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Descendit ad Inferna

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12.12.2001
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Descendit ad Inferna

„Der Schlaf, der Befreier, verursacht oft Schmerz; aber wenn der Schmerz am heftigsten ist, tritt das Erwachen ein und versöhnt den Leidenden mit der Wirklichkeit, die, wie qualvoll sie auch sein mag, verglichen mit dem schmerzhaften Traum, in diesem Augenblick noch ein Ergötzen ist.“
August Strindberg - Vorbemerkung zu „Ein Traumspiel“

Traum! Wie hast du mich entzückt
Mein Herz im Wahn, vor dir verrückt
Hältst mich in schierer Angst gebückt, und die Welt
Auff der man mich gefangen hält, wird mir entrückt

Hass und Liebe reißen mich in Fetzen
Heiß blutende Thränen mein Herzen benetzen
Hältst du, oh Traum! alleyn mir Ergetzen, in wildem Verlangen
Das mir ansonst verlor’n gegangen in des Diesseits Schätzen


Rosalia träumte von einem Märchenwald, immergrünen Bäumen und bunten, in allen Farben schillernden Blumen. Klebriger Tau bedeckte das Blattwerk, das in leisem Winde sich bewegte, wie in einem langsamen, wunderschönen Tanze. Feuchtes Moos bedeckte feine Erde und duftende Baumrinde, wo das dichte Gestrüpp wild wachsenden Grases und Buschwerks freie Stellen gelassen und verwandelte so den ganzen Wald in ein einziges grünes Freudenmeer, an dem Rosalia ihre Seele erquickte und ihre Gefühle erstrahlen sah. So streifte sie durch die eng gedrängten Baumreihen und erfreute sich der Freiheit der Natur, jeden der vereinzelt durch das Blätterdach fallenden Lichtstrahlen aufsaugend, wie ein süchtigendes Lebenselixier. Kleine, liebliche Tiere, schneeweiße Kaninchen, zwitschernde Vögel und wild umher fliegende, regenbogenfarbene Schmetterlinge erfüllten den grünen Garten mit Leben und Heiterkeit. Rosalia lustwandelte durch ihres Traumes schönes Bild, das weiche Moos unter ihren nackten Füßen, den süß schmeckenden Wind in ihrem offenen, wallenden Haar; sie umtanzte ausgelassen die ergrünten und sonst in buntester Pracht geschmückten Baumstämme, die ihre Phantasie so lebendig und voller Schönheit präsentierte, wie sie im Wachen ganz unnatürlich erscheinen müssten.
Bald kam Rosalia an einen kleinen Bach, der, vielleicht drei Fuß breit, ganz unscheinbar sich durch den Wald schlängelte, von dicht gewachsenen Büschen und hohen Gräsern verdeckt. Das Wasser war klar, musste von irgendwo droben am Berge, dessen Fuß der wunderschöne Forst säumte, entspringen und sich durch unberührte, unschuldige Natur hier hinunter winden. Baren Fußes das kristallene, funkelnde Wasser durchschreitend, folgte sie dem Lauf des Bächleins in entgegen gesetzte Richtung bergan. Rosalia genoß das sanfte Kitzeln der Kieselsteine, die den Weg säumten, das Ufer und den Grund des Baches bildend. Schon bald verschwand dieser in einem weiten Feld buntester Blumen, daß von einem wunderschönen Regenbogen eingerahmt einen farbenfrohen Halbkreis ergab. Sonnenblumen eingerahmt von weißen Chrysanthemen, in allen Rottönen glänzende Gladiolen, einen Hauch von Mystik und Magie versprühende Lilien und an den Enden des mächtigen Regenbogens vielfarbige Iris. Dazwischen hunderte von duftenden Blumen, die Rosalia nicht gekannt, und die von Tau bedeckt um die Wette schimmerten und schillerten.
Dahinter erhob sich im Schoß der Farbenpracht der steile Gipfel des ruhenden Berges, bevölkert von bizarren Gesteinsformationen und vereinzelten Baumgruppen, die sich nach dem Blumenfeld und dem Bach zu sehnen schienen. Und ganz droben am Berge, noch weit entfernt von Rosalia, umgeben von großen Eisflächen, Gletschern, und gewaltigen Schneemassen stand auf dem Gipfel ein Kreuz. Und um es herum war eine Plattform in den Boden geschlagen, eine Aussichtsfläche, unnatürlich glatt wie der Dielenboden eines Ballsaales.
So rannte Rosalia hinauf zu dem Kreuze, daß einsam in den Himmel ragte, und das sich so fantastisch, so verführerich in der Morgensonne strahlte. Begierig war sie, begierig hinauf zu kommen auf die Tanzfläche und sich endlich loszulassen. Und dann, oben angekommen, erwartete sie ihr Märchenprinz. Gehofft hatte sie es, ja, gefühlt und gewußt, daß er hier warten und sie in die Arme schließen würde. Sie zitterte vor Freude, daß ihre Vorahnung in Erfüllung gegangen und schmiegte sich an den Körper ihres Geliebten, seine Wärme, seine Kraft suchend. Dann drückte er sie sanft von sich, ihre Hände haltend, suchte ihren Blick aufzufangen und begann langsam, sie zum Tanze zu führen. Liebe floß durch die beiden Tanzenden und ließ sie erbeben, rhythmisch im Takte der stillen Musik. Stumm spielte das Orchester einen Walzer, langsam und tragend, machte die Liebenden schwebend auf den Wolken hoch über dem Gipfel und erfüllte sie mit Zärtlichkeit und Glück, das hinab auf das Kreuz und danach die Hänge hinunter strömte, in das blühende Tal, das sich in einen Hort der puren Lebendigkeit verwandelte, das Paradies auf Erden.
Dann troff das Blut aus Rosaliens Brust und verfärbte ihr schneeweißes Kleid. Wie in Trance und das zarte Lächeln in ihrem Gesicht abzubrechen vergeßend, starrte sie auf ihren Körper, auf ihre Hände, in denen der Lebenssaft zusammenfloß. Mit größer werdenden Augen blickte sie auf zu ihrem Geliebten, ungläubig und zwischen Frohsinn und Schmerz gefangen, und sah auch ihn noch immer lächeln, seinen fröhlichen Ausdruck beibehaltend, und weiter tanzend, tanzend, tanzend! Und als der erste Tropfen Blut das Kreuz berührte, verlor sie die Besinnung und taumelte in die sie umschließende Nacht...

