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Dezembernacht

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20.02.2002
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Dezembernacht

„Manchmal ist es fast so, als wären wir noch am Leben, nicht war Hank?“- Murph klang ein wenig nachdenklich an diesem Tag, beinah, als würde er bereuen, dass sie beide gestorben waren.
Die ersten warmen Sonnenstrahlen schienen wie glänzende Fäden durch die jungen Blätter der Bäume am Rande der Allee. Hank und Murph saßen auf einer Bank in der Nähe des nahegelegen Parks und beobachteten Spaziergänger, eilende Aktentaschen, den Schatten der flatternden Blätter auf dem Gehweg.
„Nicht wahr, Hank?“, wiederholte Murph noch einmal. Hank kannte diese Nachdenklichkeit in Murphs Augen, die von Zeit zu Zeit aufkam. Es war nicht gut, wenn Murph so viel über das Leben, pardon, den Tod nachdachte. Hank hatte ihm oft erklärt, dass dies alles nur ein Spiel sei. Das sie nur spielen, sie würden nicht mehr leben. Er wollte, Murph würde ihm glauben. Jedoch, wenn er Murphs Augen an Tagen wie diesem sah, die banne Hoffnung spürte, er war nicht sicher, ob er noch mitspielte.
„Wir müssen gehen!“, Hank wollte der Situation ausweichen. Nicht heute würde er mit Murph darüber sprechen wollen, wie es sei zu leben. Also gingen sie. Die Allee hinab, durch den Park, so wie sie es jeden Tag taten. Murph stellte keine weiteren Fragen mehr. Und so gingen sie Seite an Seite bis zu einem See, der an die Villensiedlung grenzte. Sie setzten sich auf einen alten Baumstumpf und fütterten die Enten mit Brotresten. Selbst durften sie es nicht essen, hatte Hank erklärt, schließlich waren sie tot. Und Tote essen nicht. Aber die Wärme der Sonne konnten sie auf ihrer Haut spüren. „Wenn wir die Wärme spüren, vielleicht heißt das, wir leben noch? Das wäre doch möglich Hank?“ Murph hatte diese Frage oft gestellt, Hank ihn meist in der Hoffnung gelassen. Heute blieb sie aus.
So saßen sie da bis zum Abend. Tote haben nicht viel zu tun, dachte Hank ein wenig sarkastisch. Er hütete sich davor, solche Gedanken auszusprechen. Murphs Reaktion wäre nicht abzuschätzen. Hinter den Bäumen verschwand die Sonne, und es wurde spürbar kühler. Hank und Murphs alte Mäntel, die voller Löcher waren, die kaputten Schuhe, die zerrissenen Hemden, sie waren kein guter Schutz gegen die Kälte.
„Hank, mir ist kalt. Ich habe Angst, ich erfriere!“, Murph schrie beinah wie in großer Panik und klammerte sich an Hank, der doch das gleiche Schicksal teilte. Er beruhigte ihn, sie würden ein Feuer machen um sich aufzuwärmen, wenn die Nacht hereinbricht.
Oft war es für Hank nicht leicht, sich um Murph zu kümmern, ihn zu beschützen, eine Schlafstätte zu finden, und dabei alles so aussehen zu lassen, als sei es ein Spiel. Murph hatte schreckliche Angst in der Nacht. Er fühle sich so einsam in der Dunkelheit, wimmerte er. Hank versuchte ihn so gut als möglich vor Gefahren zu bewahren. Immer hatte er sich für ihn verantwortlich gefühlt.
Auch Hank mochte die Nacht nicht, doch er ließ es Murph nicht spüren. Und so saßen sie am Feuer und warteten auf den Morgen, so wie sie es immer taten. Schlafen durften sie nicht, schließlich waren sie tot. Und Tote schlafen nicht. Oder eigentlich doch, die ganze Zeit, dachte Hank. Für Murph jedoch musste er es so aussehen lassen, als ob sie wach waren. Schließlich sollte er den Glauben an das Spiel nicht verlieren.
Irgendwann kam dann immer der nächste Morgen, so dass Hank und Murph wieder zurück in die Stadt gingen, um sich die Lebenden anzusehen. Oft hatte Murph gebettelt, doch mal kurz mit einem von ihnen sprechen zu dürfen. Aber das ging nicht. Schließlich waren sie tot. Und Tote dürfen nicht mit Lebenden sprechen. Das waren die Regeln des Spiels. Murph kannte sie. Und Hank wusste, wie schwer es für ihn war, diese Regel zu befolgen.
So gingen Tage und Wochen dahin. Ziellos liefen sie durch die Stadt, den Park, fürchteten sich vor der Nacht, warteten auf den Morgen.
Doch je mehr Zeit verging, desto unerträglicher wurde die Situation für Hank. Murphs Angst nahm von Tag zu Tag zu, die Nächte wurden kälter. In jeder Nacht fror Murph mehr. Hank hatte ihm seinen Mantel gegeben, so dass er selbst keinen Schutz gegen die Kälte hatte, doch Murph wurde immer schwächer.
„Hank, ich erfriere!“, wiederholte Murph immer wieder. Aber dass konnte nicht sein. Schließlich waren beide schon tot. Schließlich war alles ein Spiel. Hank wollte Murph kein weiteres Mal in seinen Händen sterben sehen.
Und doch, wenn dies geschieht, dann würde er ihm diesmal folgen, das Spiel beenden. Hank war sich dessen sicher. In dieser eiskalten Dezembernacht.

