Didgeridoo
Didgeridoo
Ich habe eine Bekannte – Freundin wäre zuviel gesagt – , die ich alle Jubeljahre mal treffe und dann kurz ein paar Worte mit ihr wechsle, die ich sofort danach wieder vergesse. Vielleicht liegt es am Mond oder an Aktivitäten in der zentraleuropäischen Plattentektonik, ich weiß es nicht, aber das Zu-sammentreffen ist unvermeidlich und kommt wie ein Naturgesetz daher. Man kann es nicht erklären, sich aber auch nicht dagegen schützen. Letztens war es wieder soweit. Ich saß entspannt in meiner Lieblingsbar und nahm ein eisgekühltes Pils zu mir, denn draußen war mörderisch heißes Wetter, als ich plötzlich einer ungebetenen Präsenz gewahr wurde, die mich dazu zwang, nach hinten zu sehen. Was ich sah, erfreute mich nicht. Susan – so heißt sie – stand vor mir, in ein goldgelbes Tuch gewik-kelt und starrte mich an. Der Impuls, mich wieder meinem Bier zuzuwenden war unüberwindlich. Aber sie packte mich an den Schultern und schüttelte mich wie besessen.
„Thomas!“ brüllte sie mich an. „Wie geht´s?“
„Prima. Einzigartig. Könnte nicht besser gehen! A propos gehen: Ich muß jetzt aber mal...“
Sie zerrte mich auf den Barhocker zurück und setzte sich neben mich. „Neinnein, wir haben uns so lange nicht gesehen! Da gibt´s einiges zu erzählen. Ich nehm´ ein Minerlawasser!“ Mit diesen Worten wuchtete sie ein längliches Paket auf den Hocker neben sich und klopfte zärtlich darauf herum, als wäre es ein Babypopo. Ich hatte zwar keine Lust mich mit ihr zu unterhalten, aber noch weniger, über alte Zeiten zu plaudern und mir ihre grausamen Elogen über das Tao der Sexualität - sie arbeitete als Yoga-Lehrerin – anhören zu müssen. Also deutete rasch ich auf das Paket und fragte. „Was ist das?“
Unmittelbar darauf kroch ein eisiges Kribbeln meinen Rücken hinauf und meine Hände verkrampften sich. Oh Scheiße, diese Frage würde mich teuer zu stehen kommen, das spürte ich. Und tatsächlich: Susan hob vielsagend die Augenbrauen und flüsterte dann mit verschwörerischer Miene: „Das ist mein Ditsch!“
Sie sagte tatsächlich „Ditsch“.
„Dein Ditsch?“ fragte ich.
„Mein Didge, mein Didgeridoo!“ sagte sie und streichelte dabei wieder über dieses Ding, das wie ein Stück abgebrochene Regenrinne aussah.
Nun bin ich ein weltoffener Mann, und es steht mir fern, anderen Leuten vorschreiben zu wollen, wie sie ihr Leben zu gestalten haben, geschweige denn, sie nach eben diesem Lebensstil zu beurteilen, aber ich konnte mich eines leichten Schauderns nicht erwehren. Ich kannte dieses Instrument der australischen Ureinwohner und war auch mit seinen schwingschleiferartigen Geräuschen vertraut, und ich habe Respekt vor derartigen Traditionen. Allerdings nur, wenn sie auch wirklich von australische Ureinwohnern gepflegt werden, und nicht von freigeistigen Mitmenschen kaukasischen Typs, die schon albern genug ausehen, wenn sie in Shorts und Sandalen durch eine sommerliche Fußgänger-zone latschen. Braungebrannte Wilde wirken ehrfurchteinflößend, wenn sie mit Artefakten ihrer Vorväter hantieren, Bleichgesichter aus Europa nicht.
„Du spielst Didgeridoo“, stellte ich fest. Aus irgendeinem Grund machte es die Angelegenheit weni-ger beknackt, wenn ich es für mich noch einmal aussprach. Susan nickte nur und schien vor Stolz zu bersten.
„Warum?“ fragte ich.
„Es ist total geheimnisvoll“, begann sie. „Ursprünglich durften es nur Männer spielen,“ – sie zwin-kerte – „und man muß eingeweiht sein, um es spielen zu dürfen!“
„Eingeweiht in was?“ fragte ich.
„Weiß ich nicht“, gab sie zurück und zuckte mit den Schultern. Ich starrte einen Moment sinnierend in mein Pilsglas, aber dort war alles bester Ordnung und bedurfte leider nicht meiner Hilfe. Also wandte ich mich wieder Susan zu und zog ein kurzes Resümee.
„Also, man muß eingeweiht sein, aber du bist es nicht.“
Sie nickte.
„Und du weißt auch nicht, in was!?“ fuhr ich fort.
Sie nickte wieder.
„Was...sagt uns das?“
Sie zuckte hilflos mit den Schultern. Ich nahm einen großen Schluck Pils und wähnte mich schon als Sieger, als das Unheil seinen Lauf nahm.
