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Des Ritters Audienz bei seinem König

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02.11.2007
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Des Ritters Audienz bei seinem König

König Johan:
Habt Ihr euch jemals Gedanken über das Leben gemacht?
Was es bedeutet?
Tobias:
Wie meint Ihr das, Euer Hoheit?
König Johan:
So wie ich es sage, Tobias.
Wisst Ihr, warum Ihr existiert, warum Ihr all das hier sehen könnt?
Tobias:
Ich existiere, um Euch zu schützen und zu dienen, König Johan.

Der König wirkt aufgebracht.

König Johan:
Unfug!
Euer Reden ist naiv, Tobias!
Was ich meine, ist folgendes:
Habt Ihr euch schon mal überlegt, warum sich Gras so anfühlt, wie es sich halt anfühlt?
Warum Ihr Gefühle der Lust empfindet, wenn Ihr mit einer Maid im Bett liegt?
Warum Ihr Schmerzen fühlt, wenn Ihr im Kampf verletzt werdet?

Tobias schaut von dem Turm hinunter, auf dem er mit dem König steht. Er blickt auf das Gewusel von Menschen, das sich unten in der Burgstadt herumtreibt. Ein Bild des Friedens. Frauen gehen auf dem Markt einkaufen. Sie haben ihre Kinder dabei. Marktbeschicker preisen ihre Waren an. Sie sind so laut, dass Tobias sie bis zum Turm hinauf hören kann. Jeder dort unten hat Gefühle, liebt oder hasst andere Menschen. Jeder dort unten hat seine eigene Sicht der Dinge. Doch warum eigentlich? Warum ist der Mensch ein Individuum? Die Frage des Königs hat den Ritter überrascht, aber sie lässt ihn auch nicht mehr los. Lange denkt Tobias über eine Antwort nach.

Tobias:
Ich denke, Gefühle sind dazu da, damit wir die Welt um uns herum verstehen können.
Damit wir die Dinge benennen können.
Ganz gleich, um was es geht.

Der König hat sich wieder beruhigt, die Stimme ist leise geworden.

König Johan:
So.
Denkt Ihr das wirklich?
Dann schaut Euch doch einmal unsere Welt an.
Sie ist verwüstet vom Krieg der Menschen.
Seit Jahrzehnten töten wir uns gegenseitig.
Weil wir Hass auf Menschen verspüren, die einen anderen Gott haben.
Weil wir andere Meinungen als unsere eigenen Landsleute haben.
Weil wir Gefühle haben, und andere Menschen danach beurteilen.
Wäre es nicht besser, der Mensch hätte keine Gefühle, Tobias?

Bedeutet Individualismus etwa nur Krieg und Zerstörung, geboren aus der Eitelkeit des menschlichen Wesens?

Tobias:
Wenn wir keine Gefühle hätten, Euer Hoheit, wo läge dann der Sinn des Lebens?

Der König fährt triumphierend auf.

König Johan:
Genau das ist der Punkt, Tobias!
Warum existieren wir Menschen eigentlich?
Wäre es nicht sinnvoller, wir lebten seelenlos nebeneinander her?
Wäre es nicht sinnvoller, wir existierten gar nicht?
Was hat der Allmächtige sich mit uns gedacht, Tobias?

Tobias bleibt ruhig, hört sich die Fragen seines Königs an, überlegt. Dann, die Antwort, voller Demut dem König gegenüber.

Tobias:
Ich weiß es nicht, mein König.

Die Stimme des Ritters ist niedergeschlagen, hat er doch keine Antwort gefunden.
So gut, wie ich mit dem Schwert umzugehen vermag, denkt Tobias, so wenig weiß ich über das Leben.

König Johan:
Ich weiß, Tobias.
Auch ich kenne die Antwort nicht.
Daher habe ich eine Bitte an Euch.
Macht Euch für mich auf die Suche nach der Antwort.
Nehmt Eure Leute, lernt die Welt und den Sinn des Lebens kennen.
Wenn Ihr die Antwort habt, so kehrt zurück und berichtet mir.
Mein treuester Ritter seid Ihr, gut könnte ich Euch hier gebrauchen.
Doch gerade weil Ihr treu seid, werdet Ihr die Antwort finden.
Davon bin ich überzeugt, Tobias.
Tobias:
Ja, mein König.