 

Hi Salinger,

zuerst hab ich geglaubt, die beiden seien gar nicht tot, sondern würden das nur denken... Aber dann hab ich's denen doch abgenommen...
Eine recht gute Geschichte, die man sich bildlich auch vorstellen kann... Ich hab sie jedenfalls beim Entenfüttern gesehen... ;)
Was ich weniger gut finde, ist der Schluß; irgendwie wirkt er zu plump und schnell... Ich hab mich gefragt, ob das alles ist... Verstehst Du, was ich meine?

Ansonsten aber; eine wirklich interessante Story. Vielleicht wurden diese beiden Toten von Gott vergessen?

Gruß
stephy

 

Hallo stephy, erst mal danke für deine kritik. Mit dem Schluss hast du recht, der gefällt mir auch nicht. Wer hier tot ist und wer nicht, dazu sag ich erstmal nichts. Bin mal gespannt was die andren so denken.

 

Hey Sal.

Erstmal ein paar sprachliche Sachen, die mir aufgefallen sind...einige sind eher subjektiv, guck halt mal, was Du gegebenenfalls ändern willst:

Die Sätze, in denen Verben zwischen Indikativ und Konjunktiv wechseln, sind oft ein bisschen schräg...

Murph klang ein wenig nachdenklich an diesem Tag, beinah, als würde er bereuen, dass sie beide gestorben waren.
...bereute...
Nicht heute würde er mit Murph darüber sprechen wollen, wie es sei zu leben. Also gingen sie.
Die Inversion gefällt mir nicht. Und warum Konjunktiv ("würde wollen"? Er will nicht drüber sprechen, right?
Das sie nur spielen, sie würden nicht mehr leben.
...dass...spielten...lebten...vielleicht "dass sie nicht mehr lebten, [sondern] nur spielten"?
sie würden ein Feuer machen um sich aufzuwärmen, wenn die Nacht hereinbricht.
Warum Präsens ("hereinbricht")?
..., als ob sie wach waren.
Bin kein großer Fan von "als ob"..."als wären sie wach" vielleicht?

