"Deutsch, für Gäste in Österreich"
Jeden Morgen beim Umsteigen in der U-Bahn lese ich diesen Spruch eines Wiener Sprachinstituts und jeden Morgen habe ich das Gefühl, diese Stadt will mir damit etwas sagen.
Ist es vielleicht eine geheime Nachricht, ein versteckter Hinweis: so lernen Sie die Sprache, mit der man Sie hier versteht. Dann sollte ich doch schleunigstens diesen Kurs belegen.
Oder soll es einfach nur eine Feststellung sein, dass ich immer ein Gast in Österreich sein werde.
Wer weiß, wer weiß, vielleicht ist es ja auch nur der unterschwellige Wunsch der Eingeborenen: Es gibt Österreicher und es gibt Gäste. Und jeder der schon mal eine Party gegeben hat weiß: Irgendwann geht auch der letzte Gast und man kann endlich in Ruhe schlafen gehen.
Die morgendliche U-Bahnfahrt hat für mich immer wieder was Spannendes, denn es kommt immer anders als man denkt.
Tatkräftig werde ich in dieser Vermutung auch durch den U-Express, einer kostenlosen täglichen Zeitung, unterstützt. Aufmunternd lachen mich schon beim Betreten des Bahnhofes die Schlagzeilen dieser "Bildzeitung für Arme" an.
Gestern z.B. mit den Zeilen: "Kein Geld fürs Bier: Ehefrau erschlagen"; darunter ein Foto mit einer dämlich lächelnden Blondine und einem mutmaßlichen Arzt, der ihr lächelnd tief ins Ohr schaut: "Mit den Ärzten voll zufrieden"; und links daneben rot umrandet: "Nur noch jeder zweite Wiener ist Katholik!".
Eigentlich war ich bis zu diesem Zeitpunkt froh, es geschafft zu haben aufzustehen, um mich unter Höllen Anstrengungen zur Arbeit zu schleppen. Nun aber geht es mir so richtig gut. Mit dieser Zeitung in der Hand weiß ich das Leben erst zu schätzen, denn auch die Ehefrau hatte Glück im Unglück. Mit einer 2/3 Wahrscheinlichkeit wird sie ihre medizinische Versorgung mit "sehr gut" oder "gut" beurteilt haben und da ihr Mann mit einer solchen Tat wohl kaum ein Katholik sein kann, hat sie nun wenigsten Gottes Beistand.
So aufgemuntert überhöre ich dann auch endlich mal wieder die Lautsprecheransagen der kommenden Stationen in U-Bahnwagon. Es gibt nichts depressiveres als diese monotone männliche Stimme aus dem Jenseits des Lautsprechers, die in gänzlicher Gleichgültigkeit und Lethargie die Stationsnamen breitschmiert.
An ganz trüben Tagen muss ich dann immer an eine Lache Honig denken, die an einem aufgeklappten Sargdeckel in Zeitlupe hinab rinnt.
Gestern war aber sowieso alles ganz anders, und vielleicht ist alles nur eine Frage der Vorstellungskraft, wie mir der Taubenfütterer von neulich anschaulich bewiesen hat.
Wenn ich nicht mit den Öffentlichen unterwegs bin, dann erobere ich mir die Stadt mit dem Rad. Mehrmals bin ich dabei spät abends auf dem Heimweg an der Wien entlang geradelt, dem Fluss, der der Stadt dem Namen gab.
Nur Jedem, der dabei an ein idyllisches Flüsschen mit Grün und Uferpromenade denkt, muss ich jäh enttäuschen. Die Wien fließt einbetoniert in einem fast sechs Meter tiefen Graben. Man kann dann vom Straßenniveau über ein Geländer hinweg die aus Felsstein gemauerten Wände betrachten, das betonierte Flussbett und ein Rinnsal graugrünem Wasser, welches nur bei schlechtem Wetter zu einem reißenden Strom wird.
Zwei mal bin ich dann an einem alten verwitterten Männchen vorbei- gekommen, welches Tonnen von Brot und Vogelfutter von dem Geländer her in das Flussbett warf. Als ich dann aber am dritten Tag an diesem Mann vorbei kam stutzte ich endlich. Mein Dynamo surrte und die Uhr zeigte Viertel nach zehn, und Tauben sind doch keine Eulen.
Ich fuhr langsamer und hielt an und fragte was er dort täte. In breitestem Wienerisch erzählte er mir von seinen Lieblingen, den Tauben, die er nun schon seit Jahren fütterte, und zeiget dabei hinunter in den Wiengraben. Ungläubig schaute ich hinab. Nachdem sich meine Augen nach einer Weile an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich sie tatsächlich sehen, seine Lieblinge, Heerscharen von bodenständigen (Flug)-Ratten, die alles andere als fliegen konnten.
So scheint hier alles in dieser Stadt eine Frage der Vorstellung und der Taktik zu sein. Auch der U-Express verriet mir dann auf Seite Vier, dass demnächst Mitarbeiter der Stadtmission auf der Straße das Gespräch mit den Menschen suchen werden, um somit das Evangelium gleichsam öffentlich zu verkünden.
Unwillkürlich muss ich an einen süßen Punk denken, der mich auf offener Straße anquatscht, aus dem Evangelium vorliest um mit dem Satz zu enden: "...has`te mal ´nen Euro für mich, Amen!".
Der österreichische Staat ist da viel perfider. Es gibt sogar eine Art Finanzamt für Gebühren, und eigentlich kostet hier alles irgendeine Gebühr. Will man z.B. einen auf drei Jahre befristeten Mietvertrag unterzeichnen, muss man an dieses Finanzamt 1% der gesamten zu zahlenden Miete von drei Jahren abgeben. Auch wenn man nach drei Monaten schon wieder auszieht.
Beim Telefonieren schlägt der Gebührenteufel mit 20% Umsatzsteuer zu und beim Einkaufen mit 20% Mehrwertsteuer.
Vielleicht hat das ja den armen Ehemann schier in den Wahnsinn getrieben, und als er herausbekommen hat, wie hoch die Luxussteuer auf Alkohol und Tabak ist, ist es dann geschehen. Und vielleicht hatte die arme Ehefrau zwar noch Geld für die Biersteuer, aber nicht mehr für das zu kaufende Bier.
Zu spät!