blechschädel. Sicherlich gehörte das zu seiner Imitation des menschlichen Körpers.
„Selbst Dr. Puyco kann die Barriere nicht überwinden. Durch den Unfall in der Zeitspirale hat sich das Sicherheitssystem neu konfiguriert. Ich war zu dieser Zeit nicht im Labor, aber immerhin ist es dem Doktor gelungen, mich per zeitverschobenem Hyperfunk mit neuen Instruktionen zu versorgen, darum bin ich hier. Im Labor selber befindet sich nur Dr. Puyco. Aber der sitzt in einer Zeitblase gefangen und kann sich nicht selber befreien.“
Jetzt war es mal an der Zeit für mich, laut loszulachen.
„Da sitzt er ja tief in der Patsche.“ Dann fiel mir was ein. „Was ist es Puyco denn wert, wenn ich ihm da heraus helfe? Ich meine, warum sollte ich ihn sonst da raus holen, wenn für mich nichts dabei herum kommt...“
Der Griff um meine Hände verstärkte sich zusehends wieder.
„Was ist es dir wert, dass ich dir nicht alle Knochen breche?“ fragte mich der Roboter und begann abermals zu wackeln und zu grunzen...
„Also gut. Wir befreien Puyco und dann lässt du mich endlich in Ruhe, klar?“
Der Schnüffelhund nickte lächelnd.
„Bist du sicher, dass das der einzige Zugang zum Labor ist?“, fragte ich Z-352-45. Die Spassvögel aus der Roboterfabrik hatten wirklich kein Talent darin, ihren Schöpfungen intelligente Namen zu verpassen...
„Ja, der einzige begehbare. Alle Böden, Wände und Dächer sind mit acht Zentimeter dickem Panzerstahl versehen. Die Fenster und anderen Zugänge ebenfalls, der Sicherheitscomputer hat sie entsprechend verriegelt. “
Vor mir gähnte der dunkle Eingang in das Labor.
„Ich lasse dich jetzt los. Gehe durch den Eingang und überwinde die Barriere“, instruierte Z-352-45 mich unnötigerweise. Schnell tastete ich meine Taschen ab, ob ich wirklich all meine Hilfsmittel dabei hatte: Hologramm-Dietrich, Taschenschneidbrenner, Minigranaten, Säurekapseln, Terminalkriecher, ... an alles hatte ich gedacht.
Ich winkte dem Schnüffelhund noch mal freundlich zu und betrat fröhlich flötend den Eingang zum Labor. Endlich frei! Hinter mir schloss sich die Tür aus acht Zentimeter dickem Panzerstahl. Sollte sie ruhig. Gleich würde ich die Sicherung umgangen haben - dann würden sich alle Eingänge und Fenster wieder öffnen. Und ich war frei. Dachte ich zumindest! Oh wie dumm und naiv ich doch war...
Plötzlich schlangen sich breite Plystek-Bänder um meinen Körper, verschnürten Arme und Beine, Hände, Füße und Stirn. Ich konnte mich fast keinen Zentimeter mehr bewegen, und fühlte mich wie ein zugeklebtes Postpaket.
„Guten Tag. Ich bin Sicherheitseinheit 16243-453-387. Sie haben soeben den Hochsicherheitsbereich betreten. Ihnen stehen momentan zwei Optionen zur Auswahl. Entweder bestehen Sie die Ihnen zugedachte Zertifikatsprüfung, oder Sie werden eingeäschert. Haben Sie das soweit verstanden?“
Na das waren ja wirklich tolle Neuigkeiten!
„Natürlich. Was soll ich machen?“, presste ich mühsam hervor.
„Ich werde Ihnen drei Fragen stellen. Beantworten Sie alle drei korrekt, dann werden die oberen Sicherheitsstufen außer Kraft gesetzt. Beantworten Sie eine der Fragen falsch, dann werde ich die Einäscherung starten.“
Das hörte sich schon viel besser an. Immerhin gab es kaum jemanden, der sich mit Sicherheitsfragen besser auskannte, als ich! Und der Umgehung von Sicherheitsanlagen. Ein Kinderspiel also.
