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Deshalb sprach Mama nie von dir

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29.01.2010
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Deshalb sprach Mama nie von dir

Mit letzten Handgriffen zog Anita die Bettdecke glatt. Auf dem Nachttisch stand einzig die Schnabeltasse, Medikamente und andere Utensilien lagen nun geordnet in der Schublade. «Onkel Erwin, brauchst du …», da wurde sie durch das Läuten der Türklingel unterbrochen. «Das ist sicher Doktor Wirz». Erwin verzog nur das Gesicht, das angedeutete Lächeln wollte jedoch nicht recht gelingen.
«Grüezi, Frau Liebknecht», Dr. Wirz streckte ihr die Hand entgegen.
«Guten Morgen, Herr Doktor.» Ihm die Hand reichend, liess sie ihn zugleich eintreten. Seit vier Tagen kam er täglich vorbei, da der Zustand von Erwin sich sichtbar verschlechterte.

Leicht an den Türrahmen klopfend trat der Hausarzt in die Küche. «Bleiben Sie nur sitzen, Frau Liebknecht.» Er setzte sich ihr gegenüber, die Tasche auf den Knien stützend. «Es ist soweit. Ihr Onkel wird die nächsten zwölf Stunden nicht mehr durchstehen. Er nahm es sehr gefasst auf. Ich hatte direkt den Eindruck, er warte darauf, nicht nur der Schmerzen wegen.»
«Wie meinen Sie das?» Anita Liebknecht sah ihn gross an.
«Er sagte, was an Wiedergutmachung möglich sei, habe er getan. Das Weitere liege nun in der Hand des höchsten Richters. Weiter äusserte er sich dazu nicht. Doch wie er mir die Hand gab und sich verabschiedete, drückte sein Gesicht eine Zuversicht aus, als ob er eine lang ersehnte Reise antrete. Eine solche Stimmung erlebte ich nur bei Menschen, denen sich ein erfülltes Leben vollendet. … Dennoch war da noch etwas, wie ein Schatten huschte es vorbei, wie eine Erinnerung an etwas Leidvolles. Doch vielleicht war es auch nur ein kurzer Anstieg der Schmerzen, obwohl diese gedämpft sein sollten.»
«In den letzten Wochen hat er trotz des Morphiums manchmal stark unter den Schmerzen gelitten. Er wollte es mir nicht eingestehen, doch ich hörte ihn manchmal in der Nacht stöhnen.»
«Ich bot ihm an, eine höhere Dosis zu spritzen, aber er lehnte ab. Er gehört anscheinend zu den Menschen, die diesen letzten Moment bewusst erleben möchten. Ich gebe Ihnen hier noch ein paar Tabletten, für den Fall, dass es für ihn dennoch unerträglich werden sollte.»
«Was kann ich sonst für ihn tun?»
«Nicht mehr als bis anhin. Das Wichtigste ist Ihre Gegenwart. Er hängt sehr an Ihnen.»
«Dies ist mir selbstverständlich, er war auch für mich da.» Nun schossen ihr die Tränen in die Augen. «Damals als meine Eltern starben und meine Welt völlig zusammenbrach.»
«Ich weiss, er erzählte mir davon.» Dr. Wirz stand auf. «Ich muss in die Praxis. Sie können mich zu jeder Zeit anrufen, sobald es soweit ist. Aber auch wenn unerwartete Komplikationen eintreten sollten, was ich jedoch nicht annehme …»

Onkel Erwin machte einen abgeklärten Eindruck, als Anita in sein Zimmer trat. In das ausgemergelte Gesicht zu schauen schmerzte sie, doch meinte sie in seinen tief liegenden Augen, einen entschlossenen Ausdruck wahrzunehmen.
«Es ist gut, dass du kommst. Ich muss mit dir sprechen, Anita.»
«Du solltest dich nicht zu sehr anstrengen, Erwin.»
Sein kurzes Lachen war mehr ein Krächzen. «Dies muss sein. Ich fühle mich verpflichtet, dir das zu sagen, was in deiner Familie nie jemand aussprach.»
Anita konnte sich nicht vorstellen, dass es in ihrer Familie Heimlichkeiten gab. Dass ihre Eltern mit Erwin keinen Kontakt hatten, seinen Namen niemals erwähnten, schrieb sie einem lange zurückliegenden Streit zu. So etwas kommt unter Geschwistern vor, manchmal aus läppischen Gründen. Ihren Onkel hatte sie nie darauf angesprochen, der Meinung, es würde unnötig alte Wunden aufreissen. Durch den schrecklichen Unfall ihrer Eltern erfuhr sie erstmals, dass ihre Mutter einen älteren Bruder hatte. Anita war damals fünfzehn. Es war für sie und ihren Onkel nicht einfach, sie waren sich fremd, doch fanden sie einen Draht zueinander. Onkel Erwin ermöglichte ihr so gut es ging, den Weg für das weitere Leben zu ebnen. Ihre schulischen Leistungen waren stark eingebrochen, über Monate litt sie unter depressiver Verstimmung, doch Erwin kümmerte sich liebevoll um sie und tat alles um sie aus dem Tief herauszuholen. Es kam ihr zugute, dass er ein hervorragender Schüler gewesen war und mit seiner Hilfe auch die aufgetretenen Lücken innerhalb nützlicher Frist wieder behoben werden konnten.
Nun schaute sie ihn nur stumm an, ein ungutes Gefühl beschlich sie.

«Ich war damals knapp zwanzig, ein junger Mann voll von Idealen und Abenteuerlust. Seit zwei Jahren herrschte rund um unser Land Kriegszustand. Die offiziellen Nachrichten, die wir vernahmen, waren natürlich zensuriert, doch hörten wir auch ausländische Radiosender. Kurz, ich reiste, ohne zu Hause etwas zu sagen nach Deutschland und meldete mich als Freiwilliger bei der Wehrmacht. Da meine Mutter von Geburt her Deutsche war, stellte dies kein Problem dar.»
«Du warst freiwillig im Krieg? Das ist und war doch verrückt!»
«Schon, aber es war jugendliche Unerfahrenheit und Übermut. Dass es höchst naiv war, wie ich mich von der deutschen Propaganda im Radio anstacheln liess, merkte ich erst später. Nach kurzer Ausbildungszeit, die mich noch verheissungsvoll sein liess, wurde ich als Wachsoldat dem Lager Dachau zugeteilt. Ich war enttäuscht, statt an Eroberungen teilzunehmen, musste ich Internierte bewachen. Anfänglich merkte ich nicht, was in diesem Lager vorging, doch dann wurde es mir umso erschreckender klar, es war ein Schock. Dort wurden Menschen systematisch eliminiert.»
Anita fühlte sich betäubt, sie konnte es nicht glauben, was ihr Onkel da berichtete. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander.
«Aber die Angehörigen von Papa waren doch in solchen Lagern umgekommen!» Ihre Stimme hatte sich beim Sprechen überschlagen.
«Ich lernte deinen Vater nie kennen und auch deine Mutter kannte ihn damals noch nicht, sie war da noch eine Jugendliche. Aber dies macht es natürlich nicht weniger schlimm. Die Eltern deines Vaters hatten ihn rechtzeitig zu Verwandten in die Schweiz geschickt, als sie merkten, dass sie aufgrund ihres Familiennamens zu den nicht genehmen Bürgern im Reich zählten. Sie ahnten jedoch nicht, dass selbst ihr Leben gefährdet sein könnte. All dies habe ich auch erst erfahren, als deine Eltern verstarben.»
«Kamen Papas Eltern in das Lager, in dem auch du warst?» Im Tonfall klang die Frage beinah wie eine Feststellung.
«Ich weiss es nicht, es gab da verschiedene Lager.»
«Dies ist ja schrecklich, wie konntest du nur!», schrie Anita unter Tränen. Ein widersinniges Gefühl war ihr aufgekommen, als ob auch der Tod ihrer Eltern unter dem Vorzeichen der Schuld ihres Onkels stehen würde.
«Ich habe nie einen Menschen getötet.»
«Wie kannst du das sagen, es starben unzählige Menschen in den Lagern.»
«Ja, daran bin ich mitschuldig, obwohl ich selbst nie gegen jemanden die Hand erhob. Ich verzweifelte, als ich merkte, was dort geschah.»
«Das entschuldigt es in keiner Weise. Deshalb sprach Mama nie von dir! Ich hasse dich, ich hasse dich!», gellte ihre Stimme. Anita stürmte aus dem Zimmer, packte ihren Mantel und die Handtasche und rannte aus der Wohnung.

