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Die ängstliche Vogelscheuche
Die ängstliche Vogelscheuche
Mama und Toby hatten eine Vogelscheuche gekauft.
Sie stellten sie in das kleine Kürbisfeld im Garten.
“Prima”, sagte die Mama zufrieden. “Hier steht sie gut. Da kann sie die bösen Krähen verscheuchen.” Sie lachte und zog der Vogelscheuche den Hut zurecht.
“Sie sieht lustig aus”, meinte Toby. ”Hoffentlich machen die Krähen sie nicht kaputt.”
Dann gingen sie wieder ins Haus hinein.
Der Vogelscheuche schlotterten vor Angst die Strohknie. Die beiden hatten von bösen Krähen geredet? Was waren das für schreckliche Wesen? Und sie, die arme Vogelscheuche, sollte gegen sie kämpfen? Dabei wusste sie doch nicht einmal, wie diese Krähen aussahen! Alles was sie kannte, war die nette Frau Kutzner aus dem Baumarkt, die sie so hübsch neben die Strohballen gestellt und “So, hier sehen dich alle Kunden” gesagt hatte. Im Baumarkt gab es keine Krähen, nur Werkzeuge, Rasenmäher und Leute in grauen Kitteln, die immer alles hin und her räumten.
Am liebsten hätte sie angefangen, zu weinen. Jetzt wurde es auch noch dunkel.
Plötzlich huschte ein Schatten vorbei.
“Wer ist da?”, fragte sie ängstlich. “Bist du eine Krähe?”
Jemand lachte ganz laut hinter ihr.
“Bist du aber dumm”, sagte ein schwarzes kleines Tier. ”Ich bin die Katze Minky.”
“Gott sei Dank, ich dachte schon, du bist eine Krähe.” Die Vogelscheuche atmete erleichtert auf.
“Leute gibts”, sagte die Katze kopfschüttelnd und ging kichernd weg.
Die Vogelscheuche stand wieder eine Weile allein. Mittlerweile war es fast dunkle Nacht geworden, nur vom Haus kam ein kleiner Lichtschein herüber. Wie sehnte sie sich nach dem Baumarkt und nach Frau Kutzner!
Etwas großes Weiches schlich an ihr vorbei.
“Minky, bist du das?”, rief sie zitternd. Niemand antwortete. ”Ist da …eine …Krähe?”
Sie brachte das Wort kaum heraus. Jetzt strich auch noch ein zweites Wesen an ihr vorbei.
“So etwas Bescheuertes habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört”, sagte eine tiefe Stimme aus dem Dunkeln.
“Ja, echt”, antwortete eine hellere Stimme. “Wir sind Waschbären, du Strohkopf!”
“Ach, wie nett”, anwortete die Vogelscheuche höflich, obwohl sie keine Ahnung hatte, was Waschbären waren. “Ich wünsche euch noch einen schönen Abend.”
“Den werden wir haben”, lachten die beiden und rannten weg, in Richtung Mülltonnen.
Es schepperte ein bißchen und die Vogelscheuche war glücklich, dass sie nicht ganz alleine war.
So stand sie und döste vor sich hin, bis es langsam wieder hell wurde. Kurz vor dem Morgengrauen segelte etwas durch die Luft und landete sanft auf ihrem Arm.
Sie zuckte erschrocken zusammen. “Wer bist du?”, fragte sie. “Bist du etwa eine Krähe?”
“Nein, natürlich nicht”, antwortete eine krächzende Stimme. “Ich bin Julietta.”
“Ach, gut”, atmete die Vogelscheuche auf. “Man hat mir nämlich gesagt, dass ich die Krähen vertreiben soll und da müsste ich dich ja sonst wegjagen.”
“Dann habe ich ja Glück!” Julietta lachte keckernd.
Die Vogelscheuche wollte nicht wieder alleine sein und bat Julietta, ihr doch ein bißchen Gesellschaft zu leisten. So unterhielten sie sich, bis es hell wurde. Julietta war schon überall herumgekommen und kannte sogar den Baumarkt.
“Da gibt es gute Hot Dogs”, meinte sie.
Julietta brachte ihr auch ein schönes, schwermütiges Herbstlied bei, dass sie gemeinsam sangen.
Plötzlich machte es “Miau!” und Minky stand vor ihnen.
“Huch, musst du uns so erschrecken!”, schimpfte Julietta und flog blitzschnell weg.
“Na du bist witzig”, bemerkte Minky zu der Vogelscheuche. “Stehst hier und redest in aller Seelenruhe mit einer Krähe, dabei hast du mir doch selber erzählt, dass du Angst vor ihnen hast.”
“Das war eine Krähe?”, schrie die Vogelscheuche entsetzt und fiel vor Schreck um.
Später am Morgen kamen Toby und Mama in den Garten, um sie wieder aufzustellen.
“Es ist zu windig im Kürbisfeld”, meinte die Mama. ”Wir sollten sie lieber näher an die Eingangstür stellen.”
“Aber da kann sie doch keine Krähen verscheuchen.” Toby war ganz besorgt.
“Ach mein Schatz, das habe ich doch nur so gesagt. Die Vogelscheuche ist nur Schmuck, schließlich wird es langsam Herbst. Vielleicht befreundet sie sich sogar mit den Krähen.”
Die Mama steckte die Vogelscheuche in den kleinen Blumenkasten am Hauseingang.
“Guck mal, sie sieht aus, als ob sie lacht!”, sagte Toby erstaunt.
Die Vogelscheuche fühlte sich auf einmal so froh und glücklich, wie sie es selbst im Baumarkt nie gewesen war.
Und als die beiden weg waren, rief sie leise “Julietta? Wo bist du? Hast du Lust auf ein Lied?”