- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 11
Die Überraschung
Heute hat sich Dominique gemeldet. Es tut ihm leid, hat er gesagt, dass damals alles so geendet hat. Er möchte mit mir auf alte Zeiten anstoßen, mit Champagner. Ich habe nicht reagiert, werde nie, niemals in meinen ganzen Leben, auf eine Nachricht von ihm reagieren.
Vor Jahren, vor vielen Jahren, hatte ich mit allen mir zu Verfügung stehenden Kräften eine Flasche Champagner auf den Boden geschmettert. Ich hatte damals eine volle Champagnerflasche auf einem Steinboden in tausend Scherben zerklirren lassen, sodass Dominique im Mezzanin eines Jugendstilhauses inmitten von Glassplittern in einer Champagnerpfütze gestanden ist. Genau in diesem Moment hatte damals in einem Treppenhaus die Geschichte mit Dominique begleitet vom Klirren einer zerspringenden Champagnerflasche geendet. Die Geschichte, die niemals, auch in vielen Jahren nicht, eine Fortsetzung finden wird, hatte damals in einem Halbstock ihren endgültigen Schluss gefunden. Denn wie es dazu gekommen war, dass am Ende der Geschichte Champagner über Steintreppen geronnen ist, hat sich tief in meine Seele eingebrannt. Niemals, bis an mein Lebensende, werde ich vergessen, wie Dominique am Beginn des letzten Teils der Geschichte vor Jahren, vor vielen Jahren, in seinem Auto vor meiner Haustür auf mich gewartet hatte. Die Eindrücke des letzten Teils der Geschichte haben sich so genau in mein Gedächtnis eingeprägt, dass ich darüber erzählen kann, als würde das alles in diesen Moment passieren:
Schwer fällt die Tür hinter mir ins Schloss. Ich gehe auf einen Wagen zu, weiß nicht wo ich hinsehen soll, lächle in Richtung des Autos, schlage die Augen nieder. Dominique hat mich vor einer halben Stunde angerufen, mich gefragt, ob ich Zeit habe. Ich habe ihn vor Monaten zum ersten Mal getroffen, in einer Nacht, in einem Zugabteil. Seit dieser Nacht beherrschen die Gedanken an diesen Mann mein Leben. Dennoch ist er mir fremd geblieben. Ja, ich habe Zeit, habe ich geantwortet. Seit Tagen habe ich auf seinen Anruf gewartet. Ich öffne die Autotür, steige ein, gebe ihm einen Kuss, nehme eine Flasche Champagner, die er mir in die Hände drückt, sage, dass ich mich freue, ihn zu sehen. Du hast mir auch gefehlt, antwortet er. Die Worte wärmen meine Seele, ich bin verliebt. Er hat gesagt, dass ich ihm gefehlt habe. Warum quälen mich ständig diese Zweifel? Manchmal hasse ich mich dafür, dass ich mir so viele Gedanken mache. Er hält mit einer Hand das Lenkrad, mit der anderen streichelt er meine Wange. Ich bin glücklich, fühle mich geborgen.
Die Herbstsonne scheint durch bunte Blätter, leuchtende Erdfarben, wohin ich schaue, das Lied „Tea for two“ klingt aus dem Autoradio, Dominique berührt sanft meinen Hals. Wohin wir fahren, frage ich. Er hält an einer Ampel, nimmt den Gang heraus, lächelt mich an, sagt: „Eine grüne Schleife in deinem rotblonden Haar. Ich habe eine grüne Schleife mitgenommen für deine schönen Haare.“ Ich bin erstaunt, verwirrt, frage ihn: „Du hast für mich ein Haarband? Ist das dein Ernst? Ich meine ... “ Er kramt im Handschuhfach, gibt mir ein grünes Stoffband, legt den ersten Gang ein, fährt los. Er fordert mich auf, verlangt von mir, die Schleife – er sagt Schleife - in meinen Haaren zu einer Masche zu binden.
Ich mag diesen Stadtteil. Wir fahren an schönen alten Häusern vorbei. Ich halte die Champagnerflasche fest, summe mit der Musik. „Stranger in this World“. „Das grün passt gut zu deiner Haarfarbe. Du bist hübsch.“ Ich lächle ihn an, was er gesagt hat, tut mir gut. Wohin wir fahren, frage ich. Er nimmt seine Hand von meinem Knie, legt sie auf das Lenkrad. „Frag nicht. Es soll eine Überraschung werden.“ Irgend etwas an seiner Tonlage gefällt mir nicht, irgendwo in mir regt sich tiefes Misstrauen. Ich versuche dieses Gefühl zu verdrängen, er hat doch gesagt, dass ich ihm gefehlt habe. Ich sollte nicht immer so negativ sein, in meinen Gedanken. Er will mich überraschen, ich entspanne mich, freue mich, gebe ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren.“ Die Häuser, die Bäume ziehen an uns vorbei. Ist es noch weit, will ich wissen. „Mein Schatz, du denkst zuviel, du fragst zuviel. Nimm das Leben leicht.“
Er biegt ab. Wir fahren langsam, Jugendstilbauten zu beiden Seiten der Strasse. Warm und schwer ruht sein Arm auf meinen Schultern, zart berühren seine Finger meine Haut, ein Ausdruck von Vorfreude liegt auf seinem Gesicht. Er hält den Wagen, parkt ein. Was jetzt passiert, dränge ich. Es trifft mich ein kalter Blick. „Ich sagte doch, es ist eine Überraschung.“ Er steigt aus, ich folge ihm zu einem Hauseingang. Er wendet sich mir zu, umarmt mich, neigt seinen Kopf, haucht seinen Atem in mein Haar. Ganz fest drückt er mich an sich. „Nimm das Leben nicht so ernst. Du wirst Spass haben“, flüstert er. Die negativen Gefühle schwinden. Er lässt mich los. Etwas eigenartiges liegt in seinen Augen, kann es nicht deuten. Wieder Verwirrung.
Wir betreten das Haus. Steigen die Treppen zum Mezzanin empor. Meine Gedanken, meine Gefühle jagen durch meinen Kopf, meinen Körper. Spannung, Vorfreude, Angst, atme schnell. Mit leicht zitternden Händen halte ich den Champagner. Dominique klopft an einer Türe. Schritte in einem Vorraum. Die Tür, sie wird geöffnet.
Ein Fremder steht vor mir, blickt erstaunt, ist belustigt, sieht mich an. Meine Kehle ist trocken, es fehlen mir die Worte für Fragen. Ich spüre mein Herz klopfen. Der Mann mustert mich, taxiert meine Beine, gleitet mit dem Blick über meine Hüften, betrachtet meine Brüste. Er sieht mir ins Gesicht, mitten ins Gesicht. Ich kann die Situation nicht fassen. Ich kann diese Situation nicht fassen, ich kann es nicht fassen, warum mir dieser fremde Mensch auf diese Weise mitten ins Gesicht blickt. Ich stehe in einem fremden Haus, mit einer Champagnerflasche, mit einer grünen Schleife in den Haaren. Der Boden unter meinen Füßen beginnt zu wanken. Ich sehe wie der Unbekannte sich Dominique zuwendet, ihn anlacht, verwegen anlacht, sagt:
„Hey Nick, du alter Gauner, du bist unverbesserlich. Jedes Jahr wieder gelingt dir eine Geburtstagüberraschung, die es in sich hat.“