Was ist neu

Devil

Mitglied
Beitritt
07.05.2003
Beiträge
54
Zuletzt bearbeitet:

Devil

„Hiroaki, kannst du mir erklären was „pi" bedeutet?"
Mathe. Wie Hiroaki Mathe hasste! Es war ja nicht so, dass er schlecht gewesen wäre - eigentlich war er in der Schule in so gut wie jedem Fach spitze. Aber Mathematik fand er so anödend und trocken, dass er noch weniger, als sowieso schon, zuhörte. Und das Pi etwas mit Kreisen zu tun hatte, wusste er natürlich, doch es der Lehrerin jetzt ausfürhlicher zu erläutern, dazu hatte er nicht die geringste Lust. Er hatte heute schon eine fünf in Deutsch gefangen, was ihn jedoch nicht im Geringsten störte. Die Lehrer konnten sich gar nicht vorstellen, wie scheißegal ihm die Schule war.
„Keine Ahnung...", brummte er, lehnte sich lässig zurück und grinste. Frau Coeller blickte ihn traurig an. Sie war nicht nur Mathematiklehrerin, sondern auch Schulärztin, und kannte Hiroaki mittlerweile ziemlich gut. Kein Wunder - denn was die Behandlungen im Krankenzimmer anging, war er absoluter Rekordhalter. Frau Coeller war zutiefst vom guten Charakter Hiroakis überzeugt, irgendwie mochte sie seine offene Art. Auf Gegenseitig beruhte das nicht - Hiroaki fand sie naiv und dumm, wenn sie wirklich glaubte, ihm bedeute seine Bildung etwas. „Hiroaki, was soll nur werden... Wenn du dich nicht langsam zusammenreißt, werde ich deinen Eltern einen Brief schicken müssen." Sie ging wieder nach vorn zur Tafel und schrieb etwas an. 'Blöde Coeller! Pff... Als könnte ich keine Unterschriften fälschen....'
Es klingelte und Hiroakis Mitschüler standen im Eiltempo auf, um so früh wie möglich auf den Schulhof zu kommen. Er wollte dem Strom folgen, doch auf der Türschwelle hielt ihn plötzlich eine weibliche Hand fest. Es war Frau Coeller. „Hiroaki, ich... Würde gern mit dir reden... Unter vier Augen!"
Er hatte keine Lust auf irgendeine dämliche Diskussion, doch bevor er etwas sagen konnte, bugsierte sie ihn schon ins Lehrerzimmer und schloss die Tür. „Setz dich", befahl sie, und setzte sich auf einen grünen Stuhl, ihm gegenüber. Sie faltete die Hände, und begann dann langsam zu sprechen: „Hiroaki... Wenn es etwas gibt, irgendetwas, ein Problem, zu Hause oder so, über das du reden willst, ich bin immer da, du kannst mir alles sagen, wirklich! Du kannst mir vertrauen!"
Hiroaki lehnte sich zurück, steckte sich eine Zigarette an, und antwortete mit gleichgültiger Stimme: „Ich hab ihnen gar nix sagen, lassen sie mich doch mit ihrem Scheiß in Frieden!" Dann stand er auf, öffnete die Tür, trat in den Flur und schlug die Tür dann hinter sich wieder zu. 'Die hat doch voll den Schuss...', dachte er, während er die Treppen zum Schulhof hinunter stieg. Schon den ganzen Tag hatten seine Mitschüler sich, noch extremer als sonst, von ihm fern gehalten, und nun entstand auch auf dem Hof, ein großer Freiraum um ihn herum. Keiner mochte mit ihm reden, oder ihm auch bloß zu nahe kommen, und er ahnte womit es zu tun hatte.
Irgendwer hatte etwas von seiner Mutter aufgeschnappt, dann aber doch wieder nicht alles, und es weiter erzählt, etwas persönlich abgeändert. Dann wurde es wieder weitererzählt, und so lange abgeändert, bis von der Wahrheit nicht mehr viel übrig geblieben war. Bei einem Jungen wie Johannes wäre wohl etwas wie: „Seine Mutter ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen" herausgekommen, doch weil Hiroakis schlechter Ruf mitspielte, ging bald in der ganzen Schule das Gerücht um, er selbst, habe sie ermordet. Es ging ihm tierisch auf die Nerven, dass alle Fünftklässer ihn ansahen, als sei er ein gefährlicher Verbrecher, ein Mörder, oder einfach nur ein Zombie der ihnen jeden Moment an die Kehle springen konnte. Ihn nervten die Sprüche seiner Mitschüler, die Blicke der Lehrer, und überhaupt nervte ihn die Schule an diesem Tag ganz besonders.
Konnte auch daran liegen, dass er zu Joe nach hause wollte, er ließ sie nicht gern unbeaufsichtigt. Sie ging noch nicht zur Schule, und würde sich wohl den ganzen Tag langweilen, vielleicht sogar Unsinn anstellen, oder sich in Gefahr bringen. Ihm ließ das Ganze keine Ruhe, und er hätte gerne jemanden gehabt, der während der Schulzeit auf sie aufpassen konnte. Doch wer sollte das sein? Seine Freunde mussten ja immerhin auch in die Schule gehen, bis auf Sakuya natürlich, aber da wäre Josephine wohl allein sicherer. 'Bobby...', überlegte Hiroaki immer wieder. 'Bobby kann gut mit Kindern umgehen...' Nach der Schule wollte er ihn fragen, ob er für drei Euro am Tag auf Joe aufpassen könnte. Diesen Preis würde Hiroaki gern zahlen, das war nicht das Problem. Er hatte sich auf die Bank gesetzt, auf der er vor zwei Tagen mit Sakuya gegessen und geplaudert hatte, und zog erneut eine Zigarette heraus, um sie anzustecken. 'Meine Fresse...', dachte er und besah sich seine vom Nikotin, gelblichen Fingernägel. 'Mit dem Rauchen ist es jetzt auch schon ganz schön extrem geworden...'
Dann blickte er auf die Anderen. Lauter Mädchen, mit reichlich Make-up tuschelten in der einen Ecke, Jungs die Eindruck schinden wollten, präsentierten sich vor Weibern, die ihren Bizeps befühlen wollten. Er drehte den Kopf weg. Bei den Fünftklässlern war auch nichts neues los. Brav standen sie auf ihrem Teil des Schulhofs, die Mädchen plapperten oder spielten fangen, die Jungs kickten einen Fußball aus Alufolie vor sich her. Bei den Bäumen, ganz am Rand sah Hiroaki sogar welche, die geheimnisvoll tuschelnd eine Schachtel Zigaretten hervorholten, und sie vor den Lehrern versteckten. 'Irgendwie auch schön, so naiv', er sah wieder zu den Weibern, ....' Bzw. Verblödet zu sein...' Plötzlich erhob er sich. 'Wenn ich länger hier bleibe verblöde ich selbst noch!', dachte er, und ging in Richtung Ausgangstor. Er hatte keine Lust mehr auf Schule, wollte nach hause, oder zu Bobby. Und eigentlich gab es nichts, das ihn hier hielt. Wenn er plötzlich fehlte, würden die Lehrer nur den Kopf schütteln, seine Klassenkameraden würden sich freuen, und so täte er wohl doch etwas Gutes.
Es war gerade mal halb zwölf, und auf den Straßen war wenig los. Niemand, außer einem achtzehnjährigen Mädchen, einem Fahrradfahrer, und einem Rentner-Paar, begegnete ihm auf seinem Weg in die Innenstadt. Er wollte zur Brücke, zu Bobby. In der Nähe der „Fuck you!" Brücke, hielt er sich eigentlich fast immer auf. Und, wie erwartet, saß er am Straßenrand, eine alte Schüssel vor seine Füße gestellt, in der ein paar Euros lagen, und stierte Löcher in die Luft.
„Hey Bob, musst du schon wieder betteln, hab dir doch erst letztens 20 Euro gegeben", begrüßte Hiroaki ihn. „Wie hast dus denn geschafft soviel Kohle so schnell auszugeben?" Bobby blickte auf, und als er Hiroaki sah, grinste er breit und reichte ihm seine Hand. „Wie gesagt, ich war bei McDonalds essen und dann brauchte ich auch noch was fürn Lottoschein..."
Jaja, Bobby und Lotto. Hiroaki wusste wie viel ihm das Spiel bedeutete. Seit er zehn Jahre alt war, hatte er immer irgendwie das Geld für Lottoscheine zusammenbekommen, und er nahm seitdem immer die selben Zahlen: 2, 9, 11, 28, 34, 36 - Zusatzzahl 8. Mittlerweile konnte selbst Hiroaki sie auswendig, aber außer ein paar hundert Euros hatte Bobby noch nie besonders viel dabei gewonnen. Nicht mehr als den Einsatz jedenfalls. Irgendwie konnte Hiroaki ihn verstehen. Ein so vollkommen hoffnungsloses Leben konnte nicht einmal ein abgehärteter Mensch wie Bobby aushalten. Er klammerte sich an etwas, manchmal sagte er Dinge wie: „Irgendwann muss auch ich doch einmal Glück haben im Leben...", und sein Blick zeigte Hiroaki die Hoffnung, die noch immer nicht verloschen war. „Und dann kaufe ich ein Haus am Waldrand, ein großes schönes Haus... Und von den Zinsen leb ich bis zum Ende meines Lebens...". Das war eben sein Traum.
Er hob die verrostete Schüssel auf, und schaute hinein. „Nicht gerade viel...", murmelte er. „Die Leute werden immer geiziger..." Hiroaki setzte sich neben seinen Freund und lächelte. „Wenn du Geld brauchst, ich hätte da nen Job für dich." Bobby schien interessiert, und nickte. „Worum gehts denn?" „Naja, du kennst doch Josephine, meine kleine Schwester. Während ich in de Schul geh, is die zu hause alleine. Ich mach mir einfach bissl Sorgen, verstehst? Ich geb dir 3 Euro am Tag, wenn du auf sie aufpasst."
Bobbys Miene hellte sich auf, er lächelte und meinte: „Geil. Mach ich gern, kein Problem! Drei Euro am Tag könnt ich echt gut brauchen, das is mehr als ich auf die Weise je zusammenkriege, und es ist sicher auch lustiger mit deiner kleinen Schwester zu spielen, als die ganze Zeit nur hier rumzusitzen." „Also abgemacht!", grinste Hiroaki. „Übrigens, falls dus vielleicht vergessen hast: Ich werd morgen 17, also vergiss mal net mir ein Geschenk zu kaufen. Ne Party geb ich net, ich denk mal das gestern hat gereicht, aber trotzdem..." Er stand auf, klopfte sich den Dreck von der Hose, und machte sich dann auf den Weg nach hause, während er Bobby noch winkte.
Es war gar nicht mehr weit, bis zu seiner Wohnung, in dem großen, veralteten Haus, höchstens zehn Minuten. Hiroaki musste nicht klingeln, da er den Schlüssel ja bei sich trug, kam herein, und das erste was er tat war, sich nach Josephine umzusehen. „Joe? Wo bist du?"
Als er die Küche betrat, sah er sie, auf einem kleinen Hocker stehen, vor dem Waschbecken. Sie wusch die Gläser vom Abend auf. „Ist ja nicht zu fassen", murmelte Hiroaki. „Und ich dachte immer Kinder fänden Hausarbeit öde..."