Stundenlang war sie herumgeirrt, zwischendurch auf einer Parkbank gesessen und wieder ziellos herumgelaufen. Die Wunde klaffte, der Schmerz von damals war wieder da, jenes quälende Verlustgefühl, für dessen Verarbeitung sie lange Zeit benötigt hatte. Was es jetzt noch verschärfte, war ein Schuldgefühl, als ob sie ihre Eltern und die Angehörigen ihres Vaters verraten hätte. Beruhigen konnte und wollte sie sich nicht, ihre Gedanken hämmerten wild auf sie ein.
Nur langsam versiegten ihre Tränen und der Schmerz gab dem ungeschönten Selbstmitleid Raum. Nun habe ich auch meinen Onkel durch seine Worte verloren, er, der mir in der grössten Not meines Lebens beigestanden hatte. Sein Trost war ihr eine wertvolle Stütze gewesen, er hatte in den traurigsten Stunden mit ihr geweint und versucht, einem jungen Mädchen Vater zu sein. Ihm verdankte sie die gute Ausbildung, die sie machen konnte. Dafür war sie ihm dankbar, hatte ihn zu sich genommen, als er schwer krank wurde. Es war ihr eine Selbstverständlichkeit als klar wurde, dass man nicht mehr für ihn tun konnte.
Nun liegt er qualvoll im Sterben, ein Tod, den er verdient für die Abscheulichkeiten, die er und seinesgleichen den Menschen antaten. Doch Erwin war der Bruder ihrer Mutter. Er war auch ihre Familie vor und nach ihrer eigenen gescheiterten Ehe. Hätte er mir nichts gesagt, wäre er einfach gestorben, könnte ich ihn in guter und liebevoller Erinnerung bewahren. Aber so. … Er liegt allein im Sterben, ist vielleicht schon tot? … Oder es gab Komplikationen und er muss qualvoll verenden, da niemand zugegen ist? Der Gedanke erschreckte sie.

Gehetzt kam sie in der Wohnung an, kein Laut war zu vernehmen.
Sein Gesicht auf dem Kissen wirkte ihr noch bleicher als bis bisher, die vorstehenden Knochen liessen es wie einen Totenschädel wirken, wären da nicht die halb offenen Augen, die ihr wach entgegenblickten. Mit wenigen Schritten war sie beim Bett und vergrub ihr Gesicht heulend in der Decke. Da spürte sie seine Hand, wie sie sich leicht und tröstend auf ihren Rücken legte. Wie damals.
«Es tut mir sehr leid, aber ich musste dir die Wahrheit sagen. Ich wollte nicht, dass du es nach meinem Tod aus den Papieren entnehmen oder von Dritten erfahren musst.»
«Aber warum hast du dich damals nicht dagegen gewendet, als du merktest, was dort geschah?»
Das Lächeln wirkte bitter auf dem schmalen Gesicht von Erwin. «Wer nicht parierte, wurde an die Front geschickt, Deserteure wurden gar erschossen. Ich bat damals um meine Versetzung, was schon als sehr dreist empfunden wurde. Doch ich hatte Glück, da ich einer der Freiwilligen war und gut Skifahren konnte, versetzte man mich nach einem Jahr dann zur Gebirgsinfanterie. Dort war ich weg von diesem schrecklichen Lager und weit weg vom eigentlichen Frontgeschehen.» Erwins Atem ging schwer, er hatte offensichtliche Mühe anhaltend zu sprechen.
Anita wollte ihm sanft die Hand auf den Mund legen, zum Zeichen, dass er sich nicht überanstrengt, doch Erwin wehrte sie ab.
«Nach Kriegsende wurde ich durch die Alliierten an die Schweiz ausgeliefert und hier vor Gericht gestellt. „Militärdienst für einen fremden Staat“, lautete die Anklage. Dass dieser Staat dazu noch Krieg führte, verschlimmerte die Sache nur noch. Man verurteilte mich zu fünf Jahren Zuchthaus. Es war die schlimmste Zeit in meinem Leben - abgesehen von dem Lager. Ich war im Zuchthaus mit Dieben und Mördern zusammengesperrt, ein übles Gesindel. Jedoch einen Landesverräter, wie sie mich nannten, zählten sie zu den noch minderwertigeren Insassen, als sie selbst waren. Auch das Wachpersonal gab mir dies zu spüren.»
«Und Mutter, hatte sie dich besucht?»
«Ich hatte ihr geschrieben, mehrfach, doch die Briefe kamen zurück mit dem Vermerk „Annahme verweigert“.»
Anita fasste nach seiner Hand, die sich kühl anfühlte. In ihrer Ambivalenz der Gefühle dominierte nun doch das Mitleid. Sie glaubte ihm, dass es jugendliche Dummheit war, die ihn leitete und ihn in eine Welt voller Grausamkeit und Sinnlosigkeit führte.
«Ich bin dir dankbar, dass du für mich da warst», sagte sie leise. «Mama und Papa hätten dir sicher verziehen, wenn sie gewusst hätten, wie du wirklich gewesen bist.»
Er antwortete nicht. Da erst bemerkte sie, dass sich seine Brust nicht mehr hob und senkte, in seine Augen eine starre Leere eingekehrt war.

 

Hallo Anakreon

Hm, deine Geschichte hat mich leider nicht gefangen genommen.
Für mich war der Einstieg mit dem Monolog des Arztes bereits ein Hemmschuh. Wäre es nicht schöner, wenn wir mit Anita das Zimmer betreten, und ihre Gefühle beim Anblick des sterbenden Onkels miterleben?

