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Deutsch im NY Subway 1956

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30.04.2003
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Deutsch im NY Subway 1956

„Deutsch“ im NY Subway (1956).

Vor drei Tagen hat mich mein Bruder am Pier der Italian Line abgeholt, nachdem der Immigration Officer meine Einwanderungspapiere sorgfältig geprüft hatte. Sigi ist nach sechs Monaten Training als Jungbanker in Wall Street schon ein alter Hase in dieser Weltstadt. Nach kurzem Besuch in seiner Wohnung folgte ich ihm auf seinen Rat hin zu einer Unterrichtstunde in New Yorker Verkehrskunde. Seitdem weiß ich, dass der Subway mit seinen Local und Express Trains der Nord-Süd Verbindung dient. West-Ost fährt man in Bussen, deren Fahrer das Geldwechseln hassen. Zum Betreten der Subwayanlagen durch ein Drehkreuz braucht man einen Token, eine Münze mit einem eingestanzten Y. Ist man drin im Röhrensystem, dann kann man für den Rest seines Lebens dort bleiben. Aber wer will das schon. Übrigens haben die US Soldaten herausgefunden, dass man auch mit einem deutschen Pfennig hineinkommt. Er entspricht dem Token in Größe und Gewicht. Ich habe welche mitgebracht.
Bewundernd blicke ich noch einmal in der Straßenschlucht der 47 ten an den Häuserfronten zum schmalen Band des Himmels empor bevor ich unter dem „Uptown“ Schild der Subway hindurch auf der Treppe in die Tiefe trappele. Im grünlich gekachelten Eingangsraum mit seinem kleinen Kassenkabäuschen an der Wand und einer den Weg versperrenden Batterie von Drehkreuzen empfängt mich der schon beim ersten Besuch unvergesslich im Hirn verbleibende Geruch. Eine Mischung von morgendlich kaltem Kneipenmief mit scharfriechendem elektrischen KurzschlußOzon. Ich stecke meinen Token - oder war es noch mein letztes Pfennigstück- in den Schlitz und schiebe die Sperrstange mit lautem Knack nach vorn. Nun gibt’s zwei Rolltreppen nach unten „ Local“ und „Express“. Ich wähle Express, denn ich will in die Bronx, um mich bei meiner zukünftigen Quartierwirtin vorzustellen. Das Treppenband entlässt mich auf den kahl wirkenden Bahnsteig. Die Wand hinter dem durch seine dunkle Tiefe bedrohlich wirkenden Graben der Geleise ist mit ehemals grellfarbigen Reklameplakaten bepflastert, denen der Schmutz und die Zugluft arg zugesetzt haben.
Aus dem schwarzen Schlund des Tunnels rechts von mir dringt fernes Grollen, dass nach und nach in ein rasselndes Scheppern übergeht, beim Erscheinen des ersten Wagens am Bahnstein vom Quietschen der Bremsen übertönt wird und dann nach dem Stillstand des Zuges zu einem ungeduldig wirkenden Brummen abschwillt. Mit einem wie eingeübt erscheinenden „Klapp“ springen alle Türen gleichzeitig auf. Ich betrete den vor mir haltenden Wagen. Seine Sitzplätze sind bereits alle belegt. Das stört mich nicht, ich gehe in die Mitte des Wagens und ergreife eine der Halteschlaufen über meinem Kopf, denn der Zug fährt sogleich mit einem heftigen Ruck wieder an und kommt rasch in Fahrt.
Erst nach einigen Gewöhnungsminuten erkenne ich die Gesichter meiner Mitreisenden. Eine erstaunliche Mischung von Menschen aller Typen und Hautfarben. Sie reicht vom einem grauhaarigen Mann mit müdem, faltigem Gesicht in abgetragenem ehemals sicher maßgeschneiderten Anzug über einen stämmigen, jungen Burschen mit Bürstenhaarschnitt in blauem Overall und einer grellgeschminkten Tochter italienischer Einwanderer bis zu einer alten Dame in Rosa mit von einem Seidentüchlein verdeckten Lockenwicklern auf dem Kopf. In der kurzen Zeit meines Aufenthaltes in der Neuen Welt habe ich schon mehr Menschen kennengelernt als daheim in Deutschland in einer Woche. Wenn ich mit Amerikanern in einem Wartezimmer zusammensaß kam jedesmal mit den Leuten neben mir ein Gespräch in Gang, obwohl die New Yorker zurückhaltender sind als ihre Landsleute außerhalb der Großstadt. In der Subway seien sie allerdings abweisender hatte mir mein Bruder erzählt.
Das wollte ich jetzt ausprobieren. Daher versuchte ich den Augenkontakt mit einigen in meiner näheren Umgebung. Die alte Dame lächelte mir zu. Der junge Mann kniff mir ein Auge zu. Auch die Italienerin schien sich für mich zu interessieren. Der alte Mann jedoch blieb unbewegt ohne Interesse an seiner Umgebung. Auf der Bank direkt vor mir saß ein Farbiger. Mit den Abkömmlingen der ehemaligen Sklaven und den zahlreichen dunkelhäutigen frisch aus Porto-Rico eingewanderten Farbigen hatte ich noch keine Berührung gehabt. Daher traute ich mich nicht so recht ihn anzuschauen. Schließlich fasste ich Mut und versuchte es. Als er aufblickte lächelte ich ihm zu. Zu meiner Verwunderung kam erst einmal keine Reaktion zustande. Nach einigen Sekunden wurde sein Ausdruck böse und zornig. Fast sah es so aus als ob er aufspringen und mich angreifen würde. Seltsamerweise empfand ich keine Angst sondern nur Erschrecken und sagte ohne nachzudenken laut und deutlich:
„Leck mich am Arsch!“
Sein Zorn legte sich sogleich und machte einem Ausdruck völliger Verwunderung Platz. Dann lächelte er mich an.

