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Deutscher Montag 1 - Gesichterlesen
Es ist noch ziemlich früh am Morgen, der Himmel ist klar und verspricht einen weiteren heißen Tag. Wir werden schwitzen heute, wenn wir draußen stehen werden. Ich widerstehe der Versuchung, mich noch einmal kurz ins Bett zu legen: ich bin nicht wirklich müde. Augenreibend und Gähnend stolpere ich in Richtung Badezimmer. Vor der Tür höre ich, wie drinnen jemand mit einer elektrischen Zahnbürste zugange ist. Ich kann es nicht leiden, morgens mit jemandem das Bad teilen zu müssen, weder mit Johanna, noch mit einem der Kinder. Also gehe ich die Treppe hinunter ins Erdgeschoß, knipse im Gästebad das Licht an und dusche dort.
Ich lasse das Auto zu Hause und gehe zu Fuß zum Treffpunkt, es ist genügend Zeit. Ich passiere die Gärten und Häuschen, viele meiner Kollegen haben hier gebaut und manchmal ist es schwierig, ein ruhiges Wochenende zu verbringen; Fußballabend bei Kalle mit Grill, Formel 1 auf Leinwand in Rudis Garten und wenn die Gemeinde den Spielplatz erneuert, oder ein Stück der Straße ausbessert, dann schenken Manfred und Trude in ihrem Partykeller Cocktails aus.
Ich bin viel zu früh, ich hätte mich noch einmal hinlegen, das Auto nehmen sollen, der Wagen ist gerade richtig eingefahren. Eine kleine Tour am Morgen wäre zu verlockend gewesen, ich hätte den Umweg über die Autobahn nehmen können, die Pferde so richtig rauslassen.
Ich gehe an der Kirche vorbei, am Rathaus, bis ich endlich zum Bahnhof komme. Ich bin tatsächlich der Erste. Was nun, herumstehen und warten? Es ist gerade mal neun Uhr, der Türke gegenüber hat bereits geöffnet. Es müssen schlechte Zeiten sein, daß er diesen Streß betreibt. Gerade ist er dabei, den Drehspieß in Gang zu bringen. Wer, um alles in der Welt, bestellt morgens um neun wohl einen Döner, frage ich mich. Ich lasse mir einen Kaffee servieren, den ich hastig trinke. Die Betriebsamkeit geht mir auf die Nerven.
Wieder vor dem Bahnhof stehe ich noch eine Weile allein, dann sehe ich Roland um die Ecke biegen - Wie geht's? - Ja, muß. Und selbst? - Ja, muß auch, ne. Wir stehen dämlich beieinander, ich denke angestrengt nach, was sich sagen ließe.
Hermann will sich in die Montage versetzen lassen, sagt Roland. Nicht mehr Qualitätssicherung, sage ich, nee, sagt Roland, wird ihm zu unsicher sagt er.
Eine Angst beschleicht mich. Roland wohl auch, er zündet sich eine Zigarette an, eine von diesen speziellen, die er sich immer mitbringen läßt, wenn einer Urlaub macht. Weshalb er so früh hier ist, frage ich mich kurz, weshalb bin ich überhaupt so früh hier, ich weiß es doch auch nicht.
Diesem Unfug muß ein Ende bereitet werden, manchmal kann ich abends kaum einschlafen, niemand darf einem den Schlaf nehmen, so weit kommt es ja gerade noch. Deshalb sind wir hier. Um diesem Unsinn ein Ende zu setzen. Um wieder ruhig schlafen zu können.
Andere kommen hinzu, der Platz füllt sich, Grüße werden getauscht, Kopfnicken. Es will keine Stimmung aufkommen, die kämpferische Atmosphäre bleibt aus. Wir wissen, daß sich hier die Helden versammeln, die die kopfstehende Welt wieder umdrehen werden. Wir werden alles wieder richten. Wir wissen, was wir wollen.
Und doch ist da irgendetwas. Irgendwo wissen wir es. Wissen, daß es irgendwie nicht das Richtige ist. Es steht in den Gesichtern geschrieben, ich bin sicher, auch in meinem. Wenn sie nur einer lesen wollte, die Gesichter hier, Montagmorgen. Unsere Zweifel können wir leugnen, aber wir können sie nicht verbergen.
Wir machen uns Mut, gemeinsam, mit Transparenten, das haben wir trainiert, jahrelang. Es hat uns immer genutzt. Und irgendwie werden wir es auch jetzt wieder schaffen, wir brauchen nur Erfolg, der wird sich einstellen, ich bin mir sicher.