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Deutscher Montag 4 - Einer
„Ja, ich habe einmal gut verdient. Das ist lange her. Zufrieden war man mit meiner Arbeit, ich habe in der Konstruktion gearbeitet. Geräte entwickelt. Und eigentlich immer mehr gearbeitet als das, was am Ende des Monats in meiner Lohntüte war. Es ist nicht mein Fehler, daß die Branche so schwer einknickte, überall wurden Stellen gestrichen. Auch meine. Die Firma, für die ich gearbeitet habe, die gibt es heute doch schon gar nicht mehr.
Ich bin hochqualifiziert, habe meinen Ingenieur gemacht, ist schon ein paar Jahre her, aber Elektrotechnik ist eben Elektrotechnik. Und was Schaltungen angeht, da macht mir so leicht keiner etwas vor.
Es ist nicht so, daß ich die letzten Jahre faul herumgesessen habe. Wollen Sie einmal wissen, wieviele Bewerbungsschreiben ich abgeschickt habe in den letzten zwölf Jahren? Wollen Sie es wirklich wissen? Ich sage es Ihnen: zweitausendsiebenhundertundvierzehn. Ich habe sie alle archiviert, in meinem Arbeitszimmer, alle zweitausendsiebenhundertundvierzehn. Man kann mir doch nicht vorwerfen, ich hätte mich nicht bemüht, das kann man nun wirklich nicht. Nein.
Die Ausbildung war hart, nur jeder dritte hat es geschafft damals. Die meisten haben schon im ersten Jahr aufgegeben. Haben sich dann als Hilfsarbeiter verkauft oder sind in ihre früheren Berufe zurück, wenn sie welche hatten. Ja glauben Sie, ich habe meinen Titel geschenkt bekommen? Nein, gelernt habe ich, bis spät in die Nacht, mir den Unterhalt vom Mund abgespart!
Und jetzt kommt einer, der sagt, auf den Weinbergen sind doch immer Arbeitskräfte Mangelware. Da soll ich also mit meiner Qualifikation, mit meiner Berufserfahrung und in meinem Alter für zwei Euro fuffzich in der Stunde Beeren aufsammeln? Mit vierzig Kilo aufm Buckel? Nee, also so ja nu wirklich nich. Und deshalb ist es ja auch ein Verbrechen, was hier geschieht. Ein Verbrechen an der Würde des Menschen! Nein, das werde ich nicht tun, ich habe auch meinen Stolz!
Die ganzen Jahre, die ich nun schon mit diesem Hungergeld auskommen muß! Und da soll ich jetzt noch dafür bestraft werden? Haben die denn gar keinen Anstand? Selbst irgendwas mit fünf Stellen im Monat einstreichen, eine Pension auf Lebenszeit, daß sie jeden Tag Champagner saufen können und dann denen alles wegnehmen, die ohnehin nichts haben! Eine saubere Gesellschaft, das muß man schon sagen.
Ich habe hier einmal eine kleine Rechnung. Alles aufgeführt. Miete, Ernährung, Versicherungen. Also wenn die das durchsetzen, dann bleiben mir gerade noch dreißig Euro im Monat. Und ich habe wirklich nur das Notwendigste hier aufgeführt, ist noch nicht einmal Geld für Kino oder Theater drauf. Ja, ins Theater bin ich früher gerne gegangen. Und wenn ich sparsam war, dann konnte ich mir das bisher auch alle zwei Monate einmal leisten. Ja glauben Sie, wenn das durchkommt, dann kann ich noch nicht einmal mehr Skat spielen, ohne Angst haben zu müssen! Ich müßte Angst haben, am Ende die vier Euro begleichen zu müssen, um die wir normalerweise spielen!
Nein, so kann das nicht richtig sein, nein, nein, nein. Ja wozu habe ich denn meinen Ingenieur? Wenn der Staat nicht in der Lage ist, die Situation so zu verändern, daß ich einen angemessenen Beruf nehmen kann, dann wird er das zu spüren bekommen. Das macht keiner mehr mit. Wir nicht, die wir heute hier stehen, und nächste Woche werden es schon doppelt so viele sein, das verspreche ich Ihnen aber.
Aber machen wir uns mal keine Sorgen. Denen steht das Wasser eh schon bis zum Hals. Wir machen denen gehörig Angst, die können gar nicht anders, als uns nachzugeben. Wir werden diesen groben Unsinn stoppen, wir werden die weichkochen, bis sie reuig alles zurücknehmen, ich bin mir sicher.“