Ich erfahre also von Onkel Erwins nahendem Ende, es wird berichtet von Anita, die nach dem Verlust ihrer Eltern von Erwin gross gezogen wurde, und ich denke, aha, da kommt jetzt das dunkle Geheimnis auf dem Sterbebett.
Et voilà, die grosse Beichte (fremder Kriegsdienst bei den Nazis, Lageraufseher ) folgt auf dem Fuss.
Anita ist von Null auf Hundert entrüstet und verlässt Erwin, um nach kurzer Reflektion zu Erwin zurückzukehren und den Rest der Geschichte zu hören.

Tut mir leid Anakreon, dein Text kommt mir zu plakativ daher. Die Zutaten sind altbacken. Wenn nach 70 Jahren Holocaust, Kriegsjahre und Co hochgeköchelt werden, wünschte ich mir bei solchen Geschichten mal eine neue Komponente.

Auch ist deine Geschichte nicht erlebbar, sie fühlt sich blass an, wie hinter Milchglass. Der Arzt redet zum Beispiel im gleichen Tonfall wie Anita.
Im weiteren Verlauf werden mir dann die Fakten wie rohes Fleisch hingeworfen.
Hier ein Beispiel:

Durch den schrecklichen Unfall ihrer Eltern erfuhr sie erstmals, dass ihre Mutter einen älteren Bruder hatte. Anita war damals fünfzehn. Es war für sie und ihren Onkel nicht einfach, doch sie fanden einen Draht zueinander. Onkel Erwin ermöglichte ihr so gut es ging, den Weg für das weitere Leben zu ebnen.
"Ein schrecklicher Unfall" (Starben die Eltern dabei? Vermutlich ja.)
Warum war es für sie nicht einfach, einen Draht zwischen ihnen zu finden?
Wie ebnete Erwin Anitas weiteren Weg?
Freiraum für meine Fantasie ist ok, aber hier muss ich mir alles selber zusammenzimmern, das ist dann auf die Dauer langweilig, ich möchte gerne von DIR unterhalten werden.

"Als der betrunkene LKW Fahrer damals den kleinen VW Käfer rammte, hielt Erwin im Spital Anitas Hand. Auch drei Tage später auf dem Friedhof, ein fester Händedruck, Kraft und Hoffnung für die Zukunft."
Oder so ähnlich.

Ich hatte auch Mühe, zu erkennen, dass die Geschichte ihre Wurzeln (bei uns) in der Schweiz hat, da würde ich am Anfang klare Verhältnisse schaffen.

Fazit:
Der Text ist grammatikalisch rund (ok, ab und zu ein Komma mehr ;)), hat aber auch keine Ecken oder Kanten, plätschert so dahin. Du hast einen sauberen Rahmen gezimmert, jetzt fehlen noch die kleinen Erlebnisse, der Fluchtversuch im Lager, die Sache mit Anitas erstem Milchzahn, irgend etwas Erlebbares müsstest du da noch einbauen.

Hoffe, es hilft dir etwas.

Liebe Grüsse,
dot

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Anakreon,

mein Kommentar wird dich nicht besonders glücklich machen, schätze ich. Es geht mir wie dot. Dein Text kann mich nicht wirklich berühren. Deine Sprache ist gewohnt distanziert, scharf und präzise. (Was ja nichts grundsätzlich Schlechtes ist.) Leider liefert die Geschichte nichts Neues, wir haben die grausame NS-Vergangenheit, die Beziehung von Anita und Erwin und den Prozess des Sterbens. Das sind die drei Hauptkomponenten deiner Geschichte. Die NS-Vergangenheit wird erklärt, da ist kein einziges Erlebnis damit verbunden, ein schreckliches Bild, wie ein Nazi eine Jüdin abschlachtet (sicher lehnt man sich da aus dem Fenster), irgendetwas, was die Situation deutlich macht. Du schreibst nur, es war ihm ein Schock. Das reicht dem Leser nicht. Dann zum Prozess des Sterbens, mit allgemein bekannten Beobachtungen visualisierst du das Sterben, aber man erkennt nichts Persönliches an Erwin. Vielleicht hat er mit dem Rauchen aufgehört, ist nicht mehr in der Lage, Zeitung zu lesen, oder dreht den Radio immer lauter, um seine Schmerzen (auch Stöhnen) zu übertönen, vielleicht auch nur, weil er immer schlechter hört. Dot hat auch ein paar gute Ansätze geliefert. Zuletzt zur Beziehung von Erwin und Anita. Auch hier schreibst du viel, zeigst aber rein gar nichts. Keine Szene zeigt dem Leser, dass es wirklich eine starke Bindung gibt. Das Mitleid wird genannt, aber nicht gefühlt.

Der Titel hingegen gefällt mir gut. Deshalb sprach Mama nie von dir ... ja, weswegen nun. Da wird gleich Spannung aufgebaut. Es tut mir leid, so viel Gutes kann ich gar nicht sagen.

Ein paar Anmerkungen:

Leicht an den Türrahmen klopfend trat der Hausarzt in die Küche.
Bei dir klopft er während er den Raum betritt an den Türrahmen. Macht man das nicht davor? Also nachdem er an den Türrahmen geklopft hat?

Ich muss in die Praxis. Sie können mich zu jeder Zeit anrufen, sobald es soweit ist. Aber auch wenn unerwartete Komplikationen eintreten sollten, was ich jedoch nicht annehme.
Sie können mich jederzeit anrufen. Beim letzten Satz fehlen die Kennzeichnung für wörtliche Rede.

Dies muss sein.
An dem Satz will ich es festmachen: Das sagt doch so niemand. Wie immer klingt mir deine wörtliche Rede zu kalt, zu gestellt. Da ist nichts Lebendiges drin. Leider sind dieses Mal die Dialoge ein Stützpfeiler des Textes.

Ich fühle mich verpflichtet dir das zu sagen, was in deiner Familie nie jemand aussprach.
verpflichtet, dir das zu sagen ...

Kurz und gut, ich reiste, ohne zu Hause etwas zu sagen nach Deutschland und meldete mich als Freiwilliger zur Wehrmacht.
Kurz, ich reiste, ohne zu Hause ein Wort zu sagen, nach Deutschland und meldete mich als Freiwilliger bei der Wehrmacht.

Du warst freiwillig im Krieg? Das war doch verrückt!
Das ist und war verrückt.

Dort wurden Menschen systematisch vernichtet.
Das wurden sie tatsächlich, aber dass du ihm das Wort "vernichtet" in den Mund legst, wirft kein gutes Licht auf ihn. Warum nicht etwas emotionaleres, wenn es ihm doch ein Schock war?

Ich hatte nie einen Menschen getötet, im ganzen Krieg nie.
Ich habe nie einen Menschen getötet, im ganzen Krieg nicht. Das wiederholte "nie" klingt unschön, und irgendwie übertrieben.

Wie kannst du das sagen, es starben unzählige Menschen allein in den Lagern.
Das Wort "allein" stört hier. Entweder muss es weg oder ein Komma davor.