Noch war es dunkel, noch hieß die Nacht den kommenden Schrecken warten. Der Mond war schon in seinem langsamen Verschwinden begriffen, doch noch hatte sich kein Sonnenstrahl über den, in dichten Nebeln liegenden Horizont gewagt. Und so saß ich einsam und verlassen in meiner kleinen, kalten Zelle und starrte sehnsüchtig aus dem winzigen, vergitterten Fensterchen hinaus auf die endlose Leere des sternenlosen Firmaments und auf den darunter, in der Schwärze der Finsternis sich versteckenden Galgen, an dem ich am frühen Morgen im ersten Lichte hängen sollte. Das schwarz gefärbte Holz glänzte matt im fahlen Mondenschein und schien zu mir herüber zu grinsen, in ahnungsvoller Erwartung des wehrlosen Opfers, das man ihm bringen würde. Ich konnte das Holz seine Zähne blecken und mir einen verächtlichen Blick zuwerfen sehen und es war mir, als würde er sich vornüber beugend nach mir strecken, mich zu ergreifen und zu vernichten. Meine Phantasie zügelnd und zurück rufend kniff ich die Augen zu und versuchte meine Konzentration wieder zu gewinnen, doch als ich glaubte, die grotesken Schauerbilder vertrieben zu haben und die Augen wieder öffnete, streifte ein schwarzer Schatten über die helle Scheibe des Mondes und als er sich auf dem Galgen niedergelassen, erkannte ich die fürchterlich traurige Gestalt eines kleinen Raben, der, mein Schicksal mir zu zeigen, den Tod selbst zu symbolisieren schien. Kurz suchte der schwarze Vogel mir in die Augen zu schauen, und, so schien es mir, als er sich meiner Todesfurcht vergewissert, hob er zufrieden wieder ab und flog hinaus über die Dächer der schlafenden Stadt. So blieb ich denn zitternd hinter den eisernen Gitterstangen, still und voll Schrecken über mein Schicksal sinnend.
Des Morgens hatte man mich unsanft geweckt, sehr gewaltsam und unerbittlich aus dem Bette geschmissen und ohne Umwege ins nah gelegene Kloster vor den Richter, den Inquisitor geschliffen, der mich innerhalb weniger Minuten, die ich zwischen schläfriger Müdigkeit und entsetzter Trance erlebte, zum Tode verurteilt und in diese Zelle hatte sperren lassen. Welches Vergehens wegen man mich verurteilt, lag mir zu anfangs noch völlig im Dunkeln, war ich mir doch keinerlei Schuld bewusst. Doch den Worten des Richters und der, die Anklage vorbringenden Dominikanermönche entnahm ich, dass man mir einen Mord zur Last legte, und einen, ob der Umstände, fürchterlichen und doppelt sündigen. Meine anfängliche Angst und die nicht eben geringe Verwunderung steigerte sich alsbald in blankes Entsetzen, als ich zu hören bekam, dass man mich nicht bloß des einfachen Mordes, sondern - und es tönt grausam noch immer in meinen Ohren - der Ermordung meiner eigenen Gattin wegen auf die Anklagebank gezerrt. So saß ich denn da, hörte die Verteufelungen der Mönche über mein Haupt hereinbrechen, und meine Seele verdammen, während ich an mein Weib dachte, bitterlich weinend und glühendes Herzblut vergießend. Der Mord, dessen feiger Lakai ich gewesen sein solle, ließ meine Welt in tausend jämmerliche Teile zerbrechen, auf jedem einzelnen ein blutendes Bruchstück meiner tiefsten Liebe in die graue Welt schleudernd. Der Spruch des Richters traf mich wie ein mächtiger, betäubender Schlag und tötete jeden Funken verstand in mir ab und beendete damit meinen verzweifelten Kampf gegen Ohnmacht und Wahnsinn. Ich sah mich einer Schuld gegenüber, die ich nie ertragen, geschweige denn verbüßen könnte, einem Vorwurf, der allein mich verrückt machte. Ich sollte meine, in tiefstem Herzen verehrte und bewunderte, meine über alles geliebte Gattin, die mir Trost und Stütze gewesen, gemordet haben? Oh Rosalia!
Das alles hatte kaum eine Stunde gedauert und mein einziges Glück war es, dass mir aus welchen Gründen auch immer, die ansonsten übliche Folter erspart blieb. Doch es waren keine Folterwerkzeuge von Nöten, mich zu quälen, meine Seele zum Weinen zu bringen. Man hatte mir eine kleine, aus schwarzem Holz gefertigte Sanduhr mit in meine Zelle gegeben, und der feine Sand fiel hinunter, langsam zwar, aber in meinem Geiste immer schneller, immer schneller, und rann, gleich den Tränen, die ich vergoß, noch zu Boden, bis ich, mit gebrochenem Genick am Seile hängen würde. Jedes Sandkorn, dass sich aus der Mitte der seinen verabschiedete, jede Träne, die mir ein Teil meiner Seele nahm und erbarmungslos zu Boden warf, brachte mich näher meinem Ende, meinem Tod, meinem ungerechten, traurigen Schicksal. Und mein Herzen weinte jede Sekunde, weinte warmes Blut, weinte Wärme, weinte Liebe und trieb mich mit jedem Augenblick auf den Moment zu, in dem es an seinen blutigen Tränen erstickend und zerspringend zu pulsieren aufhören würde.
Man hatte mich bei vollem, leidenden Bewusstsein in diese Zelle gesperrt, durch die der Wind drang und mir, mit der schmerzenden Ruhe einer tiefen Traurigkeit, mein Totenlied sang.

