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Die Abberufung des Herrn H.

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26.08.2003
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Die Abberufung des Herrn H.

Einmal rutschte Herr H. auf einer Bananenschale aus und schlug so hart auf, dass er durch den Straßenbelag krachte und an einen seltsamen Ort kam.
Da er ein Mensch war, der Dinge schnell auffasste, begriff er sofort, dass er unglücklich gefallen war und augenscheinlich tot. Da er noch dazu viel Lebenserfahrung hatte, hegte er nun gar nicht erst die Erwartungen an so was wie ein Licht am Ende des Tunnels und er war außerdem ganz froh, dass er nicht damit aufgehalten wurde, sein Leben noch mal wie einen Film vorbeiziehen zu sehen, wie es mal Leute im Fernsehen erzählt hatten, dass es so sei wenn man stirbt.
Es folgte nun auch eine eher lächerliche Session, in der Herr H. eine billige Blechrutschbahn in eine große Tiefe hinunterrutschte. Die Rutsche verlief in einer Art Tunnel, der mehr gut gemeint als sachkundig mit spärlicher Discobeleuchtung bestückt war, nur bisweilen unterbrochen durch Passagen, deren Dekoration aus halbherzig angebrachten Krepppapier-Girlanden bestand. Hin und wieder hing außerdem in Leuchtschrift das blinkende Wort „Glückwunsch!“ von der Decke herab. Herr H. gewahrte all dies nicht sonderlich überrascht, auf Grund seiner, wie gesagt großen, Lebenserfahrung.
Als er gerade in mäßigem Tempo –die Rutsche flutschte nicht mal besonders gut- eine sich unmotiviert drehende Discokugel passiert hatte, merkte er, dass er einer Musik näher kam. Ja, es wurde klar, er schien direkt auf die Klangquelle zuzuhalten. Bei der Musik handelte es sich um desorganisiertes Drum ´n Bass, wusste Herr H., denn er war kundig in vielen Lebensbereichen. Tatsächlich sah er nun, dass da sogar ein Licht am Ende des Tunnels war, wenn auch alles andere als ein überwältigender Glanz. In dieses trat er nun ein:
Fopp! Ächz! Ohne weitere Vorwarnung war die Rutsche zu Ende, Herr H. flog kopfüber in einige versiffte Schaumstoffmatratzen, rappelte sich sofort auf, klopfte kurz seine Klamotten ab und sah sich um, neugierig auf die Szenerie, in der er sich jetzt wohl befinden würde. Das Ausbleiben von Engelschören hatte er schon als Kind als wahrscheinlich angesehen, doch ein wenig enttäuscht war er nun schon, diese Musik zu hören, die er schon zu Lebzeiten für sich nicht als solche bezeichnet wissen wollte.
Zudem musste er feststellen, dass er sich an keinem besonders einladenden Ort befand: in einem kargen Apartment, eingerichtet mit nicht viel mehr als einem metallenen Bettgestell. Das Zimmer hatte zwei Fenster. Schaute man aus dem einen, war da Weltraum, das andere war mit einer Jalousie verdunkelt, durch deren Schlitze allerdings Sonnenlicht zu fallen schien. Man konnte Verkehrsgeräusche hören, und Herr H. vermutete draußen das Chicago zur Zeit der Prohibition, ohne wissen zu können, ob er nun recht hatte oder nicht.
Im Winkel des Zimmers aber, der der Öffnung der Rutsche und den gnädigerweise darunter arrangierten gammeligen Matratzen gegenüber lag, saß einer am PC und sagte ohne aufzublicken zu Herrn H.: „Ah, Sie, kommen Sie mal her!“.
