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Deutsch aus englischer Sicht und das Denken mit Worten
Wenn man auf Deutsch schreibt muss man immer ganz genau hinschauen. Groß- und Kleinschreibung, Zeichensetzung, Akkusativ, Dativ, der, die, das…
Ich habe ständig das Gefühl ich laufe auf wackeligem Boden. Ein falscher Schritt, eine kleine Unaufmerksamkeit, und schon fällt man durch.
Dabei ist Deutsch ja überhaupt keine zarte Sprache. Die berühmte Redensweise von alten Politikern wie Goebbels und Co. (Das deutsch Volk!!!!) kommt ja nicht von ungefähr. Die deutsche Sprache gibt geradezu Anstoß dazu. Habt ihr schon jemals eine Rede auf Englisch gehört, die mit derselben Intensität vorgetragen wurde? Von Churchill, Truman oder sonst wer? Nein, bestimmt nicht. Oder vielleicht auf Französisch?
Als ich angefangen habe Deutsch zu lernen, spürte ich noch diese krassen deutschen Laute, aber jetzt nicht mehr. Jetzt haben die Wörter Bedeutungen. Manche hören sich noch immer besser an wie andere, aber stets klebt eine Bedeutung an den Klang, die den Klang an sich unterdrückt. Einfach nur so, die Sprache horchen wie früher, das geht nicht mehr. So ein Wort wie „warum“ zum Beispiel. Das ist kein hartes deutsches Wort wie “ekelhaft”, aber es hört sich ziemlich krass an, wenn man es das erste Mal hört. Oder „Entschuldigung“. Da kam ich mir ziemlich verarscht vor, als man mir erklärte, dass dieses endlos langes und hässliches Wort nur „excuse me“ bzw. „sorry“ oder „apology“ bedeutet. Das Wort „Entschuldigung“ gefällt ja nicht einmal den Deutschen. Warum denn sonst sagt jetzt jeder Zweiter auf der Strasse “sorry”. Das war dann überhaupt der größte Schock für mich. Ich laufe gedankenversunken durch eine deutsche Fußgängerzone und pralle mit einem riesengroßen deutschen Kerl zusammen. Entschuldigung, meine ich sofort. Sorry, sagt er.
Deutsche sind ja allgemein für Fremdsprachen empfänglicher als andere Kulturen. Ein Englischsprachiger hat es wirklich schwer in Deutschland Deutsch zu lernen, weil er wirklich so gut wie keine Gelegenheit dazu bekommt, Deutsch zu sprechen. Wenn man nicht gerade mit besonders jungen oder alten Menschen zu tun hat, will jeder mit dir Englisch sprechen. Selbst dann, wenn du einbahnfrei Deutsch sprichst. Sie brauchen nur einen Akzent zu hören und los geht’s.
“Entschuldigung. Was kostet das hier?”
“That costs five euros.“
„Danke schön.“
„Your welcome.“
In Frankreich und in vielen anderen Ländern kotzen sie sich an wenn du ihre Sprache nicht sprichst. In Deutschland? Freude pur.
Okay, es gibt ja immer noch diese Rechten, die über Ausländer herziehen, die angeblich hierher kommen und Deutsch nicht lernen.
Also das halte ich für ein Gerücht! Ich kenne viele Türken, Jugos, Italiener und sonst was. Und die sprechen alle Deutsch. Vielleicht nicht erstaunlich gut, aber sie sprechen.
Und die Paar, die es nicht tun (meistens sind es ja alte), sind ja wirklich nicht das Problem in der deutschen Gesellschaft. Ich muss immer lachen wenn ich diese Deutschen sprechen höre:
“Also wenn ich in ein fremdes Land ziehen würde, würde ich sofort einen Sprachkurs buchen und die Sprache lernen.”
Ja toll, und dann? Dann sprichst du Spanisch wie ein Spanier oder was? Die Mehrzahl dieser Leute haben keine Ahnung wovon sie reden. Sie haben noch nie im Ausland gelebt und werden es auch nie. Das Problem für viele Ausländer, die hier herkommen ist ja auch, dass es bereits viele Gleichsprachige hier gibt mit den sie sich unterhalten können. Der Turke kann entspannt weiter Türkisch reden, der Italiener Italienisch...