Sein Trost war ihr eine wertvolle Stütze gewesen, er hatte in den traurigsten Stunden mit ihr geweint und versucht, einem jungen Mädchen einen Elternersatz zu bieten.
Ein schöner Satz, nur das Wort Elternersatz purzelt etwas raus. Warum nicht: versucht, einem jungen Mädchen Vater zu sein.

Nun liegt er qualvoll im Sterben, ein Tod den er verdient für die Abscheulichkeiten, die er und seinesgleichen den Menschen antaten.
ein Tod, den er verdient ...

so wie als sie hinausgerannt war.
SO WIE ALS SIE ... hm ... (Wollte nur darauf hinweisen.)

Wer nicht parierte, wurde an die Front geschickt, Deserteure gar erschossen.
Irgendetwas funktioniert da nicht. Es liegt an dem "wurde", bei Deserteure müsste es "wurden" heißen.

Seine letzten Worte sind "Annahme verweigert." Ich überlege gerade, was mit der Geschichte passiert wäre, wenn er gestorben wäre, bevor Anita ihn erreicht. Das wären heftige Gefühle gewesen, in Anita. Und hätte vielleicht eine andere Sichtweise auf das Geschehen erlaubt.

Entschuldige die kritischen Worte, aber im Gegensatz zu einigen Vorgängern kann mich diese Geschichte nicht überzeugen.

Beste Grüße
markus.

 

Lieber dot

Hm, deine Geschichte hat mich leider nicht gefangen genommen.

Auf nicht überschwängliche Reaktionen war ich gefasst, da ich hier einen Versuch von Kürze und Vereinfachung unternahm. Den Stoff kreierte ich im vergangenen Jahr, verschob ihn dann aber gleich in den Makulatur-Ordner. I. d. R. lösche ich Texte dort innert weniger Wochen, wenn ich keine Passagen daraus anderswie verwerten kann. Hier unterliess ich den fristgemässen Todesstoss, kramte den Text vielmehr vor etwa zwei Monaten wieder hervor und schrieb ihn mehrfach um. Als ich letzthin bei einer andern Gelegenheit gelobte, einen einfachen Text einzuüben, war mir dieser gegenwärtig. So schrieb ich wieder daran, bis er mir in dieser Hinsicht tragbar erschien. Nun, der Versuch von Vereinfachung ist folglich nicht erbaulich gelungen.

Für mich war der Einstieg mit dem Monolog des Arztes bereits ein Hemmschuh.

Natürlich wäre eine Eröffnung mit Anita am Bett ihres sterbenden Onkels eine Variante. Ich werde darüber nachdenken.

Et voilà, die grosse Beichte (fremder Kriegsdienst bei den Nazis, Lageraufseher ) folgt auf dem Fuss.

Wenn nach 70 Jahren Holocaust, Kriegsjahre und Co hochgeköchelt werden, wünschte ich mir bei solchen Geschichten mal eine neue Komponente.

Ein Sterbender, den Gewissensbisse plagen, die er loswerden will, ist literarisch sicher nicht neu. Hier diente es auch nur als Mittel zum Zweck, einen Eklat einzuführen. Dass man der Zeit des 2. Weltkriegs längst überdrüssig ist, war mir klar. Doch hier ist es ja nur Angelpunkt für einen familiären Konflikt, dessen Ursache stark konzentriert erwähnt ist. Dies noch tiefer herab zu brechen scheint mir unmöglich. Eine neue Komponente, scheint mir aber doch das Schweizer im deutschen Sold standen. Darüber wurde meines Erachtens Stillschweigen gewahrt. Eher die Gutmenschen oder denn die wirtschaftlichen Verflechtungen waren ein Thema.

Auch ist deine Geschichte nicht erlebbar, sie fühlt sich blass an, wie hinter Milchglass. Der Arzt redet zum Beispiel im gleichen Tonfall wie Anita.

Ich kann nachvollziehen, wenn du die Geschichte blass findest, da ich den Charakteren und der Handlung sehr enge Grenzen setzte, mich auf rd. 1600 Worte beschränkte.
Ärzte die Hausbesuche machen differenzieren sich in ihren Auftritten aber etwas von Spitalärzten. Von daher, hatte ich mir seine Ausdrucksweise genau überlegt. Hätte ich das Thema für eine Novelle oder Roman verfasst, hätte der Passus mehr Raum und die Figuren dadurch letztlich auch mehr Individualität erhalten.

Freiraum für meine Fantasie ist ok, aber hier muss ich mir alles selber zusammenzimmern, das ist dann auf die Dauer langweilig, ich möchte gerne von DIR unterhalten werden.

Üblicherweise hole ich in den Geschichten auch weiter aus. Hier liess ich mich nicht nur von einer einfachen Darstellung leiten, sondern auch von Hemingways Theorie der Kürze [metaphor of the iceberg]. Ich interpretiere es nun so, dass es mir nicht gelungen ist, den Leser zu animieren, die Rückschlüsse, welche der Text durchaus erlaubt, selbst zu ziehen.

Ich hatte auch Mühe, zu erkennen, dass die Geschichte ihre Wurzeln (bei uns) in der Schweiz hat, da würde ich am Anfang klare Verhältnisse schaffen.

Eine zu starke Hervorhebung dieses Umstands würde m. E. vom wirklichen Konflikt ablenken. Aber vielleicht kann ich da am Anfang noch ein „Grüezi“ des Arztes einbinden.

Fazit:
Der Text ist grammatikalisch rund (ok, ab und zu ein Komma mehr ), hat aber auch keine Ecken oder Kanten, plätschert so dahin. Du hast einen sauberen Rahmen gezimmert, jetzt fehlen noch die kleinen Erlebnisse, der Fluchtversuch im Lager, die Sache mit Anitas erstem Milchzahn, irgend etwas Erlebbares müsstest du da noch einbauen.

Das kollidiert etwas mit meiner Intention zu dieser Geschichte, was zählt, ist der Moment, der in der Gegenwart spielt. Aber ich werde mir da noch intensivere Gedanken machen, wie es sich für den Leser auflockern lässt, ohne dass der „Versuchsgehalt“ völlig verschüttet wird.
Als klitzekleines Erfolgserlebnis nehme ich aber wahr, dass der Rahmen sauber gezimmert ist. Den fehlenden Kommas werde ich in der Überarbeitung dann noch nachspüren.

Für deine Auseinandersetzung mit dem Text und den Kommentar danke ich dir herzlich. Inwiefern es mir gelingen wird, deinen Erwartungen näher zu kommen, weiss ich noch nicht. Da du einiges angestossen hast, werde ich mir vertiefte Gedanken dazu machen, doch dauert es wohl einige Zeit, bis ich hier zu einem Schluss gelange.


+++


Lieber markus

mein Kommentar wird dich nicht besonders glücklich machen, schätze ich. Es geht mir wie dot. Dein Text kann mich nicht wirklich berühren. Deine Sprache ist gewohnt distanziert, scharf und präzise.

