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Deutschland sucht den Super-Diktator
„Wunderschönen guten Abend, liebe Radiohörer! Ich melde mich heute wieder direkt aus der Reichshalle in Berlin, wo es in die dritte und entscheidende Qualifikationsrunde zur Endausscheidung für ‚Großdeutschland sucht den Superdiktator’ geht.
Falls Sie unsere letzten Sendungen nicht hören konnten oder wollten, weil Sie verbotener Weise BBC hörten, hier noch einmal die wichtigsten Entscheidungen in aller Kürze: In einem spannenden Stichkampf rang Mao Tse-tung seinen schärfsten Rivalen Dschinghis Khan nieder. Sein langer Marsch hatte damals die Jury sichtlich beeindruckt. In der ersten Runde hatte Publikumsliebling und Frauenschwarm Napoleon Bonaparte leichtes Spiel mit seinen Konkurrenten. Als bekennender Menschenfresser büßte der etwas lethargisch wirkende Idi Amin entscheidende Sympathiepunkte ein. Selbst mit seinen anti-semitischen Parolen konnte er nicht mehr Boden gut machen.
Völlig von der Rolle zeigte sich Überraschungs-Qualifikant Francisco Pizarro: Nachdem er auf Grund seiner Leseunkundigkeit die Reichshalle nicht gefunden hatte, konnte er den bohrenden Fragen der Jury nicht folgen und sorgte ein ums andere Mal für ungewollte Heiterkeit. Etwa, indem er die von ihm vernichtete Inka-Kultur mit der aztekischen verwechselte und sich nicht mehr erinnern konnte, welchen Inka-Herrscher er heimtückisch ermorden hatte lassen.
Aber wozu in die Vergangenheit schweifen, wenn das Gute doch so nahe liegt. Ich freue mich, dass die Jury auch an diesem Abend wieder vollzählig ist. Wilhelm der Zweite, Kaiser von Deutschland, beweist sein staatsmännisches Auftreten mit einer tadellosen Ausgehuniform und von seinen Speichelleckern auf Hochglanz gewichsten Stiefeln.
Zu seiner Rechten George W. Bush aus den erst kürzlich wieder vereinigten Staaten. Auch er tadellos gewandet, sieht man von dem ‚Fuck Moore’-Sticker auf der Brust ab.
Und natürlich auch dieses Mal wieder mit dabei: Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus, besser bekannt als Nero. Wenn Sie mir die Bemerkung gestatten: Gott sei Dank hat er seine Harfe nicht mit dabei.
Aber widmen wir uns nun den Kandidaten, denn Sie sind die Helden dieses Abends. Als Erster betritt ein gebürtiger Österreicher den Saal. In letzter Zeit ist es ja etwas still um ihn geworden. Doch dank seiner Rhetorik hat er wieder den Anschluss nach oben geschafft.
Schönen guten Abend. Wollen Sie sich kurz unseren Hörern und unserer Jury vorstellen?“
„Äch bän der Fürrer!“
„Ich bin mir sicher, Sie alle haben ihn gleich an der Stimme erkannt … Ja, Herr Nero? Sie wollten etwas sagen?“
„Wenn ich das so frei sagen darf: Vom Singen rate ich mit dieser Stimme ab.“
„Haha, immer zu einem Späßchen aufgelegt, werter Kaiser! Aber zurück zu Ihnen, Adolf. Ich darf doch Adolf sagen? Was sind Ihre Beweggründe, bei unserer Sendung mitzumachen?“
„Äch brauche das Gäld.“
„Na, immerhin sind Sie ehrlich! Haha. Ja, werter Kaiser Wilhelm, Sie möchten anfangen?“
„Gerne. Waren Sie denn schon mal Diktator? Haben Sie Referenzen?“
„Jawohl. Äch saß wegen versuchten Putsches im Gefängnis.“
„Oh, das imponiert mir! Haben Sie sich dort weiterbilden können? Ist Ihre Menschenverachtung in dieser Zeit gestiegen?“
„Durchaus. Äch habe ein Buch geschrieben, das jeder läsen muss, falls äch gewinne.“
„Interessant! Welchen Titel trägt es? Kann man es bereits erwerben?“