Es wurde ein eher langweiliger Tag für die beiden. Hiroaki erzählte Joe alles über ihren zukünftigen Babysitter, und dass sie sich benehmen sollte. Am Abend machten sie sich eine Tütensuppe warm, und gingen ziemlich früh ins Bett.
Als Hiroaki am nächsten Tag in der Schule auftauchte, schien überhaupt keiner mehr Notiz von ihm zu nehmen. Statt sich von ihm fern zu halten, hatten seine Mitschüler scheinbar die neue Methode entwickelt, ihn zu ignorieren. David traf er nicht, weder auf dem Schulhof, noch auf dem nach hause Weg. Bobby war der Abmachung gerecht geworden, und hatte am Vormittag eine Menge mit Josephine unternommen. Sie hatten gemeinsam aufgeräumt, CDs gehört und Mittagessen gekocht (Kartoffelsuppe). Hiroaki kam erst spät von der Schule, gegen drei Uhr, und wärmte es sich dann in der Mikrowelle auf. Er wollte am Abend mit Sakuya und Daivid ein bisschen in der Stadt rumhängen - für den Abend hatte er Bobby als „Babysitter" reserviert.
Und so kam es dann auch, dass pünktlich um halb neun Sakuyas Wagen vor Hiroakis Wohnung stand. Er hatte gerade Abendbrot gemacht, zog sich schnell seine Jacke an, und stürmte aus dem Haus.
„Hey, Sakuya, David, hi!" Rief er den Beiden entgegen, die, das Fenster heruntergekurbelt im Auto saßen, Radio hörten und auf ihn warteten. „Wohin solls den gehn?", fragte er, während er einstieg. „Heavycorn", grinste Sakuya, und ließ den Wagen an. „Is voll geil dort, wirst schon sehn."
Hiroaki hatte schon eine Menge über das „Heavycorn" gehört. Es war so ziemlich die kriminellste Diskotek im ganzen Landkreis. Das dort viel mit Drogen rumgemacht wurde, war bekannt - und zwar nicht nur solche Sachen wie Ecstasy oder Speed. Aber das war ihm eigentlich egal - die Musik war jedenfalls geil, und eigentlich hatte er überhaupt kein Problem mit LSD oder H, er war nicht so wie Sae. Und er vermutete genau aus diesem Grund hatten sie das Mädchen auch nicht mitgeschleift - sie hasste diese Szene wirklich wie die Pest. „Ein bissl Bier und vielleicht mal Hasch, aber mehr net, Leute. Versprecht mir das, ihr kommt sonst echt in Probleme", pflegte sie immer zu sagen, und erntete dafür nur ein paar Lacher. Doch bisher hatte noch niemand gegen ihre Bitte verstoßen, nicht das Hiroaki gewusst hätte, jedenfalls. Sakuya dealte zwar, und auch die härteren Dinge, doch selber interessierte er sich nicht dafür.
„Cool", sagte Hiroaki und lehnte sich zurück. Sakuyas Wagen war einfach spitze, man konnte das Dach aufklappen, und dann spürte man den Fahrtwind richtig. Woher er einen so teures Auto hatte, wollte Hiroaki gar nicht wissen, vielleicht war es ja wirklich gestohlen. Aber an so etwas dachte er im Moment auch gar nicht, er wollte auch nicht daran denken. Jetzt wollte er sich nur auf einen geilen Abend im Heavycorn freuen, sonst nichts. „Dreh mal bissl lauter!", befahl David. „Und schalt mal auf nen anderen Sender, hier kommt doch nur Volksmusikgedudel!"