 

Hallo Alex!

Du schreibst sehr angenehm und flüssig die Erfahrungen des ersten Konaktes mit einem neuen Land,mit neuen Menschen... viele Details machen mir den Text lebendig.

Ich muss allerdings gestehen, dass ich den Schluss als Gechichtsschluss nicht so günstig finde: Du beschribst lediglich, und lässt den Leser damit etwas fragend zurück. Wieso reagieren beide Parteien so? Wie gehts weiter? Ist das der Beginn eines Gesprächs, oder ist es dann beiden peinlich? Ich hoffe, Du verstehst, was ich meine...
Ansonsten gut erzählt!

schöne Grüße
Anne

 

hi alex,

der titel hat mich anfänglichst etwas abgeschreckt.
dennoch fand ich den auszug aus dem erlebnis in der neuen welt sehr interessant. ist es authentisch?
du schreibst stellenweise sehr humoristisch. und im kontext gesehen würde ich den erzählstil als favorisierte stärke sehen. du verwendest viele hypotaxen, also lang verschachtelte sätze. sie mahnen den leser zur disiplin, damit er nicht den überblick verliert. manche beschreibungen sind sehr schön bildlich. ich mag die stelle, bei der mit einem "klapp" wie antrainiert die türen aufsprangen *smile*.
deine schwäche liegt im inhalt. was ist der anfang? er ist mir persönlich nicht ausführlich genug. mehr vorthesen wäre schön. da du in deiner geschichte vergleiche zu der deutschen kultur ziehst, hättest du auch gerne mal die erwartungshaltung des protas am anfang der geschichte ausbauen können.
das ende ist natürlich .. na ja - wie abgerissen. also so - als ob du entschieden hättest: "so, ich hab jetzt genug geschrieben."

fazit: eine solide geschichte mit gutem erzählstil, an der aber vielleicht noch etwas gearbeitet werden könnte *smile*.

bis dann

barde

Bewundernd blicke ich noch einmal in der Straßenschlucht der 47 ten an den Häuserfronten zum schmalen Band des Himmels empor bevor ich unter dem „Uptown“ Schild der Subway hindurch auf der Treppe in die Tiefe trappele.

hinter "empor" ein komma

Eine Mischung von morgendlich kaltem Kneipenmief mit scharfriechendem elektrischen KurzschlußOzon.

vor "elektrischen" ein komma
"elektrischen" >> "elektrischem" (übernommene form bei aufzählung)
"KurzschlußOzon" auseinander mit bindestrich ?

Das Treppenband entlässt mich auf den kahl wirkenden Bahnsteig. Die Wand hinter dem durch seine dunkle Tiefe bedrohlich wirkenden Graben der Geleise ist mit ehemals grellfarbigen Reklameplakaten bepflastert, denen der Schmutz und die Zugluft arg zugesetzt haben.

gibt es diese form: "Geleise" ?


Aus dem schwarzen Schlund des Tunnels rechts von mir dringt fernes Grollen, dass nach und nach in ein rasselndes Scheppern übergeht,

"dass" >> "das"

und einer grellgeschminkten Tochter italienischer Einwanderer

"grellgeschminkten" würde ich auseinander schreiben

In der kurzen Zeit meines Aufenthaltes in der Neuen Welt habe ich schon mehr Menschen kennengelernt als daheim in Deutschland in einer Woche.