„Äs heißt ‚Nichts als mein Kampf’ und hat noch keinen Verläger gefunden, da das teutsche Verlagswesen in Händen der jüdischen Verschwärer ist.“
„Harte Bandagen, die Sie da gleich einbringen, Adolf. Ich glaube, Mister Bush hat eine Frage.“
„Indeed, Sir. Wie stehen Sie zum Thema Massenvernichtungswaffen?“
„Äch wärde mäch bemühen, möglichst viele davon härzuställen.“
„Brauchen Sie welche? Ich könnte Ihnen da ein tolles Angebot-“
„Haha, George! Wir wissen, dass Sie ein tüchtiger Geschäftsmann sind. Aber bitte bereden Sie das erst nach der Show. Ich gebe weiter an Nero.“
„Ja, ich hätte da eine Frage: Angenommen, jemand würde den Reichtstag anzünden. Wem würden Sie die Schuld unterjubeln?“
„Natürlich dän Kommunisten!“
„Oh. Ist das so eine Sekte wie die Christen?“
„Verzeihung, da muss ich jetzt eingreifen! Unser nächster Kandidat ist Kommunist. Ich würde es nicht gut finden, das Publikum zu manipulieren mit solchen Themen.“
„Scusi. Ich ändere meine Frage ab: Welche künstlerischen Fähigkeiten besitzen Sie?“
„Äch male. Abär diese jüdischen Verschwörer haben mein Talent abgestritten.“
„Well, darf ich noch eine Frage stellen? Glauben Sie es ist nötig, die Mehrheit der Stimmen zu erreichen, um das höchste Staatsamt zu bekleiden?“
„Natürlich nächt, Herrr Busch! Äch wärde das Ergebnis einfach zu meinen Gunstän erklären und alle Kritiker mundtot machen lassän.“
„Son of a Bitch! Sie gefallen mir! Genau so werde ich es auch machen!“
„Wunderbar, dann wären wohl alle Fragen geklärt. Vielen Dank Adolf. Darf ich nun den nächsten Kandidaten hereinbitten? Hallo Josef“
„Hallo.“
„Helfen Sie mir doch mal: Wie spricht man Ihren Namen richtig aus? Dschuga…“i
„Nennen Sie mich einfach Stalin.“
„Ach. Haha, Sie haben bereits jetzt einen Künstlernamen angenommen? Das zeugt von Selbstvertrauen! Bitte stellen Sie Ihre Fragen, werte Jury. Möchten Sie diesmal anfangen, George?“
„Well, nachdem mein Daddy Geschäftsmann ist interessiert mich, welche Art Geschäfte Sie betrieben, Mister Stalin.“
„Ich habe diverse Überfälle organisiert, um meiner Partei zu helfen.“
„Really? Gibt’s bei Ihnen keine als Spenden getarnten Schmiergelder?“
„In Sowjetunion gibt es keine Korruption. So etwas gibt es nur im dekadenten Westen.“
„Was Sie nicht sagen! Ich werde das den Geheimdienst prüfen lassen.“
„Verzeihung, ich glaube, Nero hat eine Frage.“
„Herr Stalin, ließen Sie Kritiker umbringen oder haben es zumindest angedacht?“
„Oh ja. Ich ließ Trotzki in Mexiko ermorden.“
„Mexiko? Ich möchte keine Missstimmung in die Runde bringen. Aber für mich klingt das so ein wenig, als wären Sie zu feige gewesen, ihn in Ihrem eigenen Land umbringen zu lassen.“
„Das war gleich mal ein Vorwurf an Sie, Josef.“
„Soll ich ihn umbringen?“
„Äh, nein, Sie sollen Stellung nehmen.“
„Ich bin nicht feige, ich bin vorsichtig, im Interesse der Partei.“
„So kann man das auch ausdrücken. Kaiser Wilhelm, bitte?“
„Mir ist da bei Ihrer Biographie was aufgefallen. Sie gaben an, dass Sie Gulags einführen wollen, was nichts anderes bedeutet, als ‚Hauptverwaltung der Lager’. Das erinnert mich verdächtig an Herrn Hitlers Idee mit den Konzentrationslagern. Nicht, dass ich Ihnen etwas unterstellen möchte…“
„Da muss ich jetzt kurz eingreifen! Arbeitslager wurden schon lange von den britischen Kolonialherren in Afrika und Asien eingesetzt. Ich glaube, Ihr Vorwurf geht da ins Leere, lieber Kaiser.“