Nach knapp zehn Minuten waren die drei angekommen und hielten vor einem eher alt aussehenden Gebäude. Einladen sah es nicht aus - oh nein, aber das war ja auch egal.
Die Außenwände waren überall mit Graffiti besprüht, ein paar Typen hockten vorm Eingang, und sahen ziemlich fertig aus, und bei der Straßenlaterne konnte Hiroaki ganz deutlich einen Mann, der einem anderen eine Pistole in den Rücken schob, sehen. Das in etwa waren seine ersten Eindrücke.
„Hier lang, hier gehts rein. Mensch Hiroaki, schläfst du ein?" Sakuya und David waren schon ausgestiegen und zerrten Hiroaki nun auch aus dem Wagen. „Hat einer von euch was wichtiges im Auto liegen gelassen oder so?", erkundigte Sakuya sich, während er sich verunsichert umblickte. „Wieso fragste?" „Naja, hab mal ne Geldbörse mit 500 Euro im Auto liegen gelassen, als ich wieder kam waren die Scheiben eingeschlagen und das Geld futsch. Ist keine besonders sichere Gegend."
Sie stiegen ein paar Treppen hinunter und kamen dann zu einem Türsteher. Bevor Hiroaki sich Sorgen machen konnte, er würde sie vielleicht nicht hereinlassen, bemerkte er schon, das der Typ und Sakuya sich irgendwie zu kennen schienen. Er grinste nur schief, und ließ sie dann alle drei durch.
Irgendwie hatte er sowieso nichts Großes erwartet - es war in etwa so, wie Hiroaki es sich vorgestellt hatte. Viele Leute saßen an Tischen oder an der Bar herum, manche standen nur an der Wand und blickten denen, die sich auf der Tanzfläche amüsierten zu. Alles war etwas rauchig, und nicht gerade aufheiternd, aber davon wollte er sich nicht runterziehen lassen.
„Leute, ich muss arbeiten", erklärte Sakuya und grinste . „Wir sehn uns heut Abend bestimmt noch mal, aber jetzt setz ich mich erstmal von euch ab, ok?" Er entfernte sich, und verschwand im Getümmel. David setzte sich an einen der zahlreichen Tische und schaute auf die Tanzfläche. Hiroaki kam sich ein wenig verlassen vor, nun, wo keiner seiner Kumpels ihn mehr beachtete, und er quasi allein in einer Diskotek voller fremder Leute war. Doch er störte sich nicht daran, setzte sich auf einen hohen Barhocker, lehnte sich herüber und bestellte einen Likör. Während er darauf wartete, blickte er sich wieder etwas um. Ihm fiel das Mädchen auf, das neben ihm saß und ein Glas Bier in der Hand hielt. Sie war auffallend hübsch, normalerweise waren die Girls aus dem Heavycorn abgemagerte, fahle Gestalten, doch sie sah fast aus wie Claudia aus Hiroakis Klasse. Sie hatte schwarze, glatte Haare, die ihr bis weit über die Schulterblätter reichten, und eisblaue Augen, trug eine halblange Jeans und ein schwarzes Oberteil. Einen Augenblick lang dachte Hiroaki an Vanessa, Johannes Freundin, und dass dieses Mädchen ihn irgendwie an sie erinnerte, doch dann dachte er: 'Wenn sie im Heavycorn rumhängt, kann sie keine Tussi sein.'
„Hey du", sprach er sie an. Sie drehte sich fast ein wenig erschrocken zu ihm herum, fasste sich dann jedoch schnell wieder, und fragte: „Was willst du?"
„Gehörst du zu jemandem hier? Wie heißt du?"
Das Mädchen warf ihm einen missbilligenden Blick zu und verdrehte genervt die Augen. „Hast du keine noch billigere Anmache? Wenn du ficken willst, geh zu den Nutten draußen."
Jetzt wusste er wirklich nicht mehr, was er sagen sollte. Er war an Sae gewöhnt - an ihre spontane, etwas grobe Art, die er schätzte. Er hasste diese Weiber aus der Schule, deren größtes Hobby darin bestand, Modemagazine auseinander zu nehmen. Aber die hier war ihm echt ein bisschen zu extrem. Hatte er irgendetwas falsches gesagt? Er hatte sich doch nur ein wenig nett unterhalten wollen. „Tschuldigung...", nuschelte Hiroaki und rückte ein Stück weit weg von dem Mädchen. Er nahm sich seinen bestellten Likör vom Bartisch und begann zu trinken. Er wollte das Mädchen neben sich ignorieren, sie keines Blickes mehr würdigen. „Schon ok...", flüsterte sie plötzlich. „Sorry, bin zur Zeit echt mies drauf." Hiroaki drehte sich wieder in ihre Richtung. „Und wie heißt du nun?", fragte er, während sie ihn mit einem unsicheren Blick musterte. „Fay. Ich hoffe bloß du bist kein Bullenschwein. Bist net oft hier, oder?" „Wie kommst du darauf, das ich ein Bulle bin? Seh ich so aus?" Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas und erklärte dann: „Net viele hier sind so... Naja, freundlich sag ich mal. Entweder sie wolln sie dich ficken oder dein Geld, aus anderen Gründen wird man kaum angelabert. Aber davon scheinste ja net grad viel zu verstehn." Hiroaki nickte. Die anfängliche Unsymphatie Fay gegenüber war verflogen. „Und wie heißt du?", erkundigte sie sich. „Hiroaki..." Sie lachte. „Was is das denn fürn komischer Name? Nagut, Hiroaki. Was hast du hier im Heavycorn verloren, hm?"
Er zuckte mit den Schultern. „Was soll ich schon wollen? Musik hörn, was trinken. Bissl rumhängen halt." Fays Miene wurde heiter. „Du bist mir vielleicht n komischer Kauz. Kommst hierher um dich zu amüsieren..." Er verstand vielleicht nicht alles, aber irgendwie mochte er Fay. Eine Weile saßen die Beiden, ohne etwas zu sagen dort, schauten zu den Typen auf der Tanzfläche hinüber und taten nichts. Als sie beide ihre Gläser geleert hatten, stand Fay plötzlich auf. „Wo willst du hin?", fragte Hiroaki, und reichte dem Verkäufer sein leeres Glas. „Ich hol mir bissl Stoff. Wenn du willst, kannste mitkommen."
Kurz überlegte er noch, dann stand er ebenfalls auf und folgte Fay. „Wo kaufst du, bei wem, meine ich?", fragte Hiroaki, während er versuchte mit ihr Schritt zu halten. „Ich hab keinen Stammdealer, mal hier, mal da", entgegnete sie, und öffnete die Tür, die ins Freie führte. Es war schon etwas später, auch relativ dunkel, und ziemlich kühl. „Sagt dir der Name Sakuya was?" Fay blieb stehen. Sie überlegte. „Ja... Kann sein, dass ich bei dem ein zwei mal gekauft hab. Der hat mich so was von ausgenommen, das glaubste net - Arschloch... Wieso fragste?" „Ist ein Kollege von mir."
Plötzlich ertönte ein Schuss, aus einer Seitengasse, und ein paar umstehende Leute zuckten zusammen. Hiroaki wollte hingehen, um zu sehen was los war, doch Fay hielt ihn ab. „Steck deine Nase nicht in so was. Geht dich nix an, du kommst nur in Probleme..." Sie schien genau zu wissen, wohin sie wollte. Die zwei liefen um das Gebäude herum, der Weg war vom Mondschein beleuchtet. 'Vollmond...', dachte Hiroaki und musste grinsen. 'Normalerweise wär ich in so ner Nacht mit David auf den Friedhof gegangen...'. Als sie auf der anderen Seite des Heavycorn angekommen waren, sahen sie einen Hinterhof. Anscheinend gab es so eine Art Hinterausgang, der hierher führte. Zwischen dicht nebeneinander stehenden Bäumen, standen hier Metallbänke und Tische. Es saßen nicht viele draußen, die meisten standen, und es schienen sich ziemlich viele Dealer hier aufzuhalten. Hiroaki war sich nicht sicher, ob er wirklich dort hinunter gehen wollte. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in ihm breit, doch er hatte keine Ahnung wieso. 'Ach man, jetzt fang net an nach deiner Mama zu schreien', dachte er, verärgert über sich selbst. Er folgte Fay, die Steinstufen hinunter. Irgendwie kamen sie ihm nass vor, auch wenn es gestern und heute nicht geregnet hatte. 'Was is denn mit mir los, soviel hab ich doch noch gar net getrunken...' Sie waren auf dem Hinterhof angekommen, und Fay ging zielstrebig auf einen blondhaarigen, kleineren Typ zu, der an eine Mülltonne gelehnt, dort stand und wartete. „Hey, Henry!", rief sie ihm zu, und er sah auf. „Hi, Fay. Was willste?" „Zwanzig Gramm H, oder...", sie drehte sich zu Hiroaki um. „Willst du auch was?"
Hiroaki wusste, dass es nicht gerade okay war, aber er mochte Fay, und irgendwie hatte er schon immer mal Heroin probieren wollen. Natürlich war es schwachsinnig, er hatte sich fest vorgenommen immer bei dem harmlosen Zeug zu bleiben, sehr fest. Er wusste nicht, wieso er sich so schnell umentschied. Sein Kopf sagte laut und deutlich: 'Lass es!', doch er hörte schon lange nicht mehr auf ihn.
Er nickte. „Okay, dann... Vierzig Gramm." Hiroaki wurde ein bisschen schlecht. Was würde Sae sagen? Ob Bobby und David wohl ein Problem damit hätten? Aber jetzt war es eh zu spät. „Ich hoff nur du hast auch Geld", flüsterte Fay ihm zu, damit Henry nichts mitbekam. „Logo...", nuschelte Hiroaki zurück. „Gut." Henry reichte ihr einen Briefumschlag und grinste. „Macht 40 Euro."
Hiroaki steckte Fay einen 20 Euro Schein zu, sie zog einen aus ihrem Portmonie und zahlte. „Gehn wir wieder rein?", fragte Hiroaki, dem es äußerst unangenehm war, hier herumzustehen. Vielleicht war Sakuya hier. Vielleicht würde er ihn sehen. Hiroaki wusste, das Sakuya sein Maul nicht halten können würde. 'Du machst gerade nen gewaltigen Fehler, mein lieber Hiroaki...', sagte irgendeine nervige Stimme in ihm, die sich stark nach Sae anhörte. Er blinzelte. 'Was solls. Im Fehler machen bin ich doch eh der Champion.'
„Wir müssen eh rein", meinte Fay, und warf einen Blick auf die Uhr. „Um zehn." Hiroaki spürte etwas nasses auf seiner Schulter, und dann noch einmal. 'Jetzt regnets auch noch', dachte er. „Komm, besser wir gehn schnell rein", sagte er an Fay gewand. Sie nickte nur, und folgte ihm.
Die Hintertür war wesentlich kleiner als die Eingangstür, und noch ein wenig modriger.
Hiroaki fühlte, dass sich etwas in ihm furchtbar verkrampfte. Er wäre am liebsten weggerannt, nach haus, zu Josephine. Sollte er sich jetzt wirklich Heroin spritzen? War es denn schon so weit mit ihm? Dabei gab es doch eigentlich überhaupt keinen Grund irgendein Risiko einzugehen, sich in Gefahr zu bringen, Scheisse zu bauen, mal wieder. Irgendwie war das alles nicht so gelaufen wie er es sich vorgestellt hatte. 'Wieso haust du denn nicht einfach ab, wenn du nicht willst?' Da war wieder die Stimme. 'Ganz einfach: Wegen Fay.'
Also folgte er ihr, durch die morsche Hintertür, wieder hinein, ins Heavycorn. Wiederholt fragte er sich, wieso er das hier eigentlich tat. Normalerweise fing man mit dem fixen an, in Momenten wo es einem einfach nur scheisse ging. Aber ihm ging es doch ganz gut, oder? Doch vielleicht war ihm diese ganze Sache mit seiner Mutter auch einfach nicht ganz so egal, wie er es sich immer einredete. Eigentlich hatte es auch nicht viel Sinn noch darüber nachzudenken, denn in Wahrheit war seine Entscheidung längst gefallen.