Ein paar Kleinigkeiten:
-Streich den Gedankenstrich in der ersten Zeile
-Wiederholung von "so" am Satzanfang
-"dass" an einer Stelle nur mit einem s

So, jetzt aber zum Inhalt:
Du hast mir die Geschichte ja quasi erklären müssen ;) Ich habe daraufhin mehrmals gelesen, um die Textstellen zu finden, an denen deutlich oder zumindest angedeutet werden soll, dass nur einer der beiden tot, und zudem nur die Illusion des anderen ist. Den ersten Punkt versuchst Du (glaube ich) durch den mehrfachen Gebrauch des Begriffs "Spiel" zu verdeutlichen. Einerseits ist mir diese Wiederholung etwas negativ aufgefallen, zudem bin ich nicht sicher, ob "Spiel" das richtige Wort ist...obwohl mir im Moment auch kein besseres einfällt. Für den zweiten Punkt habe ich gar keinen Textbeleg gefunden...korrigier mich, wenn ich was übersehen habe? Hab mir überlegt, ob, wenn Du statt "Spiel" ein-, zweimal den Begriff "Illusion" einstreust, jedoch nicht an einer zu deutlichen Stelle, der Leser vielleicht besser auf die richtige Fährte kommt? Müsste irgendwie immer noch wage sein, ein Teil Deiner Intention ist ja, den Leser doch ein bisschen im Unklaren zu lassen.

Die Gesamtidee gefällt mir gut. Erinnert mich ein bisschen an Irvings "The German Student", eine meiner Lieblingskg's. Du hast gemeint, das Ganze wär vielleicht zu kompliziert, sehe ich aber nicht so. Braucht wirklich nur ein bisschen Feinschliff.

Grüße,
Sandra

P.S. Mir ist noch was eingefallen...ebenfalls fehlt mir der Hinweis, dass Hank Murph bereits einmal erfrieren lassen musste.

[Beitrag editiert von: Rabenschwarz am 26.02.2002 um 17:47]

 

Hallo San´dra, vielen Dank für Deine Anmerkungen. Ich habe einiges verwenden können. Außerdem habe ich Das Ende der Geschichte umgeschrieben, um die verworrene Handlung zu entwirren! Vielleicht ist es so ja etwas einfacher. Obwohl ich nicht gerne alles erkläre.