Während ich noch, meiner geliebten Rosalia nachtrauernd, mit meinem Schicksale haderte, schien man sich oben meiner erinnert zu haben und so vernahm ich vom anderen Ende des großen Kerkergewölbes her schwere Schritte. Erst schlurften sie hörbar mühevoll die enge Wendeltreppe hinunter und näherten sich dann meiner Zelle, umgeben von flackerndem Kerzenlicht, dass den langen, schmalen Gang mit wild umhertanzenden Schattengestalten füllte. Schon neue Gefahr, gar die doch noch eintreffende Folter befürchtend, galt meine ganze Aufmerksamkeit ganz meinem Besucher, der sich, an dem Ende des Ganges, welches in meinem Blickfeld lag, angekommen, zu meiner großen Erleichterung als recht freundlich drein blickender Dominikanermönch heraus stellte. So schloss ich bei mir, dass man den Irrtum aufgeklärt und mich von den fürchterlichen Vorwürfen befreit habe und hieß den ehrwürdigen Vater - es war, wie ich aus der Nähe sogleich erkannte, der Abt des Klosters St. Bernando, in dessen Kellergewölben ich mich befand - mit hoffnungsvollem Blicke willkommen.
Doch wie groß war mein Entsetzen, als der Abt zu sprechen begann, und mir mit mitleidigem, und doch verächtlichen Gestus die letzte Beichte abnehmen wollte. Nicht nur die enttäuschte Hoffnung war es, die eisige Schauer über meinen Rücken jagte und mich vor Furcht erstarren ließ, nein! Was mein Herzen in völlige Finsternis zurück warf, noch in dunklere, schrecklichere Orte als der letzten Stunden einsame Abgründe, waren die grausamen Worte, die über die Lippen des Mönches kamen, und sich schmerzend wie glühendes Eisen in mein aufgewühltes Inneres brannten. Mein Herzen zerbrach bei dem monotonen Geleier des heiligen Mannes und plötzlich ward mir, als stünde ich in Flammen, lichterloh entflammt in tausend beißenden Feuerzungen, schmorend in der Hitze, mir ward heiß, so heiß, unerträglich heiß, meine Hände zu Asche, meine Seele zu Staub, meine Tränen zu einem wahnsinnigen Zischen, …

Credo in deum patrem omnipotentem, creatorum caeli et terrae. Et in Jesum Christum, filium eius unicum, dominum nostrum. Qui conceptus est de spiritu sancto, natus ex Maria virgine, passus sub Pontio Pilato. Crucifixus, mortuus et sepultus descendit ad inferna...

Schwarz ward mir vor Augen und die Ohnmacht drohte mich zu überwältigen, so groß war die Pein, die mir das Gebet bereitete, so brennend entflammte dies Credo Gottes Zorn vor meinen Augen. Descendit ad inferna, so klang es in meinen Ohren, so hallte es in meinem Schädel. Descendit ad inferna, so schrieb es der Schein der Kerze in immer neuen Zügen an meine Zellenwand, brannte es unauslöschlich auf meine bebende Brust.
So mir die Sinne schwanden, konzentrierte sich mein schwacher Blick doch, wie von selbst auf einen Punkt, nämlich, den noch betenden Abt völlig ausgeblendet, auf den Galgen, der stumm und schweigend mich verfluchte und verhöhnte. In diesem qualvollen Moment ward ich des Schattens gewahr, der über dem Platze seine Kreise drehte und ich war schon gewiss, der Satan selbst sei wohl gekommen, mich zu holen, und ins Fegefeuer zu stoßen. Doch zog der schwarze Schemen an meinem vergitterten Fenster vorbei, so dass ich zwar schwerlich, aber doch einen Vogel erkennen konnte, der sich sogleich wieder in die Lüfte erhob um dann auf dem bedrohlich in den Himmel ragenden Galgen zu landen, seine starren Augen auf meine Zelle geheftet. Eine Eule war es, die ihren Blick auf mich heftete. Tief schwarz loderte es in ihren Augen, ihren starren, regungslosen Knopfaugen, und es war mir als sähe ich Bilder in ihnen, Bilder, wie prunkvolle, in allen Farben schimmernde Gemälde. Rosalia! Und je mehr mich der Eulenblick durchbohrte, desto intensiver durchflutete mich ein Bildermeer, auf Leinwand gebannte Gefühle, Lust und Erregung strömten durch meinen benommenen Geist. Der Galgen! Der Galgen…verschwand in den düstersten Ecken meiner Wahn gewordenen Phantasie. Wie in ein Kaleidoskop blickend, brach eine Flut, ein kreischender Sturm von pulsierenden Lichtern, tanzenden Farben, Bildern von…von…Leben! Leben! Über mich herein. Diese…diese Augen! Es funkelte und blitzte in ihren unermesslich weisen Augen! Und der Galgen nahm alles mit sich, die kalten, nassen Zellenwände, jeden einzelnen toten Stein, die rostigen Gitterstäbe, das schimmlige Stroh zu meinen Füßen, den Himmel, die drohende Wolkenwand und…und den Abt, der…noch immer?...noch immer sein Credo…Descendit ad inferna…sein Credo…es verschwand, alles verschwand, tief in meine aus allen Fugen geratene Gedankenwelt, die ein gewaltiger Gewittersturm aus den Angeln gerissen und in ein…ein infernalisches Chaos aus Wachen und Träumen, aus Lachen und Weinen, aus Lieben, aus Hassen aus…aus…Wahnsinn verwandelt hatte. War dies der brennende Schlund der Hölle, der von tausend Teufelszungen umzüngelte Sitz des Satans…oder war es mein Inneres, war ich es, der in Flammen stand? Eulenaugen ließen die Welt zerfließen, die Wirklichkeit vermischte sich mit meinen Tränen und rann meinen zitternden leib hinunter, floß auf dem toten Boden zusammen zu einem schäumenden, aufgepeitschten Meer von unendlichen Ausmaßen, Schmerz und Leid segelten auf seinen vernichtenden Wellen, die über meinem verzweifelten Schluchzen herein brachen und es zum Ersticken brachten. Ich tauchte hinein in das schwarze, brodelnde Wasser, schwamm bis an den Boden, das Grauen mich verfolgend, legte mich hin, die geschundenen Glieder von mir streckend und war eins mit der Dunkelheit. Gefangen im bizarren Meer des Unwirklichen, des Vergessens.