Keine Angst, mein Glück ist nicht so fragil. Man könnte meine Haltung diesbezüglich im Licht eines früheren Werbespruchs des französischen Konzerns Carrefour sehen, der gekürzt lautete: Je positive! :D
Meine verinnerlichte Sprachform abzulegen, oder besser auf die Seite zu stellen, um literarisch zu schreiben, gelingt mir da anscheinend nicht so leicht.

Leider liefert die Geschichte nichts Neues, wir haben die grausame NS-Vergangenheit, die Beziehung von Anita und Erwin und den Prozess des Sterbens. Das sind die drei Hauptkomponenten deiner Geschichte. Die NS-Vergangenheit wird erklärt, da ist kein einziges Erlebnis damit verbunden, ein schreckliches Bild, wie ein Nazi eine Jüdin abschlachtet (sicher lehnt man sich da aus dem Fenster), irgendetwas, was die Situation deutlich macht.

Wie ich bereits an dot ausführte, ist die Erwähnung der NS-Zeit nur kausales Beiwerk um den Konflikt zwischen Anita und Erwin auszulösen und rein dieser Konflikt stellt den Kern des Themas dar. Die Vergangenheit weiter auszuleuchten, würde von diesem Ansatz wegführen.

Keine Szene zeigt dem Leser, dass es wirklich eine starke Bindung gibt. Das Mitleid wird genannt, aber nicht gefühlt.

Ihre direkten Gedanken hatte ich eingeblendet, nur kurz zwar, da ich eben den Versuch unternahm, Hemingways Ansatz anzunähern. Dies weist sich als schwierig und ich würde dieses Vorgehen wohl nicht mehr wählen, möchte es hier aber auch nicht gänzlich fallen lassen. Doch ich werde schauen, wie ich es in diesem Rahmen insgesamt auflockern und für den Leser unterhaltsamer gestalten kann.

Der Titel hingegen gefällt mir gut. Deshalb sprach Mama nie von dir ... ja, weswegen nun. Da wird gleich Spannung aufgebaut.

Na das ist doch eine erbauliche Brosame für mich. Ich sehe in Titeln durchaus eine psychologische Wirkung auf die Leser, sie entfalten gegebenenfalls eine Macht durch Suggestion. Wenn möglich sollten sie die Geschichte interpretieren, ohne zu viel zu versprechen.

Bei dir klopft er [der Arzt] während er den Raum betritt an den Türrahmen. Macht man das nicht davor? Also, nachdem er an den Türrahmen geklopft hat?

Wenn ich schreibe, mache ich mir gleichzeitig innere Bilder, wie die Szene abläuft. Hier schien es mir durchaus angezeigt, dass er keinen Anlass hatte zu zögern. Es war ja nach dem Untersuch, er war bereits in der Wohnung.

Bei den übrigen Anmerkungen stimme ich dir teilweise zu, bei einigen bin ich jedoch entgegengesetzter Meinung. Doch ich werde sie bei der Überarbeitung noch sorgfältig in Erwägung ziehen.

Seine letzten Worte sind "Annahme verweigert." Ich überlege gerade, was mit der Geschichte passiert wäre, wenn er gestorben wäre, bevor Anita ihn erreicht. Das wären heftige Gefühle gewesen, in Anita. Und hätte vielleicht eine andere Sichtweise auf das Geschehen erlaubt.

Diese Variante spielt indirekt hinein, denn die letzten Worte von Anita, dass ihre Eltern im Verziehen hätten, nahm er ja nicht mehr wahr. Das einzige Zeichen diesbezüglich das ihm vor seinem Tod blieb war, dass Anita zurückgekehrt war. Er starb also ohne ein Wort des Verzeihens vernommen zu haben, konnte es höchstens gefühlsmässig noch wahrnehmen.

Ich danke auch dir herzlich für deine Auseinandersetzung mit der Geschichte und deinen klaren Kommentar. Ich werde deine Worte im Hinterkopf haben, wenn ich nochmals an dem Text feile.

Schöne Grüsse euch beiden

Anakreon

 

Bei dir klopft er während er den Raum betritt an den Türrahmen. Macht man das nicht davor? Also nachdem er an den Türrahmen geklopft hat?,
mag sein, dass man’s i. d.R. täte, doch gleichwohl kann man beim Eintritt und „wie im Vorbeigehen“ an den Türrahmen klopfen,

lieber markus,

dass der / die Andere(n) im Raum aufmerken.

Da hastu uns mal wieder ein arges Häppchen aufgetischt,

lieber Anakreon,

von dem ich freilich finde, dass es keiner Dramatisierung durch unnötige Spannungsbögen bedarf. Da sind die „Kinder“ – wie ich meine Vorredner mal nennen will, durch eine sensationsgeile Medienlandschaft der kommerziell bestimmten Kulturindustrie buchstäblich verdorben, was mich Schlimmes befürchten lässt, wenn ich sehe, dass Faschisten wieder zu Wahlgewinnern auf ganz legale Weise werden können, als gäbe es nicht noch genug semitotalitäre Staaten (und nicht nur ehemalige Sowjetrepubliken).

Mir genügen schon die bedeutungsschwangeren Namen von Liebknecht bis Dachau, dem ersten KZ der Nazis, in dem "Liebknechts" und „Konsorten“ zur Abschreckung des restlichen Volkes zu nützlicher Arbeit und somit Umerziehung herangezogen worden wären, wären sie nicht schon vorher wie ihre Freundin, diese polnisch-schlampige Emanze – der Name klingt zur Täuschung aller [auf]rechten Volksgenossen wie ein europäischer Kleinstaat und zur Verhöhnung eines Kaiserhauses im Ersten Reich – durch tapfere Widerstandskämpfer hingerichtet worden. Genug der Satire!

Und wieder zurück zum gebotenen Ernst: Gerne wird behauptet, ums KZ Dachau habe keiner gewusst (selbst der Altkanzler Schmidt, vgl. Helmut Schmidt, Fritz Stern: Unser Jahrhundert. Ein Gespräch, München 2010, S. 76 f., Schmidt war gerade 14 Jahre alt, als Dachau eingerichtet wurde). Eine bestimmte Presse schlachtet selbstverständlich die Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen heute noch gerne aus, wenn einem 16-jährigen Günther Grass die SS-Mitgliedschaft von Oktober 1944 vorgehalten wird … Wenn die heutige Propaganda anhält, wird meine Enkelgeneration glauben, dass Milton Friedman & Friedrich August von (!) Hayek Heilige, Monetarismus eine Religion, Finanzmärkte Kirchen und Börsen moderne Tempel wären.
Genug gewettert, zurück zum Text!

Dot hat’s schon angestoßen hinsichtlich der Schnitzer, also zieh ich’s durch, so was wie’n (schad’, dass solches Wortspiel weder mit Zürch noch Bern und nur mit Basel gelänge), jetzt aber ohne viel Worte:

Ich hatte direkt den Eindruck[,] er warte darauf, nicht nur der Schmerzen wegen.