„Ich habe noch schreckliche Probleme mit der Atmung“, brabbelte Susan unvermittelt los. „Weißt du, man muß gleichzeitig einatmen und die Luft herauspressen, siehst du, so.“
Sie demonstrierte es und bekam tatsächlich schreckliche Probleme, was nicht weiter verwunderlich war. Jeder, der nur einen Hauch Ahnung von menschlicher Anatomie hat, weiß, daß gleichzeitiges Ein- und Ausatmen zwangsläufig in einem Desaster enden muß. Keuchend zog sie sich am Barhocker hoch und lag für eine Weile schnaufend auf der Theke.
Es ist schwierig, sich mit jemandem zu unterhalten, dessen Gesicht aufgrund schweren Sauerstoff-mangels bläulich angelaufen ist, und so legte ich kurze eine Gesprächspause ein, um mich mit meinem Pils zu beschäftigen. Auch Susan schien diese Unterbrechung sehr zu begrüßen.
„Tatsächlich“, sagte ich nach einer Weile, nachdem sie sich wieder erholt hatte, „du hast Probleme mit der Atmung.“
„Siehst du“, ächzte sie vorwurfsvoll, „was ich dir gesagt habe.“ Sie nahm einen großen Schluck von ihrem Mineralwasser und bekam sofort wieder diesen fanatischen Blick.
„Weißt du was?“ stieß sie hervor. „Ich werde nach Australien fahren! Und da werde ich es lernen!“
„Schön“, sagte ich. Reisende soll man nicht aufhalten und Musik ist etwas Wunderbares. „Wann fährst du?“
„Ich weiß noch nicht“, verkündete sie. „Eigentlich habe ich ja gar keine Zeit. Vielleicht nächstes Jahr. Bis dahin werde ich noch auf einigen Workshops dabei sein.“
Das Wesen des Workshops war mir bis dahin fremd geblieben. Gewiss hatte ich von derartigen Konferenzen gehört und gelesen, aber der Unterschied zu einem normalen Ferienkurs hatte sich mir nie erschlossen, und ich weiß es heute noch nicht. Wie dem auch sei, sie würde Workshops besu-chen. Von mir aus.
„Willst du mitmachen?“ fragte sie plötzlich.
„Ich? Warum? Wozu?“
„Es ist eine tolle Erfahrung. Du lernst völlig andere Seiten an dir kennen. Du dringst in dein Innerstes vor. Warte mal, ich glaube, ich habe noch einige Flyer dabei...“
Verflucht, die Sache wurde gefährlich. Ich brauchte noch ein Bier. „Ober!“
„Es wird dein Leben verändern!“ drängelte sie und drückte mir einige farbige Zettel in die Hand, die aussahen, als hätte man einem Crackbaby ein paar Wachsmalstifte in die Hände gedrückt und es dann auf kalten Entzug gesetzt.
„Mein Leben gefällt mir so, wie es ist.“ Wohin mit diesen dämlichen Zetteln?
„Du bist ein Langweiler!“
„Ja, und ich bin´s gerne.“ Kurzentschlossen stopfte ich die Blätter in den nächsten Aschenbecher. Ich hatte die Schnauze voll.
„Du verkennst das Erbe einer jahrtausende alten Kultur!“ giftete sie.
„Sie ist nicht so alt geworden, weil ein paar ihrer Angehörigen zufällig mal in einen hohlen Ast gehu-stet haben!“ erwiderte ich gereizt.
„Es ist viel mehr als das! Du wirst eins mit deinem Instrument!“
„Wenn ich in ein Rohr pusten will, gehe ich zur Alkoholkontrolle!“
„Sei kein Idiot!“ Dann seufzte sie. „Du bist unverbesserlich! Warum läßt du nicht zu, daß dein Leben durch fremde Einflüsse bereichert wird? Du bist ein Ignorant! Willst du ewig so weitermachen? Ir-gendwann wirst du dir die Haare raufen, daß du so wenig von der Welt gesehen hast!“ Jetzt klang sie wie meine Mutter.
„Aber du warst selber noch nicht in Australien!“ quengelte ich. Vergebens.
„Der Spirit ist entscheidend!“ dozierte sie. „Wenn man nicht die innere Einstellung dazu hat, nützt auch die praktische Erfahrung nichts. Ich könnte hundert Jahre im Outback leben, wenn ich innerlich noch der Stadtmensch bin, werde ich es nie lernen. Du kannst die Frau aus der Stadt nehmen, aber nicht die Stadt aus der Frau!“
„Was is´?“
„Wir sind immer noch viel zu sehr in zivilisatorischen Zwängen verhaftet.“
„Verhaftet gehört ihr einzig und allein für euer Getute!“
„Du bist unausstehlich!“
Vor meinem geistigen Auge breitete sich eine karge Wüstenlandschaft aus. Eine grelle Sonne be-scheint ein paar ausgetrocknete Büsche. Der hochgewachsene Aborigine kehrt nach einem monatelangen Walkabout zu seiner Sippe zurück. Unter seinem Arm ein Mitbringsel aus der fremden Welt.
„Was hast du da?“ fragen sie ihn.
Geheimnisvoll lächelnd streicht er über den großen Kasten.
„Das“, flüstert er, „ist mein Akkordeon!“ und großes Raunen macht sich unter den Anwesenden breit.