„Well, darf ich noch eine Frage stellen? Nehmen wir mal an … ein, äh, ein Friend sucht einen fadenscheinigen Grund, um ein Land anzugreifen, das ihm nie irgend etwas getan hat. Wie würden Sie da vorgehen?“
„Rein theoretisch gesprochen würde ich fiktive finnische Soldaten ein russisches Dorf angreifen lassen. Dann wäre das Recht nach Meinung der Welt auf meiner Seite und ich könnte schalten und walten, wie ich, ich meine die Partei, es wollte.“
„Great! Sie erlauben, dass ich mir das notiere? Vielleicht kann ich es ja mal gebrauchen.“
„Es freut mich zu sehen, dass hier selbst die Jury noch etwas von den Kandidaten lernen kann. Haben Sie vielen Dank, Josef! Ich begrüße nun unseren letzten Kandidaten des Abend: Salaam, Saddam!“
„Hallo. Fairerweise möchte ich voranstellen, dass es sich bei mir vielleicht nur um einen Doppelgänger des echten Saddam handelt.“
„Ein cleverer Schachzug! Oder was meinen Sie, Nero?“
„So was hätte ich bei meinem Selbstmord auch brauchen können.“
„Haha, immer für ein Witzchen gut, der gute Kaiser Nero. Aber zurück zu Ihnen, Saddam: Wann haben Sie gemerkt, dass Sie zu höherem berufen sind?“
„Als Allah mir erschien und mich erwählte.“
„Kölle Allahf!“
„Haha, aber werter Herr Kaiser! Solche Witzeleien ist man von Ihnen gar nicht gewohnt. Was meinen Sie, George?“
„Ich bin mir nicht sicher. Der Teleprompter ist so weit weg.“
„Ihre Inkompetenz ist mir schon vor langem aufgefallen!“
„Aber, aber, Saddam! Bitte nicht gleich persönlich werden. Mit einem so wichtigen Juror sollten Sie es sich nicht verscherzen, nicht wahr?“
„Signor Saddam. Welche praktische Erfahrung in Menschenschlächterei haben Sie?“
„Nun, Nero, ich habe mein eigenes Volk unbarmherzig unterdrückt und drei Kriege begonnen.“
„Gewonnen?“
„Leider nein, Zwei Niederlagen und ein glückliches Remis.“
„Ich sehe, Kaiser Nero runzelt die Stirn…“
„Also ich muss ehrlich sagen, das ist mir etwas zu wenig Erfahrung. Volk unterdrücken, gut und schön. Aber das können viele andere genau so gut! Mir fehlt da etwas die persönliche Note. Ich hoffe es kommt rüber, was ich damit ausdrücken möchte.“
„Na ja, ich habe missliebige Parteimitglieder eigenhändig erschossen. Können das Hitler und Stalin auch von sich behaupten?“
„Ich weiß nicht, ich weiß nicht … Das hat irgendwie keinen, hm, Stil. Wo ist da das Heimtückische und wirklich Bestialische? Mir kommt es so vor, als hätten Sie es sich zu einfach gemacht, Saddam.“
„Mein Volk hasst mich!“
„Ja, aber das behaupten doch alle Diktatoren! Scusi, mein Guter, aber die sind vielleicht nicht ganz ehrlich zu Ihnen. Vielleicht wollen Sie Ihnen die Wahrheit nicht sagen, weil Sie Ihnen nicht weh tun oder gefoltert werden wollen.“
„Ich sehe, wir sind schon etwas knapp mit der Zeit. George, Sie sind so still, starren aber Saddam unentwegt an. Wollen Sie noch etwas sagen?“
„Nein. Ich habe mir nur überlegt, wie viele Nuklearsprengköpfe in diese Halle passen würden.“
„Ein origineller Einfall! Aber bitte warten Sie damit, bis die Show zu Ende ist. Vielen Dank, Saddam! Darf ich die Jury nun um ihre Eindrücke bitten, um den Zuhörern die Entscheidung zu erleichtern? Fangen wir beim Hausherren an, Kaiser Wilhelm?“
„Gerne, danke. Also für mich ist die Entscheidung ganz klar. Bei Saddam habe ich das gleiche Gefühl wie Nero: Da fehlt noch dieses gewisse Etwas an Sadismus. Stalin wäre ein vortrefflicher Kandidat, wenn er nicht seine eigenen Interessen über jene der Partei stellen würde. Das wirkt auf mich etwas arrogant, obwohl er privat sicher ein netter junger Mann ist.