Er sagte, was an Wiedergutmachung möglich sei[,] habe er getan.

Das weitere liege …
Das Weitere (in jedem Fall!)

Ich bot ihm an eine[,] höhere Dosis zu spritzen, …

…, was ich jedoch nicht annehme.
Abschl. Gänsefüßchen?

Onkel Erwin machte wirklich einen gefestigten Eindruck, …
Ist das „wirklich“ nicht wirklich entbehrlich?

Ich fühle mich verpflichtet[,] dir das zu sagen, was …

Dann noch der Hammer, bei dem ich’s auch nicht so recht weiß:
Die Tür zu seinem Zimmer stand weit offen, so wie als sie hinausgerannt war.
Das klingt,

da muss ich markus recht geben,

abenteuerlich, selbst wenn jeder weiß, was gemeint ist.
Aber – wie gesagt - da fällt mir im Augenblick auch nix besseres ein, außer vielleicht ein einfaches

Die Tür zu seinem Zimmer stand [immer noch] weit offen, [wie vorhin, als sie weggelaufen war].

Und letztlich
Nach Kriegsende wurde ich durch die Alliierten an die Schweiz abgeschoben …
Vielleicht lieg ich jetzt falsch (die Präposition / das Adverb könnte landschaftlich gefärbt sein und weil mich derzeit der Fränkische Teufel und die gotische Bibel reiten, bin ich vom Alemannischen und seinen Kindern momentan verdamp weit wech), aber das „an“ klingt nach „ausgeliefert“, ein „in“ klänge mehr nach Abschiebung … Für dieses spricht dann der Folgesatz.

Dann doch noch wat wie’ne Perversion durch Partizipienbildung:

[K]riegsführend,
klingt wie die Verlängerung der olympischen Sommerspiele, selbstverständlich nicht 2012, die ja 1944 ausfielen, sondern 1936. Aber das ist amtlichen Verlautbarungen zuzutrauen ...

Es war die schlimmste Zeit in meinem Leben* abgesehen von dem Lager.
Hier zöge ich statt des Kommas einen Gedankenstrich, auch als Gedanken- bzw. Pausenstrich vor.

Ein Geständnis bedarf keiner Dramatisierung!, würde dadurch m. E. eher an Glaubwürdigkeit verlieren, statt am Inhaltlichen gewinnen. Zudem neig(t)en Hitlers „willige Vollstrecker“ und freiwillige Handlanger nicht zu Ge- und Eingeständnissen. Das hebt Onkel Erwin aus der Masse heraus.

Gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo Anakreon!

Deine Geschichte hat mich gestern schon angezogen, weil ich den Titel interessant fand. Der Text selbst war dann leider gar nicht meins, meine Kritik fällt ziemlich negativ aus. (Ich versuch's vielleicht mal mit einem anderen Text von dir - Empfehlungen? :) )

Vorab mal, mir fällt auf, dass du sehr eigentümlich schreibst, auch in deinen Kommentaren. Und in deinem Profil steht „Die leicht antiquierte Sprache entspricht meiner Eigenart, man mag sie oder auch nicht.“
Dann muss ich jetzt fragen, was versprichst du dir davon, so zu schreiben? Also, du könntest schon anders, oder? Ich sag’s dir ganz ehrlich, ich hab große Schwierigkeiten deinen Text ernst zu nehmen aufgrund der Sprache. Wenn eine bestimmte Erzählfigur oder ein besonderes setting es erfordert, oookay ... Aber warum in diesem Text? Da seh ich keinen Grund zu und es wirkt einfach nur gekünstelt und verstellt den Blick auf das eigentlich wichtige (Handlung & Figuren).
Es ist nicht als Beleidigung gemeint, ich hätte auch wirklich gerne eine Antwort auf die Frage. Ich verstehe die Motivation diese Sprache zu benutzen einfach nicht.

Beim Lesen des Textes ist mir vor allem Anita aufgefallen, ich finde, die Figur solltest du besser rausarbeiten. Ihr Denken und Handeln war für mich als Leser überhaupt nicht nachvollziehbar.

Anita konnte sich nicht vorstellen, dass es in ihrer Familie Geheimnisse gab. Dass ihre Eltern mit Erwin keinen Kontakt hatten, seinen Namen niemals erwähnten, schrieb sie einem lange zurückliegenden Streit zu. So etwas kommt unter Geschwistern vor, manchmal aus läppischen Gründen. Ihren Onkel hatte sie nie darauf angesprochen, der Meinung, es würde unnötig alte Wunden aufreissen. Durch den schrecklichen Unfall ihrer Eltern erfuhr sie erstmals, dass ihre Mutter einen älteren Bruder hatte.
Da wirkt Anita – so unglaublich dumm. Von ihrem geheimen Onkel hat sie erst mit 15 zufällig erfahren, aber sie kann sich nicht vorstellen, dass es in ihrer Familie Geheimnisse gibt. Uff.
Anfänglich merkte ich nicht, was in diesem Lager vorging, doch dann wurde es mir umso erschreckender klar, es war ein Schock. Dort wurden Menschen systematisch vernichtet.»
Anita fühlte sich betäubt, sie konnte es nicht glauben, was ihr Onkel da berichtete. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander.
Da kommt mir Anita schon wieder furchtbar naiv/dumm vor. Schweiz hin oder her, welcher Erwachsene (heutzutage) ist ernsthaft überrascht, wenn jemand aus der Weltkriegsgeneration erzählt „ich war dabei“?
Und etwas anderes, das mir komisch vorkam : Der Satz „Anfänglich merkte ich nicht … doch dann“, das suggeriert, dass der Wachsoldat längere Zeit gebraucht hat um zu begreifen. Ich hab den Spruch „wir wussten nichts davon, hier in der Umgebung gab es keine Lager“ selbst ein paarmal gehört. Aber wie lange kann ein Wachsoldat in einem Lager gebraucht haben, um das Prinzip seiner Arbeitsstelle zu verstehen?
«Das entschuldigt es in keiner Weise. Deshalb sprach Mama nie von dir! Ich hasse dich, ich hasse dich!», gellte ihre Stimme. Anita stürmte aus dem Zimmer, packte ihren Mantel und die Handtasche und rannte aus der Wohnung.
Wäre sie fünfzehn, wäre ihr Verhalten schlüssig.
Ihm verdankte sie die gute Ausbildung, die sie machen konnte. Dafür war sie ihm dankbar, hatte ihn zu sich genommen, als er schwer krank wurde. Es war ihr eine Selbstverständlichkeit als klar wurde, dass man nicht mehr für ihn tun konnte.
Er war auch ihre Familie vor und nach ihrer eigenen gescheiterten Ehe.
Holla! Anita hat ihren bettlägerigen Onkel gepflegt, Anita war verheiratet und ist geschieden – Anita ist eine erwachsene Frau mit Lebenserfahrung, oder?
«Aber warum hast du dich damals nicht dagegen gewendet, als du merktest, was dort geschah?»
Und hier fragt sie wieder so dämlich wie ein Kind. Das passt einfach nicht zusammen.
Es war die schlimmste Zeit in meinem Leben abgesehen von dem Lager.
Der Satz hat mir gar nicht geschmeckt, weil das so … das ist so Glorifizierung des Helden für den Leser. Der Held hat gelitten im Gefängnis unter den Haftbedingungen und den Misshandlungen durch Mitgefangene und Wärter – aber dennoch, die Zeit als Wachsoldat (geregeltes Einkommen, vermutlich ein so „normales“ Privatleben, wie es in der damaligen Zeit möglich war, und obendrein nie „die Hand gegen jemanden erhoben“), die Zeit als Wachsoldat war natürlich trotz allem schlimmer. Warum, weil es moralisch nicht angeht, einen Wachsoldaten aus Dachau anders zu präsentieren als zutiefst bereuend?