„Sie haben zehn Sekunden zur Beantwortung jeder Frage. Wir starten sofort.“
Ich atmete tief ein.
„Auf dem Boden liegt eine Schmuckschatulle. Die eingebaute Fußbodenheizung erhitzt den Boden sehr stark. Auch die Schatulle ist warm. Allerdings ist sie auf der dem Boden abgewandten Seite viel wärmer. Warum?“
Was? Ich suchte den Boden ab, konnte aber nichts entdecken. Also war das rein theoretisch gemeint.
„9-8-7-6-“
Was für eine blöde Frage war das denn? Woran lag das? Wärmeleitung? Denk nach, Harry Harrison!
„5-4-3-2-“
Also gut. „Jemand hat die Schatulle gerade umgedreht!“, rief ich unsicher und wartete auf den alles vernichtenden Feuerstoss. Der nicht kam.
„Richtig. Kommen wir zur zweiten Frage.“
Ich versuchte, mir den Schweiß abzuwischen. Konnte mich aber kein bischen rühren. Mist! In was für einen Schlamassel war ich nur wieder hinein geraten? Ein durchgeknallter Polizeischnüffler, ein irrer Sicherheitscomputer und irgend ein verschollener, verrückter Doktor. Was kam noch?
Weiter ging es mit der Sicherheitsprüfung. Wieder schnarrte die Computerstimme emotionslos.
"Sie gleiten mit dem Schweber und halten eine konstante Geschwindigkeit. Auf Ihrer linken Seite befindet sich ein Abhang. Auf Ihrer rechten Seite befindet sich ein Feuerwehrauto und fährt die gleiche Geschwindigkeit wie Sie. Vor Ihnen reitet ein Schwein, das eindeutig größer ist als Ihr Auto. Sie verfolgt ein Hubschrauber auf Bodenhöhe. Das Schwein und der Hubschrauber haben exakt Ihre Geschwindigkeit. Was unternehmen Sie, um dieser Situation gefahrlos zu entkommen?"
Im ersten Moment blinzelte ich ungläubig.
„9-8-7-“
Die Neukonfigurierung hatte dem Sicherheitssystem offensichtlich gar nicht gut getan. Nun gut. Da ich die Antwort kannte, entspannte ich mich zusehens.
"6-5-4-"
"Keine Ahnung, was das mit Sicherheit zu tun haben soll, aber bitte. Ich warte, bis das Karussell anhält und steige dann einfach ab." Misstrauisch beäugte ich die Düsen der Einäscherungsanlage.
"Richtig", schnarrte der Computer zufrieden.
Mein Selbstvertrauen kehrte zurück und mir gelangen wieder einige Pfeiftöne, wenn auch etwas schief und unsicher.
„Kommen wir zur dritten Frage.“, brummte der Sicherheitscomputer. Ich war gewappnet und erwartete wieder eine ähnlich schräge Frage. Oh wie ich mich täuschte!
„Warum eigentlich soll ich die Sicherheitsstufen außer Kraft setzten?“, fragte dieses unberechenbare Stück Silizium und Bioplatinen. War das schon die dritte Frage? Was für eine Antwort wollte der Computer diesmal hören?
„9-8-7-“
Wieso die Sicherheitsstufen außer Kraft setzten? Ja, warum wollte ich das eigentlich? Na weil ich in das Labor wollte, um den bekloppten Doktor zu befreien. Oder?.
„6-5-4-3-“
Sollte ich ehrlich sein? Oder dem Computer eine dicke Lüge auftischen? Würde er mir glauben, wenn ich ihm von der Rettungsaktion berichtete? Wieder brach mir der Schweiß aus
„2-1-“
Na gut. „Ich möchte Dr. Puyco befreien. Er steckt tief in der Klemme!“, brüllte ich in letzter Sekunde und wartete auf den Röststrahl.
„Wie immer“, antwortete der Sicherheitscomputer, piepte kurz und gab mich frei.
