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Des Ritters Audienz bei seinem König
König Johan:
Habt Ihr euch jemals Gedanken über das Leben gemacht?
Was es bedeutet?
Tobias:
Wie meint Ihr das, Euer Hoheit?
König Johan:
So wie ich es sage, Tobias.
Wisst Ihr, warum Ihr existiert, warum Ihr all das hier sehen könnt?
Tobias:
Ich existiere, um Euch zu schützen und zu dienen, König Johan.
Der König wirkt aufgebracht.
König Johan:
Unfug!
Euer Reden ist naiv, Tobias!
Was ich meine, ist folgendes:
Habt Ihr euch schon mal überlegt, warum sich Gras so anfühlt, wie es sich halt anfühlt?
Warum Ihr Gefühle der Lust empfindet, wenn Ihr mit einer Maid im Bett liegt?
Warum Ihr Schmerzen fühlt, wenn Ihr im Kampf verletzt werdet?
Tobias schaut von dem Turm hinunter, auf dem er mit dem König steht. Er blickt auf das Gewusel von Menschen, das sich unten in der Burgstadt herumtreibt. Ein Bild des Friedens. Frauen gehen auf dem Markt einkaufen. Sie haben ihre Kinder dabei. Marktbeschicker preisen ihre Waren an. Sie sind so laut, dass Tobias sie bis zum Turm hinauf hören kann. Jeder dort unten hat Gefühle, liebt oder hasst andere Menschen. Jeder dort unten hat seine eigene Sicht der Dinge. Doch warum eigentlich? Warum ist der Mensch ein Individuum? Die Frage des Königs hat den Ritter überrascht, aber sie lässt ihn auch nicht mehr los. Lange denkt Tobias über eine Antwort nach.
Tobias:
Ich denke, Gefühle sind dazu da, damit wir die Welt um uns herum verstehen können.
Damit wir die Dinge benennen können.
Ganz gleich, um was es geht.
Der König hat sich wieder beruhigt, die Stimme ist leise geworden.
König Johan:
So.
Denkt Ihr das wirklich?
Dann schaut Euch doch einmal unsere Welt an.
Sie ist verwüstet vom Krieg der Menschen.
Seit Jahrzehnten töten wir uns gegenseitig.
Weil wir Hass auf Menschen verspüren, die einen anderen Gott haben.
Weil wir andere Meinungen als unsere eigenen Landsleute haben.
Weil wir Gefühle haben, und andere Menschen danach beurteilen.
Wäre es nicht besser, der Mensch hätte keine Gefühle, Tobias?
Bedeutet Individualismus etwa nur Krieg und Zerstörung, geboren aus der Eitelkeit des menschlichen Wesens?
Tobias:
Wenn wir keine Gefühle hätten, Euer Hoheit, wo läge dann der Sinn des Lebens?
Der König fährt triumphierend auf.
König Johan:
Genau das ist der Punkt, Tobias!
Warum existieren wir Menschen eigentlich?
Wäre es nicht sinnvoller, wir lebten seelenlos nebeneinander her?
Wäre es nicht sinnvoller, wir existierten gar nicht?
Was hat der Allmächtige sich mit uns gedacht, Tobias?
Tobias bleibt ruhig, hört sich die Fragen seines Königs an, überlegt. Dann, die Antwort, voller Demut dem König gegenüber.
Tobias:
Ich weiß es nicht, mein König.
Die Stimme des Ritters ist niedergeschlagen, hat er doch keine Antwort gefunden.
So gut, wie ich mit dem Schwert umzugehen vermag, denkt Tobias, so wenig weiß ich über das Leben.
König Johan:
Ich weiß, Tobias.
Auch ich kenne die Antwort nicht.
Daher habe ich eine Bitte an Euch.
Macht Euch für mich auf die Suche nach der Antwort.
Nehmt Eure Leute, lernt die Welt und den Sinn des Lebens kennen.
Wenn Ihr die Antwort habt, so kehrt zurück und berichtet mir.
Mein treuester Ritter seid Ihr, gut könnte ich Euch hier gebrauchen.
Doch gerade weil Ihr treu seid, werdet Ihr die Antwort finden.
Davon bin ich überzeugt, Tobias.
Tobias:
Ja, mein König.
Und so ging Tobias mit seinen Mannen schon am nächsten Morgen hinaus in die Welt. Er lernte fremde Kulturen kennen, bereiste ferne und unbekannte Länder. Tobias ließ viele Gefahren hinter sich. Immer war er scharfäugig auf der Suche nach der Antwort, die sein König verlangte. Doch so lange er auch suchte, er fand sie nicht. Er lernte, dass auch andere Kulturen sich dieselbe Frage stellten, doch auch sie waren ratlos. Jeder Mensch stellte sich diese eine Frage, egal ob gottesfürchtig oder nicht. Als der Ritter alt und schwach war, wurde ihm klar, dass Gott alleine ihm die Antwort geben konnte.
Und als er gestorben war und zwischen Himmelspforten und Gottesthron stand, klein und unbedeutend, da bekam er sie dann auch.
Doch konnte er sie seinem König nicht mehr mitteilen.