Meine Sympathien gelten eindeutig Adolf, der künstlerisch offensichtlich begabt ist. Ich gebe offen zu, eine Schwäche für Quereinsteiger zu haben, die mit etwas ganz anderem anfangen, als sie später dann ausüben.“
„Dem Applaus nach zu urteilen goutiert das Publikum Ihre Entscheidung. George, darf ich Ihre Wertung erfahren?“
„Well, um es schonungslos zu sagen: Saddam scheidet aus meiner Sicht völlig aus. Er wirkt extrem gekünstelt auf mich und…“
„Bitte, liebes Publikum, akzeptieren Sie die Jury-Sprüche und unterdrücken Sie die Zwischenrufe! Fahren Sie fort, George.“
„Well, ich habe da meine Schwierigkeiten mit solchen Leuten. Hitler wirkt da viel ehrlicher in seiner Performance und ich sehe da eine ganz, ganz große Karriere-Chance für ihn. Vielleicht nicht hier, vielleicht in Frankreich oder Polen. Mein Favorit ist aber Stalin. Mir imponieren seine Phantasie und seine Schlagfertigkeit. Der Mann weiß, was er will, und er holt es sich einfach, egal unter welchen Vorwänden. Außerdem habe ich eine Schwäche für Gulag. Meine ungarische Köchin bereitet so etwas öfters zu.“
„Danke George. Nero, Ihre Meinung?“
„Oh je, das ist wirklich schwierig, hm. In einem Punkt bin ich mit George und Wilhelm einig: Saddam ist noch nicht reif genug. Ihm fehlt da einfach der letzte Schliff. Er wirkte auch sehr unsicher in seinen Antworten. Hitler und Stalin sehe ich auf der selben Schiene, wobei mich persönlich Hitlers Akzent etwas stört! Ich glaube, mit so etwas kommt man beim Volk nicht an. Da würde ich ganz dringend einen Rhetorik-Kurs empfehlen. Stalin hat für mich ein bisschen was von einem väterlichen Freund an sich, Das kommt beim einfachen Mann sehr gut an. Ich könnte ihn mir ganz gut auf BRAVOSKY-Starschnitten vorstellen, wie er gütig und lieb herab lächelt. Der weiß, wo Hammer, Sichel und Regimegegner hängen. Bei Hitler kann ich mir das nicht vorstellen. Er ist eher so der harte Typ, dem man mehr Respekt als Zuneigung zollt. Ich denke, dass er etwas schwerer hat, die Herzen des Volkes für sich zu gewinnen. Deshalb stimme ich für Stalin.“
„Vielen Dank, Nero! Das war also die Jury-Wertung. Liebe Zuschauer, die nächsten zehn Minuten lang können Sie anrufen und für Ihren Favoriten stimmen. Bedenken Sie aber bitte, dass Ihre Stimme natürlich nicht zählt und wir den Anruf zurückverfolgen können.
Das Ergebnis, wer denn nun neuer Diktator wird, erfahren Sie morgen an den Kiosken, im Radio oder in der Folterkammer.
Schönen guten Abend noch und vergessen Sie nicht: Ob Süden, Westen, Osten, Norden, überall ist´s gleich gut morden.“