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Desaster
DESASTER
Es klopfte.
Da ich eine Klingel habe, war ich etwas irritiert. Ich öffnete die Tür.
„Guten Abend, es ist so weit!“ sagte der Kerl der vor mir stand.
„Äh, ja wie, es ist so weit?“
Er drängte sich an mir vorbei und stand unvermittelt im Flur.
„Mach dich bereit. Ich bin der Tod und du bist gleich nicht mehr am Leben. Ich hole Dich jetzt ab.“
Ich zweifelte: „Du kannst nicht so einfach sagen, du wärst der Tod. Zeig mir Deine Lizenz!“
„Also, ich bin nicht nur der Tod, ich bin vertretungsweise auch der Teufel.“
„ Na entweder bist du der Tod oder der Teufel. Das ist etwas ganz anderes.“
„Was wäre dir den lieber?“
„Hm. Also du siehst total normal aus. Weder wie der Tod noch wie der Teufel!“
„Aha. Wie sollte ich als Tod denn so aussehen?“
„Na die Jeans und der langweilige Baumwollpulli passen nicht zum Outfit des Todes. Ich hätte eher eine schwarze Kutte mit tiefer Kapuze und einer Sense in der Hand erwartet.“
„Pah! Das sind doch mittelalterliche Phantasien!“
Der Tod/Teufel rannte aufgebracht meinen Flur auf und ab.
„Und wie ist das beim Teufel?“
„Also der hat Hörner, einen Pferdefuß und einen Dreizack!“
„Quatsch! Einen Dreizack hat doch nur Neptun!“
„Gut. Wo sind denn nun dein Pferdefuß und deine Hörner?
„ Meine Güte, der Teufel hatte noch nie Hörner. Die sehen billig aus und machen total alt! Und der Pferdefuß macht Hüftprobleme.“
„Okay. Wie willst du Dich dann identifizieren? Du könntest ebenso ein abgedrehter Eisverkäufer sein, der sich für den Tod oder Teufel hält und mich täuschen will!“
„Ich brauche mich hier nicht zu rechtfertigen! Ich nehme dich jetzt einfach mit und basta!“
„Also dann ab in die Hölle.“
„Was redest du denn da? Wieso in die Hölle?“
„Du sagtest doch, du wärst der Teufel!“
„Das habe ich nie eindeutig gesagt!“
„Also dann bist du nicht der Teufel?“
„Du drehst mir doch jedes Wort im Munde um! Die ganze Sache ist sehr kompliziert.“
Ich war still und dachte nach.
Auch der Tod/Teufel war in ein meditatives Schweigen versunken.
“Also was ist denn nun? Wie soll ich dich ansprechen? Tod oder Teufel oder Tamtam oder wie…?.“
„Wieso denn Tamtam?“
Der Tod/Teufel/Tamtam bewegte heftig seinen Kopf. „Das ist jetzt auch egal. Für euch Menschen ist ohnehin bald Sense!“
Er kicherte herzhaft über seinen Scherz, wurde dann aber gleich wieder ernst. „Sag doch einfach Hubert zu mir!“
„Wieso Hubert?“
„Na so wollte ich immer schon heißen.“
Hubert wurde langsam ungeduldig.
„Genug gebrabbelt; du kannst jetzt ganz exklusiv mit mir mitgehen oder du wirst mit den anderen zusammen geholt!“
Er machte eine spannungsgeladene Pause. „Also ich meine, dann wäre es ganz ohne individuelle Todesbetreuung!“
Mir wurde langsam etwas mulmig. „Ich verstehe nicht, was du mir sagen willst.“
Hubert neigte sich vertraulich zu mir und flüsterte. „So genau bin ich auch nicht informiert. Ich habe nur mitbekommen, dass bei uns in den oberen Sphären etwas Eigenartiges läuft. Wenn ich das richtig mitgekriegt habe, bedeutet das für die Menschheit: Game over!“
Ich war entsetzt! „Heißt das, wir sterben aus? Wie denn?“
Hubert verschränkte seine baumwollpulloverbedeckten Arme.
„Selbst wenn ich es wüsste, ich bin nicht befugt, es dir zu sagen!“
„Ist es ein Krieg? Eine Seuche? Eine Naturkatastrophe? Außerirdische?“
„Wie gesagt, ich bin nicht befugt, darüber zu reden!“
Ich boxte Hubert in die Magengegend, worauf er sich erstaunlich menschlich vor Schmerz den Bauch hielt.
„Hör auf, hör auf.“ keuchte er.
„Wenn ich auf Erden wandle, bin ich im Körper eines Menschen. Das ist nicht sehr angenehm! Ich weiß wirklich nichts Näheres! Ich bin hergeschickt worden, um meinen Job zu machen und dich zu holen. Vor dem großen Desaster.“
Ich wurde wütend: „Was für ein Desaster!“ brüllte ich Hubert an.