Als dieser folgte und näher kam, konnte er schon sehen, dass der Andere sehr mit seiner Arbeit am Computer beschäftigt war, denn er starrte unverwandt auf den Bildschirm und rieb sich das Kinn. Bananenschalen lagen überall um ihn herum, und aus den Lautsprechern des PCs drang jene unkoordinierte Musik. Seine ganze Erscheinung war etwas nachlässig, doch war er groß und sportlich gebaut. Herr H. schätzte ihn auf Anfang 30. Seine Kleidung bestand aus einer unheimlich alten, abgescheuerten Motorradlederjacke, einem ausgeblichenen geringelten T-Shirt darunter, wozu die makellose neue schwarze Lederhose einen unpassenden Kontrast bildete. An einem Lederband um den Hals hatte er eine stilisierte Sonne aus blauem Glas hängen, wohl vom Flohmarkt. Sein Gesicht war mager und unrasiert, seine schwarzen Haare kurzgeschoren, und ab und zu sagte er „scheiße!“ oder „o fuck!“, offenbar wegen etwas, das er auf dem Bildschirm sah. Erst als Herr H. direkt neben ihm stand, schaute jener ihn ,überraschend freundlich, an, und reichte ihm ohne aufzustehen die Hand. „Pavel Nemeček Gruschenko“, stellte er sich vor, „ich habe die Welt erschaffen“.
Herr H. erschrak bei diesen Worten und sah ihn böse an. „Jetzt sehen Sie mich bitte nicht so böse an, ich bin freischaffend und muss schließlich auch an meine Brötchen kommen. Ich weiß besser als jeder Andere, dass einige böse Fehler im Programm sind, aber deswegen habe ich Sie ja kommen lassen“.
Herr H. verstand und war einmal mehr nicht überrascht, und nun auch nicht mehr böse, da er sich im Grunde alles schon ungefähr so gedacht hatte. Da er nämlich im Leben sehr schlau gewesen war, hatte er viele Professorentitel inne, auch einen in Informatik, zum Beispiel. Deshalb war es ihm nun ein Leichtes, zu erkennen, dass die Zeichen auf dem Bildschirm unzählige Ableitungen der Weltformel darstellten. Da er etwas davon verstand, war er sehr ergriffen von deren würdevoller Schönheit.
Es handelte sich dabei, wie er schon in seinen Vorlesungen die Vermutung hatte anklingen lassen, um eine Funktion 11ter Ordnung mit unscharfen Konstanten, die zu sich selbst antiproportional war für den Fall dass x²n ≠ 3.
„Schön, nicht wahr?“, hauchte Pavel Nemeček Gruschenko, und verträumt auf die Ziffern schauend:“...hab ich alles selbst gemacht...“. Doch dann raufte er sich wieder, aufspringend, die Haare, zeigte auf den Monitor und sagte zu Herrn H.: “Aber schau dir nur diese Scheiße an, hier bei dieser Operation bricht alles zusammen und fängt wieder von vorne an, immer genau hier. Argh! Das macht mich noch wahnsinnig, das geht schon so, seit ich die Zeit eingeschaltet habe! Argh! Argh! Gargl! Argh!“. Es gab ein knirschendes Geräusch, und als Herr H. seinen Blick vom Bildschirm wieder zu Pavel Nemeček Gruschenko schweifen ließ, sah er, dass dieser sich in den Schreibtisch verbissen hatte und aus den Ohren dampfte.
„Nana“, äußerte Herr H., indem er ihm beschwichtigend über den Kopf strich, „jetzt schauen wir uns das alles erst mal genauer an, das wird schon wieder“. Er verstand nicht, wie sich einer, der die Welt erschaffen hatte, nun so aufführen konnte. Zumal er sich schon nach dem ersten Hinsehen sicher war, einen möglichen Fehler im Quadrat einer radikal-variablen Konstanz gesehen zu haben, als die Zahlen über den Bildschirm flackerten. Da musste er sich nun heimlich ins Fäustchen lachen, und war entschlossen, dem freischaffenden Demiurgen mal kräftig Nachhilfestunden zu geben. Doch vorerst empfand er einen gewissen Durst und äußerte dies. „Im Kühlschrank steht Cola. Bring mir mit, und eine Banane bitte“.
Weil Pavel Nemeček Gruschenko nun „bitte“ gesagt hatte, wusste Herr H. gleich, dass sie beide bestimmt gut Freund werden könnten, und dieser dachte ähnlich, als Herr H. mit dem kleinen Pausensnack zurückkam und aus seiner Tasche noch eine Packung Kaugummi dazulegte, in der noch drei drin waren. Sogleich fingen sie an, eifrig zu diskutieren und an dem Problem zu arbeiten. „Wir müssen aber eine andere Musik einlegen“, sagte Herr H. noch. „Kein Problem“, antwortete Pavel Nemeček Gruschenko, „ich habe noch viele andere mp3s“.

