Mitglied
- Beitritt
- 04.07.2017
- Beiträge
- 4
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 12
Des Winzers bester Wein
Zu Durlach lebte einst einer mit Ländereien mäßig begüterter Herr, der für den anstehenden Besuch eines recht angesehenen Fürsten den besten Wein aus seinen Reihen aufzutischen gedachte. Zu diesem Anlass ließ er den Verwalter seiner Besitztümer zu sich kommen und sprach zu ihm in etwa mit folgenden Worten: „Halte Ausschau nach dem besten Wein! Und wenn du diesen gefunden hast, dann bringe ihn zu mir und ich werde ihn reich belohnen!“. Und so zog der Verwalter des Herrn, der zweifelsohne als dessen Meier bezeichnet werden darf, in die sie umgebenden Ländereien hinaus. Wir wissen nicht genau, welche Gebiete dem Feudalherrn unterstanden. Sicher ist nur, dass er zu Durlach lebte. Demnach kann man vermuten, dass der Großteil der Güter im Gebiet des heutigen Karlsruher Landkreises gelegen haben muss. Eine genaue Datierung dieses Ereignisses ist leider Gottes auch nicht möglich. Ganz grob müssten wir uns in der Mitte des 12. Jahrhunderts befinden. Also zu einer Zeit, in der das salische Geschlecht bereits seine Macht abgegeben hatte und die ersten Staufer den Thron für sich in Anspruch genommen haben. Ob allerdings zu jener Zeit der erste Stauferkönig Konrad III. die Macht innehatte oder sogar schon sein Neffe Friedrich I. Barbarossa die Geschicke des Reiches lenkte, ist für uns nicht mehr zur vollsten Zufriedenheit nachzuvollziehen. Unsicher ist auch, ob der hier angesprochene Herr, der jene Ländereien besaß nicht doch sogar zum alten Geschlecht der Grafen von Hohenberg gehörte. Doch auch hier lassen uns die Quellen im Stich.
Eines steht zweifellos und unbestreitbar fest: die Gegend, in der sich diese Begebenheit abgespielt hatte, gehörte zu den Gebieten im deutschen Reich, in denen für den Weinbau die geeignetsten Bedingungen vorherrschten. Das oberrheinische Klima ist nämlich vor allem für seine relativ warmen Temperaturen in den beiden wärmeren Jahreszeiten bekannt. Doch noch wichtiger für einen genussvollen Wein ist meines Erachtens das nicht allzu frostige Wetter in den kälteren Wintermonaten. Zugegeben, Schnee ist in jener Gegend nicht gerade Mangelware, doch muss auf der anderen Seite auch festgestellt werden, dass sich die Kälteperioden in Grenzen halten und ihre Aufenthalte nicht allzu lang und intensiv ausfallen. Jeder Weinkenner muss sich dessen bewusst sein: je milder der Winter, desto herzhafter der Wein!
Wir müssen davon ausgehen, dass die Konkurrenten mehr oder weniger mit denselben klimatischen Verhältnissen vorlieb zu nehmen hatten, selbst wenn der mäßige Großbauer tatsächlich Streugut vorzuweisen gehabt hätte. Demnach werden höchstwahrscheinlich eher andere Voraussetzungen entscheidend gewesen sein: angefangen von der Lage des Weinstocks – ob es sich beispielsweise auf der Süd- oder Nordseite befindet beziehungsweise welchen Winden er ausgesetzt ist – über das Setzen der Reben bis zur Bodenbearbeitung und der Weinlese, um mal eine kleine Auswahl genannt zu haben. Dem Meier blieb damit nichts anderes übrig als sich auf die Suche nach dem besten Winzer seines Zuständigkeitsbereichs zu machen. Akribisch notierte er dabei mithilfe eines angeblichen Weinkenners – ein trinkfester Pfarrer, der sich in seinen jungen Jahren mit Straßenraub durchgeschlagen hatte und als trostloser Schürzenjäger bekannt geworden war – alles, was er beobachtete. Sein allererstes Fazit fiel letztlich folgendermaßen aus: „wir zählen ganze drei Weinmacher, wovon zwei Jahr ein Jahr aus in trauter Nachbarschaft leben. Der dritte im Bunde ist gleichwohl ein Winzer, dem die Zeit der Jugend noch in all seinen vom Alter kaum gezeichneten Gliedern steckt.“ Dass der Meier seine Geringschätzung für den noch allzu jungen Winzer kaum zu verbergen beabsichtigte, steht hier zweifellos auf der Hand. Und von einer nicht näher spezifizierten Quelle wissen wir, dass der wehrte Pfarrer den Jüngling getrost beiseite zu schieben gedachte, um die beiden mit Weisheit und Tugend bestückten Herren nicht auch noch nachhaltig der Lächerlichkeit preiszugeben. Nach allem was uns bekannt ist, können wir sagen, dass einer dieser beiden Winzer Jakob hieß und ein dem Pfarrer nahestehender Jugendfreund war. Demnach liegt auch die Vermutung nahe, dass dieser von Anfang an als eine Art „Wein-Dealer“ für den allzu oft unflätig gerierenden Priester fungierte. Nicht mehr nachzuvollziehen sind hingegen die immerzu lautstark erhobenen Anschuldigungen einer Magd namens Gertrud, dass der „trinkfeste Pfarrer auf ketzerische Weise sein Bett mit der Gemahlin des auf alle Zeit in seiner Ehre gekränkten Jakob teile“. Vom anderen Winzer wissen wir dagegen rein gar nichts. Weder kennen wir seinen Namen noch den Familienstand. Demnach können wir uns über die wenigen, anekdotenhaft-überlieferten Erzählungen vom Leben des Winzers Jakob letzten Endes mehr als glücklich schätzen. Unter anderem sind wir über dessen Todesumstände unterrichtet, die mehr als tragisch waren und auf die wir an dieser Stelle nicht näher einzugehen brauchen.