„Den Teufel haben sie schon in den Ruhestand geschickt!“
Aufgebracht betrachtete Hubert seine menschlichen Fingernägel. „ Das ist völlig absurd! Seit Jahrtausenden waren wir gute Kollegen. Plötzlich wird er abserviert und ich muss nun kommissarisch seinen Posten übernehmen! Aber die sagen, es ist ohnehin bald nichts mehr zu tun.“
„Aber das kann doch nicht sein! Was ist mit den Engeln? Können die uns denn nicht retten?“
Hubert schüttelte den Kopf.
„Die haben gar nichts mehr zu melden. Zwar wurde die Engelsgemeinschaft mobilisiert, um das Desaster aufzuhalten, aber durch Probleme in der Engelsführung scheiterte diese Angelegenheit.“
Er seufzte.
„Ich schätze, dass wird nichts mehr mit eurem Überleben. Und glaub mir, auch für mich ist es nicht lustig! Wie soll ich mir denn die Zeit vertreiben, wenn keine Menschen mehr da sind, die ich ins Jenseits begleiten kann?
Ich mag nicht in Rente gehen. Ich werde bestimmt depressiv und fange an zu trinken!“
„Manna wahrscheinlich!“ Ich konnte mir diesen menschlichen Scherz nicht verkneifen.
Niedergeschlagen standen wir eine Weile im Flur. „Und was machen wir jetzt?“ fragte ich resigniert.
Hubert bewegte sich langsam zur Tür. „Gehst du jetzt mit oder willst du warten?“
Ich zögerte. „Keine Ahnung. Bekommst du denn keine Schwierigkeiten, wenn ich nicht mitkomme? Wegen Nichterfüllung eines Arbeitsauftrags oder so?“
„Nein, nicht wirklich. Die bei der Kontrolle der Einreisenden haben angesichts ihrer drohenden Arbeitslosigkeit keine Lust, irgendwas zu prüfen. Deswegen mach dir keine Gedanken.“
„Wenn ich hierbleibe, sehen wir uns dann beim Desaster wieder?“
Hubert wiegte skeptisch den Kopf hin und her. „Das kann ich dir nicht versprechen. Wegen des hohen Arbeitsaufwands haben sie vor, Leiharbeiter einzustellen. Ich alleine wäre beim Desaster überfordert. Ihr Menschen seid ja so viele geworden! Ich kann euch nicht alle gleichzeitig holen!“
Er starrte traurig auf meinen Flurläufer.
„Ich würde dich wirklich gerne persönlich begleiten, aber ich weiß nicht, welches Gebiet mir zugeteilt wird.“
„Kannst du mir denn nicht wenigstens Bescheid geben, wann es soweit ist? Ich wollte in meinem Leben noch so viel ausprobieren, hatte aber nie die Zeit dazu. Vielleicht kann ich das noch nachholen und mich anmelden!“
„Wo willst du dich denn anmelden?“
„Zu einem Skikurs! Ich wollte schon immer mal Skifahren lernen! Oder Golf. Golf ist auch nicht schlecht.“
„In den Skigebieten wurden schon mehrere von mir mitgenommen. Aber beim Golf? Ich glaube, da habe ich bisher nur einen abgeholt. Lass mich überlegen. Ach ja, ein Zahnarzt hatte einen Herzinfarkt!“
Ich hatte mich entschieden.
“Ich möchte noch jeden weiteren Tag auf der Erde genießen, auch in dem Wissen, dass es gleich vorbei sein könnte!“ rief ich heroisch mit fester Stimme. Aber meine Hände zitterten.
Hubert sah mich ausdruckslos an. „Na wenn du da mal keinen Fehler begehst….“
Bevor er ging, drehte sich noch einmal zu mir um. „Und du findest den Pulli wirklich langweilig?“
Ich nickte. „Da du der Tod und vertretungsweise auch der Teufel bist, würde ich wegen der Dramaturgie einen schwarzen Rollkragenpullover empfehlen!“
Er runzelte seine menschliche Stirn. „Darüber muss ich nachdenken.“
Wir schüttelten uns zum Abschied betreten die Hände, keiner wusste so recht, was er sagen sollte.
„Na dann Servus!“ Ich versuchte cool zu klingen, aber angesichts unserer schicksalhaften Begegnung brachte ich nur ein heiseres Gurgeln zustande.
Hubert ging es wohl ähnlich. Er hechtete mit einem lapidaren „Tschau tschau“ die Treppe hinunter und verschwand in der Dunkelheit.
Das ist nun schon eine Weile her. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen. Todesleiharbeiter sind bis jetzt auch keine gekommen.
Ich habe viel über die Begegnung mit Hubert nachgedacht und kam leider zu der Erkenntnis, dass sie real war.
Keine Ausgeburt meines kranken Geistes in Form von Halluzinationen.
Zum Skikurs habe ich mich nicht angemeldet. Auch zum Golfkurs nicht. Ich habe Angst, aus dem Haus zu gehen. Womöglich könnte ich wichtige Nachrichten im Fernsehen verpassen, die mir Infos über das nahende Desaster geben könnten.
Und ich will vorbereitet sein.
Und nun warte ich.
warte
und warte
und warte …