Ich öffnete meine müden Augen, gegen die lähmende Schwere der Augenlider ankämpfend und versuchte unter größter Anstrengung meinen Blick zu klären. Zuerst war nichts zu sehen als eine rabenschwarze Wand, die mich umschloß, und ich vermutete mich schon tot, in meiner Zelle oder am Galgen hängend. Doch nach kurzer Zeit der Besinnung bemerkte ich, daß ein kühler Wind sanft über meine Haut streifte, und unter meinen Händen war feuchter Erdboden, Gräser und Moos. So ich es auch nicht ausschließen konnte, schüttelte ich doch den Gedanken des Todes wieder ab und redete mir ein, ich hätte das Gefängnis irgendwie verlassen und wäre, auf welchem Wege auch immer, in den nahen Wald geflohen. Da es mir aber unmöglich war, das Gefühl der Betäubung völlig abzuschütteln, richtete ich mich vorsichtig ein wenig auf und begann, mich auf allen Vieren langsam vorwärts zu bewegen, in der Hoffnung, mich auf diese Weise wieder unter Kontrolle zu kriegen. Die Erde war nass, matschig, es mußte geregnet haben. Nach wenigen Metern, die ich mit großer Mühe zurück gelegt, faßten meine Finger in eine tiefe Pfütze, verschwanden ganz darin, im zähen, schlammigen Wasser und Sekunden später bemerkte ich, daß es warm war. Ich forschte weiter, hörte ein regelmäßiges Tropfen, und meine Hände fanden...einen Stamm, einen Baumstamm von dem der Regen tropfen mußte, doch...auch der Baum war...warm...das Wasser so warm und...dickflüssig. Ich fuhr zusammen, als ich in diesem Moment einen Ruf hörte, den Ruf einer Eule! Im selben Augenblick, die fürchterliche Stimme der Eule noch im Ohr, tauchte ein unwirkliches weißes Licht die Umgebung in einen geisterhaften Schimmer und...ich kniete vor eine scharlachroten Pfütze, die Hände flehend zum Himmel vor meine Augen gehalten, auf denen Blut!...Blut überdeckte meine Finger, rann die Arme hinab in meine Kleider, die über und über mit Rot bedeckt waren. Der ganze Boden, die Bäume! Gott, die Bäume! Nicht aus Holz waren die Stämme, nicht aus blühendem Grün die Baumkronen! Leiber! Blutende Leiber waren es! Menschliche Leichen in einander verflochten, grotesk verwachsen und aus tausend Wunden blutend. Ein Baum aus Kadavern, ein ganzer Wald aus Kadavern, blutrot glänzend im unwirklichen Geisterschein. Meine Augen, nunmehr klaren Blickes, sahen einen Stamm aus Frauenleichen, zarte Füße schlugen Wurzeln in den aufgeweichten Boden, Fleisch in einander verschmolzen, zeigte nur noch bizarre Konturen, die Beine und Hüften erahnen ließen. Darüber, der Bauch lag offen, eine einzige klaffende Wunde, aus der wie sich windendes Gewürm, die Gedärme hingen und im Winde sich bewegten, wie...wie lebende Dolche, von denen das Blut des Mordes noch troff. Die Arme zur Seite gestreckt, unmöglich verrenkt, als fehlten die Gelenke, waren in die Schulter der daneben liegenden Leichen gewunden, wie genagelt, ja wie die Glieder des blutigen Messias am Kreuze geschlagen. Ich wollte mich abwenden, doch es ging nicht, meine Augen mir ausreißen, diesem Anblick zu entfliehen, doch es hielt mich fest, fest an meinem Platze, wie unwürdig kauernd vor zum Leben gebrachten Visionen meines kranken Geistes, meines...meines verdammten Gewissens! Ihre Gesichter, ich brach in Tränen der Verzweiflung aus, der Qual in diesen Spiegel sehen zu müssen, ihre Gesichter waren so unendlich verzerrt, keine Kontur mehr, nur gesichtsloser Schrecken, gerade mit zwei hohlen, endlos tiefen Öffnungen, wie ein Hohn auf menschliche, auf meine Augen, und daraus lief das Blut unaufhörlich, in einem Strom, als blute der ganze Körper aus, und die Seele aus! Das Rinnsal aus den Augen sprach zu mir, flüsterte mir Gedanken ein, die mich zu zerreißen drohten und es sah mich an! Es sah mich, es drohte mir, verhöhnte mich, und das Plätschern war der Klang seines Lachens, unbarmherzig, tödlich und kalt.
Darüber hing fast majestätisch eine Kadaverkrone, keine Menschen mehr zeigend, nur einzelne, verrottete Gliedmaßen, an denen die Maden, das Ungeziefer sich labte und Schädel, an denen das Fleisch in Fetzen hinab hing, alles verdreht und gebrochen, miteinander verflochten und in allen Größen, allen Stadien der Verwesung. Knochen hingen unter der Last abgestorbener Körper hinab wie schneebedeckte Äste, rot verschmierte Arme wuchsen aus Augenhöhlen, Füße saßen verkehrt herum an ihren fauligen, grünen Beine, eitrige Pusteln überdeckten das ganze tote, menschliche Blattwerk, verdickten das noch warme Blut mit ihrem schmierigen Eiter. Und dazwischen das Gedärm, tanzend kleine Schlangen, wie einst im Paradiese die Verführerin im Blattwerk sich räkelnd und meinen leidenden Blick auf sich zwingend. Dann durchdrang meinen bebenden Leib ein weiterer klagender Ruf einer Eule, mit welchem das gespenstische Licht verschwand, und entließ mich ins ungewisse Dunkel dieses Waldes blutender Leichenbäume.
Doch zur Ruhe kam ich nicht. Hinter mir durchbrachen leise, tapsige Schritte die kurzzeitige Stille und näherten sich mir, sehr vorsichtig zu Anfang, doch dann immer schneller, bald rennend, und so erwartete ich jeden Moment mir etwas in den Rücken fallen. Doch darauf warten wollte ich nicht, und do stürzte ich Hals über Kopf in die Finsternis, mal aufrecht im Sprint, über Wurzeln und Felsen stolpernd, dann auf allen Vieren durch die unendlichen Blutlachen kriechend, immer den Gestank zu totem Staub zerfallender Körper in der Nase. Und ohne Unterbrechung folgten mir die Schritte, in immer gleichem Tempo, gleicher Lautstärke, so daß es sich bald als monotones, dumpfes Klopfen in meinen Schädel übertrug und ich nicht mehr wußte, ob ich wirklich verfolgt wurde oder träumte. Und weiter rannte ich, ohne auf meine Erschöpfung, meine schwindenden Kräfte zu achten, und so schlug mein Herzen immer schneller, immer lauter und lief mit dem unheimlichen Tapsen in meinem Rücken, den hohlen Schlägen in meinem Kopfe um die Wette.
Benommen fiel ich endlich zu Boden, über eine einsam aus dem Boden ragende Wurzel stolpernd. Sie war aus dem Boden geschoßen an einer Stelle, an der weder Gestrüpp noch Bäume - auch keine Leichenbäume - standen, und riß mich mit titanischer Kraft nach unten. Auf der feuchten Erde kauernd, von den Armen der seltsamen Pflanze mit unvorstellbarer Energie unten gehalten, starrte ich in die Dunkelheit und versuchte mit verschwommenem Blicke meine Verfolger auszumachen. Erst zeigten sich meinen Augen mehrere kleine Felsen, von grobem Gestein und nahezu völlig mit Moos bewachsen, dann nahm ich undeutliche Schemen wahr, die zwischen und hinter den Steinen hervorzuschauen schienen, als ob sie mich belauerten. Nur einen Wimpernschlag später fiel ein schwacher Schein auf die, sich mir darbietende, Szene, wie fahles Mondlicht auf eine einsame Lichtung, obwohl, und das stellte ich mit wieder wachsender Beklemmung fest, weder ein Mond noch Sterne zu sehen waren. Doch ließen mir die Umstände keine Zeit, mich in weiteren Gedanken darüber zu verlieren, denn das Licht ließ kleine, pechschwarze Knopfaugen um mich herum aufblitzen, die sich wie vibrierende schwarze Löcher von der übrigen Schattenlandschaft abhoben. Langsam schlichen die Augen näher, funkelten mich an, und erinnerten mich schlagartig an die Eule, die ich gesehen, bevor meine Seele in den Strudel des Chaos gezogen worden. Und als die Gestalten näher kamen, erkannte ich sie tatsächlich als Tiere, Eulen und Hasen mit unnatürlichen Augen, Füchse und... keine Köpfe! Die Tiere hatten keine Köpfe! Mit rasendem Herzschlag sah ich die Körper jeden Tieres über dem Hals plötzlich abreißen, kein Blut und klein Fleisch war zu sehen. Wie natürlich fehlte ihnen der komplette Schädel. Nur die fürchterlichen Pupillen saßen in den nicht vorhandenen Augenhöhlen und beobachteten interessiert, wie ich wieder in wildeste Panik verfiel. Wie ich den Schlingarmen entkommen, weiß ich nicht, doch schreiend stürzte ich davon, diesen Anblick hinter mir zu lassen. Und das letzte, was ich von dem untoten Rudel sah, war ein nicht existentes Grinsen, hämisch und überlegen, mich verlachend. In Raserei verfallend konnte ich wiederum keinen Einfluß nehmen auf meine Beine, die mich einmal mehr vom Grauen fort zum nächsten Erschrecken trieben.