Also, nein, mich hat das alles nicht überzeugen können. Vielleicht beim nächsten Mal.

 

Lieber Friedel

Es freut mich sehr eine Stimme derer zu hören, die die Ausrichtung der Dramatik im gesetzten Kontext verstanden und die hinführenden Andeutungen als ausreichend wahrnahmen. Auch wenn ich durchaus Verständnis für jene habe, denen es sich so eben nicht erschliesst.

Da hastu uns mal wieder ein arges Häppchen aufgetischt,

Es liegt wohl in meiner Natur, im Argen zu fischen, andere machen es eher im Trüben.

von dem ich freilich finde, dass es keiner Dramatisierung durch unnötige Spannungsbögen bedarf.

Da sprichst du einen der kritischen Punkte an, die bei Kurzgeschichten immer Diskussionsgrund liefern. Was ist das richtige Mass? Es hängt wohl weitgehend von den Inhalten ab und der Intention des Autors, die selbstredend mit Erwartungen von Lesern kollidieren können.

Mir genügen schon die bedeutungsschwangeren Namen von Liebknecht bis Dachau,

Dies war meine Absicht, die Kürze plausibel und logisch zu unterlegen, indem historisch klar deutbare Namen ins Spiel kamen. Bei der Namensgebung hatte ich auch Rosa Luxemburg vor Augen, deren „Briefe aus dem Gefängnis“ ich als Jugendlicher las. Der Name Liebknecht schien mir dann aber noch aufreizender, in der damaligen Gesellschaft nicht genehm gewesen zu sein.

Dot hat’s schon angestoßen hinsichtlich der Schnitzer, also zieh ich’s durch, so was wie’n (schad’, dass solches Wortspiel weder mit Zürch noch Bern und nur mit Basel gelänge),

So wie ich auch über mich selbst lachen mag, musste ich über diesen schnitzelbankorientierten Vergleich schmunzeln, den die Basler Waggis bis zum Exzess beherrschen. Die Zürcher sind zu trocken und die Berner zu behäbig dafür. – Erschaudern liessen mich die Unterlassungen, die du aufzeigtest. Seit dem Hinweis von dot hatte ich noch nicht die Zeit und die Musse die Geschichte akribisch durchzuforsten. So war ich baff, welch simple Fehler ich da einbaute und beim wiederholten Lesen übersah. Diese habe ich nun vorab schleunigst behoben, damit die Leser sich nicht auch noch mit diesen Mängeln quälen.

Ein Geständnis bedarf keiner Dramatisierung!, würde dadurch m. E. eher an Glaubwürdigkeit verlieren, statt am Inhaltlichen gewinnen.

Dieser Meinung bin ich auch. Die Gewichtung würde mir zu sehr von der persönlichen auf die politische Ebene verlagert, was nicht in meiner Absicht liegt, auch wenn ich den Text am 8. Mai veröffentlichte.

Gern gelesen

Darüber freue ich mich.

Für deine Auseinandersetzung mit der Geschichte, durch deren Hintertüren du die historischen Gesamtzusammenhänge klar erblicktest, deinen Kommentar und die Schnitzelbank der Fehlleistungen danke ich dir herzlich.


+++


Hallo Möchtegern

Deine Geschichte hat mich gestern schon angezogen, weil ich den Titel interessant fand.

Ein positives Wort zu Beginn liest sich immer schön …

Der Text selbst war dann leider gar nicht meins, meine Kritik fällt ziemlich negativ aus. (Ich versuch's vielleicht mal mit einem anderen Text von dir - Empfehlungen? )

… auch wenn nachher nur Harsche folgen.

Mit Empfehlungen bin ich eher zurückhaltend, da dies bedingte die gesetzten Erwartungen auch erfüllen zu können. … Hm, vielleicht Pater Anselms Bitte in der Rubrik Horror. Zu dieser wurde ich zumindest für eine anderweitige Veröffentlichung angefragt, die demnächst in Rücksprache des Lektorats mit leichten Änderungen erscheinen wird.

Vorab mal, mir fällt auf, dass du sehr eigentümlich schreibst, auch in deinen Kommentaren.

Mit eigentümlich gibst du dir doch schon selbst eine Antwort, zudem du ja die Referenz dazu aus meinem Profil kennst.

Dann muss ich jetzt fragen, was versprichst du dir davon, so zu schreiben?

In dieser Geschichte zielte ich auf Kürze und Einfachheit. Doch du erwähnst ja auch meine Kommentare, also meinst du die Sprachverwendung von mir an sich. Nun, der Einsatz von Sprache ist ein Mittel, das über lange Zeit erworben wurde und nicht einfach austauschbar ist. Man kann seinen Sprachstil den Gegebenheiten der Zeit angepasst langsam verbessern, aber nicht einfach so beiseiteschieben.

Es ist nicht als Beleidigung gemeint, ich hätte auch wirklich gerne eine Antwort auf die Frage. Ich verstehe die Motivation diese Sprache zu benutzen einfach nicht.

Ich weiss nicht, ob vorstehende Antwort dich zu befriedigen vermag, du bist auch nicht der Erste, der sich an meiner Sprachform stört, darum der Vermerk im Profil. Was mich dabei etwas nachdenklich stimmt, ist, dass manche Leser solches als störende Diskrepanz zu ihrem eigenem Sprachausdruck wahrnehmen, Sprachwissenschaftler hingegen oft nicht. Beim Slang oder einer „Sprache der Strasse“ fühlen sich die gleichen Leser demgegenüber heimisch. Aber dies ist vielleicht eine Frage der Kultur.

Beim Lesen des Textes ist mir vor allem Anita aufgefallen, ich finde, die Figur solltest du besser rausarbeiten. Ihr Denken und Handeln war für mich als Leser überhaupt nicht nachvollziehbar.

Es überrascht mich etwas, dass du ihr Denken und Handeln nicht nachvollziehbar findest. Ich denke der Text erlaubt sehr wohl Einfühlungsvermögen, doch ist der Leser in dieser speziellen Geschichte aktiver gefordert als üblich. Wie in einer vorgehenden Antwort zu einem Kommentar erwähnt, war es ein Versuch mich Hemingways Iceberg-Theorie anzunähern, was natürlich schwierig ist und nur wenig Leser erreicht.