Stattdessen werden wir uns in den nächsten Zeilen verstärkt dem jungen Winzer widmen, der für seine Zeit auf den klangvollen Namen Gottfried hörte und relativ früh seinen schwerkranken Vater auf den Feldern hatte ersetzen müssen. Von Anfang an hatte der Winzersohn ohne Murren sein vom Herrgott gewolltes Schicksal hingenommen und sich seiner neuen Aufgabe mit Leidenschaft und Herzblut hingegeben. Nicht nur, dass er die Arbeit seines Erzeugers so gut wie möglich fortzusetzen gedachte. Nein! Gottfried gab sich damit alles andere als zufrieden. Ja! Seine Experimentierfreude wurde dem einen oder anderen Zeitgenossen gar ein Dorn im Auge, sodass er teilweise in die Ketzer-Ecke geschubst wurde. Denn wenn die Gesellschaft des Mittelalters eines nicht ertragen konnte, dann waren das der Überheblichkeit anheimgefallene Freigeister, die das Altbewährte beiseite schoben, um sich neuen, unbekannten Ufern zu nähern. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Sicherlich, in der Regel erwartete man vom Menschen des Mittelalters, dass er bei seinen Leisten bleiben sollte. So verlangte es ja schließlich die Kirche und so fügten sich letztlich auch die Herden. In Wahrheit lässt sich diese auf einen Nenner gebrachte Formel jedoch nicht immer von vornherein bestätigen. Ja, das Althergebrachte war in der Zeit des Mittelalters zweifellos das Höchste aller Gefühle, dennoch dürfen wir die im Laufe jener fernen Zeit gemachten Fortschritte nicht gerade unterm Teppich kehren und den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten. Nicht vergessen dürfen wir, dass gerade die der Tradition verhafteten Mönche, die in ihren Kopier-Stuben die wichtigsten Schriften des Christentums für die Nachwelt bereiteten, die Urform des Buches erfunden hatten. Und was wäre das Leben des hoch- und vor allem des spätmittelalterlichen Bauers ohne die gewinnbringende Dreifelderwirtschaft, die einen Teil des zur Verfügung stehenden Bodens eine im regelmäßigem Wechsel kaum verzichtbare Erholung gewährte.
Doch was machte nun Gottfried aus? Schauen wir uns einfach mal an, wie der junge Winzer bei seiner Arbeit auf dem Weinberg vorging: Höchst auffällig ist in der Rückschau betrachtet der Umgang Gottfrieds mit der Reberziehung. Denn im Vergleich zu seinem Vater hatte er recht bald die Gewohnheit angenommen, Pfähle in den Boden zu schlagen – dies passierte alljährlich in den ersten Frühlingswochen – und an diesen die Weinreben zu befestigen. Zur kalten Jahreszeit entfernte Gottfried die mit viel Mühe und Arbeitskraft in den Boden gestampften Pfähle, damit er die Reben wieder in Bodennähe zuführen konnte. Damit die Reben vor Kälte und Frost geschützt waren, deckte sie der junge Winzer mit Erde ab, ungeachtet der Tatsache, dass sie dadurch der Fäulnisgefahr preisgegeben waren. Mit demselben Problem hatte auch der Vater zu kämpfen gehabt. Der Unterschied zwischen der Vorgehensweise der beiden machte sich allerdings in den wärmeren Monaten des Jahres bemerkbar: Gottfrieds Vater ließ die Reben nach alter römischer Sitte einfach auf dem Boden verweilen. Laut Experten-Meinung lag der Vorteil hierin an der effektiveren Nutzung der Sonnenwärme, die in den besagten Breitengraden ja nun nicht unbedingt Mangelware war. Im Grunde genommen ist eben diese Sonnenwärme auch heute noch verantwortlich für den Grad der Süße des Weins. Und je süßer der Wein, desto größer der Alkoholgehalt.