Er konnte sich später an so gut wie nichts von dem, was am Abend vorgefallen war, erinnern. Nur noch dieses Gefühl, nach dem spritzen, dass es so geil gewesen war, so extrem geil. Alle Gedanken waren auf einen Schlag wie weggewischt gewesen, und geblieben war nur dieses megageile Feeling. Aber dann war nicht mehr viel in seinem Gedächdnis übrig geblieben, scheinbar hatte er zusätzlich noch jede Menge getrunken. Jedenfalls schaffte er es nicht mehr nach hause, er hätte warscheinlich nicht einmal die Bushaltestelle gefunden. Darum erwachte er am mächsten Morgen auch ziemlich unsanft, auf einem der harten Holztische. Wie immer nach solchen Nächten hatte er einen furchtbaren Kater, der ihm fast den Verstand raubte. Sein Kopf schien zu explodieren, und dröhnte, so dass er kaum etwas hören konnte. Fay saß ihm gegenüber, und hatte die Arme auf dem Tisch ausgebreitet. Sie schlief noch. Hiroaki war sich nicht sichter, ob er sie wecken sollte, er konnte auch kaum einen klaren Gedanken fassen, ohne das ihm dabei schwindelig wurde. Als er Fay so ansah, wie sie schlief, ihre wunderschönen Haare und ihre sanfte Haut, da wurde ihm etwas klar, dass er am Abend zuvor nicht hatte erkennen können, sei es wegen dem Alkohol, oder einfach weil er ein wenig zu aufgeregt gewesen war. Er verstand jetzt auch, warum er sich hatte verleiten lassen. Es war ganz einfach mehr als Sympathie, das er für Fay empfand. Er hatte sich in sie verliebt.
'Verliebt', dachte er. 'Das hört sich ja so dermaßen schnulzig an...'
Er stand auf und schaute, ob hier noch irgendjemand außer ihnen war. Nein, keine Putzfrauen, keine anderen Leute. Er wollte Fay nicht aufwecken. Also setzte er sich auf einen der Tische und wartete. Es konnte nicht mehr allzu früh sein, denn die Sonne schien bereits warm und hell durch die Fenster herein. Er wusste nichts mit sich anzufangen, deshalb lies er den gestrigen Abend in seinem Kopf noch einem Revü passieren. Er war mit Fay zusammen auf diesen Hinterhof gegangen, und hatte sich 20 Gramm H besorgt. 'Was bin ich für ein Arschloch...' Er überlegte. 'Klar, es war geil. Würd ich jederzeit wieder machen, aber... Ach naja, es ist irgendwie schon scheisse. Ich könnt es ja auf einmal in der Woche beschränken. Da kann man net körperlich abhängig von dem Zeug werden. Und wenn ich merk das es zuviel wird, hör ich einfach auf.'
Das Bild von Corinna tauchte plötzlich in Hiroakis Kopf auf. Sie war eine Freundin von ihm gewesen, als er 15 gewesen war. Er erinnerte sich an ihre Sprüche: „Ich übertreibs wirklich net. Ich kann jederzeit aufhören, echt." Er hatte es geglaubt. Corinna war nicht seine große Liebe gewesen, oh nein, es war mehr wie eine Freundschaft. Irgendwann hatte sie auch mit dem fixen angefangen, Hiroaki hatte das anfangs auch schockiert. Doch sie pflegte stets zu sagen: „Ich hab alles unter Kontrolle, ich kann jederzeit aufhören." Er hatte es geglaubt.
Und dann war alles sehr schnell gegangen - zu schnell, für ihn. Eines Tages hatte man sie tot aufgefunden. 'Der verdammte Stoff hat sie umgebracht.' Er wusste, dass es keinen Sinn hatte sich einzureden, man würde nicht abhängig und könnte immer aufhören. Aber irgendwie war es Hiroaki in diesem Augenblick egal. Er sah wieder auf Fay, die vom Sonnenlicht bestrahlt wurde, und in seinen Augen wundervoller aussah denn je. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis auch sie endlich erwachte.
Die Beiden fuhren mit dem Bus nach hause - schließlich hatten sie kein Auto. Sakuya musste wohl einfach mit David fortgefahren sein, am gestrigen Abend. 'Die haben vielleicht die Ruhe weg...'
Erzählen wollte Hiroaki niemandem etwas. Er war sicher, wenn er ein bis zweimal die Woche ins Heavycorn ging, und sich ein bisschen H drückte, würde es niemandem auffallen. Er liess sich Fays Handynummer geben und verabschiedete sich dann. Sie erklärte, dass sie jeden Abend zwischen neun und zwölf im Heavycorn war, und er sie immer dort finden könnte.
Was aus der Schule wurde, war Hiroaki relativ egal. Dann kam er eben mal nicht, wen würde das schon kümmern?
Als er die Wohnung betrat, sah er Bobby und Josephine am reich gedeckten Frühstückstisch sitzen und essen. „Hallo", begrüßte er sie, und hängte seine Jacke über einen der Stühle. „Na, schmeckts?" Er lächelte Joe an. Bobby fragte ihn über den Abend aus, doch Hiroaki hatte keine große Lust darüber zu reden - nicht solange Josephine anwesend war jedenfalls. Wenn er irgendwem die Sache mit dem Heroin erzählen wollte, dann Bobby. Denn Sakuya plauderte alles aus, David war Drogen gegenüber prinzipiell abgeneigt, und Sae... Sae sollte am allerwenigsten etwas herausbekommen.
Aber Bobby konnte schweigen wie ein Grab, wenn Hiroaki ihn darum bitten würde, und irgendwie rechnete er sich bei ihm auch die größten Chancen auf so etwas wie Verständnis aus.
Er nahm sich eine Schüssel Cornflakes mit Milch und setzte sich zu den Beiden. Bobby begann ein Gespräch von wegen, Josephine müsste eigentlich in einen ordentlichen Kindergarten, und so würde sie doch nie an das Zusammenleben mit anderen gewöhnt, doch Hiroaki hörte kaum zu.
Er musste unaufhörlich an Fay denken, an den Abend. Er hoffte, sie bald wieder zu sehen. Hiroaki war nicht so der Typ, der dreimal im Monat die Freundin wechselte. Seine letzte Beziehung hatte sage und schreibe zwei Jahre lang gehalten, das war jetzt ein halbes Jahr her. 'Eigentlich muss ich doch net unbedingt ne ganze Woche warten... Ich könne übermorgen noch mal hin...' Er wollte ihr nachher unbedingt noch eine SMS schreiben. Josephine war aufgestanden, ins Wohnzimmer gegangen und sah nun fern, während Bobby die Teller in die Spülmaschine stellte. Hiroaki saß einfach nur da und sah aus dem Fenster. „Ist irgendwas mit dir?", fragte Bobby ihn und drehte sich zu ihm um. Er sagte nichts, reagierte nicht einmal. War etwas mit ihm? Er war verknallt, aber das war ja nicht das Problem an der ganzen Sache. Das Problem war, dass er schon jetzt feststellte wie inkonsequent er war. Erst hatte er sich vorgenommen, einmal die Woche ins Heavycorn zu gehen, und sich dort auch H zu kaufen. Dann war es plötzlich zweimal die Woche, und nun hatte er vor schon Übermorgen wieder hinzugehen. Wenn das schon nach einem Tag losging, wie wollte er dann bitteschön über Monate hinweg unabhängig von dem Zeug bleiben? Oder war es vielleicht gar nicht der Stoff, nach dem er sich so sehnte, sondern einfach, Fay wieder zu sehen?
„Hiroaki! Schläfst du oder was?!" Bobby hatte mit der Handfläche auf den Tisch geschlagen, um Hiroaki aus seiner Trance zu wecken. „Oh, sorry, war in Gedanken...", nuschelte Hiroaki. Bobby hatte eine komische Miene aufgesetzt, so eine Mischung aus Unwohlsein und Verwirrung. Er setzte sich neben Hiroaki, wartete einen Augenblick ab, und fragte dann: „Ist irgendwas passiert? Was ist denn heute mit dir los?" Das war der Augenblick. Sollte er Bobby wirklich alles erzählen? Er dachte nach. Vielleicht war es einfacher Fay aus der ganzen Story rauszulassen. Allerdings würde es dann keinen Sinn mehr machen, denn sie war ja quasi die Auslöserin für das alles.
Irgendwie sehnte Hiroaki sich nach Jemandem, dem er alles sagen konnte, damit er diese Last nicht mehr allein tragen müsste. Irgendwie sehnte er sich nach seinem früheren, sorgenfreien Leben, ohne großartige Probleme. 'Ist das echt so ein großes Problem? Ich hab einmal H gefixt, und mach hier so nen Aufstand... Ich werds schon unter Kontrolle behalten, kein Grund zu Panik.'
„Ach, es ist nichts. Hab nicht gerade gut geschlafen..." Damit schien Bobby zufrieden zu sein. Er nickte nur verständnisvoll, stand dann auf und ging hinüber zu Joe, um nach ihr zu sehen.
Hiroaki blieb noch eine Weile sitzen. Er konnte sich nur von ganzem Herzen auf den Donnerstag freuen, wenn all diese Probleme, diese ganzen Sorgen und das Alles mal wieder für ein paar Stunden verschwunden sein würden. Einfach nur ein geiler Abend mit Fay und den anderen Leuten aus dem Heavycorn. Das war der einzige Lichtblick.
Er musste grinsen. Sein Blick war nämlich auf den Stundenplan, der an die Pinnwand in der Küche geheftet war, gefallen. Er musste an die Schule denken. 'Gestern bin ich einfach abgehauen, heute komm ich gar net. Die werden auch denken, jetzt gehts mit mir aber endgültig bergab. Aber morgen geh ich wieder. Und übermorgen gehe ich ins Heavycorn...'