Naja, das ist nun vielleicht keine besonders spannende Geschichte, aber es war auch nicht mein Ziel, eine solche zu schreiben, sondern ich wollte lediglich erzählen, wie Herr H. schließlich den Pavel Nemeček Gruschenko traf und sich einverstanden erklärte, ihm mit der Weltformel zu helfen.

 

Hi

Ich muss schon sagen, ich bin vom "SChluss" etwas enttäuscht, da hängt die Story in der Luft.
Den letzten Absatz halte ich für unnötig, gehört nicht zur Geschichte.

Ansonsten hat mir die Story wirklich ausgesprochen gut gefallen, du lässt den Leser lange im Unklaren darüber, wo der Prot denn nun hineingefallen ist. Bei dem "Glückwunsch" dachte ich, das ganze wäre ein Geburtstagsscherz...

Die Idee mit Gott als PC-Freak fand ich klasse, allerdings hätte ich mir hier eine Erklärung für die dauernden Abstürze gewünscht. Könnte man ja als Kriege etc interpretieren und die HAndlung dann entsprechend fortführen.

Teilweise wirkt die Sprache etwas unbeholfen:
"sein Leben noch mal wie einen Film vorbeiziehen zu sehen, wie es mal Leute im Fernsehen erzählt hatten, dass es so sei wenn man stirbt"
- Das geht sicher eleganter.

"Herr H. flog kopfüber in einige versiffte Schaumstoffmatratzen"
- Das "versifft" fällt irgendwie aus der Reihe zum sonstigen Stil

"Da er nämlich im Leben sehr schlau gewesen war, hatte er viele Professorentitel inne, auch einen in Informatik, zum Beispiel. "
Das holpert so dahin, den Teil bis zum ersten Komma finde ich etwas unpassend an der Stelle. Am Schluss vielleicht einfach "zum Beispiel in Informatik"
Einfacher ist sowieso meist besser.

Der Name "Herr H." hat mich die ganze Zeit an den "Herrn K." von Brecht erinnert, bin ich irgendwie drüber gestolpert, aber immerhin besser, als den ewigen "K." zu bemühen ;)

Liebe Grüße
wolkenkind

 

Hi Wolkenkind!
Vielen Dank für deine Kritikpunkte, wow, hätte gar nicht gedacht, dass sich das so schnell jemand anguckt. Du hast Recht, gerade was die Einheitlichkeit des Stils angeht muss ich noch ganz schön feilen...aber das kann ja noch werden. Wobei das Unbeholfene hier durchaus Absicht war, leider paßt es wirklich nicht so reibungslos. Zum "Inhalt" der "Geschichte" kann ich nur sagen, der ist wohl im Grunde davon inspiriert, dass ich mir am gleichen Tag eine Überdosis von Kafkas Parabeln verabreicht hatte und zu dem Schluss gekommen war, dass in einer Geschichte anscheinend ja nichts Grundlegendes passieren muss. Naja, I'll keep on trying und würde mich echt freuen, wenn du weiterhin immer mal deinen konstruktiven Senf dazugibst.
Vielen Dank und schöne Grüße,
Honeymustard

 

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