Und so ging Tobias mit seinen Mannen schon am nächsten Morgen hinaus in die Welt. Er lernte fremde Kulturen kennen, bereiste ferne und unbekannte Länder. Tobias ließ viele Gefahren hinter sich. Immer war er scharfäugig auf der Suche nach der Antwort, die sein König verlangte. Doch so lange er auch suchte, er fand sie nicht. Er lernte, dass auch andere Kulturen sich dieselbe Frage stellten, doch auch sie waren ratlos. Jeder Mensch stellte sich diese eine Frage, egal ob gottesfürchtig oder nicht. Als der Ritter alt und schwach war, wurde ihm klar, dass Gott alleine ihm die Antwort geben konnte.
Und als er gestorben war und zwischen Himmelspforten und Gottesthron stand, klein und unbedeutend, da bekam er sie dann auch.
Doch konnte er sie seinem König nicht mehr mitteilen.

 

Hallo Rosta!

Erstmal danke für Deine Antwort! Ich habe die Geschichte - wie Du offensichtlich schon vermutet hast - wegen des optischen Aufbaus in die Kategorie Experimente gesteckt.

Schön, dass Du die Geschichte für die Kategorie Philosophisches vorschlägst. Ich selbst würde vermutlich nie auf die Idee kommen, da ich bei dem Wort natürlich sofort an die großen Philosophen denken muss und ich möchte nicht den Eindruck erwecken, ich würde mich wohl mit ihnen messen wollen.

Gruß
Friedesang

 

Hallo Friedesang –

schon wieder ich –

eine schöne Geschichte hastu hier geschrieben und ich kann Rostas Statement voll übernehmen bis auf zwei Konjunktiv-Konstruktionen mit „würde“. Statt:

„Wäre es nicht sinnvoller, wir würden seelenlos nebeneinander her leben?
Wäre es nicht sinnvoller, wir würden gar nicht existieren?“,

schlage ich vor

» Wäre es nicht sinnvoller, wir lebten seelenlos nebeneinander her?
Wäre es nicht sinnvoller, wir existierten gar nicht?«,

zu wählen. Die zwei „würde“ erwiesen sich als überflüssig, die Sätze wären für meine Begriffe klangvoller.

Gruß

friedel

 

Hallo Friedrichard!

schon wieder ich –

:)

Freut mich, dass Dir auch diese Geschichte gefallen hat! Deine Verbesserungsvorschläge sind von mir umgesetzt worden!
Danke!

Und nochmal schöne Grüße
Friedesang

 

Hej Friedesang,

Du weisst ja, dass ich keine Expertin in Sachen philosophische Geschichten bin, aber ich stimme Rosta zu.

Du hängst wohl sehr an dem optische Aufbau?

Egal, wo sie nun steht, sie gefällt mir, Deine Geschichte.

Und als er dann gestorben war und zwischen Himmelspforten und Gottesthron stand, klein und unbedeutend, da bekam er sie dann auch.
ein "dann" würde ich weglassen

Viele Grüße
Ane

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ane!

Vielen Dank für Dein Feedback! Hat mich sehr gefreut!
Deinen Vorschlag, das "dann" wegzulassen, habe ich beherzigt und weggenommen!

Schöne Grüße
Friedesang

PS: Und ja, ich hänge SEHR an diesem optischen Aufbau, so wirkt es einfach besser, finde ich:).
PS, die zweite: Jetzt hatte ich doch tatsächlich vergessen, das "dann" wirklich wegzunehmen ... jetzt ist es aber erledigt!

 

Salü Friedesang,

Und als er gestorben war und zwischen Himmelspforten und Gottesthron stand, klein und unbedeutend, da bekam er sie dann auch.
Doch konnte er sie seinem König nicht mehr mitteilen.

Es freut mich, dass Du die Frage, die Tobias bekam, für mich - die Leserin - offen lässt. Das gibt der Geschichte (oder dem Experiment oder der Philosophie) Qualität und Gewicht.
Die 'Optik' würde für mich sehr gewinnen, wenn Du die Unterstreichungen der Namen löschen würdest. Du könntest sogar, nach den ersten Nennungen, die Namen ganz weglassen, sogar nach den kursiv gesetzten Abschnitten. Es wäre eine reine Dialoggeschichte und sie könnte um Einiges an Spannung reicher werden.

Gerne gelesen!
Herzlich,
Gisanne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Gisanne!