Er schaffte es einfach nicht seine Gedanken noch auf irgendetwas anderes, als auf Fay und das Heavycorn zu lenken. An diesem Tag war alles ein wenig merkwürdig, so kam es ihm jedenfalls vor. Bobby und Joe kamen ihm so ruhig vor, so langweilig. Er hatte im Grunde nichts weiter zu tun, als herumzusitzen und zu warten wie die Zeit verging. Um drei schrieb er Fay noch eine SMS: „Moin Fay. Komme am Donnerstag noch mal ins HC. Hoffe du bist dann auch da. HDGDL, Hiroaki."
Bis zum Abend spielte Bobby nur ein wenig mit Joe, und dann gingen die Beiden einkaufen. Die Kleine ging um neun ins Bett, und Bobby verabschiedete sich dann auch. Hiroaki wollte eigentlich auch etwas früher schlafen, doch er schaffte es nicht. Zu viele Gedanken schwirrten noch immer durch seinen Kopf, und so war es auch kein Wunder, dass er am nächsten Morgen den Wecker nicht hörte, und eine Stunde zu lang schlief. Als er dann endlich in der Schule angekommen war, sprachen ihn einige Lehrer darauf an, doch er meinte nur er sei krank gewesen. Natürlich hatte er dafür keine ärztliche Bescheinigung, aber aus unbesagten Gründen, verlangten die Lehrer auch keine. Der ganze Tag war in seinen Augen sowieso total fürn Arsch. Er hatte keinen Bock mehr auf diese verschissene Schule, und diese ganzen bekloppten Typen. Er hatte keinen Bock mehr auf Josephines Generve, er solle mit ihr spielen, oder aufräumen. Er hatte keinen Bock auf seine Kumpels, als sie am Donnerstagnachmittag vor seiner Haustür standen und ihn einluden, etwas mit ihnen zu unternehmen.
Er wollte einfach nur zu Fay, ins Heavycorn.
Und dann war der lang ersehnte Abend endlich da. Hiroaki wollte mit dem Bus fahren, Bobby erzählte er, er würde einen Kumpel besuchen gehen. Es dauerte nicht einmal eine halbe Stunde, und er stand wieder vor der Eingangstür des Heavycorn.
Der Türsteher liess ihn auch diesmal durch, warum, das was Hiroaki ein Rätsel. Wonach wurden die Gäste denn gemessen? Wer durfte nicht herein? Vielleicht irgendwelche Bullen, oder Muttersöhnchen. An diesem Donnerstag war nicht so viel los, wie am Dienstag, als Hiroaki das erste mal hier gewesen war. Irgendwie war die Tanzfläche ziemlich leer, fast wie ausgestorben, und auf den Tischen saßen nur ein paar Typen, die meisten schienen schon ziemlich angetrunken. Er hatte vorgestern kaum etwas über Fay erfahren, zumindest nichts, an das er sich hätte erinnern können, darum nahm er sich vor diesmal ein wenig mit dem Stoff zu warten, und sich vorher ein bisschen zu unterhalten. Ihn interessierte woher sie eigentlich kam, wie ihre Eltern so waren, ob sie Geschwister hatte, ob sie die Schule genauso ankotzte, und wie sie eigentlich zum fixen gekommen war. Auch wollte er wissen, ob die schon körperlich abhängig war, oder nur, so wie er es sich vorgenommen hatte, gelegentlich spritzte.
Er sah sie auch, gleich auf den ersten Blick, beim Hereintreten, denn sie saß an einem der vordersten Tische, und fiel, neben den ganzen Anderen, irgendwie besonders ins Auge. Das schienen zwei Typen auch zu finden, die sich gerade zu ihr setzten. Der eine war völlig unrasiert, und sah aus wie einer aus der Gosse. Der andere schien Bodybuilding zu machen, war aber ebenso widerlich, und erinnerte Hiroaki stark an Johannes. Fay drehte ihren Kopf von den Beiden weg, doch sie waren ziemlich aufdringlich. „Hey, Georg, sieh dir nur mal diese Süße Schnecke an", lachte der eine, und der Andere grinste schief. Hiroaki ging langsam auf den Tisch zu, doch sie schienen keine Notiz von ihm zu nehmen. Plötzlich umschlang Georg, der Muskelmann, Fay von hinten, und fasste ihr an den Busen. Sie kreischte los, und versuchte ihn abzuschütteln, doch es gelang ihr nicht, da er viel zu stark war. Der Andere Typ machte nun mit, fasste Fay an den Haaren, und zog ihren Kopf nach hinten. Sie schrie wie am Spieß, doch die anderen Leute aus der Diskothek reagierten überhaupt nicht. Sie tranken gemütlich weiter ihr Glas Bier, oder tanzten, zu einem extremen Metal Sound. Fay versuchte sich aus dem Griff der Beiden zu befreien, aber je mehr sie sich wehrte, desto mehr zog der heruntergekommene Typ an ihren Haaren. Georg war gerade dabei die obersten Knöpfe ihrer Bluse aufzuknöpfen, als Hiroaki endlich an den Tisch trat. Er hatte eine Weile tatenlos zugesehen, denn er wusste ja, dass er gegen diesen Muskeltypen nicht die geringste Chance haben würde, doch nun war es um seine Beherrschung geschehen. Er packte ein Weinglas, schlug es auf dem Tisch auf, sodass der oberste Rand abbrach, und an seiner Stelle nun viele zackige Spitzen zu sehen waren. Er hielt es vor sich ausgestreckt und schrie: „Lasst sie in Ruhe!" Georg grinste schief und lachte, machte nicht die geringsten Anstalten Fay loszulassen und knöpfte ihre Bluse nur weiter auf. Sie kreischte und tobte, und schien überhaupt nichts mitzubekommen. Einen Augenblick lang zögerte Hiroaki noch, dann machte er einen großen Schritt nach vorn, und rammte Georg das gezackte Weinglas ins Gesicht. Er schrie auf so laut auf, dass es Fays Geschrei übertönte, und stolperte ein paar Schritte zurück. Einige Glassplitter steckten noch immer in seinem Gesicht, einer schien sogar sein rechtes Auge getroffen zu haben. Er brüllte vor Schmerz, und fiel dann zu Boden. Das Blut sickerte langsam über seine Wangen, und tropfte auf das Parkett. Fay war es gelungen, den anderen Typen abzuschütteln, und nun lief sie zu Hiroaki hin. Ihr Gesicht war tränenüberströmt. „Hiroaki...", flüsterte sie nur immer wieder. „Gott sei dank..."
Nun aber waren die Gäste doch aufmerksam geworden, und es bildete sich eine Menschentraube um den grölenden Georg und seinen Kumpel, der versuchte ihm zu helfen. Hiroaki sah sich unsicher um. Niemand schien ihn zu beachten. Also nahm er Fay bei der Hand und rannte mit ihr, so schnell er konnte, hinaus, und dann so weit weg wie möglich. Nach gut drei Minuten ununterbrochenen Rennens hielt er, bei einem Häuserblock, von dessen Fenstern nur wenige erleuchtet waren. Er blieb, den Kopf vorunübergebeugt stehen, und atmete schnell. Auch Fay keuchte vor Anstrengung, konnte sich jedoch nicht mehr auf den Beinen halten und setzte sich. Sie zitterte am ganzen Körper und sah Hiroaki an wie eine Erscheinung. „Danke...", flüsterte sie schwach. „Du kamst... Gerade rechtzeitig..."
Er kam sich nicht gerade vor wie ein Held. Er dachte an Georg, und was wohl gerade mit ihm passierte. Vielleicht war er jetzt blind, bis ans Ende seines Lebens? Vielleicht müsste er komplizierte Gesichtsoperationen mitmachen, und sähe danach furchtbar entstellt aus... Doch als Fay aufstand und ihn von hinten umarmte, war ihm das plötzlich egal. Diesen Typen geschah es doch wohl ganz recht, und es hatte ihn ja eh keiner wirklich gesehen. „Danke..."
Er lachte befreit. Er hatte sie gerettet, trotz seiner körperlichen Schwäche! Vielleicht würde sie sich ja jetzt auch in ihn verlieben? Hiroaki drehte sich zu Fay um und umarmte sie, so fest er konnte. Sie zitterte immer noch.
Irgendwie kam ihm das alles vor, wie ein schlecht gedrehter, kitschiger Liebesfilm. Erst rettete er das Mädchen vor den „bösen Typen" und nun stand er mit ihr, am Abend, unterm Mondschein, ganz allein und gleich würde er sie küssen. Doch er bezweifelte das die Hautpersonen eines Liebesfilms zwei Fixer sein konnten, die kurz vorher einem Mann ein abgebrochenes Weinglas ins Gesicht gerammt hatten.
Sie blickte zu ihm auf, und er konnte sehen, dass ihre Augen noch immer feucht waren, und ihre Wangen gerötet, von den Tränen. Ja. Er liebte sie wirklich. Einen Augenblick lang sahen sie sich tief in die Augen, dann hob sie ihren Kopf ein wenig, und gab ihm einen Kuss.
Es war so unbeschreiblich schön, dass er es kaum verstehen konnte. Sie liebte ihn auch! Eine ganze Weile standen sie so, und taten nichts, als sich anzublicken. Dann fragte Hiroaki ruhig: „Solln wir in ein Cafe oder so gehen? Es ist so kalt hier." Fay nickte, und folgte ihm, ein paar Straßen lang, einige Kreuzungen weit, bis sie an einem kleinen, gemütlichen Cafe angekommen waren. Drinnen war Licht, es schien geöffnet zu sein. Also gingen sie hinein und setzten sich an einen der rustikalen, hübsch verzierten Tische. Hiroaki fiel der Kontrast dieses Cafes zum Heavycorn besonders deutlich auf, als er die anderen Leute betrachtete, die außer ihnen noch da waren. Es waren fast alles ältere Damen und Herren, die sich nett unterhielten und ein bisschen was tranken. Überall an den Wänden hingen Schnitzereien und Hirschgeweihe, die Bänke und Tische waren auch wunderbar verziert. Es gefiel ihm hier.
Er bestellte sich und Fay einen Rotwein, und wartete dann, zurückgelehnt, dass sie etwas sagen würde. „Danke noch mal..." „Schon okay. Sag mal, woher sollen wir jetzt den Stoff kriegen? Ich meine, zurück ins Corn können wir heut Abend nimmer." Fay sah sich unsicher um, beugte sich dann zu ihm nach vorn und flüsterte: „Ich hab schon was besorgt, kein Problem. Habs in meiner Tasche." Er lächelte. „Wir nehmens jetzt noch nicht, okay? Ich möcht mich bissl mit dir unterhalten und so...", meinte er, während er die zwei Weingläser, die die Kellnerin gerade gebracht hatte, auf den Tisch stellte. „Worüber sollen wir uns schon groß unterhalten?" „Naja, mich würd interessieren woher du kommst und wie deine Alten so sind." Fays Miene verdüsterte sich. „Frag lieber nich. Naja. Kommen tu ich von hier, eigentlich wohn ich in der Nähe des Zentrums. Meine Alten sind einfach nur scheisse, die würden net mal merken wenn ich plötzlich tot umfalln würde." Diese Worte erinnerten Hiroaki an etwas. Seine Mutter hatte ihm früher jede Menge Broschüren von Anti-Drogen Kampagnen gegeben, wahrscheinlich, um zu verhindern, dass er irgendwann einmal abhängig würde. So hatte er sich ein ziemliches Wissen über Rauschgifte aller Art angeeignet, und natürlich war ihm klar, das Heroin mit Abstand das gefährlichste war. „Endet bei täglicher Einnahme, ohne rechtzeitigen Entzug, unweigerlich mit dem Tode", hatte er einmal gelesen, und irgendwie wurde ihm wieder schlecht, wenn er daran dachte. Vielleicht würde Fay tatsächlich eines Tages tot umfallen. Aber daran mochte er gar nicht denken. Jetzt war sie hier, und er konnte mit ihr sprechen, und für nachher hatte sie H, dann würden diese Sorgen sowieso verschwinden. Endlich.