Abgesehen von der Reberziehung setzte Gottfried die von seinem Vater für gewöhnlich ausgeführten Arbeiten im Weingarten wie gehabt fort. Dazu gehörte insbesondere der in der Regel im März vorgenommene Rebschnitt, der mit einem dafür geschaffenen Messer durchgeführt wurde und zur Stärkung des Rebstocks gedacht war, und die mühevolle Bearbeitung des Bodens, die Gottfried alljährlich im Juni vornahm. So zumindest und nicht anders erfahren wir das aus der Feder des Meiers, der Gottfried auf dessen Weingut während eben jener Arbeit erstmalig zu Gesicht bekommen hatte. „Mit voller Zuversicht und der allein vom allmächtigen Vater verliehenen Arbeitskraft zog er unter der prallen Sonne des vierten Monats mit seinem Pflug durch den Garten seines und meines Herrn“. Lange Zeit hatte sich Gottfried gegen das Anliegen des Meiers gesträubt. Denn unter gar keinen Umständen wollte sich der Winzer dem Diktat dieses für ihn bis dahin fremden und völlig unbekannten Mannes beugen, der sich als Verwalter ihres gemeinsamen Herrn hatte zu erkennen gegeben. Letztlich ließ er sich nicht ohne Zutun seiner Nachbarn doch noch erweichen und bot dem emsigen Delegierten seinen edelsten Tropfen an. Zu mehreren standen sie da: Imker Johann, die Witwen Sara und Johanna und selbst der von allen respektierte Schneider und Brotbäcker Jakob, um nur eine kleine Zahl persönlich mal hervorgehoben zu haben. „Schon beim Einschenken des Weines stieg mir der wohlig-süßliche Geruch in die Nase. Den halbgefüllten Becher führte ich mit meiner rechten Hand zunächst an meine von den aufsteigenden Düften verzückten Nase und danach an meinen Mund, der den Saft fast schon lüstern aufsog. Überwältigt, schier maßlos und unbändig überwältigt war ich von diesem unvergleichlichen Aroma. Und ehe ich mich versah, erblickte ich meinen klerikalen Begleiter lachend und zappelnd mit ausgestreckten Beinen und einem schon deutlich von einer rötlichen Gesichtsfarbe gezeichnetem Gesicht auf der hölzernen Sitzbank!“
Den Preisrichtern blieb hiernach nichts anderes übrig als den jungen Gottfried zum besten Winzer des gesamten Güterkomplexes ihres Herrn zu küren und ihn auf den besagten Empfang des Fürsten mitzuschleppen. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass es bis dahin der wohl wichtigste Tag im Leben Gottfrieds sein sollte. Und wie er sich dafür herausgeputzt hatte...! Wie bereits vom Pfarrer auf dem Weg dahin eingeschworen, ging Gottfried, nachdem der Gutsherr in Begleitung seiner selbstgefälligen Gemahlin den Saal seines ansehnlichen Herrschaftssitzes betreten hatte, vor diesem in die Knie und streckte ihm mit zu Boden gesenkten Kopf die Hände aus. Gefasst und wie selbstverständlich legte der aufrecht stehende Herr dessen ausgestreckten Hände in die seinen und bat ihn, nach einem für den Betrachter dieser Szene undeutlich zu vernehmenden Ausspruch, sich wieder zu erheben. Sobald sich Gottfried seinem Herrn nun auch physisch übergeben und untergeordnet hatte, zog fast schon wie von Geisterhand der schon seit langem erwartete Fürst mit seinem Geplänkel vor der stattlichen Residenz auf. Dasselbe Spiel wiederholte sich hierauf vor den beeindruckten und gleichzeitig schüchtern dreinblickenden Augen des Winzers, der mit ansehen musste, wie auf einmal sein eigener Herr die kurz zuvor von ihm eingenommene Position vor dem aufrecht stehenden Fürsten mit Würde und Ergebenheit einnahm.
Nach einem kurzen Gedankenaustausch der beiden Protagonisten, verzog sich die gesamte Gesellschaft in den festlich geschmückten Saal, wo der Wein für die Würdenträger vom Gesinde bereits eingeschenkt worden war. Und gemeinsam mit seinem Gastgeber nahm der von seiner Reise nach Flüssigkeit dürstende Fürst einen ordentlichen Schluck davon und ließ sich im Anschluss daran, mithilfe seines höchsten Beraters, den für das Getränk verantwortlichen Winzer zu sich rufen. Auf die Frage, wie um alles in der Welt dessen Wein so köstlich und einzigartig schmecke, entgegnete ihm der von Freude und Stolz erfüllte Gottfried folgende Worte: „Die Süße des Weins ist von den Strahlen der Sonne bedingt, die Anregung des Gaumens bewirkt der von den tiefen des Waldes geschöpfte Honig. Die erfrischende Wirkung des Gemüts stellt sich dagegen durch die aus dem eigenen Garten gezogene Minze ein!“.