Es freut mich sehr, dass auch Du meine Geschichte gerne gelesen hast! Nachdem die Geschichte so lange keine weiteren Kommentare bekommen hatte, habe ich schon befürchtet, sie käme nicht so gut an!
Umso mehr bin ich froh darüber, dass dem nicht so zu sein scheint :)

Die 'Optik' würde für mich sehr gewinnen, wenn Du die Unterstreichungen der Namen löschen würdest. Du könntest sogar, nach den ersten Nennungen, die Namen ganz weglassen, sogar nach den kursiv gesetzten Abschnitten. Es wäre eine reine Dialoggeschichte und sie könnte um Einiges an Spannung reicher werden.

Ich werde mir Deinen Vorschlag durch den Kopf gehen lassen, eventuell komme ich Deiner Idee nach! Vermutlich werde ich es jedoch so beibehalten, da der experimentelle Aspekt der Geschichte allein auf die Optik basiert.

Schöne Grüße und danke fürs Lesen
Friedesang

 

Hallo Friedesang,

Stimmt schon, die Struktur der Geschichte ist gelungen. Darüber hinaus ist sie auf das Wesentliche reduziert, wie es für eine philosophische Geschichte wohl angemessen ist.

Übrigens finde ich, du hättest durchaus die Rubrik "Philosophie" wählen können. Denn ein Experiment ist die Geschichte für mich nicht, die Struktur erinnert ja letztlich (von den beschreibenden Einschüben abgesehen) an die eines Dramas. Und "Philosophie" als Rubrik zu wählen, ist nun wirklich keine Anmaßung - jeder "philosophiert" doch irgendwie. Ich weiß ja nicht, wo ich das mal gelesen habe aber: "Selbst um nicht zu philosophieren, müssen wir philosophieren."

Die Fragen, die in der Geschichte angesprochen werden, sind natürlich für jeden interessant, weshalb sich die Geschichte auch durchaus spannend liest. Für meinen Geschmack jedoch bietest du dem Leser letztlich einfach nicht genug. Du stellst im Dialog zwischen König und Ritter die elementare Frage nach dem Sinn des Lebens und dabei bleibt es dann. Am Ende wird dem Leser noch mitgeteilt, dass der Sinn des Lebens im Diesseits nicht zu erfahren ist.
Natürlich verlange ich nicht, dass du in deiner Geschichte die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens lieferst. (Obwohl - wenn du sie hast, immer her damit! ;)) Aber trotzdem erwarte ich von so einer Geschichte, dass sie zumindest ein paar weitere Denkansätze zu diesem Thema eröffnet, den Leser ein Stück weit auf der Suche nach der Antwort mitnimmt - ihm direkt aufzeigt, woran diese Suche scheitert. Was genau hat Ritter Tobias auf seiner Reise denn erfahren, was nicht? Ist er gegen Ende verzweifelt über sein Scheitern oder fügt er sich? Warum glaubt er letztlich doch, dass Gott ihm die Antwort geben kann?

Auch hätte ich als letzte Szene ein Treffen zwischen einem gealterten und abgekämpften Tobias und einem greisen König, eine finale Aussprache über die Ergebnisse der Reise also, als interessanter empfunden, als diesen eher laschen Ausklang.


Gruß,
Abdul

 

Hallo AbdulAlhazred!

Auch Dir möchte ich für's Lesen und Kommentieren danken!

Übrigens finde ich, du hättest durchaus die Rubrik "Philosophie" wählen können. Denn ein Experiment ist die Geschichte für mich nicht, die Struktur erinnert ja letztlich (von den beschreibenden Einschüben abgesehen) an die eines Dramas. Und "Philosophie" als Rubrik zu wählen, ist nun wirklich keine Anmaßung - jeder "philosophiert" doch irgendwie. Ich weiß ja nicht, wo ich das mal gelesen habe aber: "Selbst um nicht zu philosophieren, müssen wir philosophieren."

Okay, okay, ich gebe mich geschlagen :)! Ich werde Leif bitten, die Geschichte nach "Philosophisches" zu verschieben!

Es freut mich, dass Dir die Geschichte soweit auch gefallen hat und über Deine Verbesserungsvorschläge werde ich bei Gelegenheit Gedanken machen und gegebenenfalls Verbesserungen vornehmen!

Schöne Grüße
Friedesang

 

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