"kennengelernt" auseinander

Wenn ich mit Amerikanern in einem Wartezimmer zusammensaß kam jedesmal mit den Leuten neben mir ein Gespräch in Gang,

"zusammensaß" auseinander
"jedesmal" >> "jedes Mal"

In der Subway seien sie allerdings abweisender hatte mir mein Bruder erzählt.

hinter "abweisender" ein komma
"hatte" würde ich in "hat" ändern

Daher traute ich mich nicht so recht ihn anzuschauen.

hinter "recht" ein komma

Fast sah es so aus als ob er aufspringen und mich angreifen würde.

hinter "aus" ein komma


meine lieblingsstelle:

Übrigens haben die US Soldaten herausgefunden, dass man auch mit einem deutschen Pfennig hineinkommt. Er entspricht dem Token in Größe und Gewicht. Ich habe welche mitgebracht.

 

Hallo Anne, Danke für deine prompte Antwort und perfekte Korrektur. Das Ende habe ich absichtlich offen gelassen, um den Leser nachdenken und rätseln zu lassen, wie es wohl weiterging. Der Farbige fragte seinen neben ihm sitzenden Freund ob er verstanden habe, was der Fremde sagte. Der antwortete ihm etwas, das ich nicht verstand. Danach interessierten sie sich nicht mehr für mich.

 

Lieber Barde, Danke für deine Mühen mit meiner Rechtschreibung! Die Geschichte ist authentisch. In meiner Antwort an Anne (Kannst Du die auch lesen?)habe ich den Schluß berichtet. Da er eher langweilig war wollte ich mit dem abrupten Ende den Leser über das Rassenproblem nachdenken lassen. Die unwillige Reaktion des Schwarzen war sicher auf Mißtrauen zurückzuführen. Er erwartete eine Provokation. Gruss aus dem Sauerland Alex

 

Hello, Morphin. Als Junior Mitglied von 74 Lenzen bin ich stolz auf deinen Kommentar. Porto-Rico habe ich gewählt weil es 1956 unter Deutschen so geschrieben wurde.

 

weisst du, es wird aus dem text nicht deutlich genug, dass "leck mich am arsch" deutsch gesagt wurde. diesen ausdruck gibt es auch in einer amerikanischen version.
wäre es hier vielleicht sinnvoll, das einzufügen? beispiel:
"Seltsamerweise empfand ich keine Angst sondern nur Erschrecken und sagte ohne nachzudenken in meinem saubersten hochdeutsch laut und deutlich:
„Leck mich am Arsch!“

 

Moin Alex!
Gelungene Beschreibung von dem, was du in deinem Titel so ungelenk Subway irgendwas nennst.
Während des Textes fällst du von Präsens ins Perfekt,
dringend verbessern. Sprachlich / stilistisch bis auf unten gemachte Anmerkungen in Ordnung.
...para

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Jungbanker in Wall Street schon
"in Wallstreet"? In Hansestraße, in Königstraße?
Nööö... "Wallstreet" ist keine Ortangabe, so wie man schreibt "in Oberdorf" oder so, sondern eine Straße, welche dem Verlauf der alten Mauer der Holländer folgt, oder?

Übrigens haben die US Soldaten herausgefunden
"die US-Soldaten"

der Straßenschlucht der 47 ten an den Häuserfronten
"siebenundvierzigsten" bzw. "47ten"

schmalen Band des Himmels empor bevor ich unter dem „Uptown“ Schild
Übersichtlicher: "..., bevor"

der schon beim ersten Besuch unvergesslich im Hirn verbleibende Geruch.
"im Hirn" würde ich streichen.

KurzschlußOzon.
Durch Bindestrich trennen etc.

Nun gibt’s zwei Rolltreppen nach unten „ Local“ und „Express“.
"unten:"

Graben der Geleise ist mit ehemals
"Gleise"

Erst nach einigen Gewöhnungsminuten erkenne ich die Gesichter meiner Mitreisenden.
So unverständlich. Gewöhnen woran? Gesichter erkennt man doch schneller...?

faltigem Gesicht in abgetragenem ehemals sicher maßgeschneiderten Anzug über
"abgetragenem, ehemals aber (...) Anzug"

In der Subway seien sie allerdings abweisender hatte mir mein Bruder erzählt.
"..., hatte"

dunkelhäutigen frisch aus Porto-Rico eingewanderten Farbigen hatte ich noch keine Berührung gehabt
"..., frisch (...) Farbigen"

 

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