Da wirkt Anita – so unglaublich dumm.

Nun dies ist deine subjektive Sichtweise, die ich dir nicht absprechen will. Aber ich kann dir aus der Praxis verraten, dass es in vielen Familien „Geheimnisse“ gibt, die eher verdrängt als hinterfragt werden.

welcher Erwachsene (heutzutage) ist ernsthaft überrascht, wenn jemand aus der Weltkriegsgeneration erzählt „ich war dabei“?

Da schätzt du die länderübergreifenden, psychologischen Momente falsch ein. Soweit es heute überhaupt zur Sprache kommt, ist da das Selbstbewusstsein auf der andern Seite gestanden zu haben, sehr stark vorhanden. Dies nicht nur in der Schweiz mit der „Igelmentalität“ (abgekapselt von allen anderen), auch etwa in Frankreich, wo der 8. Mai für die Kriegsveteranen noch ein wichtiger Tag des Rituals ist. Aber natürlich nur für die, die auf der richtigen Seite standen.

Und etwas anderes, das mir komisch vorkam : Der Satz „Anfänglich merkte ich nicht … doch dann“, das suggeriert, dass der Wachsoldat längere Zeit gebraucht hat um zu begreifen.

Für uns mutet dies merkwürdig an, dass jemand der in nächster Umgebung zu solchen Geschehnissen war, dies nicht gleich bemerkt haben will. Aber hierfür kann es mehrere Gründe geben, die dies plausibel machen. Ich stütze mich hierbei auf glaubhafte Quellen, dass je nach Situation nicht jeder die Tragweite sofort erkennen konnte. Und anfänglich bedeutet insofern nicht einen langen Zeitraum.

Wäre sie fünfzehn, wäre ihr Verhalten schlüssig.

Hier und auch in den folgenden Anmerkungen ist dein Einfühlungsvermögen nun aber gänzlich durch rationales Denken verschüttet und dadurch etwas unterkühlt. :D

Also, nein, mich hat das alles nicht überzeugen können. Vielleicht beim nächsten Mal.

Tja, das ist die Schwierigkeit, die keinem Autoren gelingen dürfte, immer alle Leser überzeugen zu können. Dass dies an diesem Text scheiterte, kann ich aufgrund des konzentrierten Inhalts nachfühlen. Doch bin ich mir nicht sicher, ob dir andere Texte von mir gefallen würden, da du einen Absolutheitsanspruch an eine dir genehme Sprache stellst.

Für deine trotz Unbehagen ausführliche Auseinandersetzung mit dem Text und deinen Kommentar danke ich dir herzlich. Nicht, dass du nun denkst, du hättest da in den Wind geschrieben, ich nehme alle Einwendungen und Überlegungen sehr ernst. Auch wenn die Sichtweisen auseinanderdriften mögen, gibt es doch immer auch Hinweise, die bei der Überarbeitung neu keimende Gedanken ermöglichen.

Schöne Grüsse euch beiden

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

ich muss sagen, ich kann mich dem doch etwas negativen Unterton der anderen Kritiken nicht völlig anschließen. Ich finde der Titel erzeugt Neugier und für den Rahmen einer Kurzgeschichte ist der Spannungshöhepunkt schon gut platziert (ich hätte ihn vielleicht noch ein Stück nach hinten verschoben, denn ein klassisches denouement ist bei einer Kurzgeschichte ohnehin eher schwierig zu konstruieren bzw. oft auch eher störend). Das gleiche gilt für die mangelnde Tiefe der Ereignisse und Charaktere, welche kritisiert wurde. Da du ja nach eigenen Angaben auf Kürze und Einfachheit abzieltest, stößt man einfach an gewisse Grenzen in diesem Format und ich finde deine Umsetzung innerhalb dieser Grenzen durchaus gelungen.

Der einzige Punkt, dem ich mich anschließen muss, ist die Wahl der Sprache. Ich rede hier jedoch keineswegs von der leicht antiquierten Ausrucksweise, welche im Bezug auf die Handlung und das Thema meiner Meinung nach sogar durchaus angebracht ist. Es geht mir eher um gewisse Formulierungen, welche dem Schweizerischen eigen sind. In der wörtlichen Rede sind diese absolut zu vertreten und sogar notwendig, da die Geschichte schließlich in der Schweiz angesiedelt ist. Im beschreibenden Erzähltext jedoch, halte ich sie für unangebracht. Da du einen allwissenden Erzähler gewählt hast, welcher kein aktiver Part der Geschichte ist, sollte sich die Ausdrucksweise in diesen Passagen am dialektfreien Deutsch orientieren. Begriffe wie "anhin" oder "innert" (um mal ein konkretes Beispiel zu bringen), würde ich hier vermeiden.

Dies ist natürlich eine eher subjektive Einschätzung, deshalb wäre ich erfreut, deine Gedanken dazu zu erfahren.

Viele Grüße
Johnny

 

Hallo Johnny

Ich finde der Titel erzeugt Neugier und für den Rahmen einer Kurzgeschichte ist der Spannungshöhepunkt schon gut platziert (ich hätte ihn vielleicht noch ein Stück nach hinten verschoben, denn ein klassisches denouement ist bei einer Kurzgeschichte ohnehin eher schwierig zu konstruieren bzw. oft auch eher störend).

Danke für deine Einschätzung. Eine Bündelung des Spannungsschwerpunktes gegen das Ende wäre vielleicht effektvoller, hätte zuvor aber einen stärkeren Ausbau der Vorgeschichte abverlangt.

Der einzige Punkt, dem ich mich anschließen muss, ist die Wahl der Sprache. … Da du einen allwissenden Erzähler gewählt hast, welcher kein aktiver Part der Geschichte ist, sollte sich die Ausdrucksweise in diesen Passagen am dialektfreien Deutsch orientieren. Begriffe wie "anhin" oder "innert" (um mal ein konkretes Beispiel zu bringen), würde ich hier vermeiden.

Die aufgezeigte Interferenz verblüffte mich, dessen war ich mir nicht bewusst. Aber du hast recht, sowohl der DUDEN als auch der viel umfangreichere Wahrig weisen die beiden Wörter in ihrer Herkunft als schweizerisches Hochdeutsch – nicht Dialekt aber doch Helvetismen – aus. Offiziell durchaus korrekt aber entsprechend zuordnungsbar (weshalb auch der elektronische DUDEN sie nicht beanstandet). Ich werde sie im Text noch anpassen. An sich stellt dies eine Hürde dar, die nicht so leicht zu umgehen ist, da solche in meinem Sprachschatz verinnerlicht sind und ich „Dudenfähige Wörter“ weniger auf ihre Herkunft hinterfrage. Aber es ist mir ein Anreiz darauf zu achten, wenngleich unmöglich jedes Wort auf seine Quelle abzuklären. Doch ist mir dieser Hinweis sehr interessant.

Ich danke dir herzlich für deinen Kommentar, dessen positive Wertung der Geschichte mich sehr freut und den besonderen Hinweis zur Sprachform.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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