Und trotzdem lernen die meisten Deutsch.
Ich werde oft gefragt was ich besser kann. Deutsch oder Englisch. Ich tendiere zu Englisch aber manchmal bin ich mir nicht ganz sicher. Ich könnte mich z.B. nie im Leben über Fußball auf Englisch unterhalten. Das wäre viel zu schwer. Für mich ist ein Elfmeter ein Elfmeter eben, und kein penalty oder sonst was. Wenn man Bruder Fußball schaut und es gibt einen Strafstoß, dann schreit er Elfmeter durch das Haus, oder vielleicht sogar „eleven meter" (was ja keinen Sinn macht), aber nie im Leben „penalty“. Dabei unterhalte ich mich nur auf Englisch mit meinem Bruder.
Ich werde auch gefragt auf welcher Sprache ich denn träumen würde, was mich zu der eigentlichen Thematik hinführt, die ich ansprechen wollte. Träumt man denn in Worte? Spricht man denn da? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es überhaupt ein einziges Mal so war.
Ich werde auch oft gefragt auf welcher Sprache ich denn denken würde. Ich bin da immer ganz baff. Auf welcher Sprache denke ich denn? Ich denke doch, oder nicht? Also, auf welcher Sprache? Im Moment denke ich wohl auf Deutsch, denn ich schreibe auf Deutsch. Nachher schreibe ich eine E-Mail nach England. Denke ich dann auf einmal auf einer völlig neuen Sprache, oder wie? Ich muss auf jeden Fall nicht umdenken oder übersetzten. Jeder, der fließend eine zweite Sprache spricht, weiß was ich meine. Es kommt einfach.
Aber ist Schreiben dasselbe wie Denken? Nein, denn auch jemand der nicht schreiben kann, denkt.
Die Frage ist dann letztendlich: denkt man in Worten überhaupt? Und wenn nicht, was unterscheidet uns dann von etwas, dass keine Worte beherrscht? Ein Tier zum Beispiel.
Ich habe oft darüber nachgedacht und ich glaube nicht, dass man in Worten denkt. Wenn ich Hunger habe, zum Kühlschrank laufe, die Tür aufmache und mir einen Sandwich mache, brauche ich kein einziges Wort dazu. Mir schießt weder das Wort Refrigerator (auch ein krasses Wort übrigens) noch Kühlschrank durch den Kopf. Wenn eine scharfe Frau an mir vorbeiläuft, geht mir nicht etwa „scharf“ oder „geil“ oder „hot“ oder sonst was durch den Sinn. Sie läuft vorbei, ich nehme sie zur Kenntnis, empfinde etwas oder auch nicht und das war’s. Nur wenn ich meine Gefühle später einen Zweiten oder Dritten mitteilen will, brauche ich Worte. Dann geht’s erst los. Sie war unglaublich, toll, wunderschön...
Ich glaube es wird nur dann von Worten Gebrauch gemacht, wenn man jemandem etwas mitteilen will. Wenn ich alleine bin und einfach so vor mich hindöse, kommen mir in der Regel keine Worte in den Sinn. Ich denke nicht auf Englisch und auch nicht auf Deutsch. Ich denke wie ein Tier wohl denkt, mit Emotionen und Bilder. Der Unterscheid zu einem Tier besteht darin, dass ich die Möglichkeit habe, meine Gedanken in Worte zu fassen. Deshalb kann auch ein Mensch, der sprachlich nicht besonders begabt ist, außerordentlich intelligent sein. Ein Handwerker kann wahrscheinlich nicht immer genau in Worten erklären, warum er dies oder jenes macht. Er schaut sich das Problem an, logische Prozesse laufen in seinem Hirn zusammen und er macht es einfach. Er braucht kein Wort dazu. Was denkt sich ein Tier wenn es aufsteht und zum Fressnapf läuft? Genau das Gleiche wie ich oder du. Da ist kein Unterschied.
Und so gibt es Autoren. Menschen die sich darin spezialisiert haben Gedachtes in Worte zu formulieren. Liebe, Freude, Hass... Dieselben Emotionen, seit Jahrtausenden, immer wieder aufs Neue.