Es vergingen einige Wochen, ohne großartige Ereignisse. Hiroaki traf sich immer Samstags, Dienstags und Donnerstags mit Fay im Heavycorn und kaufte sich dann auch fast immer 20 Gramm Heroin. Er war körperlich noch nicht abhängig, und er nahm sich vor, dass es so bleiben sollte, doch glauben wollte er das nicht einmal selbst. Bobby war jeden Tag mit da und unterhielt Joe. Außerdem kümmerte er sich ein wenig um den Haushalt, brachte der Kleinen Kochen bei (Er konnte eigentlich gar nicht kochen, doch sie interessierte sich so dafür, dass er ihr ein Kochbuch schenkte.). Auch wenn der Stoff, den Hiroaki ständig brauchte sauteuer war, schaffte er es irgendwie über die Runden zu kommen. Er half Sakuya ein wenig beim dealen, und liess sich öfters von Johannes zusammenschlagen, als gewöhnlich. Seine Kumpels hatten noch nichts von Fay und dem H mitbekommen, doch er war sicher, dass dies nur eine Frage der Zeit war. Und Bobby kam ihm manchmal so vor, als hätte er einen Verdacht.
Der Oktober neigte sich dem Ende zu, und es wurde November. Die Tage wurden kürzer, die Nächte länger, und die Kälte machte sich langsam und beständig überall bemerkbar. Joe sollte bald ihren sechsten Geburtstag feiern, doch Hiroaki hatte nicht vor eine riesen Fete zu organisieren. Er wollte ihr ein Plüschtier schenken und ihr eine Pizza ausgeben, die sie, zusammen mit Bobby, essen könnte. Josephine und Bobby hatten sich, langsam und allmählich, angefreundet, und dem Jungen schien es richtig Spaß zu machen, auf die Kleine aufzupassen. Er ging sehr verantwortungsvoll mit ihr um, und wann immer Hiroaki etwas dummes tat oder sagte, ermahnte er ihn und erklärte dem Mädchen, das sie es sich nicht zum Vorbild nehmen solle.
So brach dieser Dienstag an, Joes Geburtstag, und am Vormittag war eigentlich nichts weiter los. Hiroaki war mal wieder nicht in der Schule. Irgendwie hatte er sich angewöhnt, nur noch, wenn er Lust dazu hatte, in die Schule zu gehen.
Für ihn war das Ereignis, das Joe sechs wurde, nicht einmal wichtig genug, als das er dafür den Abend im Heavycorn hätte sausen lassen. Nach dem fixen und so, vielleicht um zwölf, wollte Fay sogar noch einmal mit zu ihm nach hause kommen. Dort konnten sie dann weiterfeiern, ohne das Problem zu haben, rechtzeitig aufzuhören, um den Bus nach hause noch zu kriegen.
Er fuhr um halb acht mit dem Bus los, und war zehn Minuten darauf angekommen. Sein Blick fiel auf einige junge Mädchen, die vor dem Heavycorn am Straßenrand standen und sich anboten. Ob Fay irgendwann genauso weit getrieben werden würde? Er mochte es sich nicht ausmalen. Er ging die Treppen hinunter, an den ihm mittlerweile so vertrauten Betonwänden vorbei, und kam an die Eingangstür. Der Türsteher war heute gar nicht da, weiß der Himmel, weshalb. Das war Hiroaki auch ziemlich schnuppe. „Hey, Fay, na wie gehts?", rief er ihr entgegen, als er sich mit schnellen Schritten ihrem Tisch näherte. Sie saß, den Kopf auf die rechte Hand gestützt dort, und sah elend aus. Ihre Verzweiflung war ihr deutlich anzumerken, man sah es in ihren Augen. Hiroaki setzte sich zu ihr, und fragte sanft: „Ist etwas vorgefallen? Fay, sag schon, was ist los?" Sie blickte ihn von unten an, so, als wäre er so etwas wie ein Engel. „Ach Hiroaki...", Ihre Stimme stockte. „Marissa... Meine Freundin, sie ist heute gestorben..." Hiroaki blickte auf die Glasuntersetzer, um Fays Blick nicht ertragen zu müssen. Das war es also. Ohne das er nachhakte, fuhr sie mit zittriger Stimme fort: „Es war der Stoff, verdammt. Sie war schon so dünn geworden, und ich hab immer gesagt: Hör endlich auf, aber sie hat mir nich zugehört." Fay bedeckte ihr Gesicht mit dem Händen. „Oh Hiroaki... So werd ich auch mal enden, es ist alles so verdammt scheiße..." Er legte ruhig den Arm um sie, und flüsterte ihr gut zu.
„Das ist doch Unsinn. Pass auf: Wir hören auf, okay? Heute hören wir auf, kein einziger Druck mehr. Sieh mal: Wir sind doch beide noch gar nicht richtig abhängig von dem Zeug. Wir können jederzeit aufhören, und wenn es dich so beunruhigt, dann tun wir es jetzt."
Fay nickte schwach, doch richtig entschlossen wirkte sie nicht. Sie war immer noch genauso hübsch, wie sie gewesen war, als Hiroaki sie kennen gelernt hatte, nur ein wenig dünner. Auch er hatte im Verlauf des letzten Monats sage und schreibe fünf Kilo abgenommen.
Sie trug ein rotes Spagettiträgeroberteil, und eine schwarze Jeans, mit allerlei Reißverschlüssen. Am liebsten hätte er sie auf der Stelle geküsst, doch ihm war klar, dass dies ein sehr ungünstiger Zeitpunkt war. „Hör zu. Du musst es richtig wollen, sonst kommst du nie von dem Zeug los..." Innerlich hätte er schreien können. 'Gerade du musst es ja wissen...'
Die Musik kam ihm plötzlich so unerträglich laut vor, und die Leute um ihn herum. Es war als könne er in ihre Köpfe schauen, doch da war nichts. Wie sie dort saßen: betrunken, elend und irgendwie widerlich, wie etwas ganz abartiges. Am liebsten hätte er es ihnen ins Gesicht gesagt. Doch ihm war klar, dass er und Fay um kein Stück besser waren. 'Ach, was denk ich da. Natürlich sind wir was besseres! Wir sind gar nicht abhängig, und wir hören auf!' Vielleicht war es verzweifelt so zu denken, aber er musste sich an diesen Gedanken klammern, um die Hoffnung nicht endgültig zu verlieren.
Er hatte Fay in die Arme genommen, versuchte sie zu trösten, doch es gelang kaum.
Und dann sah Hiroaki etwas, bei dessen Anblick sein Herz sich verkrampfte. Dort, am Tresen, gar nicht weit weg von ihm und Fay, standen Sae, David und Sakuya, und redeten mit dem Wirt. Er wollte weglaufen, doch es war bereits zu spät. Sie hatten ihn entdeckt, und gingen nun, zielstrebig auf den Tisch zu, an dem er und Fay saßen. „Hey, Hiroaki, altes Haus, auch mal wieder da?", begrüßte Sakuya ihn. David und Sae sagten auch zuerst nur freundlich „Hallo", doch dann fielen ihre Blicke auf Fay, die neben Hiroaki saß. „Wer is´n das?", erkundigte Sae sich, mit einem Tonfall aus dem gezwungene Freundlichkeit zu hören war. Bevor Hiroaki antworten konnte, lachte Sakuya schon: „Ach, das is Fay, Hiroakis neue Freundin." Er grinste. Sae sah die beiden scharf an. Dann lächelte sie plötzlich, und meinte: „Gut, hi Fay, ich bin Sae. Sag mal, kann ich bitte mal schnell dein Handy haben?" Zugegeben, es verblüffte Hiroaki, wie gut das alles lief. Vielleicht zu gut.
„Jaja, ist in meiner Tasche, nimms dir raus...", sagte Fay, während sie immer noch, an Hiroaki gelehnt, auf die Tanzfläche starrte. Sie schien völlig abwesend zu sein. Sae nickte, und beugte sich zu ihrer Jeanstasche hinüber. Während sie darin herumwühlte, erzählte David den anderen, dass er versetzungsgefährdet sein, wegen Mathe und so.
Plötzlich löste Fay sich aus Hiroakis Umarmung, und starrte Sae an. „Gib mir die Tasche wieder, ich such dir mein Handy selbst heraus", befahl sie ruhig. Doch es war schon zu spät.
Sae zog ein durchsichtiges Tütchen, in dem ein wenig bräunliches Pulver war, aus Fays Tasche und warf ihr einen kalten, hasserfüllten Blick zu. „Sieh an...", flüsterte sie. Ihre Stimme bebte. „Eine kleine Fixerbraut, die unser Hiroaki sich da geangelt hat. Wahrscheinlich ne Hure, die er kennen gelernt hat, ..."
Weiter kam sie nicht, denn Hiroaki stand in diesem Augenblick abrupt auf, und schlug die Hände auf die Tischplatte. „Fay ist keine Hure, du Schlampe und jetzt gib ihr die verdammte Tasche zurück!", schrie er, und starrte Sae an.
„Oh...", machte sie, in gespielt ängstlicher Tonlage. „Hiroaki hat einen Wutausbruch... Kommt wahrscheinlich davon, dass er zuviel gedrückt hat, der arme, arme Kerl. Will er mir jetzt auch gleich ein gesplittertes Weinglas ins Gesicht rammen?" Hiroaki erstarrte. Woher wussten sie davon? Woher konnten sie wissen, dass er es gewesen war?
Fay war aufgesprungen, und versuchte Sae die Tasche zu entreißen, doch es hatte keinen Zweck. Sae lachte plötzlich, und schmiss ihr die Tasche vor die Füße. „Hier, nimm, du kleines Miststück!", schrie sie, und zeigte dann mit dem Finger auf Hiroaki. „Wir sind keine Freunde mehr, ich hoffe das ist dir klar, du Arschgesicht! Fix soviel du willst, und fick deine Nutten, aber komm ja nie wieder zu deinen alten Freunden und frag ob sie dir helfen könnten!" David war aufgestanden und gegangen. Sakuya saß ruhig, wie es sonst gar nicht seine Art war, am Tisch und tat nichts. „Du bist zu weit gegangen Hiroaki, dass wirst du irgendwann noch mal bitter bereuen! Aber dann komm nicht bei mir angekrochen, ich hab's jetzt echt satt mit dir!" Es war als würde sie ihre ganze Wut herausschreien. „Du denkst immer nur an dich, dass du eine kleine Schwester hast, die ohne dich in ein Heim muss, daran denkst du nicht! Du denkst nur an dein eigenes Vergnügen, du verdammter Fixer du!" Hiroaki sagte nichts. Es stand vor Sae, und sah ihr in die Augen, aus denen er soviel Hass lesen konnte. Soviel Abscheu. „Komm, Fay, wir gehen besser nach hause...", flüsterte er, und nahm seine Freundin bei der Hand.