„Manchmal ist es fast so, als wären wir noch am Leben, nicht war Hank?“ Murph klang ein wenig nachdenklich an diesem Tag, beinah, als bereute er, dass sie beide gestorben waren.
Die ersten warmen Sonnenstrahlen schienen wie glänzende Fäden durch die jungen Blätter der Bäume am Rande der Allee. Hank und Murph saßen auf einer Bank in der Nähe des nahegelegen Parks und beobachteten Spaziergänger, eilende Aktentaschen, den Schatten der flatternden Blätter auf dem Gehweg.
„Nicht wahr, Hank?“, wiederholte Murph noch einmal. Hank kannte diese Nachdenklichkeit in Murphs Augen, die von Zeit zu Zeit aufkam. Es war nicht gut, wenn Murph so viel über das Leben, pardon, den Tod nachdachte. Hank hatte ihm oft erklärt, dass dies alles nur ein Spiel sei. Das sie nur spielten, sie seien. Er wollte, Murph würde ihm glauben. Jedoch, wenn er Murphs Augen an Tagen wie diesem sah, die banne Hoffnung spürte, er war nicht sicher, ob er noch mitspielte.
„Wir müssen gehen!“, Hank wollte der Situation ausweichen. Nicht heute wollte er mit Murph darüber sprechen, wie es sei zu leben. Also gingen sie. Die Allee hinab, durch den Park, so wie sie es jeden Tag taten. Murph stellte keine weiteren Fragen mehr. Und so gingen sie Seite an Seite bis zu einem See, der an die Villensiedlung grenzte. Sie setzten sich auf einen alten Baumstumpf und fütterten die Enten mit Brotresten. Selbst durften sie es nicht essen, hatte Hank erklärt, schließlich waren sie tot. Und Tote essen nicht. Aber die Wärme der Sonne konnten sie auf ihrer Haut spüren. „Wenn wir die Wärme spüren, vielleicht heißt das, wir leben noch? Das wäre doch möglich Hank?“ Murph hatte diese Frage oft gestellt, Hank ihn meist in der Hoffnung gelassen. Heute blieb sie aus.
Sie saßen dort bis zum Abend. Tote haben nicht viel zu tun, dachte Hank ein wenig sarkastisch. Er hütete sich davor, solche Gedanken auszusprechen. Murphs Reaktion wäre nicht abzuschätzen. Hinter den Bäumen verschwand die Sonne, und es wurde spürbar kühler. Hank und Murphs alte Mäntel, die voller Löcher waren, die kaputten Schuhe, die zerrissenen Hemden, sie waren kein guter Schutz gegen die Kälte.
„Hank, mir ist kalt. Ich habe Angst, ich erfriere!“, Murph schrie beinah wie in großer Panik und klammerte sich an Hank, der doch das gleiche Schicksal teilte. Er beruhigte ihn, sie würden ein Feuer machen um sich aufzuwärmen, wenn die Nacht hereinbricht.
Oft war es für Hank nicht leicht, sich um Murph zu kümmern, ihn zu beschützen, eine Schlafstätte zu finden, und dabei alles so aussehen zu lassen, als sei es ein Spiel. Murph hatte schreckliche Angst in der Nacht. Er fühle sich so einsam in der Dunkelheit, wimmerte er. Hank versuchte ihn so gut als möglich vor Gefahren zu bewahren. Immer hatte er sich für ihn verantwortlich gefühlt.
Auch Hank mochte die Nacht nicht, doch er ließ es Murph nicht spüren. Und so saßen sie am Feuer und warteten auf den Morgen, so wie sie es immer taten. Schlafen durften sie nicht, schließlich waren sie tot. Und Tote schlafen nicht. Oder eigentlich doch, die ganze Zeit, dachte Hank. Für Murph jedoch musste er es so aussehen lassen, als wären sie wach. Schließlich sollte er den Glauben an das Spiel nicht verlieren.
Irgendwann kam dann immer der nächste Morgen, so dass Hank und Murph wieder zurück in die Stadt gingen, um sich die Lebenden anzusehen. Oft hatte Murph gebettelt, doch mal kurz mit einem von ihnen sprechen zu dürfen. Aber das ging nicht. Schließlich waren sie tot. Und Tote dürfen nicht mit Lebenden sprechen. Das waren die Regeln des Spiels. Murph kannte sie. Und Hank wusste, wie schwer es für ihn war, diese Regel zu befolgen.
So gingen Tage und Wochen dahin. Ziellos liefen sie durch die Stadt, den Park, fürchteten sich vor der Nacht, warteten auf den Morgen.
Doch je mehr Zeit verging, desto unerträglicher wurde die Situation für Hank. Murphs Angst nahm von Tag zu Tag zu, die Nächte wurden kälter. In jeder Nacht fror Murph mehr. Hank hatte ihm seinen Mantel gegeben, so dass er selbst keinen Schutz gegen die Kälte hatte, doch Murph wurde immer schwächer.
„Hank, ich erfriere!“, wiederholte Murph immer wieder. Aber dass konnte nicht sein. Schließlich waren beide schon tot. Schließlich war alles ein Spiel. Hank wollte Murph kein weiteres Mal in seinen Händen sterben sehen.
Murph schlief ein und Hank legte die Arme um seinen Freund, um ihn zu wärmen und sicher zu gehen, dass er noch atmete. Murph schlief oft ein, obwohl das Spiel es verbot. Dann begann Hank zu essen, und verstieß auch gegen das Spiel.
Er hatte es bereits seit einigen Wochen gewusst. Er wünschte, er wäre damals auch gestorben. Dann hätte er sich nicht das Spiel ausdenken müssen, um den Tod seines Freundes zu überwinden. Nur in dem Spiel war es möglich, dass beide noch zusammen sein konnten. Eine Zeit lang war sich Hank sogar sicher, dass er der er noch lebte, sich den Geist seines toten Freundes nicht nur einbildete. Doch je näher der nächste Winter kam, umso klarer wurde ihm seine Illusion. Er war zu schwach, um die Illusion weiter aufrecht zu erhalten.
Dann schlief auch er ein. Am nächsten Morgen war Murph verschwunden.

 

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