Als sich mein schmerzender Kopf in diesem Netze aus Chaos und Besessenheit vollends verfangen, taumelte ich erneut zu Boden und fiel in ein kleines Rinnsal, wie mir zuerst schien, doch mit meinem ganzen Körper eintauchend entpuppte es sich als Fluß, den ich als Blutstrom, als reißende Styx zu erkennen glaubte, die mich endlich in die unteren Zirkel der Hölle tragen würde. Descendit ad inferna.
Doch schmeckte ich kein Blut, kein glühendes Rot zeigte sich meinen entsetzten Augen. Klares, kühles Wasser umgab mich und Hoffnung keimte in mir auf, die Herrschaft über mein Ich wieder erlangen zu können, doch Sekunden später tönten Stimmen an meine Ohren, sie sprachen zu mir aus dem Wasser. Oder sprach das Wasser? Kleine Nebelschwaden wanden sich durch den Strom, schwebten an mir vorbei und flüsterten mir zu...Komm...komm...schließ dich uns an...komm, Brüderchen... und sie fingen an zu tanzen, hüpften und sprangen um meinen Leib. Ich zuckte zusammen, ein ums andere mal, drehte mich und schaute gehetzt hin und her, mir die trüben Schleier genauer zu besehen, doch sie ließen mich nicht, wichen mir aus, verschwanden plötzlich tauchten hinter mir wieder auf, hielten mich zum Narren und wisperten immer zu ...Komm, Brüderchen...komm mit uns... Und, mir den Schädel, der explodieren drohte, haltend und wild nach Luft schnappend versuchte ich dem Würgegriff des lebendigen und verwunschenen Flußes zu entkommen, mich ans Ufer zu flüchten. ...Brüderchen, komm...komm mit uns... Und mit einem mal erkannte ich mein Wassergefängnis, erkannte die Nebelschleier, die wirren Stimmen ...Brüderchen... mich in ihre Gewalt zu kriegen, mich zu verdammen. Es waren Seelen! In den Seelenfluß war ich gefallen, den Strom gefüllt mit menschlicher Essenz, den tausend weinende, wehklagende Stimmen durchfloßen. Der Strom war pures Leben! Das was den Toten geblieben war floß hier entlang... und sie erzählten mir ihre Geschichten, berichteten mir über ihr Leben. Durcheinander und in den fremdesten Zungen, ein Gewirr, ein ohrenbetäubender Lärm. Und in den wenigen Augenblicken, die ich unter Wasser zu verbringen gezwungen war erfuhr ich Myriaden Schicksale, sog widerwillig alles in mich auf, schmerzvolle Berichte über Liebe und Leid und Leben, über Tod und Hass, Elend und Not. ...Brüderchen... klang es noch in meinen Ohren, doch schaffte ich es bald, mich an das rettende Ufer zu ziehen, bevor die weinenden Fluten mich mit fortreißen konnten an einen Platz, der weit schlimmer als meine Phantasie sein mochte, angsterregender noch und unerträglicher.
Bis auf die Knochen durchnäßt, getränkt mit den Seelen der Verdammten und befleckt mit den blasphemischen Geschichten ihrer Sünden, schleppte ich mich weiter, den steilen Hang hinauf, der hinter dem Fluße begann. Mörder...! Ein ohrenbetäubendes Summen, das plötzlich die Luft zum Vibrieren brachte, zeigte mir an, daß die nächste Station meines Alptraumes der letzten auf dem Fuße folgen würde, und so kroch ich, mit einem beklemmenden Gefühl von Angst und gleichzeitig seltsamer Gelassenheit, an den Rand des Hanges und blickte hinüber. Was mein Blick traf, war von so erhabener Natur, daß mein Herz zu rasen begann, war so schön, daß die Glückseligkeit wie eine reife Blüte in mir aufging. Ein Meer aus farbenfrohen Blumen wankte dort am Fuße des Hanges, räkelte sich im schwachen Mondenschein und schien mich mit einem bunten Lächeln zu begrüßen. Noch von dieser Schönheit geblendet nahm ich nur schwach die Veränderungen wahr, die an dem riesigen, fröhlichen Beet vonstatten gingen, als meine Augen es trafen. Doch schon bald klärte mein Blick sich auf und was ich sah, traf mich mit einer solchen Wucht, daß es mich beinahe in Stücke riß. Alle Farbe wich aus den Blumen, das Grün ihrer Stängel und Blätter verblaßte zu einem kaum mehr wahrnehmbaren Grau und die Blüten schienen zu verwesen, in einer Minute wie sonst in einem Jahr, wurden welk und faulten, schwarz, ein ekliges Schwarz nahm sich ihrer an. Mörder...! Und sie starrten mich an! Drehten ihre Köpfe in die Richtung, in der ich mich verbarg und funkelten mich mit vermoderten Augen an. Und das schreckliche Summen erhob sich über die Ebene, schwoll zu einem bebenden Crescendo aus Verachtung und Hass an und drohte mich zu verschlingen. Mörder...! Purer Hass war es, der mir entgegen schlug, der meine Gedanken verbrannte und meine Gefühle in dampfende Asche verwandelte. Gehetzte versuchte ich den Hassblumen zu entfliehen, doch zog sich das Feld über Kilometer den ansteigenden Berghang entlang, und nur schleppend, unendlich langsam kam ich voran. So sehr ich meinem Körper zu Rennen befahl, so sehr ließ er mich im Stich und schlich durch die feindlichen Reihen voll bunter Verachtung. Mörder...! Es schien als würde Gott mich bestrafen wollen, als würde er mich, einer willenlosen Puppe gleich, an ebenso dünnen wie unzerstörbaren Fäden den Berg hinauf befehlen, um sich an meiner Qual zu erfreuen. Grausame Blumen. Doch woher wußten sie? Hatten sie gesehen?
Und als meine Schritte allmählich wieder schneller wurden, als hätte ich mich aus Gottes Umklammerung befreien können, bemerkte ich, daß das Blumenmeer während meines Fliehens gealtert und schlußendlich verwelkt war. So sah ich jetzt braune, verfaulte Reste den Boden bedecken, die einen ekelerregenden Gestank verbreiteten. Doch darunter erhob sich ein Gewirr sich räkelnder Schemen und Schatten, und dachte ich zuerst an die Seelengestalten des Gewässers in das ich gefallen, erkannte ich bald die Andersartigkeit dieser Umrisse. Sie waren wie aus schwarzer, verfaulter Luft, wie ein Pesthauch, der auf mich zu flog. Irreal schienen sie mir, fürchterlich und mich verfolgend. So schwebten die Schatten bald unter mir, schnappten nach meinen Beinen. Und ich taumelte vorwärts, immer weiter auf den Gipfel zu, in der Gewissheit, dort keinem neuen Alptraum begegnen zu können. Doch bemerkte ich das Schattengeflecht, diesen wimmelnden Knäuel aus Angst und Entsetzen, den ganzen Berg bevölkernd, die ganz Fläche von hier bis zum Fuße abdeckend. Und als die ersten Schemen meinen Kopf erreichten und durch Mund und Nase und Ohren in mich drangen, um die unerträglichsten Bilder blutigsten Wahnsinns in meinen Gedanken entstehen zu lassen, erkannte ich, daß der ganze Berg, von den ersten Hängen weit unten bis zum spitzen Gipfel, der sich in den dichten, grauen Wolken verbarg, aus nichts als Alpträumen bestand, aus sich windenden, nach mir geifernden Angstgespinsten. Und ich erreichte endlich den höchsten Punkt, den Ort meines Untergangs und konnte mich doch nicht zur Ruhe legen.
Denn auf dem massiven Kreuz, das aus tiefschwarzem Obsidian gefertigt war, und das wie ein grausamer Herrscher hoch oben auf der Spitze thronte, saß eine kleine, weiße Figur, wild lachend, als er mich ankommen sah, der ich gebückt und gebrochen und mit toten Augen zu ihm hinauf gekrochen. Triumphierend erhob er sich von seinem Throne und sprang auf meinen Rücken, noch immer mit einem grausamen, unmenschlichen Grinsen, und prügelte mich zu dem Kreuze, an das er mich schlagen wollte. Doch als ich den schwarzen Stein berührte erkannte ich den winzigen Gnom in all seiner Schrecklichkeit. Es war der Geist der Ohnmacht, der mich vernichten, mich wehrlos machen wollte, das Monster meiner Fieberträume, war der Alp des Wahnsinns, der mich auf diesem Weg geführt, zu Angst und Furcht und Tod. Und da erkannte ich, daß ich schon ans Kreuz geschlagen, daß ich schon am Kreuze hing, die Welt von oben zu betrachten, den Schmerz in allen meinen Gliedern, Gefühl und Denken ausgelöscht. Ich biß die Zähne zusammen und versuchte mich zu wehren, versuchte zu schreien, doch außer heißen Tränen entkam nichts meinem Gesicht. Noch meiner Stimme beraubt, blieb mir nur mehr, meinen glasigen Blick auf den lauthals lachenden Dämon zu werfen, der zu meinen Füßen seinen Freudentanz tanzte. Und seine Tanzpartnerin war Rosalia. Ich erkannte sie in der ersten Sekunde, obgleich sie über und über mit Rot bedeckt und völlig entstellt war. Ihre innere Schönheit, ihre engelsgleiche Erhabenheit drang noch immer an mein Herzen, doch war es kalt, kalt wie Eis und Stahl. Es galt dem Rachedämon, dem Wahnsinnsalp, der von seinem wissenden Gelächter nicht lassen konnte. Ich konnte nur noch weinen. Und so betete ich Erwachen, nur Erwachen...