Langsam, ganz bedächtig, verließen sie das Heavycorn, und machten sich auf den Weg nach hause. Jetzt hatte er es endgültig versaut. Wie er sich selbst dafür hasste! Er versuchte Fay ein wenig zu beruhigen, und langsam ging es ihr wieder besser. „Tut mir leid...", flüsterte sie, und lächelte ihn traurig an. „Das ist alles meine Schuld, dass deine Freunde jetzt nichts mehr mit dir..." Er legte ihr den Finger auf den Mund. „Nichts davon. Du kannst nichts dafür."
Sie gingen eine Weile nebeneinander her, sagten nichts, und langsam wurde es Fay zu kalt. Hiroaki fragte sich, weshalb sie im Spätherbst ein Ärmelloses Top trug. Er zog seine Jacke aus, und reichte sie ihr. „Danke..."
Der Schein der Straßenlaternen erhellte den Bürgerstein vor ihren Füßen. Der Himmel war wundervoll, wolkenlos und Sternüberhangen. Er wollte ins seine Wohnung, zu Josephine, Fay könnte mit übernachten, wenn sie wollte. Er dachte an David und Sae, doch irgendwie spielte das alles keine Rolle mehr. Er brauchte nur Fay, nur sie, die er liebte. Solange sie bei ihm blieb, war alles in Ordnung.
Plötzlich war die Silouette eines jungen Mannes, vor ihnen, zu erkennen. Hiroaki blieb stehen. Die Gestalt kam ein Stück näher, und nun erkannte er auch, wer es war. Marc, ein Typ, den Hiroaki einmal im Heavycorn getroffen hatte. Eigentlich war Marc ihm eher unsympathisch, er war so ein Schlägertyp, doch an diesem Abend hatte Hiroaki kein Geld mehr für seinen Stoff gehabt, und Marc hatte ihm, warum auch immer, 40 Euro geliehen. Ihm war klar, das dieser Typ sein Geld zurück wollte, und, dem Himmel sei dank, hatte Hiroaki noch 50 Euro in der Tasche. Es würde keine Probleme geben. „Hey, Hiroaki", begrüßte Marc ihn. „Ich hoffe du erinnerst dich noch an mich." Er grinste schief. Hiroaki nickte. „Ja, klar. Pass auf, ich geb dir die 40 Euro gleich jetzt zurück, okay?" Er griff nach seiner Geldbörse, zog zwei zwanzig Euro Scheine heraus und reichte sie seinem Gegenüber. Dieser lachte nur. „Was, du glaubst mit 40 Euro isses getan? Was bist du denn fürn Typ? Man, schon mal was von Zinsen gehört?" Hiroaki schloss ruhig die Augen. „Okay, dann geb ich dir eben 50 Euro, zufrieden?"
Marc hatte sich vor ihm aufgebaut. Er war ein richtig widerlicher Kerl, erinnerte Hiroaki irgendwie an Georg. „Jetzt hör mir mal zu du kleiner Arsch. Ich will 3000 Piepen von dir, hast du kapiert?" Hiroaki starrte ihn an. 'Hat der noch alle Tassen im Schrank?' „Ich hab nicht soviel! Was erwartest du denn?!", rief er. Wieder grinste Marc. Das war ein schlechtes Zeichen. „Kennst du das verlassene Industriegebiet, fünf Minuten von hier entfernt? Dort is ein Haus, das is Nummer 50. Dorthin bringst du mir in einer Stunde die 3000 Kröten, kapiert? Wenn nicht, dann...", er lachte wieder, und griff plötzlich nach Fays Arm. Er zog sie zu sich, packte sie fest, und hielt ihr seine linke Hand vor den Mund. Hiroaki wollte anfangen auf ihn einzuschlagen, doch im gleichen Augenblick packten ihn zwei starke Hände von hinten, und hielten ihn fest. „... Werden wir uns ein wenig mit deiner kleinen Freundin hier vergnügen." Hiroaki versuchte nach hinten zu sehen, um fest zu stellen, wer ihn da festhielt. Es schien ein Kumpel von Marc zu sein, genau so ein Muskelprotz. Er hatte keine Chance. „Ihr lasst Fay in Ruhe!", schrie er. „Ich besorg euch das verdammte Geld, aber lasst sie in Ruhe!" Das Grinsen auf Marcs Gesicht wurde breiter. „In einer Stunde, Haus 50 im Industriegebiet. Wenn du rechtzeitig da bist, lassen wir die Kleine ganz sicher in Ruhe."
Fay strampelte und trat wild um sich, doch Marc hatte sie fest in seinem Griff. Die Angst in ihren Augen konnte Hiroaki nur zu deutlich sehen. Wieder lachte Marc, und dann drehte er Hiroaki den Rücken zu. Langsam aber sicher bugsierte er Fay vor sich her, und ging in Richtung Industriegebiet. „Und vergiss nicht: 3000, nicht mehr und nicht weniger, oder die Kleine ist dran!", rief er im Fortgehen. Hiroaki wollte hinterher rennen, doch er wusste, dass es keinen Zweck hatte. Der andere Typ ließ ihn los, und er blieb einfach dort stehen. „Scheiße...", flüsterte er, und starrte zu Boden. 'Woher soll ich denn 3000 Kröten nehmen?', fragte er sich, und sein Herz pochte immer schneller. Da war wieder dieses Gefühl, genau wie damals, als er mit Fay auf diesen Hinterhof gegangen, und von dem Dealer Henry Heroin gekauft hatte. Ihm wurde schlecht, sein ganzes Inneres verkrampfte sich furchtbar. Angestrengt dachte er nach. Er könnte eine Bank überfallen! Aber das war hirnrissig, das würde er nie hinkriegen, und schon gar nicht innerhalb einer Stunde. Er könnte zur Polizei gehen! Doch schon in seinem Kopf hörten sich die Worte lächerlich an. Was sollte er denn sagen? „Ein Typ hat meine Freundin gekidnappt, weil ich ihm die Schulden für mein Heroin nicht zurückzahlen kann", oder wie? 'Selbst wenn ich dafür im Knast lande... Ich muss Fay da rausholen!' Dann dachte er an Joe. Die arme, kleine Josephine, hatte er ihr nicht schon genug angetan?
Er könnte Sakuya suchen! Sakuya hatte immer soviel Geld! Wenn Hiroaki ihm die Situation erklären würde, würde er ihm die 3000 Euro sicher borgen. Das war wohl die einzige Möglichkeit. Also rannte er, so schnell er konnte los, den Weg, den er und Fay gegangen waren zurück, bis zum Heavycorn. Er stürmte hinein, zu dem Tisch, an dem er und die Anderen noch vor einer halben Stunde gesessen hatten. Aber da saßen nur noch Sae und David. „Wo ist Sakuya?", rief er ihnen schon von Weitem zu. Sae drehte ihren Kopf in eine andere Richtung. „Er ist schon nach hause gefahren..."
Nein! Das durfte nicht wahr sein, das konnte nicht wahr sein! Zu Sakuya brauchte man zu Fuß bestimmt fast eine halbe Stunde! Er würde niemals rechtzeitig zurück sein! Hiroaki drehte sich auf dem Absatz um, und stürzte hinaus. Es war egal, ob es unmöglich war oder nicht! Es musste es einfach versuchen!
Inzwischen hatte es angefangen zu regnen, und die Tropfen durchnässten Hiroaki von Kopf bis Fuß. Es war ihm egal. Er rannte, einfach nur, eilte durch Seitengassen, jagte die verlassenen Straßen entlang. Es waren höchstens zwanzig Minuten, doch ihm kam es vor wie eine Ewigkeit. Dann sah er das Haus, in dem Dan und Sakuya lebten. Er suchte hektisch den Namen Togashi bei der Liste von Klingeln, dann fand er ihn, und drückte den daneben angebrachten Klingelknopf. Er wartete. Sein Atem ging schnell, sei es vor Aufregung, oder weil er schneller gerannt war, als jemals zuvor in seinem Leben. Doch es geschah nichts. Er betätigte die Klingel noch einmal, und noch einmal, dann hämmerte er wie wild gegen die Eingangstür. „Sakuya! Verdammt, mach die verdammte Tür auf!", schrie er, und klingelte wieder. Seine Fäuste pochten mit einer solchen Wucht gegen das Holz, dass er glaubte, es würde jeden Augenblick brechen. „Mach auf, Sakuya! Verdammt noch mal, mach endlich auf!" Langsam liefen Tränen seine Wangen hinunter, er hörte nicht auf. „Mach auf...", seine Stimme wurde schwächer. „Bitte mach auf..."
Doch die Tür blieb verschlossen. Warum auch immer, Sakuya war nicht da. Hiroaki sah auf seine Uhr. Es war zwanzig nach neun. Er musste jetzt dieses verdammte Geld kriegen, woher war vollkommen egal! Es war wie ein Alptraum, ein schrecklicher Alptraum aus dem es einfach kein Entkommen gab!
Doch dann wurde ihm plötzlich, doch zu spät, etwas klar. Er würde niemals 3000 Euro innerhalb von einer Stunde auftreiben können - und diese Kerle hatten das gewusst. 'Fay...' Er zitterte immer noch. Seine Knie gaben fast nach, alles schien so schnwer zu sein. Auf dem Bürgersteig hatte sich mittlerweile so etwas ähnliches wie ein kleiner Fluss gebildet. Hiroakis Tränen vermischten sich mit den Regentropfen. Dann fasste er einen Entschluss, und lief wieder los, auch wenn er dazu eigentlich überhaupt keine Kraft mehr hatte. Er jagte so schnell ihn seine Beine irgendwie tragen konnten zurück in Richtung Heavycorn. Der Regen war schlimmer geworden, es schüttete jetzt geradezu.