„Die oberen Sicherheitsstufen sind außer Kraft gesetzt. Sie können jetzt eintreten.“
Vor mir öffnete sich die Tür und ich betrat erleichtert das Labor. Ich kam in eine große Halle, die erwartungsgemäß mit viel Technik vollgestopft war. Jede Menge Computer, Feldgeneratoren, Kabelstränge, Aggregate, Sensoren und anderer Schnickschnack, den ein krankes Hirn so um sich herum benötigt. Und zweifelsohne war dieser Dr. Puyco eines davon.
Ich konnte ihn jetzt sehen. Mitten im Labor flimmerte die Luft, als wäre sie kochend heiß. Und in dieser wabernden Blase aus Nichts befand sich ein Mensch. Das musste der Doktor sein. Wer auch sonst? Ob er mich wohl hören konnte?
„Dr. Puyco?“, rief ich mehrmals. Aber die Person reagierte nicht auf meine Rufe. Gut, dann eben anders. Ich musste halt herausfinden, wie diese seltsame Zeitspirale abzuschalten war. Konnte ja nicht so schwer sein.
Ich ging zu der zentralen Steuerkonsole, von der alle Kabelstränge wegführten. Volltreffer! Ich sah einige Anzeigen - sie zeigen verschiedene zeitliche Angaben. Dann bemerkte ich den großen An/Aus-Schalter. Sollte ich ihn betätigen?
„Wir müssen die Zeitspirale abstellen“, hatte der Schnüffelhund gesagt, und ich beschloss, das wörtlich zu nehmen. Ohne weiteres Überlegen drückte ich den Schalter auf Aus.
Es klackte, dann brach das flimmernde Luftfeld zusammen. Ein gleißender Blitz, ein lauter Knall, dann wurde ich von einer Druckwelle getroffen, die mich umwarf. Als ich mich aufrappelte, rannte ein wild aussehender Mann auf mich zu. Seine Haare standen wirr vom Kopf ab, und sein verzehrtes Gesicht zierte ein gewaltiges, gelbes Pferdegebiss. Aber meine Befürchtungen bewahrheiteten sich zum Glück nicht. Weder biss er mich, noch rammte er mir seinen Kopf in den Magen. Stattdessen beschimpfte er mich.
„Was fällt Ihnen ein in mein Labor einzubrechen und mein Experiment zu stören? Wissen Sie überhaupt, was sie angerichtet haben?“
Dazu fiel mir nicht ganz viel ein.
„Dr. Puyco? Aber – Sie hatten nach mir geschickt, damit ich Sie befreie. Schon vergessen?“
Er schüttelte verwirrt den Kopf.
„Ich, nach Ihnen geschickt? Wo ich Sie nicht mal kenne. Ich rufe die Polizei!“
Er drückte einige Knöpfe auf einer Fernbedienung. Kurze Zeit später kam Z-352-45, der Schnüffelhund, ins Labor.
„Das ist in Ordnung, Doktor. Sie können sich nicht mehr daran erinnern, wahrscheinlich aufgrund der Zeitblase, in der Sie gefangen waren.“
So klärte sich doch noch alles auf.
Langsam wich ich zurück und wollte die beiden diskutierenden Verrückten sich selber überlassen. Und ich war auch schon fast am Ausgang angelangt, als sie es bemerkten.
„So warten Sie doch!“, rief Puyco mich. „Lassen Sie uns reden, ich hätte in Zukunft noch den einen oder anderen Auftrag für einen versierten Sicherheitsexperten wie Sie. Es würde sich sicher lohnen...“
Z-352-45 kam auf mich zu. „Soll ich meine Argumente auch mal kurz darlegen?“, fragte er mich und begann wieder zu grunzen und zu wackeln. Ich rollte mit den Augen.
Gemeinsam machten wir es uns weiter hinten in einer Sitzgruppe gemütlich und plauderten die nächsten Stunden über mein zukünftiges Leben...
Weitere Infos zu Harry Harrisons Stahlratten-Zyklus sind hier zu finden. Meine "Abenteuer-des-Harry-Harrison-Serie" lehnt sich daran an, zumindest schreibtechnisch.