Doch schon während ich damals am Kreuze gehangen, ging mir auf, daß ich kein Erwachen erwarten konnte. Doch konnte ich nicht ahnen, daß auch der Tod meine befleckte Seele nicht beherbergen wollte. Und so begannen das Kreuz und der Berg sich aufzulösen, und die Umrisse der beiden Tanzenden zu verschwinden, so wie einst meine Zelle und der Galgen sich aufgelöst hatten. Und so ward ich ins Nichts geworfen, vom Leben verstoßen und vom Tode verschmäht. Kein Licht umgab mich, doch auch keine Dunkelheit, keine Farben mehr zu sehen, kein weiß und kein schwarz, nur Nichts, Nichts!, endlose Leere. Ich schwebte nicht, ich flog nicht, ich saß nicht, stand nicht, lag nicht, lief nicht, ich war einfach. Ich war in die Realitätslosigkeit geworfen, in eine Umgebung ohne alles, ohne Welt und Wirklichkeit. Dieses grausame Schicksal realisierend, weinte ich bittere Tränen, die ins erbarmungslose Nichts fielen, Tränen, die ich nicht sehen konnte, wohl aber fühlen. Und als die grenzenlose Weite mich zu zerreißen drohte, erkannte ich, ein Lächeln erhellte mein Gesicht und brennende Tränen streiften meinen Mund, daß das Leben nichts ist, als eine bloße, seltsame Illusion, ein bizarres Gedankenspiel, eine einzige, traurige Narretei.

(Dann…was ist Dichtung? Nicht die Realität, aber mehr als sie, kein Traum, aber Träumen im Wachen.)

 

Hallo Falk,

sehr verwirrend, stilistisch fand ich's perfekt, angepaßt an die Zeit der Inquisition, so bis ins 17. Jh. nehme ich an. Makellos. Beeindruckend! Gewaltig!

Nur, da es in der Zeit so bis ins 17. Jh noch keinen Walzer gab, finde ich ihn hier nicht so angebracht. Das hat mich ein bisserl gestört.

Die Bezeichnung Walzer wird von dem deutschen Wort "waltzen" abgeleitet, was ursprünglich "auf der Waltz sein" (Wanderschaft) bedeutete und im 18.Jahrhundert in der Bedeutung "sich walzen" (drehen) in Verwendung kam. Der Ausdruck "walzertanzen" erklärt sich so von der drehenden Bewegung der Füße am Boden.
Mitte des 18. Jahrhundert findet sich das Wort "walzen" als Tanzform in einer Wiener Stegreifkomödie von Kurz-Bernadon; 1754 bezeichnet er eine Tanzszene in einer seiner Komödien ausdrücklich als "Walzer".
Als eigenständige Tanzform entwickelte sich der Walzer Mitte des 18. Jahrhunderts aus den verschiedenen Formen und lokalen Varianten den volkstümlichen Ländlers Bayerns, Österreichs und des Böhmerwalds. Es handelt sich dabei um einen Figurentanz. der sich bis heute in Österreich und Süddeutschland erhalten hat.

Das alles hatte kaum eine Stunde gedauert und mein einziges Glück war es, dass mir aus welchen Gründen auch immer, die ansonsten übliche Folter erspart blieb.

Der arme Kerl hat Glück gehabt, aber soweit ich weiß, wurde zu jener Zeit wirklich jeder wegen jeder geringfügigen Kleinigkeit aufs Grausamste gefoltert.

Glück hatte der arme Kerl auch, weil er "nur" den Galgen kriegt, da gabs ganz andere Hinrichtungsmethoden.


Der Mord, dessen feiger Lakai ich gewesen sein solle
Das war das einzige, was ich nicht so toll fand, ich hätte "Vollstrecker, Gehilfe, o.ä" erwartet.
Ein paar Tippfehler von der Sorte:

Ein ohrenbetäubendes Summen, daß [BOLD] das [/Bold] plötzlich die Luft zum Vibrieren brachte

Aber das sind wie man auf neudeutsch sgat Peanuts.

War total beeindruckt vor allem vom Stil. Das war so angepaßt, wie man sich heute vorstellt, daß jemand zu jener Zeit einen Text verfaßt hätte. Genau die richtige Dosis mit viel Feingefühl angewendet. Es hätte nämlich keinen Sinn ganz exakt so zu schreiben wie damals.

Sag beim Titel, der ist ja auf Latein, hast Du auch suchen müssen, oder hast Du das irgendwie drauf. Manchmal, benutze ich auch, in homöpatischen Dosen was lateinisches, um irgendwelche Bezüge/Anspielungen herzustellen, oder, um Aufmerksamkeit zu erregen, muß dann aber so lange herumsuchen. Zu "descendit" bin ich nicht mehr imstande (ist ja auch schon ewig her), weiß gar nicht ob das der Imperativ ist, "Fahr zur Hölle" denk ich heißt der Titel auf Deutsch, oder doch er, sie es fährt zur Hölle/möge zur Hölle fahren???.

Von den Bildern war ich auch sehr beeindruckt, der letze Teil war das reinste Inferno.

Sehr beeindruckend!

liebe Grüße

Echnaton (Linker, Heide und Ketzer, hehehe)

 

Hallo Falk!

Auch mir hat die Story ziemlich gut gefallen. Sie erzeugt beim Lesen starke Bilder und man kann sich gut in die damalige Zeit und die Situation des Protagonisten hineinversetzen. Vor allem den Anfang fand ich schön.
Ebenso wie Echnation fand ich die Geschichte (die Gedankenwelt) ziemlich verwirrend, was mich aber nicht weiter störte.

Den ungewöhnlichen sprachlichen Stil halte ich für die Story für angemessen, wenn er auch beim Lesen etwas das Verständnis verhindert, wie ich finde. Hatte manchmal das Gefühl, dass ein paar Sätze von der Grammatik und Satzbau her nicht so richtig passen, aber das kann auch an den Ausdrucksstil der damaligen Zeit liegen.
Teilweise verwendest du auch recht lange Sätze und sehr viele Adjektive.

Ein paar kleine Fehler sind mir noch aufgefallen (überwiegend in Bezug auf "das - dass"). Wenn du möchtest, kann ich sie dir gerne noch erläutern; musst nur Bescheid sagen.

Insgesamt eine gelungene Story.

Viele Grüße,
Michael :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke für die Antworten! Und gleich dazu:

1. Hmm, das mit dem Walzer wußt' ich nicht, hab' vom Tanzen nämlich keine Ahnung :) Ich brauche einen Tanz, der sehr ruhig, sehr tragend, wie schwebend ist und freilich in der angesprochenen Zeit schon bekannt war. (also um das 17.Jahrhundert) Kann mir da jemand helfen? Danke!

2. Den etwas altertümlichen Sprachstil nachzuahmen ist mein innigstes Anliegen, in den meisten meiner Geschichten, aber das ist verdammt schwer, und meistens scheint es mir nicht besonders zu gelingen. Aber gut zu wissen, daß es diesmal wohl besser geklappt hat!

3. Zum Titel: Wenn mich meine Lateinkenntnisse nicht täuschen heißt "Descendit ad inferna" "Zur Hölle gefahren/ Zur Hölle hinabgestiegen". Ich kann mich aber auch irren.
Diese Phrase stammt aus dem Credo, ein christliches Gebet, welches ich ja in der Geschichte verwendet habe. Das Gebet bedeutet frei übersetzt etwa:

Ich glaube an den allmächtigen Gottvater, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und an Jesus Christus, seinen einzigen Sohn, unseren Herrn. Der empfangen wurde vom heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gemartert unter Pontius Pilatus. Gekreuzigt, tot und begraben fuhr er zur Hölle, [und am dritten Tage erstand er von den Toten].

Naja, frei übersetzt nach Falk. Vermutlich gibt es auch 'ne offizielle Version, die ich aber grad nicht kenne, zumal ich Gottesdienst verabscheue und meide wie der Vampir das Sonnenlicht ;)
Wichtig war mir für die Geschichte nur das "Descendit ad inferna", weshalb das Gebet dort abbricht. Der Protagonist hört das Wort Hölle aus dem Munde eines heiligen Mannes und spätestens damit beginnt seine Traum-Odyssee. Und wegen dieser Bedeutung dieser Phrase steht "descendit ad inferna" im Titel. Zudem ein lateinischer Name einfach atmosphärischer klingt.
Und wenn man weiß, wie das Credo weitergeht, entsteht noch einmal eine neue Interpretationsmöglichkeit der gewählten Phrase.
Bevor ich das credo in den Text einbaute, hieß die Geschichte anders, nämlich "Der Totentraum". "Descendit..." gefällt mir aber besser :)

4. Habe einige 'das - dass' Fehler verbessert. Warum ich die in letzter Zeit so häufig mache, verstehe ich auch nicht, eigentlich ist die Regel ja eine der einfachsten. Hmm, naja :)

 

Servus Falk,

vom Tanzen hab ich auch null Ahunung, aber als Ösi ist der Walzer dermaßen allgegenwärtig, daß ich da nicht anders konnte.

Gut, daß Du den Titel geändert hast, das pfeffert díe Geschichte.

Nachschlagewerk für Latein auf:

http://www.univie.ac.at/latein/gr/grinh.htm

Ist von der Uni Wien, für diejenigen, die das kleine Latinum nachmachen müssen, weil sie es in der Schule nicht gehabt haben. Sehr nützlich! Mir persönlich ist heute leid um meine Lateinkenntnisse, die für immer verschüttet sind im Unterbewußtsein. Außerdem habe ich meine Lateinbücher hergeschenkt (inkl. Wörterbuch)an Studienkollegen, die es brauchten.

salve de Vindobona

Echnaton

 

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