Was würden diese Typen mit ihr anstellen, wenn er nicht rechtzeitig kam? War es vielleicht schon zu spät? Da! Viel schneller als der Weg zu Sakuyas Wohnung, so kam es ihm vor, war der Rückweg, denn dort vorn konnte er schon die Lichter des Heavycorns erkennen. Er hatte furchtbares Seitenstechen, zwang sich jedoch, es zu ignorieren und einfach weiter zu laufen. Als er hinein kam, saß nur noch David an dem Tisch. „David!", schrie er. „Gott sei dank du bist noch da!" Sein Freund blickte ihn verwundert an. „Hiroaki? Was machst du denn noch hier, ich dachte..." „Egal!", unterbrach Hiroaki ihn. „Ich brauch deine Knarre, es ist wichtig, gib mir die Pistole." David hatte immer eine Waffe bei sich, er war vernarrt in alles was schießen konnte. Einen Waffenschein besaß er zwar nicht, aber bisher war er deswegen nie in Probleme gekommen. Er reichte Hiroaki die Pistole, fragte jedoch noch verwundert: „Hier, aber was willst du damit? Wenn du vorhast jemanden umzulegen, dann..."
Doch Hiroaki war schon umgekehrt, und rannte wieder nach Draußen. Er blieb kurz stehen, mit noch vorn gebeugtem Oberkörper. Sein Herz raste förmlich, und die Schmerzen waren unerträglich. Aber er musste es jetzt verdammt noch mal schaffen, er musste! Es waren höchstens noch zehn Minuten bis zum Industriegebiet. Vielleicht war es noch nicht zu spät. Wieder setzte er sich in Bewegung, und sprintete den selben Weg entlang, den er vor einer Stunde mit Fay gegangen war. Er lief vorbei, an der Mülltonne, wo sie Marc begegnet waren, und schlug die Richtung zum ausgemachten Treffpunkt ein.
Bald kam er an einen großen, mittlerweile vom Regen, völlig schlammigen Platz, auf dem nichts als ein paar veraltete Häuser und verschrottete Autos standen. Das alte Industriegebiet! Hektisch suchte Hiroaki die Nummern der Häuser ab, dort war die 5! Er rannte weiter. Der Schlamm spritzte unter seinen Füßen, und seine Schuhe und seine Hose wurden von ihm benetzt. Dann kam er an das besagte Gebäude, die Nummer 50 war mit Marmor angebracht, und dreckig wie alles andere hier. Hiroaki hielt die Pistole in seiner rechten Hand, sein Finger lag am Abzug. Er stürmte die Treppen hinauf, und kam dann an die Eingangstür. „Hey!", schrie er. „Ihr kommt jetzt raus, und übergebt mir Fay, klar? Ich bin bewaffnet!" Nichts geschah. „Habt ihr mich nicht gehört?", brüllte er, so laut er es unter diesen Umständen konnte. „Na gut, ich hab euch gewarnt! Ich... Ich komme jetzt rein!" Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme zittrig war. Er ging langsam einige Schritte in die leer stehende Wohnung. Das hier war scheinbar der Flur. Da waren keine Stimmen, da waren nicht einmal Schritte.
Er stieß die Tür, die sich rechts von ihm befand auf. Aber da war nur ein großer, leerer Raum. Er ging zurück, in den Flur, und öffnete dann, mit seiner linken Hand die andere Tür. In der rechten hielt er die Pistole, bereit sofort abzudrücken...
Was er dann sah, brachte ihn dazu, sie wieder fallen zu lassen. Sie fiel zu Boden, und machte dabei ein schepperndes Geräusch, doch er nahm es nicht wahr. Vor seinen Füßen lag Fay. Sie war, bis auf Slip und BH nackt, ihre Kleidung lag im Zimmer, um die herum. Ihre Haare lagen wild durcheinander, ihre Augen waren geschlossen. An ihrer Stirn war eine große, blutige Wunde, ihr ganzes Gesicht war blutverschmiert. Und sie bewegte sich nicht.
Hiroaki rührte sich ebenfalls nicht. Er stand auf der Türschwelle, starrte auf Fays Körper, und tat ganz einfach nichts. Sein Mund stand ein Stück weit offen, seine Augen waren weit aufgerissen. Wie in Trance bückte er sich zu ihr herunter und lächelte. „Hey, Fay... Ich bins, Hiroaki... Ich bin jetzt da, du brauchst keine Angst mehr zu haben..." Er schluckte. „Steh schon auf, komm schon..."
Sein Verstand setzte vollkommen aus, außer die Augen auf Fay gerichtet zu halten tat er Minuten lang nichts.
Er konnte sehen, dass sie nicht atmete, er wusste, dass sie tot war. Sein Verstand sagte ihm, dass es sinnlos war, doch er wollte es nicht wahr haben. „Fay, komm schon, lass den Scheiß... Mach endlich die Augen auf...!", flüsterte er mit tränenerstickter Stimme. Ihm wäre danach gewesen zu schreien, alles herauszuschreien, doch etwas in ihm weigerte sich dagegen. Irgendetwas bewirkte, dass er fast 20 Minuten von Fay regungslosen Körper saß, und sie melancholisch betrachtete. Dann stand er langsam auf, nahm die Pistole, die neben seinen Füßen lag und ging in Richtung Tür. Er drehte sich nicht noch einmal zu ihr um, er sah nicht zurück. Der Himmel draußen hatte sich verfinstert, es musste gegen elf Uhr sein, als Hiroaki das Industriegebiet wieder verließ, und dann ziellos durch die Stadt irrte. Der Regen war abgeklungen, doch schwerer, trüber Nebel hatte sich über die Dächer und Bäume gelegt. Die Lichter von Reklameschildern, Autoscheinwerfern und Straßenlaternen sorgten dafür, dass es niemals völlig dunkel wurde. Gebrochen wandelte Hiroaki an den Leuten vorbei, über verschmutzte Wege, durch leblose Straßen. Doch waren so viele Menschen unterwegs, sie gingen an ihm vorbei, ohne ihn wahr zu nehmen. Die Stadt wirkte auf ihn totenstill, bewegungslos. Sein Atem zeigte sich in der kalten Nachtluft als weißer Rauch.
Was auf ihn noch vor einer Woche so aufregend, so rasant und atemberaubend gewirkt hatte, war in den alltäglichen Trott zurückverfallen. In den Spielcasinos saßen verärgerte Menschen, die das Spiel wieder einmal verloren hatten. So wie er. Es war nun einmal seine Bestimmung Ungeziefer zu sein. 'Es war meine Schuld. Ich habe sie umgebracht.'
Mehr zu denken, dessen war er nicht im Stande, obwohl da keine Tränen mehr waren, die er zurückhalten musste, und er auch nicht mehr zitterte. 'Ich bin von Innen verdorben, verfault...' Wie charakterlos konnte ein Mensch sein, wenn er sich die Last auferlegte ein Mädchen zu beschützen, und sich dann nicht einmal selbst retten konnte? Er kam sich so erbärmlich vor, so schwach, weil er nichts gegen das Schicksal unternahm. Er war ein Unheil bringender Nichtsnutz, der alles um sich herum mit seiner Verderbnis ansteckte, wie eine Krankheit. Dieses triste Leben, was sollte das noch bringen?
Er kam an eine Telefonzelle, die leer zu sein schien. In seinem Portmonee waren noch 50 Cent, die er in den Automaten steckte. Dann wählte er die Nummer 110. Seine Hand, die sich fest um den Hörer krallte, war eiskalt, wie die Luft draußen. Die Jacke, die er Fay gegeben hatte musste noch im Industriegebiet sein. Er mochte nicht nach ihr suchen.
„Ich rufe an, um ihnen mitzuteilen, dass ein gewisser Marc im Industriegebiet, im Haus Nr. 50 ein Mädchen namens Fay Arwaling geschändet und getötet hat. Sie können ihre Leiche im besagten Haus finden." Ohne abzuwarten drückte er den Hörer wieder auf die Station. Das Wechselgeld mitzunehmen, erschien ihm überflüssig.
Als er wieder nach draußen kam, wirkte alles noch viel seltsamer. Es herrschte keine Grabesstille mehr, dafür aber Autolärm, laute Stimmen und Rufe. Die Lichter blendeten ihn, sie strahlten plötzlich so hell und überhaupt... Alles wirkte ein wenig verschwommen, die Töne wurden unerträglich laut. Und diese Farben, warum waren sie plötzlich so grell? Er begann wieder zu zittern, doch nicht wegen der Kälte. Auch nicht wegen Fay. Er ahnte es, er hatte es schon seit Tagen geahnt... Soviel hatte er darüber gehört, er war sicher, dass das war, was er vermutete. Turkey. Entzugserscheinungen. Jetzt hatte er auch noch geschafft, was er hatte unbedingt verhindern wollen - körperlich abhängig zu werden. Ein Auto hupte, ein junger Mann, der betrunken an ihm vorbeischwankte, grölte. Es Dröhnte in Hiroakis Kopf und hallte schmerzhaft wieder. Was er jetzt brauchte, war klar. Ein Druck und die Sache war erledigt. Desolat drehte er sich weg, um noch einmal, das vierte Mal an diesem Abend ins Heavycorn zu gehen, und diesmal würde keiner seiner Freunde mehr dort sitzen. 'Verdammter Schießer...' Er wollte sich das verdammte Zeug fixen, und dann einfach vergessen. So konnte er ungeschehen machen, was an diesem Tag passiert war, wenigstens für ein paar glückliche Stunden. Das war der einzige Ausweg aus dieser Misere. 'Vielleicht gleich ne Überdosis...' Das würde ihn von den Qualen befreien.
Für immer.

 

Hallo Satansbraut,

als erstes einmal die Frage, warum Du Dir einen so furchtbaren Namen gegeben hast und warum hast Du das selbe dann noch mit Deiner Geschichte gemacht hast?

Die ist nämlich echt gut.

Das ist das, was ich nach dem ersten lesen sagen kann.

Ich werde sie mir aber noch einmal genauer ansehen.
Vielleicht finde ich ja noch etwas ;-)

Aber vom ersten Eindruck her gibt sie viel her und ich konnte nicht viel finden, außer, das sie sehr lang ist für eine KG.

Ist die echt von Dir?

Ich versteh nicht, noch nicht, warum Du in Deinem Profil schreibst, das Du hier nicht sehr beliebt bist.

Aber Du wirst schon Deine Gründe haben.

Also bis zum nächsten Mal, wenn ich die Geschichte noch einmal gelesen habe, ok?

Sei beschützt
Mutav

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom